Zum Panorama vom Camoghè
Unterstütze den SAC Jetzt spenden

Zum Panorama vom Camoghè

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Der Camoghè, von dessen 2359 m. hohem Gipfel aus dieses Panorama gezeichnet ist, darf nicht verwechselt werden mit dem bekanntern, aber niedrigem Gipfel gleichen Namens im Süden des Kantons Tessin. Unser Camoghè — man betont die dritte Silbe — liegt zwar auch im Tessin, aber im nördlichsten Teil desselben, in der Gotthardgruppe, und bildet mit andern ( im Panorama sichtbaren ) Gipfeln: dem Fongio, dem Pian'alto, dem Poncione Negri und der Punta Nera, zusammen die Grenzscheide zwischen dem von Airolo sich nordöstlich gegen den Pizzo Centrale emporziehenden Canariatal und dem östlich davon eingeschnittenen Pioratal ( Dufourblatt XIX; topogr. Atlas, Blatt 503, Faido ).

Die Besteigung bietet keine Schwierigkeiten. Man verläßt die Gotthardbahn in Airolo und steigt von hier zunächst in östlicher Richtung über Madrano ( 1187 m ), Brugnasco ( 1411 m ) und Altanca ( 1383 m ), das mit seiner malerischen Kirche von weitem ins Tal heruntergrüßt, und alsdann nordwärts durch die von herrlichen Wasserfällen belebte Schlucht des Foßbaches ( La Foss ) auf steilem und steinigem Saumweg zum Ritomsee ( 1829 m ) hinauf, wo unmittelbar beim Ausfluß des Foßbaches am südwestlichen Ende, für den Wanderer am Anfang des Sees das reizend gelegene Hotel Fiora, ein treffliches Absteigequartier für Touristen und Kurgäste, derselben Familie Lombardi gehörig, die das bekannte Hotel auf dem St. Gotthard und das nach ihr benannte erste Hotel von Airolo besitzt, zur Einkehr ladet ( 2'/2 Stunden ).

Von hier hat man die Wahl zwischen verschiedenen Wegen. Der kürzeste führt vom Hotel Piora in l1/* bis l'/s Stunden zunächst in westlicher Richtung steil hinauf zum Fongiosattel ( Bucca di Fongio ), der sich nördlich hinter dem Fongio durchzieht, von da über die weltabgeschiedene Alpe di Lago, den kleinen Bergsee links lassend, bis hinter den Camoghè und endlich von hier in östlicher Richtung über Geröll und Steinplatten auf den mit einem Steinmann gekrönten Gipfel, die Cima di Camoghè. Bequemer geht sich 's rund um den Fongio herum zur Alpe di Lago; aber man braucht 1/g Stunde mehr. Der gebräuchlichste Aufstieg jedoch, weil am meisten Abwechslung und Schatten bietend und am gleichmäßigsten ansteigend, führt zunächst auf gutem Weg dem wunderlieblichen 2 km. langen und ]/2 km. breiten Ritomsee entlang, dessen bestrickendem Reiz sich niemand entziehen kann, bis zu den Sennhütten von Ritom, die wie das Hotel und der Weg auf dem Panorama deutlich zu sehen sind, dann einem Bache nach ziemlich steil hinauf zum Tomsee ( 2023 m ); der weltverloren in einer kreisförmigen Mulde am Fuß des Taneda und des Poncione Negri liegt ( siehe das Panorama ). Hier biegt der Weg von der bisher innegehaltenen nördlichen Richtung plötzlich in scharfem Winkel gegen Südwesten um und zieht sich hinter dem nördlichen Ausläufer des Camoghè allmählich bis an die Kuppe des letztern empor, von wo in einer halben Stunde die Spitze erreicht ist ( 2-21/-2 Stunden ).

