Zwei neue Besteigungen im Haslithal
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Zwei neue Besteigungen im Haslithal

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Das Kleine Gelmerhorn. ( Punkt 2606. ) Von Innertkirchen aus gewahrt der Wanderer, die Berge des Haslithales betrachtend, im Hintergrunde eine Kette wilder, schwarzer Berggestalten; es sind die Vordern Gelmerhörner. Diese Bergkette gehört dem westlichen Triftgebiete an und vereinigt sich beim Gwächtenhorn mit dem Hauptkamm Steinhaushorn-Tierälplistock. Sie faßt östlich das Diechterthal ein; westlich hat sie der Wanderer von Guttannen nach der Handegg zur Linken; in steilen Abstürzen endigt sie in den Wassern des Gelmersees. Auf einer kleinen Basis von 1600 Meter ruhend, erhebt sich die Kette zu einer Kammhöhe von 2650 Meter aus dem engen Thale der Aare; die Höhendifferenz beträgt 1400 Meter. Bis zu den letzten Gratfelsen sind die Hörner mit abgerundeten, glattpolierten Gneisplatten bepanzert, ein beredtes Zeugnis verschwundener Gletscherpracht und Gletscherarbeit.

Touristisch ist diese Gruppe von wilden plattigen Zacken noch unbekannt; höchstens dem Wilderer ist sie eine kleine Heimat, und zwar aus bekannten Gründen.

Der beste Zugang ist wohl von der Handegg her, von wo aus zwei Wege nach dem Gelmersee und der gleichnamigen Alp führen. Die Alp ist auch von der Furka über die verschiedenen Lücken der Hintern Gelmerhörner leicht und gefahrlos zu erreichen, in 5 Stunden ist sie erreicht. Von der Trifthütte aus ist eine Bergfahrt über das Gwächtenhorn mit Abstieg über den Diechtergletscher zur Alp sehr zu empfehlen; sie beansprucht 5—6 Stunden.

Uns jungen Bergbezwingern drängt sich unwillkürlich ein ironisches Lächeln auf die Lippen, wenn wir, das westliche Triftgebiet kennend, in alten Jahrbüchern von den Schrecknissen und Gefahren, von den furchtbaren Gletschern und grifflosen Wänden lesen, die da vorkommen sollen. Die Zeit ist offenbar vorbei, wo man in jeder Gletscherspalte oder auf jeder etwas stark geneigten Felswand den Tod in selbsteigener Person sah. Leider vielleicht? Im allgemeinen hat das Urteil der montanistischen Koryphäen über die Berge des westlichen Triftgebietes seine Berechtigung, obschon sich früher Clubgenossen nur mit einem Heer von Führern an die Gipfel derselben wagten. Doch bitte ich den alles könnenden Bergsteiger, eine Ausnahme mit der Gruppe der Vordern Gelmerhörner zu machen.

Morgens 3 Uhr! Im Gasthaus zum „ Bären " in Guttannen, mein Kamerad Tännler und ich ziehen mit einigem Geräusche die Bergschuhe an. Nach Hinunterbeförderung des Frühstückes hinaus ins Freieein frischer Luftzug, von der Handegg kommend, weckt uns vollends; stillschweigend rücken wir nach und nach dem Gebrause des Handegg-falles näher, in einer Stunde sind wir dort. Kalt schmiegen sich die Wasserstäubchen des Falles um unser Gesicht, unwillkürlich duckt jeder seinen Kopf in den Rockkragen, die Hände in den tiefen Hosentaschen verbergend. Im Handegghotel schläft noch alles — oh ihr Philister und Schlafmützen! kommt doch heraus zu uns, die köstliche, frische Morgenluft zu genießen, den erwachenden Tag zu sehen, mit uns euch zu stärken an fröhlicher Bergfahrt. Nein! bleibt lieber im Bette, wir können sie nicht gebrauchen, die zerbrechlichen Knochengestelle, zu unserer heutigen Besteigung. Also weiter dem ersten großen Straßenbogen zu, und wo sich die Straße zum zweitenmal biegt, um durch die Felsenenge, die die Aare geschaffen, Kurzentännlen zu finden, schlagen wir uns links in die Büsche ( Punkt 1508 ). Hier ist der Weg durch die Gelmergasse nach der Hinterstockalp. Von der Handegg aus ist auch der sogenannte Katzenweg als Zugang zum Gelmersee benutzbar, doch möchte ich jedem, der die Absicht hegt, diesen See zu besuchen, von diesem Weg abraten; denn, obschon distanzlich kürzer, ist er zeitlich viel länger. Er wird auch von den Sennen nicht mehr gebraucht, ist total vernachlässigt und teilweise verschwunden. Den Fußpfad verfolgend haben wir bald die Hütten der Hinterstockalp ( 1640 m ) vor uns. Von den Hütten aus nimmt der Weg 500 Meter weit eine nördliche Richtung an, um nachher in steilen Zickzacks die Höhe des Sees zu gewinnen.

