Vom Wert unerschlossener Räume
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Vom Wert unerschlossener Räume

Ein Plädoyer für mehr Wildnis Wildnis und unerschlossene Gebiete, wo Bauten und Anlagen fehlen, sind für das Selbstverständnis des Menschen und dessen Wohlbefinden von Bedeutung. Nachhaltige Nutzung ist heute ein weit verbreitetes Schlagwort. Aber wir werden die nachhaltige Nutzung und die Grenzen unserer Eingriffe nie erkennen, wenn wir nicht auch Ökosysteme zum Vergleich heranziehen können, in denen eine nachhaltige Nichtnutzung stattfindet.

Schlüsselerlebnis Naturnähe Unterwegs sein. Immer aufwärts gehen im locker stehenden Bergwald durch Tobel und Lawinenrunsen in die offene Landschaft der Alpweiden, den Felswänden und Graten zu. Oben stehen und die Weite der Unendlichkeit im Dahinziehen der Wolken spüren. Dem Wind und dem Jauchzen der Alpendohlen in den Felsen zuhören und still werden. Eins sein mit Natur und Landschaft.

Erlebnisse am Berg gehen tief, führen uns auf uns selbst zurück. Für viele Menschen ist die Suche nach solchen oder ähnlichen Erlebnisse ein wichtiger Anstoss, um in die Fels- und Eisregionen aufzubrechen, die Weite oberhalb der Waldgrenze und andere vom Menschen wenig geprägte Regionen zu durchstreifen. Naturnahe Landschaften mit fehlender oder geringer menschlicher Infrastruktur ermöglichen nicht nur Erlebnisse in Form sportlicher Tätigkeit, sondern sind auch ein Grundpfeiler für unser Wohlbefinden. Umfragen und Forschungsergebnisse zeigen denn auch immer wieder dasselbe: Naturnahe Landschaften mit wenig oder fehlenden technischen Einrichtungen werden positiver empfunden als technisch stark veränderte Landschaften. Dabei wird das Ästhetik-empfinden des Menschen vor allem durch räumlich-übersichtliche Gliederung geprägt, wie es die halboffene, parkartig aufgelockerte Landschaft an der Waldgrenze oder die Gliederung hintereinanderstehender Grate und Höhenzüge zeigt. Urwald wird hingegen weit weniger als besonders attraktiv empfunden, und dessen Wert muss viel mehr mit dem Verstand begriffen werden. Dies könnte durchaus mit der Entstehungsgeschichte des Menschen in Beziehung gebracht werden, die wesentlich durch die offene Baumsavanne geprägt wurde.

Geistige Kräfte aus der Wildnis Der Wert naturnaher und kaum erschlossener Räume ist allein aus rein menschlicher und ästhetischer Sicht hoch einzuschätzen. Jahr für Jahr reisen viele wildnisbegeisterte Menschen nach Kanada, Alaska odertrek-ken in den hochgelegenen Landschaften des Himalaya. Es wäre gut, wenn sich die Behörden bei uns mehr bewusst würden, dass Wildnis oder wenig erschlossene Landschaft sogar einen kommerziellen Wert hat. Dynamische, den Naturkräften überlassene Landschaft ist nicht einfach wertlos, unnütze « Ganda » oder Ödland, sondern die Quelle neuer, innerer Kräfte für den Menschen. In vielen Religionen und Kulturen spielt die Wildnis eine wichtige Rolle. Moses stieg auf den Berg und holte von dort die Idee einer Gesetzessammlung für das Volk Israel. Buddha entwickelte seine Vorstellungen im Laufe asketischer Jahre am Rande des Himalaya und in den Flusslandschaften der Gangestief-ebene. Jesus verbrachte vierzig entscheidende Tage mit Visionen in der Wüste. Der junge Held Siegfried kämpfte in der Wildnis allein gegen einen Drachen und Herakles gegen den nemäischen Löwen. Die Auf- weite und Stille finden wir nur noch in unerschlossenen Gebieten. Am Fanellhorn, Blick gegen Rheinwaldhorn ( GR ) nähme in die Welt der Erwachsenen erfolgt bei verschiedenen Indianerstämmen Nordamerikas noch heute erst, nachdem der Jugendliche längere Zeit allein in der Wildnis verbracht hat. Viele Denker und Künstler erhielten entscheidende Impulse an abgeschiedenen Orten. Und heute entdecken gestresste Manager wieder die Bedeutung der Zeitlosigkeit anlässlich von Seminaren in der Wildnis. Es entspricht der Ehrfurcht vor der Natur und unserer Herkunft, wenn wir auch den Wert wenig oder nicht erschlossener Räume respektieren.

