Wolken
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Wolken

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Von Fritz Ineichen

Mit 1 Bild ( 61Luzern ) Man sagt, und ich habe keinen Grund, das anzuzweifeln: Angeln sei eine Medizin für die Nerven. Ich kenne auch so eine Medizin: Lege dich unter dem filigranfeinen Blätterdach einer Espe auf den Rücken und betrachte zwischen den wiegenden Ästen die ziehenden Wolken.

Die Wolken sind Leben und Bewegung, sie sind Spiel und Tanz, und der schönste Sonnentag wirkt ohne Wolken ein wenig fade und langweilig.

Nein, ich bin nicht Kunstmaler und Photograph, aber ich liebe sie, die Wolken, die unsere Erlebnisse auf Wanderungen und Gipfelfahrten so mannigfach bereichern und gewonnene Eindrücke lebhafter und bewegter gestalten.

Ich habe mir als Kind erlaubt, die Wolken nach eigenem Gutfinden zu nennen. Und obwohl ich Kumulus, Zirrus und Stratus längst voneinander zu unterscheiden gelernt habe, bin ich, ganz privat für mich, bei meinen alten Namen geblieben.

Die kleinen weissen Wölklein am grünblauen Frühlingshimmel nenne ich Fernwehwolken, weil sie in mir immer eine unerklärlich tiefe Sehnsucht nach fernen Ländern, der Welt meiner Jugendbücher wecken.

Die Kumuluswolken heisse ich Himalayawolken, bilden sie doch oft ein riesiges zweites Gebirge über den Bergen, mit kühn geformten Gipfeln und mächtig breiten Gletschermulden.

Die feinen Zirruswolken, die hat eigentlich mein Nachbar, der alte Fischer, getauft. Er hiess sie Föhnstreifen, und ich fand keinen Grund, sie anders zu bezeichnen.

Jeder Mitmensch, der einigermassen im bilderreichen Buch der Natur zu lesen versteht, hatte schon irgendwie ein Wolkenerlebnis. Auch ich hatte es. Zwei Bilder sind mir besonders in der Erinnerung haften geblieben:

Es war vor ungefähr fünf Jahren, im Juli. In den Frühstunden des anbrechenden Tages stieg ich mit meinen Kameraden von der C. Sektion über die Ostflanke der Grossen Windgälle. Der sinkende Mond färbte die Wolken im Südwesten mit einem matten Orangerot. Das Tagesgestirn aber, das im Osten seine Strahlen in den jungen Tag sandte, beleuchtete einen Kranz von Schäfchenwolken mit allen nur denkbaren Tönen der Farbenskala, vom Lichtgelb bis zur Farbe des getriebenen Goldes und zum brennenden, flammenden Rot.

Und ein weiteres Wolkenbild sah ich oben auf dem Zinalrothorn. Ein silberhelles Gebirge von Kumuluswolken zog sich vom Mont Blanc zur italienischen Gipfelwelt. Das Wolkengebirge wies nach oben die schönsten Kuppen und Türme auf. Nach unten aber war es wie mit einer Schnur gerade-gezogen und hatte einzig am Mont Blanc Berührung mit der Erde. Unter diesem Wolkengebirge schimmerten lichtgrün die Talschaften um Aosta zu uns herauf — ein Sehnsuchtsbild, wie man es wohl nur vom Flugzeug aus oder von der hohen Warte eines Walliser Viertausenders beobachten kann.

Es gibt in der Hast und Unrast der Zeit Dinge, die wir nicht aus dem Blickfeld verbannen dürfen. Widmen wir auch ihnen eine kleine Spanne Zeit unserer Mussestunden, und sie wirken wie Balsam für unsere Nerven. Zu diesen Dingen gehören Blumen und rauschende Bäche, der Wald, die Tierwelt und die ziehenden Wolken am Himmelszelt.

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