Welch wunderschöner Ausblick bietet sich uns dar, wie wir die Höhe des Sees erreichenWie eine Kanzel erhebt sich eine Felsplatte ( Punkt 1862 ) weit ins Haslithal hinaus, direckt am Weg. Unsere Augen können sich nicht genug erlaben an dem prachtvollen Blicke hinunter in das Haslithal, das noch in dem grauen Kleide der Morgendämmerung sich uns offenbart, rechts von uns der Gelmerbach, wie er über ein Paar Felsblöcke sich überschlagend mit Lärm die Tiefen der Handegg sucht, uns gegenüber die Ritzlihornkette im schönsten Kosakleide, wie es nur die Morgensonne herzuzaubern weiß. Dort auf der Aerlenalp bewegt sich schon etwas, es sind die Küher, die durch fröhliches Jauchzen die Kühe zum Melken zur Hütte locken und treiben; ihre Stimmen dringen zu uns herüber. Links hinauf zeigen sich uns die wohlstudierten Bogen der Grimselstraße, grau. Glücklicherweise läßt sich unser Kampf-gelüste zu keinem Kompromisse mit unserem Gefühlsdusel herbei, sonst würden wir noch lange sitzen und bewundern, also auf und fort!

Nach einigen Minuten ist der Ausfluß des Gelmersees erreicht, und der schmale Steg über den Bach weist uns unsere fernere Route an. Von Weg ist hier kein Spur mehr, denn glatte Felsplatten ziehen sich bis an den Fuß der Gelmerhörner. Nach etwa 400 Metern findet sich wieder eine Wegspur, und bald durch Alpenrosengebüsche, bald über glatte Platten dem nördlichen Seeufer folgend, zieht sich der Weg in die Sandebene der Gelmeralp hin. Es ist 6 Uhr, als wir die Alp erreichen. Eine große, gute Hütte für das Vieh; eine kleinere, schlechte für die Menschen, das ist alles. Wir sind allein, denn noch ist es zu früh, um auf dieser Höhe zu weiden. Eine Stunde Rast, um das überflüssige Gepäck zu ordnen und einen Überblick auf unsern Feind oder Freund zu gewinnen. Bald haben wir uns einen Besteigungsplan gemacht.

Von der Hütte aus betrachtet zeigen sich die Wandabsätze so furchtbar steil und der Gipfelgrat so unregelmäßig, daß man gar nicht recht weiß, welches eigentlich das Kleine und welches das Große Gelmerhorn ist ( Punkt 2606 und 2637 ); doch die große Lücke südlich des Punktes 2606 ist typisch. Nördlich von den Hütten stürzt sich der Diechterbach über zwei felsige Absätze ( 2157 und 2245 ) uns entgegen. Über den ersten Absatz müssen wir offenbar hinauf, dann links, ziemlich in der Mitte des Berges die Platten traversierend, das große Couloir zu erreichen suchen, dasselbe bis in die Lücke verfolgen, das weitere wird sich zeigen. Der Marschbefehl war also ziemlich genau, und mit dem Vorsatze, denselben möglichst zu befolgen, verlassen wir um 7 Uhr energischen Schrittes die Hütten.