Bewusstes Unterlassen als Chance Darüber hinaus - und das ist ebenso wichtig - bietet die Wildnis Bedingungen für die freie Entwicklung von Lebensgemeinschaften ohne menschliches Dazutun. Es gibt ausser der Festsetzung eines Gebietes als Wildnis keine Vorgabe für das Vorkommen bestimmter Arten und der Artenvielfalt. Es gibt keine Bauten, keine Infrastruktur, einzig das Durchwandern ist als Ausnahme möglich. Wir können Wildnis nicht machen, aber wir können sie dort sich entwickeln lassen, wo sie uns nicht bedroht. Es braucht keine Pflegemassnahmen, keine Eingriffe zur Steuerung des Ökosystems. Hier herrscht einzig das ganz bewusste Unterlassen.

In Mitteleuropa gibt es kaum einen Quadratmeter Boden, der nicht irgend einer Nutzung zugeführt worden wäre. Es gibt viele Arten, die von einer extensiven Nutzung profitieren oder sogar darauf angewiesen sind, denken wir nur an die Riedgebiete, Magerwiesen oder Kastanienselven. Und wir müssten deshalb durchaus in 01 ö Schutz der Gebirgswelt Kauf nehmen, dass in den sich selbst überlassenen Gebieten ein Artenrück-£ gang stattfinden könnte. Es geht aber c: nicht darum, die artenreichen, vielfäl-c tigen und wertvollen Kulturland-jo. schatten in Verruf zu bringen, son-* dem zusätzlich den dynamischen, 5 vom Menschen wenig oder unbeein-^m flussten Landschaften eine Chance zu 44 geben. Damit erhalten gerade auch Arten wieder Möglichkeiten, die heute infolge Abbruchs der Sukzes-sion1 kaum mehr überleben. Wildnis-gebiete wären besonders gut geeignet, um die Dynamik alter und reifer oder ganz junger Ökosysteme zuzulassen. Zu denken ist etwa an Arten alter, zusammenbrechender Waldteile, junger Flussauen - wie z.B. Gletschervorfelder - oder Arten, die auf sehr grosse, ungestörte Lebensräume angewiesen sind.

Wildnis ermöglicht neue Einsichten Wir haben wenig Kenntnis von Gebieten in den Alpen, und noch weniger des Mittellandes, in denen nicht vom Menschen beeinflusste dynamische Prozesse zugelassen werden. Der Schweizerische Nationalpark ist bis heute eines der ganz wenigen Gebiete, in denen zum Beispiel die Wiederbesiedlung von Wiesen durch den Wald oder die Entwicklung der Wälder ohne Holznutzung auf grösserer Fläche unter Huftiereinfluss langfristig untersucht werden kann. Wildnis ist auch oft der einzige Ort, wo langfristige Entwicklungsprozesse überhaupt und interdisziplinär untersucht werden. Wer hätte im Nationalpark erwartet, dass gerade in den Jahren mit stark zunehmendem Huf-tierverbiss die Artenvielfalt an Pflanzen auf den Probeflächen zugenommen hat? Solche « Befunde aus der Wildnis » geben uns oft überraschende Erkenntnisse, die auch für die Kulturlandschaft oder Extensivie-rungsprogramme in der Forst- und Landwirtschaft von Bedeutung sind. Sie können aber auch für die Beurteilung möglicher Entwicklungsprozesse nach der Nutzungsaufgabe herangezogen werden.

Mut zum Nichtstun Es braucht Mut zum Nichtstun. Mit dem Projekt Sihlwald wurde ein erster Schritt in eine neue Richtung getan. Weitere, ebenso mutige sollten auch im Berggebiet unterstützt und gefördert werden - da ist auch der SAC gefordert! Das Wildnis-Kon-zept hilft bei Renaturierungsprojek-ten entscheidend weiter: so bei Sukzessionen in wiedervernässten Mooren, Renaturierung von Fliessgewässern, Verfüllung von Drainagen, Ver-wildernlassen von Kiesabbaugebieten und alten Deponien oder Steinbrüchen. Allerdings kann ein Dynamik-Konzept für die Entstehung neuer Wildnis nicht auf die bisher geschützten Flächen von wenigen Prozenten der Landesfläche beschränkt werden. Es müsste möglich sein, in bestimmten Gebieten der Alpen und des Juras die Verbrachung und Einwaldung ganzer Täler infolge Rückzug der Landwirtschaft aus der Fläche nicht als Katastrophe zu verschreien, sondern bewusst als Chance für sekundäre Wildnis wahrzunehmen. Dasselbe gilt für Wildflusslandschaften. Wir sollten die Chance der veränderten ökonomischen Bedingungen in der Forst- und Landwirtschaft ergreifen und den vermehrten Wunsch nach ungelenkten Prozessen in unserer Umwelt ernst nehmen. Die Gesetze dazu stehen zur Verfügung.

