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Aiguille Blanche de Peuterey

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

Dominique Roulin, Genf

Erstbesteigung des Eperon central ( Bild 30 ) Die Westwand der Aiguille Blanche de Peuterey ist ungefähr iooo Meter breit und 700 Meter hoch. Eine einzige, sehr schwierige Route wurde von Gabriel Boccalate erschlossen. Sein Tourenbericht spricht von harter Kletterei auf stellenweise schlechtem Gestein. Diese Route führt zum Südgipfel ( 4108 m ). Eine andere, viel ältere und bedeutend leichtere als die Boccalate-Route führt über den Eperon zur Nordspitze. Die Beschreibung erwähnt ausgezeichneten Fels.

Unser Aufstieg zum Eperon central liegt genau zwischen den beiden Routen, in der Mitte der Wand. Er führt nicht, wie man annehmen könnte, zur mittleren, sondern zur Südspitze. Die Mittelspitze, in Wirklichkeit ganz auf der linken Seite der Wand, reizt einen eigentlich nur, weil sie noch nie gemacht worden ist. In zehnJahren wird auch sie erstiegen sein! Die düstere, von tiefen Rinnen eingefasste Wand bildet einen Überhang von etwa 300 Metern, und abgesehen von der schlechten Qualität des Gesteins könnte sie einen an die Nordwand des Petit Portalet erinnern.

Die von der Südspitze abfallende Wand hat die Form eines Dreiecks, dessen zwei Seiten der Boc-calate-Sporn ( rechts ) und der Eperon central ( links ) wären. Die besagten Seiten stossen kurz vor der obersten Gipfelspitze zusammen.

Dienstag, den 20. August, um 2 Uhr morgens läutet der Wecker. Es ist hart, aus den weichen Betten von Monzino zu kriechen! Wir sind allein in der Hütte. Franco, der Hüttenwart, hat uns den Wecker geliehen. Seine Frau Marie hat uns das Frühstück bereitgestellt, und Christine verabschiedet sich von uns, indem sie uns viel Glück wünscht.24 - 7?>v?r 28 Aiguilles du Diable, vom Pilier d' Angle aus 29 Mach dem Biwak Photos: Michel Vaucher, Genf 30 Aiguille Blanche de Peuterey ( Südwestwand ) Photo: André Roch, Genf Mühsam beginnt unser Marsch, denn die Säcke sind furchtbar schwer; sie müssen mindestens zwanzig Kilo wiegen. Aber sie enthalten nur das Notwendigste. Bald erreichen wir den Col de l' Innominata ( 3200 m ). Ich weiss nicht, wie oft ich schon auf diesem Pass gewesen bin. Aber, ganz gleich, ob bei Tag oder Nacht, der Ort ist immer faszinierend: der unwirkliche Hintergrund ist phantastisch und unheimlich. Wir steigen mühelos zwanzig Meter abwärts, dann seilen wir uns ab bis zu der Eiswand, die wir mit Steigeisen überqueren, worauf der mühselige Aufstieg auf dem Frêney-Gletscher beginnt. Auf dem ganzen Weg bewundere ich die Route, die Walter Bonatti in der Pointe de l' Innominata erschlossen hat. Was für eine unheimliche Wand! Die häufigen Steinschläge beweisen die schlechte Qualität des Gesteins. Die leichten und sonnigen Hänge der Westflanke stehen in scharfem Gegensatz zum kalten und finstern Vallée du Frêney.

Nach fünf Stunden Marsch gelangen wir zum Bergschrund. Um hinüberzukommen, muss ich eine drei Meter hohe, senkrechte Eiswand hinauf und dann in eine Lawinenschneise hinein. Diese Passage jagt mir einen gehörigen Schrecken ein. Noch selten habe ich mich in einer solchen Nervenspannung befunden. Die verwünschte Schneise ist nur schulterbreit und drei bis vier Meter tief. Sie hat eine Neigung von 500, und ich muss zwanzig Meter in ihr hinaufklettern. Nur da oben kann ich.auf einen ihrer Ränder gelangen, die von Gott weiss welcher Naturgewalt ausgezackt worden sind. Patrick, der die Seile hält, bemüht sich, mir Mut zu machen. Er versucht mich zu überzeugen, dass eigentlich um diese Zeit nichts herunterfallen sollte. Das « eigentlich » macht mich stutzig. Nicht einmal ein Stein von Fingergrösse kann herunterkollern, ohne mich zu treffen. Da gibt es nur eine Möglichkeit, der Gefahr zu entgehen: schnell, aber wirklich sehr schnell klettern! In Schweiss gebadet komme ich beim Stand mitten in der Rinne an und lasse Patrick nachkommen. Sobald er den Stand erreicht hat, gehen wir gemeinsam weiter bis zu den 31Grand Combin: Paroi de Tsessette ( versant nord-est ) Photo: M. Bruchez, Lourtier 32 Blick auf die Lavafelder und den Gipfel des Ätna 33 Am Hauptkrater des Ätna ( 3323 m ) Photos: John Nussbaum, La Chaux-de-Fonds Stufen am Fuss eines prachtvollen Granitpfeilers. Erst da sind wir in Sicherheit.

