Wie man sich bey den Bergreisen verhalten soll
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Wie man sich bey den Bergreisen verhalten soll

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Meine erste Reise richtete ich also ein, dass sie mir nur als ein Spatzier-gang, ohne die geringste Ermüdung, dienen konnte.Vor anbrechendem Tage stund ich auf und liess mir ein Frühstück— vorzüglich von Milch — zubereiten. Ich gieng Anfangs sehr sachte einher; redete wenig und sah mich nirgends um, schöne Aussichten zu geniessen. Ich spannte keinen Teil des Körpers mehr als den andern an, sah mich um auf sichere Tritte und hielt meine Knie, so viel es möglich war, ungespannt. Den Mund schloss ich geflissentlich so lang zu, als es möglich war, um den Aushauch zu verhindern, und zog den Athem durch die Nase. Den Leib hütete ich vor jeder Erschütterung, Anstrengung und Verdrehung und nahm möglichst einen gleichen und gemächlichen Fortgang, als wenn ich die Zeit damit vertreiben wollte. Ich gab sehr Obacht, dass ich nicht schwitzte, dürstete, damit meine Kräfte beysammen blieben.

Um den Körper in abwechselnder Beschäftigung zu erhalten, gieng ich bald rechts, bald links, bald aufwärts, bald geraden Weges hin. Nach dem ich ungefähr eine Stunde zurückgelegt hatte, und ein bequemer Sitz sich darbot, setzte ich mich nieder, machte meine Anmerkungen und ruhte mich etwas aus.

Ehender als um sieben Uhr stellte sich bey mir weder Durst noch Hunger ein; allein mochten sich diese Gäste bey mir einstellen oder nicht, ich sah mich um Wasser um, ass, trank und liess es mir wohl seyn. Bey solcher Gelegenheit nahm ich mir die Zeit, alles Merkwürdige aufzuschreiben, und die Pflanzen und Steine, die ich entweder beobachtet oder gefunden hatte, zu untersuchen und sie zu bezeichnen.

Das Wasser, wenn man es nicht mit Milch ersetzen kann, ist sehr nothwendig auf den Bergreisen; allein man sollte es nicht eher zu sich nehmen, als es nöthig ist. Niemals soll man viel auf ein Mahl trinken und selten, ohne etwas dabey zu essen.

Wenn man eine gewisse Höhe erreicht hat, dies trifft aber nicht bei allen Menschen gleich ein —, so empfindet man eine gewisse innerliche Mattigkeit. Diese entspringt entweder aus der Erschöpfung des Reisenden, oder aus der Dünnheit der Luft, oder gemeiniglich aus beyden zugleich. Nichts wollte bey solchen Umständen mir etwas helfen. Ich Hess dabey nichts unversucht; Wasser wünschte ich mir, aber keines war vorhanden. Endlich machte ich den letzten Versuch: Schnee zu essen; und dies war die einzige wirksame Medizin. Hier wäre es wohl zu wünschen, dass man Milch oder Wasser könnte nachtragen lassen 1 Etwas seltsames war es, dass bey jeder Ersteigung der höchsten Gebirge, die mit grösseren Mühen verbunden war, meine Reisegesellschaft gleich von einem harten Schlafe überfallen wurde, gleich sich niederlegte — die Unterlage mochte von Steinen oder Eis und Schnee seyn — und schlief. So lagen sie eine Viertel- oder Halbstund und darüber, erwachten und sagten: ihre Müdigkeit wäre ganz vergangen und sie befänden sich recht wohl. Jetzt sahen sie erst in die weite Welt hinaus und bewunderten die Allmacht Gottes.

Beinahe jeder Schritt kann auf Bergreisen gefährlich seyn. Ich hab Alles und öfters durchgemacht, was auf Bergreisen konnte gefährlich werden, aber niemals das Unglück gehabt, einen namhaften Fehltritt oder Verstoss gemacht zu haben. Zwey Mahl wurde ich von den Schneelauinen überfallen: ein Mahl auf dem Krispaltenberg ( Oberalp ), wo ich mich unter den Schnee hinein verschlof, und die Lauine über mich aus fahren liess; und das andere Mahl auf dem Berggipfel Kiötschen ( Oberalpstock ), wo ich mich ihr entgegensetzte und sie durch meine Beine laufen und in die Abgründe des Thals Strims stürzen liess.

Mehr Mahlen fiel ich in die Glätscherspälte, aber niemals waren sie so weit, dass sie mich hätten verschlingen können. Öfters wagte ich grosse und gefährliche Sprünge, um mich und andere zu retten, aber alle Mahl ohne Schaden. Sehr oft war ich von den hergerollten Steinen in Gefahr gesetzt; allein keiner, ausgenommen einmahl ein kleiner, traf mich.