:'Sukkzession: « Abfolge von Lebensgemeinschaften ( Biozönosen ) an einem Ort durch Veränderung der Lebensbedingungen. Nach Überschreiten eines Schwellenwertes eines bestimmten ökologischen Faktors ( Klima, Relief, Muttergestein, Organismen, Zeit ) verändern sich Lebensgemeinschaft und -Ort gleichzeitig, so dass ein anderes Ökosystem entsteht. » ( Aus: Schweizer Lexikon, in 6 Bänden, Bd. 6, Luzern 1993 ) Aus der Wildnis schöpfen wir neue Kräfte und lernen dynamische Prozesse ohne menschlichen Einfluss kennen. Val Cluozza, Schweizerischer Nationalpark Der SAC ist der Wildnis verpflichtet Was könnte dies alles für den SAC und seine Mitglieder bedeuten? Ganz allgemein sollte bei Veränderungen in der Landschaft, und seien sie noch so scheinbar geringfügig, äusserst zurückhaltend und wohlüberlegt vorgegangen werden. Mit seinem Entschluss, keine neuen Hütten mehr zu bauen, wurde ein Schritt in diese Richtung getan. Der SAC sollte aber vermehrt versuchen, auch gegen aussen Einfluss zu nehmen, so dass beispielsweise der Hüttenentscheid nicht durch Hüttenbauten durch andere Organisationen ad absurdum geführt wird. Es bedeutet beispielsweise auch, sich und andere bei der Erschliessung neuer Klettergebiete in bisher wenig begangenen Gebieten zur Zurückhaltung oder zum Verzicht aufzufordern. Auf Grund seiner Statuten und des Leitbildes ist der SAC legitimiert und verpflichtet, sich gegen weitere Ver-einnahmungen der letzten Gebirgs-wildnisse durch technische Einrichtungen wie Strassen, Bahnanlagen, Skilifte oder EW-Anlagen zu wehren. Aber auch bei scheinbar kleinen und geringfügigen Dingen wie Wegsanierungen, Wegmarkierungen oder Rou-teneinrichtungen sollten die oben geschilderten Überlegungen ver- mehrt einbezogen werden - denn auch eine übermässig mit blauweissen Markierungen versehene Gebirgs-route nimmt der Landschaft einen Teil ihrer Ursprünglichkeit.

Der SAC betritt mit dem Wildnis-gedanken kein Neuland. Laut Art. 3 seiner Statuten setzt er sich aktiv für den Schutz der Gebirgswelt ein. Gemäss den Richtlinien zum Schutz der Gebirgswelt ist die Landschaft in ihrer Integrität und Eigenart als Ganzes zu erhalten und das Hochgebirge von allen grösseren Eingriffen freizu- Unerschlossene Wildnis findet sich in Mitteleuropa fast nur noch im Alpenraum und auch dort nur noch insel- halten. Es ist lediglich eine veränderte Art der Wahrnehmung, die die Qualität « Wildnis » höher bewertet als Menschenwerk. Der Wert unerschlossener Räume und von Wildnis liegt letztlich darin, dass sie nicht herstell-bar sind, und mit dem Zulassen der ungezähmten Wildheit und Schönheit überwinden wir erstmals unsere Furcht vor dem Nichtkalkulierbaren, vor dem Unvorhersehbaren im Naturgeschehen.

Christian Geiger, Biologe, SAC-Kommission Schutz der Gebirgsweltc o.

Auch masslose Markierungen sind eine Störung der hochalpinen Urlandschaft. Bei der Dammahütte ( UR ) haft. Blick über einen Hoch-moortümpel auf Alp Flix gegen den Piz Platta ( GR )

llpine Geschichte, Cultur, Erzählungen

Storia, cultura, letteratura alpina

listoire, culture littérature alpines

Grundstück und Gebäude für ein « Alpines Museum » auf der Praterinsel hatte die Stadt München schon 1908 dem Deutschen & Österreichischen Alpenverein ( D.u.Ö.A.V .) für diesen Zweck zur Verfügung gestellt. Von 1911 bis 1944 war dort historisches Material vorwiegend sowohl zum deutschen Bergsteigen in den Ostalpen als auch zur Vereinsgeschichte zu sehen. Im Luftkrieg verbrannten die Gebäude und weitgehend auch die Sammlungen; ausgelagerte Reste bildeten später den Grundstock für das Innsbrucker Alpenvereinsmuseum.