Kaum einige Minuten von dort entfernt hat man Gelegenheit zu den verschiedensten Gleichgewichtsübungen. Mächtige Gneisblöcke bilden den Weg; bald einen Sprung links, bald einen Sprung rechts machend, gelangt man, das rechte Ufer des Baches haltend, hüpfend weiter; hie und da mit unangenehmer, sitzender Unterbrechung. Kurz vor dem Wasserfalle wird der Bach traversiert. In der Geschicklichkeit eines jeden wird es liegen, mehr oder weniger nasse Schuhe zu holen. Jetzt geht 's besser, über ein paar kleine Felsköpfchen und Grasabsätzchen ist bald die Mitte des ersten Wasserfalles erreicht. Hier bildet sich eine kleine Felsterrasse, wo abermals der Bach traversiert werden muß, und wir stehen wieder auf der Seite der Gelmerhörner, wo sich ein breites Grasband etwa 100 Meter weit in der Richtung des großen Couloirs hinzieht. Von hier aus den genauen Weg in dasselbe zu beschreiben ist unmöglich. Leider besitze nur ich die hier absolut notwendigen Kletterschuhe. Mein Kamerad zieht die Schuhe aus, um in den Strümpfen nachklettern zu können. Das Seil wird angelegt. Wir ziehen uns, immer etwas steigend, dem beschriebenen Couloir zu, und zwar nehmen wir als Direktionspunkt etwa 50 Meter unterhalb der Lücke an. Glatte Felsplatten stellen sich uns entgegen. Die größte Vorsicht ist notwendig, denn von Griffen und Halten für die Füße ist sehr oft keine Spur, und öfters mehr klebend und zeitweise rutschend, alle viere von sich streckend, wird Platte um Platte genommen. Es kommen aber auch hie und da kleine Grasbändchen, welche, sich von unten nach oben ziehend, uns bald an Höhe gewinnen lassen. Nach zwei Stunden mühsamer Arbeit sind wir in die Nähe des Couloirs gelangt; wir sehen jetzt deutlich, wie nutzlos ein Versuch gewesen wäre, die Lücke durch dieses zu erreichen. 6—8 Meter hohe senkrechte und oft überhängende Felsabsätze versperren den Weg. Noch einige Schritte, wir sind im Couloir, und zwar 50 Meter unterhalb der Lücke. Wie wir später vernommen haben, ist die gleiche Stelle im Frühjahr von den beiden Führern Furrer und Streun mit Fräulein Kunze betreten worden, nur sind sie vom Gelmersee zu Punkt 2453 gestiegen und dann, den Grat östlich umgehend, auf gutem Grasbande hierher gelangt. Dies ist auch die weit bessere und kürzere Zugangsroute und daher bei zukünftigen Besteigungen zu empfehlen. Der Rest des Couloirs ist, wenn nicht vereist, sehr leicht zu begehen. Wir treffen äußerst günstige Verhältnisse und sind in einigen Minuten in der Lücke. Es ist 11 Uhr. Aus Freude, die längste Arbeit hinter uns zu haben, lassen wir einen kräftigen Jauchzer, wie ihn Dilettanten nicht besser fertig bringen, auf den bekannten „ Flügeln des Gesanges " nach Guttannen dringen.

Wir rekognoszieren hier, ob nicht von der Westseite aus diese Lücke erreicht werden könnte, und kommen zur Überzeugung, daß es von der Stäubenden Egg aus auf jeden Fall gelingen, hingegen mehr Zeit und Arbeit kosten würde als auf der Ostseite. Eine Frühjahrstour von der Westseite aus ist aber sehr lawinengefährlich.

