Wetternotizen von der Klausenpasshöhe
Mit 1 Bild ( 44Von August Babberger f
( Basel und Wiesental ) Den Schächentalern ist der Kunstmaler August Babberger ein lieber Gast gewesen, denn sie wussten, wie stark er im Banne der Urner Berge lebte. « Schon das ,Hoch-oben-sein'ist beglückend », hat er einmal geschrieben. Und später: « Ich bin wieder zu dir gekommen, Alp, du hast mich angeschaut und aufgenommen. Ich spüre bereits dein starkes Licht, deine kühnen Bewegungen in der Luft, die wie ein lebendes Wesen an mich sprang und sich über mich aufrichtete. Dass aber jetzt der Nebel um mich weich liegt, war deine freundlichste Gebärde für einen der vielen Müden... Heimkehren aus fremdem Dienst, so wie noch nie, sind meine Empfindungen. » Neunzehn Bergsommer verbrachte Babberger auf der Klausenpasshöhe, suchend, schaffend und erstarkend. Am 8. Dezember 1885 wurde er im badischen Wiesental geboren, als Sohn eines Zimmermannes; Basel war die Stadt seiner Schul- und Lehrjahre, Hans Thoma war in Karlsruhe sein Lehrer, Florenz und das Wandern durch italienische Sommerlandschaft folgten, Frankfurt, wo er als freier Künstler tätig war, und wieder Karlsruhe, das ihn als Professor an die Kunstakademie berief, dessen langjähriger Direktor er dann wurde. Seine Kunst ist eigenwillig, aus dem Geschauten und Erlebten suchte er zu gestalten, immer wieder neu schöpferisch zu formen. In die Kunstschulstube trug er die zu Hunderten in der freien Natur geschaffenen Skizzen, um mit seinen Schülern daraus das Erschaute zur klaren, bildhaften Komposition zu einen, grade so, als sei das Gemälde eine Musik. Und mehr und mehr trug er in seine Werke hinein die Grosse und Wucht der Berge. Am 3. September 1936 beschloss er in Altdorf sein Leben. Sein Schaffen ist im urnerischen Hauptort in der getreuen Obhut seiner Schülerin Erna Schillig aufbewahrt. Und Heinrich Danioth, der uns das gewaltige Fresko am Bundesarchiv zu Schwyz geschaffen hat, ist ein Schüler Babbergers. Wir geben im Nachfolgenden einen Abschnitt aus den tagebuchartigen Aufzeichnungen dieses Maler-Berg-steigers wieder..m q4. Juli, Samstag. Hier, abgeschlossen, in sich gekehrt, kommt das grosse Wetter von aussen herein. Wir sind hier nur nach oben gerichtet, nicht nach Osten oder Süden oder Westen wie Norden. Die Sonne kommt zu uns, steht in der Sicht unseres Himmelausblickes und entzieht sich demselben wieder. So kommen die Sterne, so kommen die Luftzüge und fallen die Wetter zu uns ein. Wir sind hier: Steine, Schnee und Gras. Wir sind wenig Menschen, mehr Vieh an Zahl. Wir leben gegenwärtig, weil unsere Zeit hier kurz bemessen ist. Die Vegetation wartete auf den Moment, da der Schnee weicht und ihr Luft lässt und Licht, um zu wachsen. Menschen und Vieh warten auf *..siivi diesen Augenblick, da die Alp blüht, wach ist und lebendig, um ein Stück ihres Daseins ganz auf diesen Boden abzustellen.
Jetzt taucht nur ab und zu eine Ziege hinter einem Stein oder einer Erdfalte auf. Das Gras ist noch nicht hoch, die Fahrt nach dem Urner Boden noch vor nicht langer Zeit möglich, denn es war lange viel Schnee hier oben.
5. Juli, Sonntag. Es ward kein schöner Tag erwartet, und als er doch kam, war 's ein Geschenk. Der Wester wollte das Himmelslicht versperren, aber der Föhn, der Aufheiterer, brachte Sonntäglichkeit. Ich bin noch benommen, weiss von dem Tag nicht viel.