Nach Kriegsende teilweise in « Fronarbeit » von den Mitgliedern wieder aufgebaut, bezog der neue Der Deutsche Alpenverein ( DAV ) eröffnet sein « Alpines Museum » Nach einem ökumenischen Gottesdienst und Ansprachen der Prominenz der Stadt München und des Bayerischen Staates konnte nach drei Aufbaujahren am 26. Oktober 1996 das vor allem auf die alpine Geschichts-vermittlung ausgerichtete neue Alpine Museum des DAV den mehr als 800 Festgästen vorgestellt werden.

Aussenansicht des neuen Alpinen Museums auf der Praterinsel in München. Hier war noch bis vor wenigen Jahren die gesamte Geschäftsstelle des DAV untergebracht.

Originalmünzen der Zeit stehen als Zeichen für den durch H. B. de Saussure ausgesetzten Preis für die Ersteigung des Montblanc. Sie symbolisieren als « hard- ware » in der Vitrine « Aufbruch aus Arkadien » den ideengeschichtlichen Aufbruch auf die Gipfel ( Beispiel für das ideengeschichtliche Museum ).

In der sog. Galerie zeigt die erste der Wechselausstellungen, die das Dauerange-bot des Alpinen Museums ergänzen werden, « Eingriffe » in die Alpenlandschaft aus der Sicht eines deutschen Künstlers. Zum Vergleich hängen daneben alte Wiedergaben mit demselben Landschaftsausschnitt. Die Schweizer Alpen sind dabei stark vertreten.

DAV im « Alpenvereinshaus » auf der Praterinsel sein Domizil. Auf Drängen der Stadt München wurde das Haus zu einem alpinkulturellen Zentrum umgestaltet. Es beherbergt jetzt neben den Museums- und Ausstellungsflächen auch Kommunikations-räume, Bibliothek, Archiv und die Sicherheitsforschung. Grosszügige Nachlässe und Spenden sowie ein Zuschuss des Freistaates Bayern haben Umbau und Einrichtung finanziell möglich gemacht.

Anders als die g rossen alpinen Museen Klar war von vornherein, dass dieses Museum den in Jahrzehnten gewachsenen alpinen Schausammlun-gen in Bern oder Turin nicht unmittelbar nacheifern kann. Der DAV-Kultur-referent und Museumsfachmann Dr. Helmuth Zebhauser, der das Museumsvorhaben verfolgt, durchgesetzt und in ehrenamtlicher Ganz-tagsarbeit selbst realisiert hat, wählte einen anderen Weg. Die mit 400 m2 bescheidene Fläche der Dauerausstellung wird durch Wechselausstellungen in einer Galerie, durch Vortrags-reihen und Kolloquien ergänzt. Die erste dieser Wechselausstellungen wurde gleichzeitig mit dem Museum eröffnet. Sie zeigt menschliche « Eingriffe » in die Alpenlandschaft in der Sicht eines deutschen Künstlers.

Vorstellung alpiner Ideengeschichte Der Museums-Teil verfolgt konsequent den Leitgedanken, alpine Ideengeschichte zu präsentieren. Was hinter den Daten und Fakten alpiner Entwicklung steht, wird sichtbar. So manifestiert beispielsweise der von Saussure für die Besteigung des Montblanc ausgesetzte Preis die einschneidende Idee, die unbetretene Wildnis des Hochgebirges zu erobern.

zeitgenössische Panoramen, Karten, Abbildungen oder Präparate charakterisieren Entwicklungsstadien, Time-lines vermitteln die zeitlichen Zusammenhänge. Hinzugefügte Gegenstände der Alltagskultur oder Technik, meist auch Bilder der Zeit eröffnen überraschende Parallelen zur sozio-kulturellen Situation. Dieses ideengeschichtliche Museum gibt Antworten auf die Frage: « Wie hängen Entstehung und Entwicklung des Alpinismus mit elementaren historischen Ereignissen zusammen ?» ( Zebhauser ) Ein Rundgang durch das Museum Schon das Foyer stimmt mit Mythen und Traditionen, die als Zinn-figuren-Dioramen dargestellt sind, auf die Eigenart dieses Museums ein.

Raum 1, « Ideengeschichte 1760-1900 », beginnt mit dem « Aufbruch aus Arkadien » in die unerforschte Wildnis. Rokoko und Aufklärung wirken ineinander, der Mensch erreicht bislang gemiedene Hochgipfel. Bereits die Folgegeneration bewältigt die Alpen touristisch und wissenschaftlich. Gesellung der Bildungsbürger in alpintouristischen Vereinen mündet in die Erschliessung der Alpen als « Tummelplatz Europas ». Der durch Forscher wie Alexander von Humboldt oder Hans Conrad Escher verkörperte Versuch eines universellen, gesamthaften Wissens von den Gebirgen teilt sich in Bemühungen um Einzelwissenschaften auf, die die Alpen beschreiben und kartieren. Um 1900 heisst es schliesslich bei Hochtouristen: « Excelsior! Alle Gipfel sind erstiegen ».