Wir verfolgen zuerst den Grat in nördlicher Richtung; nach 30 Meter lassen wir uns etwas auf die östliche Flanke hinaus, wo sich eigene Grasbändchen zeigen und ein rascheres Vorrücken gestatten. Sechzig Meter nach Verlassen des Grates wird wieder senkrecht hinauf zu demselben geklettert. Es wird steiler und glatter; uns gegenseitig unterstützend, gewinnen wir Block um Block. Bevor wir den Grat erreichen, kommt eine besonders heikle Stelle; ein ziemlich hoher, überhängender Block muß erklommen werden. Ich trete auf die Schultern meines Kameraden, und mit kräftigem Nachhelfen der Hände und Knie ist die obere Kante erreicht. Diese Stelle ist bemerkenswert für die Besteigung, denn weder links noch rechts davon wird es möglich sein, an den frechen Gesellen von Punkt 2606 zu gelangen. Hier finden wir auch den Holzkeil, den die beiden vorgenannten Führer zum Abseilen angebracht hatten. Noch einige Klettergriffe, und wir stehen vor einem etwa 8 Meter hohen Kamin, aus welchem glücklicherweise einige Tafeln hervorragen. Der Kamin ist etwas seitwärts links geneigt und gestattet einem nicht allzu dicken Manne, sich hineinzuzwängen. Mit Hülfe der Tafeln und einigen Kunst- und Kraftgriffen erreichen wir, oft die verschiedensten Stellungen einnehmend, das obere Ende. Noch ein Block, und der Gipfelaufbau steht vor uns. Er zeigt sich uns von hier als scharfer, aber solid gebauter Grat, mit einem mächtigen Gipfelblocke als Abschluß. Der Grat bietet uns noch einige mehr oder weniger schwer zu erkletternde Stellen, und wir stehen bald, uns etwas in die Ostseite lassend, unter dem Gipfelblocke. Es ist dies der Ort, von wo der Gipfel, von Guttannen aus gesehen, überhängend und einem Kamindache, wie es bei ländlichen Bauten vorkommt, gleichend, noch 10 Meter aufsteigt. Hier scheint die Partie Kunze den Abstand erklärt zu haben. Jetzt aber wieSüd-lich von unserem Standorte erhebt sich neben dem Gipfelblocke, auf die östliche Seite sich neigend, eine 3 Meter hohe und 1 Meter dicke Felsplatte. An der Basis ist sie etwa 50 cm davon getrennt. Oben beträgt der Abstand 1 m 80. Der Gipfelblock selbst steht grifflos vor uns. Wir probieren den Steigbaum; nutzlos! Die Kante ist zu hoch. Wir bemerken am obern Ende, genannter Platte gegenübar, ein 10 cm breites Absätzchen, wie weit sich dasselbe hinziehen wird, wissen wir nicht. Es heißt also diese Stelle erreichen und, sich zwischen Block und Platte zwängend, schiebt man sich, mit beiden Armen und Beinen verstemmend, die 3 Meter an dem glatten Fels empor. Oben angelangt steht man in ordentlicher Beinspreize mit dem einen Fuß auf der Platte, mit dem andern auf dem Absätzchen, das sich, wie ich sehe, 40—50 cm weit am Blocke hinzieht und immer schmäler werdend sich verliert. Nach einigen vergeblichen Bemühungen, durch Abstoßen von der Platte mich auf den Block zu schwingen, gelingt es, und mit Hülfe des Seiles steht mein Kamerad in einigen Minuten neben mir. Wahrhaftig ein luftiges Plätzchen für zwei Mann. Auf drei Seiten der gähnende Abgrund, vor uns der Gipfel steil und wirklich griff los. Die Sache scheint uns etwas heikel, aber sie sollte doch wenigstens probiert werden. Noch 6 Meter sind zu erklimmen; eine glatte, dürre, zum Klettern sehr unangenehme Flechtenart bedeckt den Fels. Von unserem Standort aus zieht sich eine Art stumpfe Kante, immer steiler werdend, zum obersten Punkt. Nach dem ersten Drittel der Kante verflacht sich dieselbe auf eine Länge von 15cm und mag dem Kletterer einen kleinen Ruhepunkt gewähren. Etwas Ruhe, einige Reserveatemzüge, und die Kletterei beginnt. Auf dem Bauche rutschend, mich mit Händen und Armen durch Andrücken haltend, mit den Knien und Füßen emporstemmend, gelange ich zu oben erwähnter Stelle. Wieder einige gute Atemzüge und in gleichem Stile wird weiter geklettert; die Reserveatemzüge hatten Gutes geleistet, denn ich gebe meinen letzten aus, als ich die obere Kante erfasse und mich hinaufschwinge. Mein Kamerad folgt mir rasch nach, und wir stehen beide glücklich auf dem Gipfel. Ein kleinerer Block, der sich hier befindet, wird so aufgestellt, um, von Guttannen gesehen, einen Steinmann darzustellen; die übliche Gipfelflasche wird mit unsern Namen versehen und darunter gebettet. Bleistift haben wir nicht, doch versehen einige befeuchtete Schwefelzündhölzchen im Notfalle den gleichen Dienst.

