Weisshorn vor mehr als 40 und 30 Jahren
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Weisshorn vor mehr als 40 und 30 Jahren

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

vor mehr als 40 und 30 Jahren

Werner Letsch, Zollikon

Eine Erinnerung Im Jahr 1928 hatten wir den apersten Sommer im Hochgebirge, an den ich mich erinnern kann. Ich hatte in der zweiten Augustwoche das Matterhorn bei völliger Schneefreiheit an staubiger Ostflanke, dann die Dent Blanche mit dem vor kurzer Zeit im Alter von 96 Jahren verstorbenen Leander Torelli und dem jungen, damals 25 jährigen Bergführer Alfons Taugwalder bestiegen. Den mir auf den ersten Blick sympathischen Führer hatte ich beim Aufstieg zur Hörnlihütte kennengelernt und gleich für die Dent Blanche und das Weisshorn engagiert.

Es war ein sehr warmer Nachmittag am 12. August, als Alfons und ich von Randa aus zur Weisshornhütte aufstiegen, mehr oder weniger dem Weglein folgend und als einzige Touristen, die in der Hütte zu nächtigen gedachten; kam es damals doch noch vor, dass man eine Unterkunft für sich allein geniessen konnte, was für die Nachtruhe sehr vorteilhaft war. Das Wetter verprach am folgenden Tag leider nicht das, was wir gehofft hatten. Also hiess es abwarten und zuschauen, wie sich die Lage entwickeln würde. « Geh nie bei schlechtem Wetter auf grosse Touren! » Diese Mahnung hat der bekannte Vater Taugwalder seinem Sohn als Grundsatz auf seine Führerlaufbahn mitgegeben. Und das war richtig, denn manches Bergunglück hätte schon vermieden werden können, wenn danach gehandelt worden wäre. Um halb i o Uhr waren die Verhältnisse etwas besser: Fast das ganze Gebirge war nebelfrei, nur der Himmel noch etwas trübe überzogen. Der fortgeschrittenen Tageszeit wegen nahm Alfons die Laterne mit, mussten wir uns doch vorsichtshalber auf eine späte Rückkehr gefasst machen. Dem jugendlichen Tatendrang und guten Training entsprechend, stiegen wir rasch bergan über die Moräne zum Frühstücksplatz, wo wir zwanzig Minuten verweilten. Das Wetter blieb unverändert — und auch das Tempo, das wir nach der Rast anschlugen, denn es war schon Mittagszeit. Das Weisshorn hatte diesen Sommer streckenweise zwei Ostgrate, nämlich einen Schnee- und einen Felsgrat, was wohl eine Seltenheit sein dürfte. Wir hielten uns mehr an den Schneegrat - was uns später beim Abstieg zum Vorteil gereichen sollte -, kamen rasch voran und betraten den Gipfel schon um 13.50 Uhr, vier Stunden zwanzig Minuten nach Verlassen der Hütte. Wir genossen den freien Blick, und die schönsten Motive wurden mit der Ernemann-Kamera ^9 X 12 cm ) festgehalten. Es wäre ein Hochgenuss gewesen, bei der angenehm warmen Temperatur längere Zeit auf dem schneefreien Gipfelblock zu verweilen, aber der Himmel hatte sich im Westen bedrohlich verfinstert; eine düstere, schwarzgraue Wolkenwand näherte sich zusehends, und an den Diablons entluden sich bereits Gewitter. Also los zum Abstieg, und zwar schleunigst! Jugendliche Ausdauer und sicheres Berggehen kamen uns zugute. Wir einigten uns rasch zu etwas, das wohl am Weisshorn-Ostgrat kaum je angewandt worden war: zu einer Rutsch-abfahrt stehenden Fusses durch die Vertiefung der Aufstiegsspur. Für mich war es besonders reizvoll, mein Steckenpferd dank den günstigen Schneeverhältnissen einmal an einem aussergewöhnlichen Ort reiten zu können. Dieses abgekürzte Verfahren war ein grosser Zeitgewinn auf der Marschtabelle. Die Moräne und die folgenden Hänge brachten wir im Laufschritt hinter uns. Eine kurze Rast und das Ordnen der Hütte nahmen eine halbe Stunde in Anspruch; dann -es war 16.30 Uhr - wurde der Schnellgang wieder eingeschaltet, denn Alfons wollte wenn möglich wegen eines neuen Engagements den i 8-Uhr-Zug nach Zermatt erreichen, und mir war es auch recht, noch am selben Tag nach Zürich zu kommen. An den Laufschritt waren wir nun ja gewöhnt. Auf Rotglut erhitzt, mit tomatenfarbigen Köpfen, erreichten wir die Bahnstation um 17.45 Uhr und hatten just noch Zeit, im Bahnhof buffet den Durst zu löschen; dann nahmen wir herzlichen Abschied voneinander. Mit dieser denkwürdigen Bergfahrt, auf der wir im Abstieg die Höhendifferenz von 4500 auf 1400 Meter in einer absoluten « Marschzeit » von dreieinviertel Stunden hinter uns gebracht hatten, wurde unsere Freundschaft besiegelt.

Wie die Firnverhältnisse sich im Hochgebirge verändern können, habe ich zehn Jahre später am selben Weisshorn erfahren. Eine Tourenwoche der Sektion Uto hatte in Zinal ihren Abschluss gefunden. Mit einem Kameraden zusammen wollte ich anschliessend zur Tracuithütte aufsteigen zur Überschreitung des Weisshorns über den Nordgrat, aber es war kein Führer für dieses Unternehmen aufzutreiben. Nun profitierte ich von der Freundschaft mit Alfons Taugwalder. Er selbst war zwar verhindert, meinen Freund Robi und mich zu führen, vermittelte uns aber seinen Bruder Rudolf, Kantonsapotheker in Sion. Die Bergführer unternahmen damals die Weisshornüberschreitung allerdings nicht gern mit zwei Touristen zusammen; doch die Empfehlung seitens des Bruders genügte Rudolf.

Der Himmel war am i. August 1938 so wolkenlos wie während der vergangenen Woche. Bei Laternenschein verliessen wir die Tracuithütte Richtung Bishorn, von wo aus wir den langen, prächtigen Nordgrat unseres Berges überblicken konnten. Die Schneeverhältnisse am Grat waren gut; wir benötigten aber doch neundreiviertel Stunden von der Hütte bis zum Gipfel, wo es ganz anders aussah als vor zehn Jahren: Der Ostgrat, den wir für den Abstieg benützten, war nicht wieder zu erkennen. Ein riesiger Abbruch zwang uns sogar, ihn zu verlassen und in die Nordostflanke auszuweichen, um ihn erst weiter unten wieder zu betreten. Was für ein Unterschied gegenüber damals! Es war kaum zu glauben.

Die Hüttenrast und eine Erfrischung waren uns willkommen; dann ging 's talwärts, Randa zu, wo im Hotel ein grossartiges 1. August-Nacht-essen auf uns wartete.

Dieser lange, genussreiche Tag, an dem wir achtzehn Stunden auf den Beinen waren, ist für uns die schönste Augustfeier unseres Lebens geblieben. Der Weisshornüberschreitung folgten noch zwei weitere prächtige Traversierungen: die Mischabel und der Nadelgrat, vom Täschhorn bis zum Hohberghorn; dann, nach zwei Wochen unter blauem Himmel, verliessen wir unser liebes Wallis, das ich in der Folge noch manches Jahr besuchte.

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