Von Fusseisen, Frontzacken und Footfangs: Die Geschichte der Steigeisen
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Von Fusseisen, Frontzacken und Footfangs: Die Geschichte der Steigeisen

Die Geschichte der Steigeisen

Alpinisten auf Hochtouren und Gletschern ohne Steigeisen? Das ist heute undenkbar. Doch der Siegeszug der stählernen Steighilfen verlief zögerlich – nicht zuletzt in der Schweiz.

Dass steile Wiesen, Schneefelder und Gletscher rutschig sein können, weiss der Mensch schon lange. Und schon lange unternimmt er etwas dagegen. Grabungen in Österreich, Bayern, Südtirol und Slowenien förderten rund 2500 Jahre alte, zackenbesetzte Eisenbügel zutage, die sich ans Schuhwerk anbringen liessen, um die Ausgleitgefahr zu mindern. Aus dem alten Rom sind nagelbesetzte Schuhe für steiles Gelände überliefert. Und in seinem « De Alpibus Commentarius » aus dem Jahr 1574 weiss Josias Simler über Alpenreisende, Hirten und Jäger zu berichten: « Um an vereisten, schlüpfrigen Stellen sicher treten zu können, pflegen sie eiserne, mit drei spitzen Zacken versehene Sohlen ( soleas ferreas ), ähnlich den Hufeisen der Pferde, zu befestigen. » 1723 dann beschreibt Johann Jakob Scheuchzer grödelähnliche, mit vier bis sechs Zacken versehene Eisen.