6. Juli, Montag. Der Morgen ist heiter und hält sich so bis gegen Mittag. Der Föhn wirft sich in die Höhe, wo er den Äther locker streift. Aber an den Bergspitzen ist ein graues unfreundliches, wenig Vertrauen erweckendes Gewölk, das anwächst und immer unklarer wird und schliesslich jede Form als solches verliert und als Nebel die Blicke zudeckt. Dann kommen Bewegungen vom Tal herauf, es kommen welche von der Passhöhe und vom Grat her und treiben Nebelgeschwader heran. Was zuerst ohne Feuchtigkeit war, entwickelt sich zu feinem Geriesel, zuletzt zu Regen. Im Claridengebiet ist ein Gewitter.
Ich sah Sterne über meinem Weg, und auf dem Weg war plötzlicher Nebel, als hätte er sich hinter dem Haus versteckt gehalten. Auf dem sonst sicheren Gang, der durch die Bächlein und Bäche unfehlbar geleitet ist, ging 's im Zickzack immer fehl. In dem kurzen Licht der Laterne scheint der Hang anders. Der kurze Weg ist verwirrend, das Licht irritierend, der Boden feindlich und wirft mich um. Schliesslich ist die Hütte da und entreisst mich der Feuchtigkeit, der Dunkelheit und der Unsicherheit. Wetter und Haus sind Gegensätze.
7. Juli, Dienstag. Aus der Zelle des Körpers spüre ich diejenige des Bettes. Ausserhalb dieser sind die vier Holzwände, hinter denen es dunkel ist. Durch diese hindurch lausche ich auf den Tag der Alp. Am Scheerhorn ist Gewitter, es regnet, die Ziegen sind noch im Stall. Ich drehe mich, schlummere und verliere das Bewusstsein, um wieder aus mir heraus, aus der Hütte heraus in den Raum der Alp bewusst zu werden. Die Abkühlung ist stark. Es geht gegen Schnee zu. Im Ofen ist Feuer und trennt mich wieder vom Wetter. Die kleinsten Rinnen sind Bäche, die Bäche sind gross. Oben schneit es, und immer donnert der Blitz. Die Ziegen werden ins Freie gelassen. Sie kommen bald wieder zur Hütte zurück, unruhig, Trockenheit suchend, bis ihnen der Stall geöffnet ist.
Es ist schon über die Mittagshöhe. Es donnert anhaltend. Die Vögel, die nur in Erdlöchern Schutz haben, flattern bei jedem Schlag auf. Die Fenster zittern. Es schneit und die Alp verschwindet im Weiss. Das Grün ist verschwunden mit seinen Blumen. Die Landschaft ist eine andere. Es wird Nacht und Stille.
8. Juli, Mittwoch. Die Frühe glänzt in Weiss und Blau. Die Taltiefe des Schächen ist ein grünes Juwel in weissem Rahmen. Nicht lange, dünne, aber trockene Nebel sperren die Sicht und halten den Schnee vor der Schmelze zurück. Ade Primeln und Soldanellen.
Am Mittag kommt die Sonne, spiegelt sich in Wasserpfützen, worin ihre Umgebung, die Wolken in allen Regenbogenfarben schillern. Das Dach tropft, es ist wie im Frühling. Wärme macht dem Winterspass ein Ende bis zur Passhöhe... Den Gletschern steht das saubere Kleid gut. Sie stehen in paradiesischem Himmelsblau wie Bräute. Um mich herum stehen Bergbräute. Ich liege zwischen den Bächen — über mir das ewige Blau, das bewegt an die Grenzen unseres Tales stösst, Rauschen, Wärme, Farbe!
9. Juli, Donnerstag. Heute erst kann ich sehen, wie weit die Blumen aufgeblüht sind oder schon vorbei. Das kleine Tal ist noch mit den grossen Enzianen übersät. Die Primelanemonen sind am Aufblühen. Grosse Anemonen scheint es wenig gegeben zu haben, denn sie sind auch in der Verwandlung zum Gemsbart selten. Der Tag bewegt sich zwischen Heiterkeit und Ernst; Windstille ist warm, Wind ist kühl. Ein Teil der Bergbevölkerung ist heiter, der andere mürrisch.