Das benützen wir für eine wohlverdiente Rast: wir essen und trinken. Es ist kalt. Über unseren Köpfen erhebt sich der Pfeiler wie ein senkrechter Pfeil, und an einigen Stellen überhängend, scheint er uns mehr als zweihundert Meter abzu-fordern. Soviel ich erkennen kann, wird das Gelände weiter oben zerklüfteter und schwieriger.

Etwa um 8 Uhr steige ich in den kompakten Teil des Pfeiles ein. Durch ein lustiges Spiel von Spalten und Splittern gelange ich zu einem Stand auf einer kleinen Terrasse unter einem leichten Überhang. Während mein Kamerad aufsteigt, erreicht uns die Sonne - welche Wohltat! Sie erwärmt unsere erstarrten, ungeschickten Glieder. Nun geht alles bestens. Ich klettere diesem Himmelspfeiler entlang. Mit Hilfe von Haken bewältige ich eine Folge von schwierigen Stellen. Hie und da zögere ich, weil ich nicht weiss, welchen Riss ich benützen woll. Welcher von den dreien, die sich vor mir offenen, wird am weitesten hinauffuhren? Ich verlasse mich auf meinen Spürsinn; der wird mich schon richtig leiten. Eine freie, sehr schwierige und luftige Länge macht es mir möglich, durch einen schrägen Riss auf die Nordseite des Pfeilers zu kommen. Noch ein kleines Kamin, und ich bin am Seilende in einer bequemen Scharte. Ist das ein Sechser? Nein, ein Leckerbissen von schwierigen Stellen auf sonnen-beschienenem Granit.

Obschon es sehr schwierig ist, kommt man schnell voran. Die Seilmanöver erfordern keinen Zeitverlust, und die Verständigung zwischen uns beiden ist tadellos. Ich muss ungefähr dreihundert Meter über dem Schrund auf 3700 Meter Höhe sein und träume vor mich hin, als ich plötzlich einen scharfen Laut höre, gefolgt von einem Fluch und dem Aufschlagen eines Hakens in der Tiefe. Patrick hat Mühe, die Haken einzusammeln, weil ich sie zu tief einschlage. Ausserdem ist mein Kamerad in einer wenig beneidenswerten Lage. Sein Sack ist schwer, schwerer als der " 3 meine, was ihn stark behindert. Schliesslich zieht er sich aber sehr ehrenvoll aus der Affäre.

Schwere Wolken ziehen von Westen auf und verdecken die Sonne; aber ich klettere trotzdem weiter. Nun ist es zu Ende mit dem schönen Pfeiler! Das Gelände sieht anders aus. In dem Gewirr von Kaminen wird es schwieriger, die Route zu finden. Kamine, Spalten, Platten und Überhänge - man weiss kaum, wohin man sich wenden soll. Die Wildheit des Berges erinnert mich an die Sol-leder-Führe der Civetta. Im Verlaufe des Kletterns wird die Route deutlicher sichtbar. Aber der Himmel hat sich nicht aufgehellt. Ich habe nur einen Wunsch: dass uns das Gewitter nicht vor dem Gipfel überrascht!

Nach kurzem Halt steigen wir in immer gleich schnellem Tempo weiter. Der Fels wird heikler, und wir müssen vorsichtig sein. Die Passagen sind schwierig, und Patrick hängt ein paarmal in seinen Handgriffen, wenn zwischen seinen Füssen ein schwerer Block im Leeren schwankt. Trotzdem bleibt die Kletterei interessant und ange- nehm. Wir sind guter Laune. Meistens klettern wir auf der rechten Seite des Sporns. Wir haben den Eindruck, es werde Abend, und doch ist es erst 15 Uhr. Das Wetter verdüstert sich immer mehr, Nebel hüllt uns ein. Ein Grataufschwung verlangt meine volle Konzentration. Eine schwierige Spalte, ein Überhang... zwei oder drei Haken und eine Leiter - und ich hab 's geschafft! Phantastisch, diese Wand! Direkt athletisch. Noch eine glatte Verschneidung, eine Reihe von Bändern - da fängt es an zu schneien! Ist das ein Witz? Nein, es ist Pech! Sofort überprüfe ich die Stellen, die wir gemacht haben. Sollen wir umkehren? Wir denken nicht daran, denn es wäre Wahnwitz, über die bewältigten Stellen, die Überhänge und brüchigen Felsen zurückzugehen. Es gibt nur eine Möglichkeit: hinauf zum Gipfel!