Noch auf keinen Gipfel habe ich die gleiche. Empfindung gehabt wie auf dieser Gneisnadel, gewaltig wirkt diese Steilheit; ein Sprung und man wäre im Gelmersee, in der Handegg, auf der Gelmeralp

Die Aussicht auf die Berner Alpen ist diejenige des Kilchlistockes; den Ostalpen ist man etwas entrückt. In nördlicher Richtung zeigt sich uns der Rest der Gelmerhörner als ein scharfer, verwilderter Grat. Gerade vor uns das eigentliche Große Gelmerhorn, Punkt 2637. Es scheint noch unnahbarer als das Kleine, aber wird gewiß früher oder später auch noch seinen Bezwinger finden.

Unser Verbleiben hier oben ist leider, wie immer, zu kurz. Wir haben bald die kleine Felsstufe erreicht, dann den großen Schritt rechts zur Platte, und im Nu stehen wir unter dem Gipfelblocke. Im Weitergehen zuerst die Gratblöcke, der Kamin, die Abseilstelle, und bald sind wir in der Lücke. Um an der Zeit etwas zu sparen, steigen wir bald links, bald rechts, den schwierigen Stellen ausweichend, auf dem linken Ufer des Couloirs direkt hinunter, einige luftige und nette Abseilstellen ermöglichen uns dies. Einen letzten Sprung auf einen Lawinenrest, und mein Kamerad sitzt im Schnee. Mein Sprung gestaltet sich zu einem prächtigen Schauspiele für schadenfrohe Leute. In einigen Minuten ist die Alp erreicht; es ist 5½ Uhr. Um 7 Uhr verlassen wir sie, und in fröhlicher Stimmung ziehen wir abends 8½ Uhr im Grimselhospiz ein. Dies war am 9. Juli 1901.

Das Urbachthaler Engelhorn.

Die Kette der Engelhörner ist wohl eine der interessantesten im Berner Oberlande; sie fällt in erster Linie durch ihre Steilheit und durch die helle Farbe ihres Gesteines auf. In einer einzigen Steilwand krönt sie auf der einen Seite das unvergleichlich schöne Urbachthal vom Urbachsattel bis nach Innertkirchen. Auf der andern Seite, mit zwei abzweigenden, zerklüfteten Graten, welche scheinbar als Stützen der ganzen, verwilderten Kalkmasse dienen, bildet sie die südliche und östliche Einfassung der Großen Scheidegg. Zu ihren Füßen lagern sich die schönen Waldungen und Alpen der Reichenbach-Alp und des Rosenlaui. Den gewaltigsten Anblick bieten sie dem Bewunderer des Brünigpanoramas; prachtvoll sind sie, vom Benzlaui-Stock aus betrachtet.