Es gibt am Scheerhorn Wolken von durchsichtiger Zartheit. An der Spitze und am Urirotstock bewegen sie sich rhythmisch vor dem Südwind, als Band gereiht. Im Norden ist 's neblig. In der westlichen Richtung verdichtet sich die Luft.
Am Mittag ist die Alp trübe, zugedeckt. In der Nacht, aus traurigem Träumen, erweckt mich das Tropfen des Regens.
10. Juli, Freitag, ist ein föhnheller Tag.
11. Juli, Samstag. Föhnfroher Tag. Die Alp liegt voll im Licht. Die Schatten sind ein Minimum und diese noch aufgelöst durch Reflexe des Blaus vom Himmel In der grossen Lichtstille kräuselt an den Graten und Kanten der Höhenwind, tiefer die Blumen neckend, höher kleines Wolkengekräusel. Auf dünnem Boden oder wo Alpenrosen stehen, ist der Geruch harzig. Glück in der Bewegung des ganzen Tages. Die Alp dehnt sich, das Licht schüttet sich aus. Der Raum ist erfüllt von dem Springen des Wassers und gekrönt von der Stille des leichten Gewölks. Ruhig wölbt sich das Blau darüber. Ich bin mitten darin mit einem Minimum von Schatten.
12. Juli, Sonntag. Wieder ein Sonntag. In der Frühe war alle diese Tage der Himmel von der Nacht her bewölkt, und immer zog das Licht dem Tag diesen Nachtschatten sachte weg, und heiter stand der Morgen über der Alp. Der Morgen begann mit einer Tat. Sie nahm jegliche Dunkelheit weg. Osten und Süden, das Licht und der Wind hoben Helligkeit über uns empor und bereiteten den zitternden, hohen Mittag vor.
Dem Abend voran schwebt spielendes Gewölk. Der Nordgrat hält lange Bänke kühler Wolken. Die Nacht sieht mit ihren Sternen zur Alp herab.
Dieser Sonntag war aber ganz anders als wie die Sommertage. Hell vom Morgen an bis in die Nacht war er uns durchsichtig, liess er uns Raum; die Hänge der Clariden fieberten, Steine rollten, Schneelawinen stürzten, Wasser plätscherte. Die Stein- und Schneebänder sprühten Helle und Hitze. Nichts war in Ruhe in sich, alles strömte aus, bewegte sich, hob sich, fiel zurück. Unruhe gab keinen Platz. Ziehen und Stossen von der Nähe in die Weite; der Sinn des Lebens, die Bewegung in stärkstem Zwang. Erschöpft sinkt das Leben in die nächtliche Kühle. Heisse Luftströme rütteln an den Dächern.
13. Juli. Montag. Die gute Nacht, beruhigend, liess uns wie im Traum Rütteln des Föhns zur Besinnung kommen. Die Nacht, der Schatten des Tages ist geliebt und ersehnt wie die Helle, der Tag. Der Tag gibt keinen Schatten, lässt uns die Augen nicht schliessen in hellen Sommerzeiten. Jedes Wölklein ist gesehen, jeder Windzug Zeugnis vom Geschehen. Kühle und Wärme, Kargheit und Reichtum, Erdstürze und Vegetation, Feuchtigkeit — Trockenheit, oben — unten, die Bewegung des Weltlichtes, wie der Schnee schmilzt, wie sich seine Form verändert, wie das Braune grün wird, wer auf die Alp kommt, wie er sich verhält: wir sehen 's, wir hören 's, wir riechen 's, wir spüren 's, wir leben das grosse, weite Leben in unserer Enge. Wir sehen von dort unten, von den Bäumen weg bis an die Spitzen der Berge, bis zum Wolken-ende, in die Sterne.
Darum ist die Nacht in dieser hellen Welt der einzige grosse Schatten!
14. Juli, Dienstag. 15. Juli, Mittwoch. Von der höchsten Helligkeit des Sonntags wurde die Trübung mit jedem Tag stärker. Am Dienstag die Hälfte des Tages heiter, die andere neblig, am Abend sogar Regen. Vor Mitternacht war starker Regen und Gewitter, im ganzen eine unruhige Nacht, so wie auch jene vom Dienstag zum Mittwoch, Föhnsturm und böse Träume. Dienstag war verzaubert durch feine Nebel, die langsam zwischen Tal und Bergen hervortasteten.