Einmahl war ich auf dem Glätscher Frisai in einer grossen Gefahr. Der Tag fieng an, sich zu neigen; ich befand mich am Rande dieses Glätschers, den ich sonst nie bereist hatte, und konnte wegen der Vielheit und Nähe der Eisschrunden, die theils leer, theils halb, theils voll mit Wasser angefüllt waren, nicht fortkommen. Ich war allein; denn am Morgen fiel ein schreckliches Donner- und Hagelwetter ein, und der Schafhirt von der Alp Russein, den ich mitgenommen hatte, musste seine vom Hagel versprengte Heerde sammeln und konnte nicht weiter als bis an dieses Eisfeld mich begleiten. Unter anderen war dieses die grösste Gefahr dabey, dass, wenn ich einen Spalten übersprungen hatte, ich nicht genöthigt würde, in den andern einzufallen oder hineinzuglitschen. Ich musste öfters zurückgehen, um einen Schwung zu nehmen, das Ufer eines grossen Spaltes zu erreichen und nicht selten in einem Schwünge mehrere Spalte zu überspringen. Nachdem ich so gesprungen und allem Möglichen ausgewichen war und es umgangen hatte, kam ich mit dem guten Vorsatz glücklich durch, ein solches Reisen zu meiden.

Nirgends läuft der Bergsteiger mehr Gefahr als an glatten und abschüssigen Thalseiten, Schnee- und Eislagen, bey Übersetzung grosser Steinläger und bey Erklimmung nasser und vermoderter Schrofen und Felsen. Denn glitscht er ein Mahl über solche steile und ausgeglättete Seiten aus, so ist an keinen weiteren Einhalt zu denken; macht er einen Fehltritt über Steinganden ( grobes Steingeröll ), oder erweget er nicht die Festigkeit jedes Steines, worauf er hintritt, so kann er seine Glieder zerschmettern oder gar zerbrechen. Haltet er sich an nasse und vermoderte Fels- und Erdstücke, reissen sich diese jählings los oder schlüpfen sie ihm unter den Füssen weg, so ist der Fall beynahe unvermeidlich und öfters von sehr gefährlichen Folgen.

Gott hat jeden Menschen mit so viel Fähigkeiten begabt, dass er seine bevorstehenden Gefahren einsehen kann; folglich brauche er sie!

Seye er bey allen Zeiten und Gelegenheiten sich selbst gewärtig! setze er keinen Fuss unbedachtsam und nur aufs Geratewohl hin! an bedenklichen und gefahrvollen Orten zu gehen, überlege er wohl! er gedenke der Förtel ( Vorteile ) und bediene sich der Waffen und Gehilfen, die er bei sich hat! Suche er erst hin und her, gehe er hin und wieder und wenn es nicht vorwärts gehen will, so gebe er sein Vorhaben auf; denn es ist besser, seiner Umsicht, als dem Unglück nachgeben zu müssen. Stellt sich der Schwindel ein, so wende er sein Angesicht von Schwindel erregenden Gegenständen ab, suche eiligst um Hilf oder lasse sich zurückführen.

Wenn er steile und schlüpfrige Weidseiten ( Grashalden ), oder abschüssiges verharschtes Eis und Schnee durchsetzt, so lege er die Fusseisen an und brauche seinen Stecken, oder binde sich an seine Mitgehilfen; denn alle werden nicht auf einmal fallen. Wenn er über Steingeräspel ( Steingeröllund Lager zu gehen hat, dann denke er wohl auf das Ebenmaass der Schritte, auf die Festigkeit der Steine, auf ihre Rauche ( Rauheit ), Schlüpfrigkeit und Schneide, darauf er zu treten gesinnt ist; er schaffe bey dieser Gelegenheit die Fusseisen weg und halte mit dem Stecken ein.

Wenn er nasse und vermoderte Felsen erklimmt, oder sonst sich an etwas anderem halten muss, so erprobe er wohl deren Haltbarkeit, ehe er sich darauf verlässt. Wenn er die Glätscher bereist, so binde er sich gleich mit seinen Mitreisenden vermittelst des Sailes an; er gebe wohl Achtung, wie der Glätscher sich gestaltet hat; gehe lieber quer, als der Länge nach über die Eisschrunden hin, sonst könnten mehrere auf ein Mahl unglücklich werden. Er weiche ehender den Spalten aus, als dass er dieselben überspringe, und dies vorzüglich dann, wenn sie eine beträchtliche Breite haben. Beym angehenden Sommer sind die Klüften der Glätscher ehender mit Schnee zugedeckt als späterhin; folglich hat der Reisende alsdann mehr Achtung darauf zu haben. Gemeinig-lich sind die verschneiten und verwehten Spalte weisser an Farbe und feiner im Korn als der andere rauche Schnee, der auf dem Glätscher liegt. Geistesgegenwart, Vernunft und Bescheidenheit müssen alle Mahl bey den Gefahren seyn, wenn man denselben glücklich entrinnen will.

Plazidus a Spescha, im Jahre 1800.

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