Die Aussicht ist von überraschender Großartigkeit und Mannigfaltigkeit. Zunächst hat man unmittelbar zu seinen Füßen den glänzenden Spiegel des stillen, tiefblauen Rüomsees und an dessen Ende das Hotel Piora, links davon die Brücke über den Foßbach und das Knechtenhaus des Hotels. Darüber hinweg aber gleitet der Blick hinunter ins Livinental ( Valle Leventina ). Deutlich sieht man die Dörfer Ambri sopra und Ambri sotto, den Tessin, der in malerischen Windungen das Tal durchschlängelt, die Landstraße und die Gotthardbahn. Von Zeit zu Zeit windet sich geräuschlos wie ein schwarzer Wurm ein Bahnzug das Tal herauf oder hinab und sendet mit einem leisen, aber doch vernehmbaren Pfiff seinen Gruß in die über ihm thronende Bergwelt empor. Weiter unten im Tal sind noch die Dörfchen Fiesso, Prato und Dalpe sichtbar, und deutlich läßt sich das Tal weiter verfolgen, wie es sich unterhalb Faido, durch den entgegenstehenden Monte di Sobrio dazu genötigt, mehr und mehr gegen Süden umbiegt, bis es hinter dem Fuß des von rechts vortretenden Pizzo Forno verschwindet. Hinter dem langgestreckten Monte di Sobrio, dessen höchster Punkt, der Piz Erra, bis zu 2420 m. ansteigt, zieht sich, bei Biasca vom Tessintal abzweigend, in nördlicher Richtung das Bleniotal empor, durch welches die Lukmanierstraße nach dem Bündner Oberland führt, und jenseits des Bleniotales sieht man die Berge aufragen, welche dieses vom Calancatal scheiden: Cima dei Cogni ( 3068 m ), Pizzo di Pianasso ( 2838 m ) am Fil di Revio, der breitschultrige Fil di Remia ( 2909-2915 m ), der Pizzo delle Streghe ( d.h. Hexenhorn ) ( 2909 m ), der Torrente mit seinen verschiedenen Gipfeln ( 2806 bis 2948 m ), Pizzo Magno ( 2401 m ), Pizzo di Claro ( 2719 m ) und Pizzo di Molineira ( 2787 m ), die im Osten die Ebene zwischen Biasca und Bellinzona flankieren und den Einblick ins Calanca- und Misoxertal verdecken.

Indem wir nun von dieser Orientierungslinie, dem Ritomsee und dem Durchblick ins Livinental, aus das Panorama einer nähern Betrachtung unterziehen, tritt uns als breite Mitte desselben und als Hauptgruppe des ganzen Gipfelkranzes die Bergkette entgegen, die sich auf dem Bilde rechts vom Livinental aus diesem emporreckt. Es ist die 50-60 km. lange Kette, die sich von der Walliser Grenze, vom Nu-fenen- und Griespaß, in einem großen Bogen von West nach Ost, Südost und Süd bis zur tessinischen Riviera, resp. bis Bellinzona und Giu- biasco hinabzieht und die Grenzmauer zwischen dem im Norden und Osten sich ihr anschmiegenden Tal des Tessins und den im Süden sich von ihr hinabsenkenden Seitentälern des Tessingebietes oder, anders ausgedrückt, zwischen dem Bedretto-, dem Livinental und der Riviera einerseits und dem Val Lavizzara, dem obersten Teil des Maggia- oder Maientals, und dem Verzaseatal anderseits bildet. Sie findet ihre höchste Erhebung im Campo Tenda ( 3075 m ) und Pizzo di Ganna ( 2942 m ) und weist eine Anzahl hübsch geformter Gipfel auf, wie den Pizzo Massari mit 3 verschiedenen Kuppen von 2655 — 2762 m. Höhe, den Poneione Sambucco mit den burgartigen Türmen der Zwillinge ( Gemelli ), den Pizzo Sassello und die mächtige Felsenecke des Poneione di Vespero ( 2714 m ) und des Madone ( 2733 m ), bei welchen die Kette nach Westsüdwest umbiegt. Gletscher trägt nur der Campo Tencia; Firnfelder, die auch im Hochsommer nicht verschwinden, dagegen ziehen sich fast der ganzen Länge nach unter dem Gipfelgrat hin. Darunter dehnen sich Geröllhalden und Alpweiden, auf denen die Sennhütten zu kleinen Dörfchen zusammengedrängt sind. Da und dort, wie am Tremorgio und am Massari, ragen auch einzelne Felsenhörner aus dem Abhang auf. Links der Gemelli, über der Alp Carra, sieht man ein mächtiges Karrenfeld sich ausbreiten. Bei der tiefsten Einsattelung der ganzen Kette, links vom Sassello ( 2346 ™ ), führt ein Paßweg, der Passo di Sassello, hinüber ins Maggia-, resp. in dessen oberste Talstufe, das Lavizzaratal. Was über die durch den Sassellopaß gebildete Lücke hinten hervorschaut, ist der Grat, der das Lavizzaratal auf der südwestlichen Seite von der Valle di Peccia scheidet und die Gipfel Poneione di Rodi ( 2604 m ), Malura ( 2639 m ), Castello ( 2808 m ) und Poneione di Braga ( 2867 m ) trägt. Weiter rechts ragt etwas näher der mächtige Basodhio ( 3276 m ) aus dem Grenzgebirge empor, das den Kanton Tessin, genauer das Bavonatal, von Italien, resp. der Valle Antigorio, dem Tosatal, trennt, während weiter rechts die noch nähere Cristallina ( 2910 m ) nur einzelne Spitzen ihres gezackten Hauptes hinter dem nähern Berggrat hervortreten läßt. Aus weiter Ferne aber grüßen über alle andern Berge herüber alpine Majestäten ersten Ranges: das Mimpfischhorn ( 4203 m ) und das Allalin-horn ( 4034 m ) aus der nördlich an den Monte Rosa sich anlehnenden Kette, die sich mit den Mischabelhörnern zwischen das Saas- und das Nikolaital gestellt hat, ferner das Weißmies ( 4031 m ), von der Gruppe der Fletschhörner das Laqiiirihorn ( 4016 m ), weiter der schön geformte Monte Leone ( 3565 m ), unter welchem nun der Simplontunnel durchgeht, und daran anschließend I lelsenhorn ( 3183i, Wasenhorn ( 3270 m ) und Wannehorn ( 29O5 mj, alle im Wallis. Leider ist der Monte Rosa, den man von dem benachbarten Taneda deutlich sieht, hier durch den Castello verdeckt.