16. Juli, Donnerstag. Die Sennen kommen mit den Herden, am Tag zuvor die Kinder oder Frauen mit dem Kleinvieh, den Schweinen, den Ziegen. Eine Flut von Leben und Freude nimmt den Raum in Besitz.
17. Juli, Freitag. Es gibt Tage, von denen wir wirklich nicht viel wissen. Wir sind in uns hineingekehrt, unser eigenstes Leben lebt in uns. Was ausserhalb ist, ist Weltraum, in dem wir als Gestirn selber brennen.
18. Juli, Samstag. Der Hüttenraum bestimmt den Tag. Der Himmel draussen ist drohend gerunzelt, er hält Wolkenhände vor sein Gesicht. Das Wetter ist unbeständig, dem gegenüber die Arbeit gestellt ist, mit einem Weg und einem Ziel. Am Wege sind Blumen ungezählt, unzählbar, ein millionen-facher Lebensschrei in der entzückendsten Form, Blumenteppiche engst gewirkt, Blumenbüschel, Blumenwälder, übereinandergestaffelt. Die am Boden Kriechenden, die Höherstehenden, die Langstieligen. Vorsichtig erheben sie ihren Stolz, ihre Freude in den Raum, zauberhafte Stufen bildend aus schlanken Stengeln, darüber die Sterne tragend. Sie sind Nähe und haben am meisten Ähnlichkeit mit dem Fernsten, den Sternen. Noch in der Nacht blinzelt das Auge nach den Gestirnen, und von der Erde schwebt der Geruch herauf von Blumen.
19. Juli, Sonntag. Nebel und Sonne, Stille und Bachrauschen. 20./21./22. Juli, Montag, Dienstag, Mittwoch. Nebel, Regen, Schnee. Die menschlichen Schwächen und Vorteile kommen auf diesem Grau viel stärker heraus.
23. Juli, Donnerstag. Der Morgen ohne die kleinste Wolke. Offen liegen Berge und Tal, sichtbar in die kleinste Falte, bis zu den Sträuchern und kleinen Bächen weit unten im Tal.
24. Juli, Freitag. Sonne, froher Himmel, mit Wolken bewegt und bereichert. Vom feinsten Föhnstreifen bis zum weiten, breiten zusammengeballten Gewitter. Die Nacht still, mit lauten Bächen, kleinen und grossen.
25. Juli, Samstag. Sonne. Die höchsten Spitzen sind von Wolkenraupen überkrabbelt. Sie liegen dicht, langgestreckt von der « Windgälle » über das Scheerhorn und über die Clariden. Wo uns die Sonne untergeht, ist dichter Regen aus Gewittern heraus. Von der Nachtseite stürzen die Nebel wie riesenhafte Wasserfälle nieder. Vor ihnen kommen vom Grätli her drei Bergsteiger rasch herabgesprungen. Es gibt Wirbel. Das Vieh an den Halden verschwindet. Es kommt wieder heraus, wunderbar gefärbtes Gras fressend. Die Natur wird unwirklich in ihrer Neuheit. Dem Auge bleibt nichts mehr wie die weisse Wolkenwand, an der in der Nacht die Schatten der Laterne gespenstisch hinpufgleiten. Und dennoch ist die Finsternis nicht ganz dicht. Der Mondreflex dringt ganz dämmerig durch.
26. Juli, Sonntag. Die Nacht ist lang. Denn der dichte Nebel steht vor dem Tag. Nach langem Schlaf erwacht, erscheint die Natur der Alp verändert. Liegen hundert Jahre Schlaf zwischen gestern und heute? Es geht schon gegen Mittag. Es ist still draussen in dem trockenen Nebel. Das Vieh steht im Stall, die Laute sind gedämpft. Das Heraufhasten der Menschen auf ihren Maschinen hört man kaum. Eine verzauberte Stille, weil sie dem Leben so zuwider steht.