Eiserne Spitzen unter den Hacken Johann Gottfried Ebel rät dann in seiner Reiseanleitung für die Schweiz 1793: « Wer den Plan hat, auf Gletschern viel herumzuwandern, der muss sich eiserne Spitzen machen lassen, die unter die Hacken passen, und so festgeschnallt werdenMit diesen Spitzen geht der Ungewohnte sicher und fest auf dem Eise der Gletscher. » Nicht alle Alpinisten jener Zeit machen indes Gebrauch davon: Horace Bénédict de Saussure etwa verwendet sie, nicht aber der Disentiser Pater und Naturforscher Placidus Spescha. Ab etwa 1850 wagen sich Bergsteiger in steileres Eisgelände vor. Wichtigstes Hilfsmittel ist ihnen aber der Pickel, mit dem sie Stufen ins Eis hacken – Stufen, auf denen sie mit ihren Nagelschuhen ( « Die Alpen » 7/2007 ) durchaus guten Halt finden. Mit solcher Technik werden auch die meisten Viertausender erstbestiegen. Das Stufenschlagen ist eine Domäne des Bergführers, eine regelmässig gehackte Himmelsleiter seine beste Visitenkarte. Der Aufwand zur Bewältigung einer Eisflanke ist allerdings beträchtlich: « To make 100steps in an hour in hard stuff is not bad workThis will give a height of 100feet [30 Meter] per hour », notiert 1892 Clinton Thomas Dent. Die ersten mit zehn Zacken Derweil in den Westalpen eifrig mit dem Pickel hantiert wird, tauchen in den Ostalpen schon vor 1880 die ersten richtigen Steigeisen auf, auch solche mit zehn Zacken aus gehärtetem Stahl. Im Zuge des führerlosen Bergsteigens, das in Österreich, Deutschland und bald auch in Italien Fuss fasst, stossen diese Hilfsmittel auf grossen Anklang und verdrängen die bezackten, an den Schuhfersen angeschraubten Hufeisen. Leitfiguren wie Emil Zsigmondy empfehlen die Steigeisen wärmstens, auch die österreichischen Bergführer lernen deren Vorzüge rasch schätzen. Allerdings verläuft ihre Verbreitung in der Schweiz harzig. Auf der Hauptbühne des damaligen Alpinismus, wo das Bergsteigen ohne professionellen Führer vorderhand eine Randerscheinung bleibt, erachten vor allem die Engländer, die sich meist im Schlepptau von Schweizer Bergführern bewegen, die Steigeisen als unnötig, unsportlich, untauglich oder gar gefährlich. Eine Einstellung, die ihren Führern nicht ungelegen kommt, werden sie doch vor allem fürs Stufenschlagen bezahlt. Und dass steile Eisflanken auch ohne Steigeisen zu meistern sind, beweist etwa der Bergführer Christian Klucker, der auf diese Weise einige der schwierigsten Eistouren seiner Zeit erklimmt – wie die Nordwände des Piz Roseg und des Lyskamms ( beide 1890 ), den Canalone del Badile ( 1896 ) und das Nordwestcouloir der Punta S. Anna ( 1899 ). Eckenstein und der Wettbewerb In den Jahren 1908 und 1909 publiziert der Brite Oscar Eckenstein in der « Österreichischen Alpenzeitung » zwei Beiträge über neuartige Steigeisen und lässt kurz darauf beim Schmied Henry Grivel in Courmayeur erste Exemplare anfertigen. Um die Nützlichkeit zu beweisen, organisiert Eckenstein 1912 auf dem Brenvagletscher publizitätsträchtig einen Steileiswettbewerb unter den Führern und Trägern von Courmayeur. Eckensteins Erfindung ist aber nicht revolutionär. Die Anzahl der Zacken ( zehn ), ihre Anordnung, das Gelenk zwischen Vorder- und Fersenteil: Alles schon da gewesen. Die Eckensteins vereinen die Vorzüge aller bisher gekannten Modelle. Ihr Erfinder versteht es aber in erster Linie, seine Steigeisen offensiv zu preisen – indem er etwa behauptet, damit liesse sich « ohne Gebrauch der Hände oder des Pickels » in bis zu 80 Grad steilem Eis stehen ( solange der betreffende Alpinist « nicht zu dick » sei ). Das erscheint zwar reichlich übertrieben – wir sprechen von Steigeisen ohne Frontzacken –, aber viele Spitzenalpinisten lassen sich anstecken und beginnen nun, die Möglichkeiten der Steigeisen auszuloten. Auf breiter Front etablieren sie sich dagegen nur langsam. Noch 1929 moniert der SAC Uto in einer Lehrschrift: « Die Mitnahme der Steigeisen auf Hochtouren muss zur Gewohnheit werden. Man spart mit ihnen Zeit und Kraft. » Ins Steileis auf den Frontzacken So gut die Eckensteins und andere Modelle auch sind, sie haben einen grossen Nachteil: Sie erfordern die Auflage aller zehn Zacken auf dem Eis, was aber im Steilgelände eine übermässige Anwinklung der Fussgelenke bedingt und nur in seitlicher Körperstellung zu bewerkstelligen ist. Steilste Passagen muss man gar rückwärts hochklettern, mit dem Rücken zur Wand. Oder dann halt doch Stufen schlagen und die Steigeisen dazu verwenden, um sicherer auf den Stufen zu stehen – so geschehen auch anlässlich der epochalen Touren von Willo Welzenbach ( Wiesbachhorn 1924, Dent d' Hérens 1925, Nesthorn 1933 ) oder von Alexander Graven und Joseph Knubel ( Eiger 1932 ). Doch Besserung ist in Sicht, und wieder aus dem Hause Grivel. Um 1930 ergänzt Laurent, Henrys Sohn, seine Steigeisen um zwei Frontzacken – und ermöglicht so das aufrechte Gehen selbst in senkrechtem Eis. Die Erfindung spricht sich nur langsam herum, und wieder sind es italienische, deutsche und österreichische Bergsteiger, die zuerst reagieren. 1933 gelingt Laurents Bruder Aimé und Renato Chabod die wohl erste grosse Tour mit Frontzacken, die Erstdurchsteigung der Nordwand der Aiguille Blanche de Peuterey – wenngleich sie nicht ganz aufs Stufenschlagen verzichten können. Den ultimativen Beweis für den Nutzen der Frontzacken liefern dann Anderl Heckmair und Ludwig Vörg 1938 in der Eiger-Nordwand, wo sie den Konkurrenten Fritz Kasparek ( mit Zehnzackern ) und Heinrich Harrer ( ganz ohne Steigeisen ) völlig überlegen sind. Anders in Frankreich. Dort können sich die Frontzacken, immerhin am Fuss des Montblanc erfunden, lange nicht durchsetzen. Lapidar das Urteil im « Manuel d' Alpinisme » des Club Alpin Français und der Groupe de Haute Montagne aus dem Jahr 1934: « Les pointes antérieures ne semblent pas très utilisables, sans réelle imprudence, dans la glace vive. » Erste Wahl bleibt dort die von Armand Charlet perfektionierte, aber umständliche « pieds à plat»-Technik, also das starke Abwinkeln der Füsse – und das bis Ende der 20 Zacken und Monopoints Im Wesentlichen hat sich das Frontzackendesign von Grivel bis heute bewährt; stehen geblieben ist die Branche indes nicht. 1962 bringt Salewa voll anpassbare Steigeisen auf den Markt – vorbei die Zeit, als man die Eisen anschmieden lassen musste und für Berg- und Skischuhe zwei separate Grössen brauchte. Yvon Chouinard und Tom Frost stellen 1967 ein starres, gelenkloses Steigeisen her, um den Kraftaufwand in Steileisrouten zu vermindern. Um 1978 tauchen die revolutionären Footfangs von Mike und Greg Lowe auf: 20 Zacken, nach vorne angebrachte Frontzacken und eine Kipphebelbindung. 1980 lässt Jean-Paul Frechin die Anti-stollplatte patentieren. 1986 folgen die « Monopoints », mit bloss einem Frontzacken; und mit dem Fersensporn und den direkt am Bergschuh angeschraubten Zacken sind wir schliesslich in der alpinistischen Gegenwart angekommen. Einer Gegenwart, die ohne Steigeisen ziemlich alt aussehen würde.

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