Rechts von den Ecktürmen des Vespero und Madone sehen wir die Gehänge sich hinabsenken in ein völlig aufgeschlossenes Tal, das man samt dem Fluß in seiner ganzen Entwicklung von oben bis unten verfolgen kann. Es ist das Bedrettotal mit dem Tessin, die oberste Stufe des Tessintales. Im " Hintergrund entfaltet der mächtige Griesgletscher, überhöht vom Blinnenhorn ( 3397 m ) und flankiert rechts von den wie eine Reihe Zähne sich darstellenden Ritzenhörnern ( 3210 m ), links vom Ofenhorn oder Pizzo d' Arbola ( 3270 m ), seine ganze Pracht, und links neben dem Ofenhorn zeigt sich der höchste und fernste aller Gipfel, die auf dem Camoghè zu sehen sind, das Walliser Weißhorn, die Krone des Turtmanntales ( 4512 m ), in der Luftlinie vom Camoghè so weit entfernt wie Zürich von Bern.

Für das Auge die schönste Partie des ganzen Panoramas ist wohl die, welche sich nun rechts dem Griesgletscher und Nufenenpaß anschließt: die Gotthardgruppe. Sie tritt so nahe, daß man jede kleinste Falte und Rinne genau betrachten kann. Es ist die Gebirgskette, die im Nordwesten das Bedrettotal umsäumt und hinter sich die Furkastraße und das Urserental hat, während die höchsten Spitzen der Berner Alpen ihr über die Schultern schauen. Besonders schön präsentiert sich der Pizzo Rotondo mit seiner scharfen Felsenspitze ( 3197 m ) und das glänzende Firngehänge des Piz Lucendro. Über dem Lucendro tritt die kühne Spitze des Finsteraarhorns ( 4275™ ), hinter der Fibbia biondi und Eiger ( 4105 und 3975 m ), über der Lücke zwischen den Ywerberliörnern und dem Gerstenhorn das SchrecMorn mit den Lauteraarhörnern ( 4080™ und 4053 m ), über dem Furkahorn endlich das Wetterhorn mit dem Rosenhorn ( 3708™ und 3691 m ) hervor.

Hier ist übrigens die Zeichnung nicht ganz vollständig. Während ich zeichnete, umschlichen beharrlich widrige Nebel die Berner Alpen, so daß nur ab und zu einer der hohen Herren das neidisch verhüllte Haupt auf Augenblicke entschleierte. Man sieht wahrscheinlich rechts und links vom Wetterhorn noch einige weitere Gipfel, die auf dem Panorama fehlen. Am Südabhang der Fibbia läßt sich die Gotthardstraße in ihren Windungen vom Austritt aus dem Val Tremola bis ins Tal hinunter verfolgen. An ihrer linken Seite ist das Südfort der Gotthardbefestigung und rechts das Rutschgebiet des Bergsturzes sichtbar, der vor einigen Jahren Airolo mit Untergang bedrohte. Airolo selbst ist durch die Höhen des Vordergrundes verdeckt; dagegen erkennt man die Dörfer des Bedrettotales.