Sonntag. Nie ist hier Werktag. Das Leben der Hirten hat nichts von dem Schweiss des Bauern der Ebene. Sie wühlen nicht in der Erde. Die Hand-werkszeuge sind ein paar Kessel und gute Fäuste. Am Morgen wird das hungrige Vieh auf die Alp getrieben und später vom Druck der Milch erlöst. Aus dem Sommerdasein werden die Reserven für den kargen Winter zusammengehäuft. Käse und Butter erstarren aus reiner, weisser, warmer, süsser Milch. Die Vegetation, das Tier und der Mensch sind in der Gnade dieses Raumes und mit dem Wettergeschehen engst aneinander gebunden in eine Ganzheit. Alles Tun wirkt wie Glück. Die Bewegung der Tiere, die im Glockengebimmel hörbar wird, das Rufen, Locken oder Jauchzen der Sennen und die Pracht der paradiesisch geblümten Alp.
Mit den Maschinen kommen Hunderte Stadtmenschen herauf. Sie singen, brüllen und jauchzen. Sie haben oft närrische Dinge auf dem Kopf. Ihre Hanswurste üben ihre Begabung — denn sie haben Feiertag. Sie kommen, essen und trinken. Sie springen die Halden hinab und hinauf. Sie holen sich die schweizerische Volks- und Sehnsuchtsblume der Höhe, die Alpenrose. Daneben steht die Anemone und alle die Enziane und lächeln und fühlen sich nicht geringer geachtet.
Einige sind rasch auf ein kleines Bergspitzchen gelaufen und schauen, auf engem Boden stehend, in den weiten, tiefen Raum hinab. Andere stehen geblendet vom Licht und dem Weiss der Gletscher und sehen zur Höhe hinauf. Sie sind alle berauscht, wenn sie in diese dem Alltag entrückte Zone kommen.
27. Juli, Montag. Der Standort ist wenig verändert, von dem aus die Alp und das Tal wieder ganz anders, ganz neu aussehen. Das Licht ist weich auf den Farben, die Zusammenhänge gross und einfach. Aber urplötzlich ist ein kleines Wölklein mitten über der Alp, das sich vergrössert und sie begräbt.
28. Juli, Dienstag. Es schneit bis über die Alp, und die Luft ist kalt. Wände trennen davon. Innen blühen die Bilder.
29. Juli, Mittwoch, und 30. Juli, Donnerstag. Sonne, Sterne, Nebel gegen Abend. Ein Gewitter.
31. Juli, Freitag. Sonne, aber früh, schon am Mittag Nebel. Flucht über den Grat in eine Steinwüste, darüber jedoch blauer Himmel sich wölbte, getragen von grossen Wolkentürmen, die rings an allen Graten und Spitzen sich festhielten.
1. August, Samstag. Ein wirklicher Sommertag voller Festlichkeit, Wärme und Licht. Die Bergränder des Tales waren alle mit fröhlichen Wolkenkronen geschmückt, und über uns segelten ebensolche frei und stolz gehoben durch das Blau. Leichtigkeit, Höhe, Daseinsfreude ist im Tag.
2. August, Sonntag. Es regnet aus hohem Wolkendach, nachdem sich Helligkeit und Dunkelheit in Form von Licht und Gewölk rasch voreinander hergeschoben hatten. Am Südrand hängt der Regen. Die andere, nördliche Hälfte ist hell. Die ganze Decke wird mit Regen gedeckt, bis sie wieder zerrissen wird. Die Sonne steht blind im Wolkendunst. Die Nacht möchte im Regen ersticken.
3. August, Montag. 4. August, Dienstag. 5. August, Mittwoch. Schwüle Stille, wechselnd mit raschem, scharfem Wind aus Süd-Ost. Die Glattenwand ist laut vom Echo und braust wie ein Wasserfall vom Wind. Im höheren Alpteil sind noch Soldanellen, Enziane ( kleine ), aber auch Astern und Herbst-enziane. Wir sind im Höhepunkt angelangt und haben ihn eben überschritten. Das Grün der Alp hat gelitten. Die Sennen haben aus den Sumpfteilen Streu-heu gemäht. Das Vieh hat bis weit hinauf geweidet. Die Blumen stehen mit braunen und grauen Köpfchen. Sättigung und Überreife verklärt die Alp. In der wolkenlosen Nacht ist der Himmel blühender als wie unsere sterblichen Hänge.