Eigentlich bin ich ganz froh, dass wir bis hieher gekommen sind. Wenn uns das schlechte Wetter weiter unten überrascht hätte, wären wir viel-leichtversuchtgewesen umzukehren. Es ist 16 Uhr. Wir lavieren durch Bänder, die von felsigen und glatten, jetzt von einer feinen Neuschneeschicht bedeckten Riegeln unterbrochen werden. Der Gipfel befindet sich zweihundert Meter über uns; aber es ist zu spät, ihn heute noch zu erreichen. Darum suchen wir eine Plattform zum Biwakieren. Gegen 17 Uhr entdecken wir den ersehnten Absatz. Es ist eigentlich ein schmales, etwa einen Meter langes und vierzig Zentimeter breites Band.

Mit ins Leere baumelnden Beinen bereiten wir uns auf eine lange Nacht vor. Durch den Nebel hindurch erahne ich ein wenig unter uns die Pointe Gugliermina. Auch sie wird langsam weiss. Von Zeit zu Zeit enthüllt sich über mir der grosse Gendarm vor dem Gipfel. Langsam, sehr langsam verstreicht die Nacht.

Aus tiefem Schlaf weckt mich die beissende, den Morgen ankündende Kälte. Patrick schläft nicht. Glücklich wie ein Kind erlebe ich eine ungeheure Überraschung: schönes Wetter! Alles in mir strahlt vor Freude; ich bin glücklich, hierzu sein, glücklich zu leben! Und wenn ich durch hundert Meter überhängende Felswand herausgefordert würde, stolz und unschuldig, wie die Berge heute morgen dreinschauen, würde ich alles wagen.

Es ist noch kälter, als ich die erste Länge am heutigen Tag beginne. Die Kletterei ist gemischt: Eisbänder wechseln ab mit zerklüfteten Aufschwüngen und vereisten Verschneidungen. Wir klettern sehr rasch. Schon habe ich den grossen Gendarm überholt. Die Längen sind heikel. Ich schlage höchstens fünf Haken ein. Patrick folgt mir, ohne ein Wort zu sagen, immer gleich tüchtig. Einmal mache ich beinahe eine Dummheit: aus Faulheit begebe ich mich ohne Steigeisen in eine kurze Eiswand. Mein Pickel ( ein Bendt ), der nicht besonders dafür geeignet ist, sich im Eis fest-zuhaken, rutscht plötzlich samt meinen zwei Beinen aus. Durch einen unerhörten Glücksfall kann ich mich an einem Felssplitter festhalten. Patrick hat nichts bemerkt und fragt ungeduldig, warum es denn nicht vorwärts gehe. Ich antworte, dass ich gleich beim Stand sei und er nachkommen könne. Und tatsächlich gelangte ich kurz darauf zum Standplatz, ganz bleich und ausser Atem. Noch fünfzig Meter, zwanzig, zehn; fünfter Grad, vierter, dritter... und ich habe zwanzig Meter unter dem Gipfel den Schneegrat erreicht. Es ist io Uhr. Patrick ist neben mir. Wir setzen uns, essen einen Happen und tauschen unsere Eindrücke über die Tour aus. Ich gestehe ihm, dass es mich tief gekränkt hätte, wenn er als Vordermann hätte klettern wollen. Denn endlich habe ich diesen alten Plan verwirklichen, endlich in einer jungfräulichen Wand meine ureigene Route erschliessen können.

Unter unsern Füssen eine Wand von 700 Metern! Wir haben sie gut gemeistert, Patrick und ich. Warum hat er nicht vorn klettern wollen? Vielleicht hat er geahnt, was ich fühlte!

Der Peuterey-Grat, die Rochers Gruber, der Frêney-Gletscher und der Col de l' Innominata trennen uns noch von der Hütte. So gross die Hindernisse auch sind, sie werden wettgemacht durch das Glück tief in meinem Herzen. In der Nacht, zusammen mit dem Gewitter, treffen wir auf Monzino ein.

Der Eperon central in der Westwand der Aiguille Blanche de Peuterey... eine schwierige Kletterpartie, gewiss. Aber vor allem eine Erstbesteigung ohne « Geschichte »!

( Übersetzung E. Busenhart )

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