Anschliessend zeigt ein kleines Kunstkabinett Proben spezifisch alpinistischer Sichtweise bergsteigender Künstler. « Das Bild dient als Dokument für die Rezeption des jeweiligen Gebirgserlebens. » ( Zebhauser ) Mit Zimmer 3 beginnt die « Stil-wende ». Vom bequemen Sofa in einer Art bürgerlichem « Salon » kann der Besucher den Umbruch des Alpinismus zum künstlichen Klettern und Expeditionsbergsteigen der Elite betrachten, andererseits die Entwicklung zu Natur- und Heimatschutz, kulturellen Sammlungen, Skilauf und Jugendbergsteigen sehen. Als Gegenpol zu Beispielen naturlyristischer Gemälde symbolisiert technisches Gerät den Fortschrittsglauben und die touristisch bequeme Domestizierung des Gebirges.

Die letzte Station der Runde durch das Museum, der Raum 4, skizziert den komplexen und schillernden « Alpinismus der Moderne » - aus- Studiert er nach dem Besuch den Museumskatalog - oder bereitet er seine Flucht ins Gebirge vor? Die lebensnahe Bergsteigerfigur im Garten, die jedem Besucher auffällt, ist fast zu einem Symbol geworden.

Auf die Besteigungsgeschichte des höchsten Alpenberges geht das Museum nicht ein.

Goldmünzen der Zeit de Saussures in einem der gläsernen Ausstellungs-türme versinnbildlichen den Preis und damit Saussures Idee. Wie denn die meisten Exponate Symbole sind für einzelne Glieder der fortschreitenden Ideenkette des Alpinismus. Originale epochemachender Bücher und wissenschaftliche Instrumente markieren den geistigen Aufbruch; Modelle, schliesslich auf Deutschland bezogen. Der Einfluss von Massenmedien, wie Bergfilm und Tagespresse, sowie die Verstrickung in Politik und Ideologie scheinen in Schlaglichtern auf, heldi-scher Alpinismus, Heimatideologie, deutscher Nationalismus und Rassismus klingen an. Selbst vor den heiklen Kapiteln « grossdeutsches Bergsteigen » sowie « Alpenverein und Nationalsozialismus » kneift das neue DAV-Museum nicht. Der etwa zweistündige Rundgang endet 1945 mit dem Verbot des DAV.

Museum und Katalog - Vergnügen mit Niveau Pointierte Darstellung, optisch reizvolle Gestaltung und viele brillante Einfälle ohne Spielerei machen den Besuch zum Vergnügen mit Niveau. Obschon die, bei aller Kürze, treffsicheren Texte der ausgeklügelten Beschilderung das Verständnis der Exponate erleichtern und das verbindende Ideengerüst anreissen, greift der anspruchsvolle Besucher gern zum Museumskatalog.

Der neben der immensen Aufbau-leistung von Dr. Zebhauser und seiner Konservatorin Maike Trentin-Meyer geschaffene, reich illustrierte Band vervollständigt als ausführliche Klammer die knappen Museumsaussagen. « Zwischen Idylle und Tummelplatz » präsentiert er mit zahlreichen Origi-nalbeiträgen und Zitaten auf 431 Seiten den Entwurf alpiner Ideengeschichte mit wirkungsgeschichtlichen Anmerkungen.

Wieder draussen im Freigelände, im geologischen Schaugarten, zieht eine zwischen den Steinen sitzende Gestalt die Blicke aller Besucher auf sich. Vornübergebeugt studiert die täuschend lebensechte Bergsteigerfigur ein Buch. Wer das Museum verlässt, rätselt: Geht der nun den so zahlreichen Denkanstössen im Museumskatalog nach - oder bereitet er, mit alpinen Ideen vollgestopft, seine nächste Bergtour vor?

Peter Grimm, D-StarnbergAlpines Museum des DAV, D-80538 München, Praterinsel 5, Tel. 0049/89/211224-0 Öffnungszeiten: Dienstag, Mittwoch, Freitag 13 bis 18 Uhr, Donnerstag 13 bis 20 Uhr, Samstag 10 bis 18 Uhr. Eintritt: DM 5, Katalog an der Museumskasse: DM 28,. " " .50

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