6. August, Donnerstag. Am Morgen ein Blick aus dem Fenster zum wolkenlosen Horizont. Ein zweiter Blick sieht im Westen, über dem Urirotstock, den Himmel vertrübt. Eine Stunde später ist die Luft weich, aber dicht überzogen, Tropfen fallen, und vom Norden, vom Glatten, fällt in langer Front der Nebel wirbelnd über die Alp und deckt sie zu. Wir sind überrascht vom raschen Wechsel.
7. August, Freitag. In der vergangenen Nacht flammten drei Gewitter. Auch am Morgen war der Urirotstock überlagert von gewittergeladener Atmosphäre. In der Mitte des Vormittags war das Himmelsdach zu, und wieder sprangen vom Glatten die breiten Nebelreihen und Regen.
8. August, Samstag. An diesem frohen, frischen Tag sind alle Zeichen des nahen Bergherbstes. Als würde eine andere Phantasie lebendig, springen überall grosse Wolkenarme und Körper auf, elfisch oft die Spitzen umspielend, oder wie schwere Tiere, die zudecken, würgen und dann ihre phantastischen Köpfe und Leiber schiebend heben und im Nichts verschwinden. Der Sonne fehlt schon die Kraft, das Gedeihen solcher Nebelmächte zu wehren.
9. August, Sonntag. Ein Tag, an dem alle Heiterkeit Abschied nimmt.
10. August, Montag. In der Nacht fiel Schnee bis zur Passhöhe. Die Seele muss beweglich sein und geduldig, um in der Ruhe zu bleiben in diesen übermächtigen Schwankungen.
Der Bauer hat über dem Stall etwas Heu zur Not, für einige Tage Nahrung für das Vieh. Er ist aber auch darauf gefasst, durch Schnee auf die tiefere Staffel umzuziehen. Die Erfahrung hat die paar einzig möglichen Dinge bereit.
11. August, Dienstag. Gute Nächte. Aus dem Nebel löst sich das verschneite Scheerhorn. Der Nebel ist leichter. Aber auf den Bändern liegt Schnee. Die Wildheuer können diesen ersten Tag nicht ausnützen. Die Alp leidet unter solchem Wetter. Sie wird gealtert sein, wenn sie sich im Licht zeigt.
12. August, Mittwoch. In der Nacht war die Mitte des Talhimmels geöffnet, die Sternenpracht umsäumt von Wolken und begleitet vom schwarzen Gebirge. Die letzten drei Tage gleichen sich sehr. Es ist etwas wärmer oder kälter, aber in gleicher Abwechslung Regen, Gewölk, Sicht bis zur Kammlialp und Grätli. Die Abende versprechen durch farbiges Licht gute Tage, die aber ausbleiben. So ist auch das Versprechen des Barometers uneingelöst.
13. August, Donnerstag. Schöner Morgen. Jede Stunde mit Sonne wird dankbar empfunden. Die Alp trocknet immer wieder schnell, der Neuschnee glänzt in der Höhe. Der Nachmittag ist mit Nebeln verhängt. Abends: Fahrt nach Linthal durch die Nacht. Am Weg nach dem Urner Boden rote Spireen und überraschend viel Laubwald.
14. August, Freitag. Morgen in Linthal, eng in hohen Wänden, deren Fuss tief liegt. Föhn trübt den Himmel Auf dem Gang auf den Kilchenstock, an den beiden Ribenen entlang poltern die fallenden Steine. Der Wald ist sehr steil. Zuoberst im Sturz- und Rutschgebiet sieht es gefährlich aus. Ein grosser Teil der Pyramidenspitze ist bereits abgebröckelt. Die grossen Sperr-mauern stellenweise zertrümmert, der frühere Geissweg durch dieses Gebiet unmöglich. Grosse Teile Erde und Gestein sind tiefer gesunken als der umgebende Teil und rutschen. Tannen haben den Fusshalt verloren und sinken gegen den Berg. Fels ist zerbröckelt und wird langsam hinuntergestürzt von Regen, Schnee, Hitze und Wind. Im Bodeninnern fallen Steine ein und geben ein unsicheres Gefühl, weshalb wir schliesslich weitergehen mit dem Wunsch und Glauben, es möchten sich immer nur kleinere Teile lösen, die im Sturz nicht gefährlich werden für den Ort. Schiefe Querlagen von Felsenbändern lassen uns dieses annehmen. Jedenfalls können nicht einmal die Geologen mit Bestimmtheit den Umfang der Massen angeben.