Was auf dem Panorama rechts noch weiter folgt, ist die von Südwest nach Nordost verlaufende etwas einförmige Kette, die das Canariatal umrahmt, die Grenze zuerst zwischen Tessin und Uri, dann zwischen Tessin und Graubünden bildet, sich bis zum Lukmanierpaß hinzieht und in den Bergen Giubing, Barbarera und Piz Alv einige hervorstechende Gipfel, im Piz Ravetsch, Piz del Ufiern, Piz Blas und Rondadura Erhebungen von über 3000 m. zeigt. Deutlich zu sehen ist der Unteralp-paß ( 2530° ), der nach Andermatt hinüberführt. Über die Einsattlung der Paßhöhe schaut der Hauptgipfel des Gotthardmassivs, der Pizzo Centrale, herüber.

Werfen wir nun noch einen Blick auf die kleinere linke Hälfte des Panoramas, so fällt links über dem Ritomsee eine Gruppe von 3 steilen Felsenhörnern in die Augen, die unwillkürlich zur Besteigung reizen. Es ist der zweigipflige Pizzo Pettano und der durch seine herrliche Aussicht berühmte Lukmanier ( Pizzo Lucomagno, 2778 m ). Hinter demselben und dem links sich ihm anreihenden Piz Columbè und Scai zieht sich die Lukmanierstraße hin. Man gelangt von Piora aus in 3 Va Stunden auf sie, wenn man vom Ritomsee ( links ) zu der Kapelle San Carlo und dem Cadagnosee hinaufsteigt, dann, rechts einbiegend, dem Fuß des Pizzo dell' Uomo entlang geht und von hier zwischen diesem und dem Scai hindurch das Val Termine mit dem Uomopaß durchschreitet, bis man, dem Medelserrhein folgend, in Santa Maria die Post erreicht. Der Weg läßt sich auf dem Panorama bis zum Val Termine deutlich verfolgen.

Zwischen Scai und Lukmanier zeigt sich frei und schön die ganze Adula- oder Rheinwaldgruppe: rechts der breite Rücken des Bheinivald-horns ( 3398 m ) mit dem Bresciangletscher, links davon Grauhorn ( 3260 m ), Güferhorn ( 3393 m ), Leniahorn ( 3237 m ) und der zweigipflige Pie Sorda ( 3125 m ). Rechts und links von dem davor stehenden phantastisch gezähnten Piz Columbè führen nicht undankbare Übergänge von 2381 m. und 2471 m. Höhe nach Casaccia an der Lukmanierstraße.

Es folgen links Pizzo dell'uomo ( 2750 m ) und Corandoni ( 2(>62 mj, hinter welchen der vergletscherte Scopi ( 3200 m ) uns den Gruß des Bündnerlandes entbietet — er beherrscht das Medelsertal —, weiter die schon erwähnten Grenzstöcke Pis Bondadura ( 3019 m ) und Pie Bias ( 3029 m ), letzterer bekannt geworden durch das im Frühsommer 1903 an seiner Ostflanke geschehene Lawinenunglück, von welchem eine Reiseklasse des Zürcher Gymnasiums betroffen wurde. Davor der Taneda ( 2670 m ), dessen Aussicht, obwohl im wesentlichen dieselbe wie die des Camoghè, doch seiner größern Höhe wegen, namentlich bezüglich der Walliser und Berner Alpen, noch umfassender ist und gegen Norden einen prächtigen Durchblick auf den Fleckistock und die Sustengruppe gestattet. Der Sattel links vom Taneda führt ins wilde, tote Cadlimotal hinüber und sofort nach dem Übergang zu dem auch im höchsten Sommer immer noch teilweise zugefrorenen Lago Scuro, der Quelle des Medelserrheins.

Das Panorama gibt die ganze Rundsicht von Camoghè wieder, d.h. das linke Ende schließt an das rechte unmittelbar an. Möge die Zeichnung dazu beitragen, die noch wenig bekannten und doch die Besteigung reichlich lohnenden Tessiner Alpen den Freunden der Berge näher zu bringen.

Dr. Ernst Büß ( Sektion Tödi ).

Feedback