Bis in die jüngste Zeit waren die Engelhörner von Touristen noch sehr wenig besucht. Mit Ausnahme des Gstellihorns, des Großen Engelhorns, der Burg und des Tennhorns waren sämtliche Gipfel noch unbetreten. Erst später wurden dann der Kingspic im Grate, welchen das Große Engelhorn nach dem Rosenlaui entsendet, und noch später der Simelistock bestiegen. Der Hauptstock, das Urbachthaler Engelhorn, welches auf dem Bilde deutlich als solcher dasteht, und der ganze Kamm von demselben bis zu Simelistock wurden erst im Sommer 1901 zum erstenmale begangen. ( Der topographische Atlas ist hier nicht maßgebend, da die Kette total falsch eingezeichnet ist und die Namen am unrichtigen Ort stehen. ) Der eben genannte Kamm wurde im September 1901 von Miss Bell mit zwei Führern begangen. Die erste Besteigung des Urbachthaler Engelhorns soll in folgendem kurz beschrieben werden:

Acht Tage nach der Gelmerhorn-Besteigung befinden wir uns ( Kamerad Nußberger und ich ) auf der Enzenalp. Einige der stärkst erhitzten Sonnenstrahlen haben uns durch das schöne Urbachthal hierher begleitet. Nachdem wir dem Sennen unsere Ansicht, die Besteigung des Urbachthaler Engelhornes zu versuchen, offenbart haben, lächelt er etwas ungläubig als Antwort. Bald belehrt, wo die frühem Versuchspartien zurückgeschlagen wurden, befragen wir ihn um seine Meinung; er findet eine einzige Möglichkeit, das Horn zu besteigen, wenn man die große Kehle, welche sich vom Linde aus rechts vom Horn hinaufzieht, erreiche. Diese Kehle wird allgemein die Stockernkehle genannt. Auch wir sind der Meinung, daß die Besteigung gelingen werde, wenn wir die Stockernkehle erreichen, doch erscheint dies von der Enzenalp aus absolut unmöglich. Wahrscheinlich ist auch deswegen jeder Versuch einer Besteigung von dieser Seite bis jetzt unterblieben. Das Engelhorn gehört aber, wie ich schon früher erfahren habe, nicht zu den Bergen, wo sich schon vom Thale aus die wahrscheinlichen Anstiegsrouten feststellen lassen. Die Gesteinsschichten sind so gefaltet, daß man vom Thale oder auch von gleicher Höhe aus gar keine Einzelheiten hervortreten sieht. Das Ganze scheint eine einzige, glatte Wand. Die Engelhörner sind Berge, an weichen nur auf ganz kurze Strecken sich die Wege feststellen lassen und wo man das Sprichwort „ Frisch gewagt ist halb gewonnen " anwenden kann; denn die steilsten Stellen scheinen noch auf eine Distanz von 20—30 Meter ungangbar. Kommt man an sie heran, so lassen sie sich mit Leichtigkeit bewältigen.

Es ist 7 Uhr abends. Wir verlassen die Hütten, um nochmals einen Überblick auf die Kette der Engelhörner zu gewinnen und einen kost- lichen Sonnenuntergang zu genießen. Ich bin unfähig, die Pracht, welche sich hier entfaltet, zu beschreiben. Ein solches Tagesende läßt sich nur in den Dolomiten träumen, doch fehlen dort diese großen Verhältnisse, diese Umgebung von Gletscher und Schnee. Gewaltig ist dieses Schauspiel. Wie liegen noch lange und träumen offenen Auges. Erst die hereinbrechende Nacht läßt uns die Hütten wieder aufsuchen. Welch gemütlicher Abend. In enger Küche, welche zugleich Schlafzimmer, Rauchzimmer und Empfangszimmer ist, sitzen wir bei den beiden gesprächigen und frohen Sennen. Bei dichtem Tabakrauche sammelt der eine den Rahm ab der gestrigen Milch, um ihn in einer Stunde aus dem „ Ankenkübeli " als wohlschmeckende Butter erscheinen zu lassen. Der andere gießt die Milch in das „ Kessi ", und bald sind die Bestandteile zu einem der wohlbekannten Magerkäschen demselben entnommen. Den Rest füttert man den Schweinen. Einige alpine Schauergeschichten, und einer nach dem andern verschwindet im Stroh.