Gang auf einem Jägerweg der linken Längsseite des Stockes entlang über dessen Grat hinüber und auf der anderen Seite zur Alp Obort und ins Tal zurück. Die Weiden sind gross und ausgedehnt, haben aber nicht den Reiz der Gliederung und die festliche Grosse der Umgebung wie unsere Alp. Auch ist dort schon herbstliche Kahlheit; Regen die Hälfte des Tages, abends wieder voll Glück auf unserer Alp.
15. August, Samstag. Mariahimmelfahrt. Föhn, Nebel, Regen, aber nicht kalt.
16. August, Sonntag. Grosse Wolken teilten den Raum in Licht- und Schattenkammern mit steilen Wänden.
17. August. Montag. Wind, der die Luft bewegt macht. Schweres Gewölk ist neben zergliedertem und neben waagrecht liegenden Wolkenballen. Regenböen verdunkeln Teile des Tales, während andere bei hellem Himmel im Licht liegen. Kurze Zeit scheint der Nebel uns begraben zu wollen. Doch bleibt es bei einem leichten Tanz über der Balmwand. Die jungen Wanneli fliegen aus und piepsen noch etwas kläglich, was schlecht zu ihrem Charakter passt. Ein altes Tierchen, ganz nah, das die Flügel spreizt und sich sonnt und putzt. Erschreckt, mit einem Schrei, fliegt es auf. Eine grosse Kreuzotter sonnt sich ab dem Wind.
Es ist Herbst geworden. Braun nimmt als Farbe Überhand. Der Dünger stimmt in dieser Farbe mit, der jetzt aus Stall und Sammelbecken hinaus befördert wird. Das Grün hat etwas Durchsichtiges bekommen, wie vergeistigt, das auch Sterbende haben. Unser Inneres ist ruhig.
Die Bauern haben ihren Käse verkauft und die Schafe; meine Skizzenbücher sind voller Erlebnisse der Augen, und dankbar muss ich sagen: Es war schön in diesem Sommer! Diese Worte müssen das Herz festigen, da alles ein Ende hat, das aber auch bejaht sein soll.
18. August, Dienstag. Ernste, herbstliche Stille über der Alp. Schon am Morgen ist 's wie am Abend — und so über den Mittag. Die Erdvögelchen sammeln sich zu Schwärmen und fliegen so gesammelt über die Alp. Trübe sind die Nebel, die die Balmwand heraufkriechen. Wehe denen, die kein Licht entgegenzustellen haben.
19. August, Mittwoch. Vor Heiterkeit strahlt die Alp. Sie ist so jugendlich wie in der sommerlichsten Zeit. Das Über ist wolkenlos, die Alp grün, fast wie anfangs Sommer. Der Gletscher schmilzt, darob der Bach mächtig wird und tosend seine Wasser grau hinunterwirft. Im Gestein ist 's heiss.
Gegen Abend sind mächtige Wolken mit besonnten Bändern, wie geschmiedet. Die Tiefe mit den Tannen wird schwarz im Schatten, und nur die Alp selbst und die Höhen beidseits sind im Licht. Wie die letzten Strahlen ihre Arme ins Tal strecken, ist die Alp und der Berg zauberhaft berührt. Hoher Föhn gab uns diesen Tag. Abends fegt der Wind tief, wie ein Pflug. Die Sennen erwarten den kommenden Tag nicht im Glanz. Jedoch flimmert der herrlichste Sternenhimmel in einem schwarzen Bergrahmen. Der zunehmende Viertelsmond versank bereits hinter dem Griesstock.
