Vom Winde verweht
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Vom Winde verweht Druckdifferenzen mit starken Auswirkungen

Mit dem Abkühlen der Luftmassen über Nordeuropa, wo gegen den Winter hin immer weniger Sonnenlicht einfällt, beginnt in der Schweiz die stürmischste Zeit des Jahres.

Die Erinnerungen sind präsent: Am Morgen des 26. Dezembers 1999 kam der Zug nicht mehr weiter, und man musste auf Ersatzbusse umsteigen. Der Grund: Sturmschäden durch Orkan Lothar. Der Jahrhundertsturm brachte im ganzen Land Windgeschwindigkeiten in Rekordhöhe. Im Mittelland wurden bis zu 160 Kilometer pro Stunde gemessen, auf dem Jungfraujoch gar Spitzen von 249 Kilometern pro Stunde. Die Schäden an Gebäuden und in Wäldern beliefen sich auf rund 1,8 Milliarden Franken.

Sinkender Luftdruck

Orkan Lothar entstand aus einer Wettersituation, die für Herbst- und Winterstürme in der Schweiz eigentlich typisch ist. Wenn über dem Nordatlantik ein Tiefdruckgebiet liegt, über den Azoren aber Hochdruck herrscht, muss dieses Druckgefälle ausgeglichen werden. Die Luft strömt im Uhrzeigersinn aus dem Hochdruckgebiet heraus und im Gegenuhrzeigersinn ins Tiefdruckgebiet hinein. Über Mitteleuropa führt das zu Winden aus Westen, die häufig stürmisch sind.

Je tiefer der Druck im Zentrum eines Tiefdruckgebiets ist, desto stärker wehen die Winde. Im Falle von Lothar, der sich als kleines Randtief eines grossen Tiefdruckkomplexes über dem Atlantik bildete, sank der Luftdruck im Zentrum des Sturms nördlich von Paris auf 962 Hektopascal, mit entsprechend dramatischen Konsequenzen. Zum Vergleich: Der Luftdruck im Innern von grossen Wirbelstürmen (Hurrikans und Taifunen) liegt im Schnitt bei 950 Hektopascal.

Einflussreicher Südföhn

Auch bei Bise und Föhn kontrollieren Druckdifferenzen alles. Die kalt-trockene Bise ist vor allem im Winter ungeliebt, weil sie die Temperaturinversion verschärft, was in tiefen Lagen zu zähem Hochnebel führen kann. Wie stark die Bise bläst, hängt davon ab, wie gross der Druckunterschied zwischen Genf und der Bodenseeregion ist - gemessen in Güttingen/TG. Höherer Luftdruck in der Nordostschweiz muss über die Bise ausgeglichen werden, die dann zügig durchs Mittelland bläst.

Beim Föhn sind die Druckunterschiede zwischen Norden und Süden ausschlaggebend. Der klassische Südföhn ist so bekannt, dass wir ihn meistens einfach nur Föhn nennen. Fällt er zusammen, folgt häufig ein markanter Wetterumbruch von warm-trocken zu kühl-nass. Doch auch die Alpensüdseite erlebt Föhnwetter, mit dem Nordföhn. Er bringt aus Norden kühle Luft und endet unspektakulärer, indem er einfach abflaut.

Geschlossene Zirkulation

Auch kleinräumige Druckunterschiede rufen teilweise starke Winde hervor. In den Alpentälern können wir bei ruhigem Hochdruckwetter die Berg- und Talwindzirkulation erleben. Die Berghänge erwärmen sich im morgendlichen Sonnenschein vor dem Talboden, und die warme Luft steigt auf. Vom Tal muss Luft nachfliessen, deshalb entsteht ein Hangaufwind. In der Höhe kühlt die Luft wieder ab und sinkt ins Tal zurück, sodass sich eine geschlossene Zirkulation ergibt. Nach Sonnenuntergang kühlen die Berggipfel stärker ab als die Talsohle, und die Windrichtung dreht, dann bläst ein Hangabwind ins Tal. Noch lokaler wirken Gletscherwinde. Diese kalten Fallwinde oder katabatischen Winde entstehen, wenn die Luft über dem Gletscher abkühlt und wegen ihrer höheren Dichte talabwärts fliesst. So können wir auch bei windstillem Wetter auf einem Gletscher plötzlich einen bissig-kalten Wind erleben, der uns den ganzen Tag begleitet.

Noch lokaler wirken Gletscherwinde. Diese kalten Fallwinde oder katabatischen Winde entstehen, wenn die Luft über dem Gletscher abkühlt und wegen ihrer höheren Dichte talabwärts fliesst. So können wir auch bei windstillem Wetter auf einem Gletscher plötzlich einen bissig-kalten Wind erleben, der uns den ganzen Tag begleitet.

Wetterserie

Lesen Sie in der nächsten Ausgabe den letzten Beitrag unserer Wetterserie: Die wundersame Welt der Schneekristalle.

Heute wäre es kaum möglich, dass ein Sturm wie Lothar unterschätzt wird

Lothar wurde von allen europäischen Wetterdiensten unterschätzt. Dafür gab es mehrere Gründe: Zum einen entstand der Sturm in einer Region, in der es sehr wenige Messungen gab. Zum anderen deutete lediglich eine Windmessung auf einem Schiff auf die bevorstehende Wetterentwicklung hin. Weil diese Messung aber von allen anderen Messungen abwich, wurde sie von den Modellen als falsch interpretiert und ignoriert.

Kurz vor dem Sturm konnte dessen Bahn für die Schweiz zwar gut vorhergesagt werden, die Windgeschwindigkeiten wurden aber weitgehend nicht ganz ernst genommen. In der Bretagne zeigten einige Bodenmessungen, dass bereits ein sehr tiefer Luftdruck herrschte, jedoch wurden sie in den Modellen zu wenig stark berücksichtigt.

Könnte sich eine solche Fehleinschätzung heute wiederholen? «Grundsätzlich ist es immer möglich, dass in der Analyse richtige Messungen fälschlicherweise verworfen werden», sagt Marco Arpagaus von MeteoSchweiz. Die Dichte an Messungen sei heute allerdings viel höher, die numerischen Modelle würden häufiger berechnet, und ihre räumliche Auflösung sei viel besser. «Heute wäre es fast unmöglich, dass ein solcher Sturm durch die Maschen fällt, wie dies vor 20 Jahren passiert ist.»

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