Morgens 5 Uhr. Bereits sind die Sennen verschwunden. Etwas Milch, Butter und Käse bilden unser Frühstück. Eine halbe Stunde später sind wir auf dem Fußwege nach der Augstgumm; es ist dies der Alpstaffel, welcher, auf dem Bilde sehr gut sichtbar, dem Urbachthaler Engelhorn vorgelagert auf hohem Felspostamente über dem Urbachthale thront. Von den Hütten der Augstgumm schlagen wir den Weg über die sogenannte Leitern ein und erreichen, dem Couloir, welches sich links vom Hauptstock hinabzieht, zustrebend, eine breite Felsterrasse, welche man von unten absolut übersah, und die sich auf dem Bilde als Linie 1,8 cm unter dem Hauptgipfel zeigt.

Diese Terrasse ist durch eine sehr stark hervortretende Kalkschicht gebildet und zieht sich durch das ganze Massiv des Berges, bis in die Stockernkehle. Hie und da hat dieses Band eine Breite bis 2 Meter, oft verschwindet es bis auf 5—10cm. Vom Couloir links des Hauptstockes bis auf die deutlich sichtbare Kante, welche sich vom Urbachthal bis auf den Gipfel hinzieht, ist die Schichtung oberflächlich total verschwunden, und nur ein Kalkspatband deutet eine Fortsetzung an. Eine fliehende Gemse sagt uns, daß wir auf richtiger Fährte sind, und frohen Mutes verfolgen wir das Band bis in das Couloir. Jetzt sehen wir deutlich, daß ein Erreichen der Stockernkehle nur von diesen 20 Metern abhängt, nur die rauhe Oberfläche des Kalkspatbandes, welches etwa 5 cm breit ist, gewährt dem Kletterschuh einigen Halt. Oberhalb und unterhalb desselben sind die Felsen so steil und glatt, daß von einem Begehen gar keine Rede sein kann. Ich glaube, ohne Kletterschuhe wäre hier ein Versuch nutzlos. Am lang gehaltenen Seile klettere ich vorsichtig auf die Kante los, und nach einigen verschiedenen Gefühlen und Empfindungen stehe ich auf derselben. Ein Jubelruf entringt sich meiner Brust, denn der Weg in die Kehle liegt wenigstens 1 Meter breit vor mir, das reinste Boulevard. Mein Kamerad ist bald bei mir, und wir bauen ein kleines Steinmännchen, unsern Rückzug zu sichern, auch um spätem Besteigungen als Anhaltspunkt zu dienen. Von der Kante aus zieht sich das gleiche Band, das wir schon vorher benützten, etwas fallend am Stocke hin. Seine Breite wechselt von 1 — 2 Meter. Wer hätte auch nur von 20 Meter unterhalb desselben eine Ahnung davon gehabt, geschweige denn vom Urbachthale aus. Doch es wird nach 150 Meter jäh durch einen kleinen Grat abgebrochen, und wir würden offenbar „ am Berge stehen ", wenn uns nicht ein an dieser Stelle befindlicher Kamin einen Ausweg ahnen ließe. Rasch habe ich mich meines Rucksackes entledigt und ersteige den 25 Meter hohen Kamin. Mein Kamerad jubelt schon unten auf die ihm bevorstehende luftige und interessante Kletterei. Nach dem Aufzuge unserer Säcke und Pickel folgt er, jede Hülfe durch das Seil stolz von sich weisend. Noch einige Kletterstellen gemeinsam in dem sich erweiternden Kamin, und wir stehen plötzlich mitten in der Stockernkehle, auf einem kleinen Nebengrate des Haupstockes. Der Weg liegt klar vor uns. Gleichmäßig ansteigend ziehen wir uns etwas rechts dem tiefen Sattel, den die Kehle am Grate bildet, zu. Der Fels ist außerordentlich gut und so geschichtet, daß die geringste Breite genügt, sichern Halt und Stand zu finden. Das Ganze gleicht einer sehr steilen Treppe. Es ist 11½ Uhr, als wir den Sattel erreichen, von wo aus wir die schönste Aussicht auf die steile Nordwestwand der Engelhörner genießen. Der Gipfel ist, von hier aus gesehen, ein 100 Meter langer Grat, welcher sich von der Hauptlinie Gstellihorn-Hohjägiburg in südöstlicher Richtung ablöst. Der Gipfelgrat zeigt drei Haupterhebungen, von denen die erste in der Hauptlinie, die zweite in der Mitte des Gipfelgrates liegt und die dritte den Abschluß desselben, den eigentlichen Gipfel, bildet. Der Gipfelgrat zeigt sich auf dem Bilde deutlich sichtbar, es ist die Partie von der Lücke, welche durch das Couloir links vom Hauptstocke gebildet wird, bis zum höchsten Punkt.