20. August, Donnerstag. In aller Frühe spektakelte ein Gewitter. Durch die Fensterbalken sehe ich nur grauen Nebel. Der Föhn lärmt und bringt es fertig, dass durch eine Ritze blauer Himmel sichtbar ist, und im Osten dringen die Sonnenstrahlen durch alle Fugen. Ich muss aufstehen. Der Wind ist behilflich beim Feuermachen. Eine Stunde später ist die Alp dicht im Nebel, nachdem der Föhn eine Weile darin herumzauste wie übermütige Kinderhände in Watte. Tiefe Stille. Das Vieh ist an den hochgelegenen Halden. Regen, Regen. Böse Nacht.
Die Alpen - 1948 - Les Alpes15 '.
21. August, Freitag. Der Tag zeigt den Neuschnee bis zur Kammlialp und eine dichte Wolkendecke; das Vieh wurde in die Bänder unter der Alp getrieben. Der Tag bleibt ernst und kalt, aber ohne Regen.
Abends in einer Wolkenlücke ist Föhngewölk, hohes, zu sehen.
22. August, Samstag. Der gestrige Blick ins Blaue hat heute seine Fortsetzung. Das Gewölk ist lockerer und lässt Sonne durch. Stundenlang können wir, in der Sonne stehend, Wärme geniessen, ohne dass der Nebel die Berge freigibt. Abends sind wir wieder weich in Nebel gebettet.
23. August, Sonntag. Sanfter Regen aus hochgelegener Wolkendecke, die die Berge freilässt.
24. August, Montag. Der Morgen ist ziemlich hell, nachmittags Nebel.
25. August, Dienstag. Noch um 7 Uhr tropft der Regen aufs Dach. Eine Stunde später ist heiterer Himmel. Ein schöner Morgen durch den Föhn, der aber stille ist und nur in der Höhe unser Dach freihält für das Licht. Am Nachmittag lässt seine Kraft nach, die Westwinde fallen herein. Nebel und Regen deckt uns zu. So die ganze Nacht.
26. August, Mittwoch. Der Nebel ist kalt. Im Tal sind Bittprozessionen. Das Emd geht zugrunde. Niemand kann sich an solch einen üblen August erinnern.
27. August, Donnerstag. Endlich wieder Sonne. Durch den Nordwind ist freie Luft. Reif liegt. Nebel, der den Tag über an den Bergen spielt, ist leicht. Wir können glauben, es bleibe uns länger gutes Wetter. Der Mond kommt beinahe gefüllt über die Clariden. Die Alp liegt ernst, aber zufrieden im Mondschein.
28. August, Freitag. Nord-Ostwind fegt sauber. Alp und Himmel strahlen.
29. August, Samstag. Der Abend des Freitags ist farbig und der Morgen darauf so hell wie der vorherige Morgen. Die Alp ist still im Lichtglanz und im Glockenklang, überreif in ihrer Klarheit. Der Abend ist plötzlich da, grau, ohne Verklärung, wie krank. Im Westen ist der Himmel trüb. Föhnwolken, nicht lustig, sondern trübend, kommen überall auf. Die Nacht ist erhellt vom Mond. Aber in den Gliedern ist ein Weh, Ahnungen vom anderen Wetter.
30. August, Sonntag. Durch die Ritzen der Hütte zeigt sich weder Sonne noch Blau. Wolken decken uns zu. Auf der Strasse sind hundert Pferdekräfte in Bewegung. Das Gewölk wird lockerer und lässt Sonne durch. Die Strasse staubt unter den Rädern.
Nun ist die Hütte wieder entblösst von dem Plunder des täglichen Lebens. Die Tage der Höhe sind vorbei. Habe ich alle Sinne geöffnet, damit der Himmel hineinsinke? und das Gletscherweiss? das Grün der Nähe und das Blau der Ferne? und die Freude der Blumen? und die Harmlosigkeit des Viehs? Habe ich den Menschen besser verstehen gelernt? Kenne ich mich selber besser? Weiss ich, was ich anstreben soll? In der Arbeit wird die Reife sein.
Dank den Menschen, der Natur, dem ordnenden Gott.