Der Gipfel scheint greifbar nahe und doch erfordert eine schwierige Kletterei auf dem Hauptgrat noch eine Stunde bis zum Betreten der ersten Erhebung. Von hier aus läßt uns ein bequemes Gehen auf dem Gipfelgrate bald die mittlere und die vorderste Erhebung erreichen. Besiegt liegt der stolze Gipfel unter unsern Füßen. Die wunderbarste Aussicht auf die nahe Gruppe der Wetterhörner wird uns zu teil. Dort die wilden Zacken der Ritzlihornkette, hier die grünen, sanften Matten des Rosenlaui und der Scheidegg. Die kolossalen Gegensätze der Steilheit und Wildheit der Engelhörner zu den sanften, ruhigen Gründen unter uns wirken überwältigend. Vielleicht ist es auch das Gefühl, die ersten auf diesem schönen Gipfel zu sein, was uns beglückt und alle bisherigen Eindrücke bei uns in den Hintergrund treten läßt. Glücklich, wie es sonst nur die kleinen Kinder sein können, verlassen wir nach Erstellung eines gewaltigen Steinmannes den unvergleichlich schönen Punkt. Es ist 2 Uhr. Wir wählen als Abstiegsroute anstatt des Grates die weit weniger schwierige Breitseite des Stockes bis in den Sattel, wo wir wieder unsern Anstiegsweg verfolgen. Etwas Rast, und wir klettern die Stockernkehle abwärts. Sehr gut kommen uns einzelne im Hinaufgehen gemachte Steinhäufchen zu statten, denn es ist in dieser gleichmäßigen Gesteinsbildung sehr leicht, den Weg zu verfehlen. Von Vegetation ist weit und breit keine Spur. Mit Hülfe dieser Anhaltspunkte haben wir denn auch richtig wieder unsern Kamin erreicht, und unser sogenanntes Boulevard führt uns rasch an die Kante des Hauptstockes. Auf der Augstgumm nehmen wir unsere zurückgelassenen Effekten wieder auf und halten eine kleine Rast.

In den prächtigsten Farben erleuchtet die scheidende Sonne diese Kette herrlicher Gestalten. Längst schon hatte sie der Schatten der Wetterhörner in den grauen Mantel gehüllt, als wir endlich von unsern Träumen erwachen und unsern lieben Gipfeln ein inniges „ auf Wiedersehen " zurufen.

Abends 8 Uhr treffen wir wieder bei unsern Sennen auf der Enzenalp ein, um dieselben mit der Beschreibung unserer heutigen Erlebnisse zu unterhalten.

Die nächsten Tage führten uns zur Dossenhütte und über das Wetterhorn nach Grindelwald.

Alb. Weber ( Sektionen Biel u. Bern ).

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