Alexander Burgener | Club Alpin Suisse CAS
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Alexander Burgener

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Ein Beitrag zur Geschichte des Bergsteigens.

Von Joseph Braunstein. Die Persönlichkeit.

Wir haben uns Rechenschaft über Burgeners Bergführerlaufbahn zu geben versucht, allein mit der statistischen Zusammenfassung seiner Turen und Besprechung der Neufahrten kann es nicht sein Bewenden haben. Jenseits der Zahlen und Höhenmeter steht die Persönlichkeit, stehen Führer und Mensch. Der alpine Geschichtsschreiber wird diese Seiten nicht vernachlässigen dürfen, wenn er eine erschöpfende Behandlung seines Gegenstandes anstrebt. Alexander Burgeners Persönlichkeit zu charakterisieren, bietet auch eine zu verlockende Aufgabe, um nicht einen Versuch zu wagen. Burgener war wesentlich jünger als Melchior Anderegg und Christian Almer, die ohne Anleitung und Vorbilder die höchste Meisterschaft errungen und Schule gemacht haben. Für das rein Handwerkliche fand er schon eine gewisse Überlieferung vor, die ihm sein Bruder Franz und Franz Andenmatten vermitteln konnten. Dieser Altersgenosse Andereggs ( geboren 1825 ) hatte mit bedeutsamen Erstbesteigungen, wie Balfrinhorn, Ulrichshorn, Nadelhorn, Allalinhorn, Strahlhorn und Laquinhorn, einen guten Ruf erworben und galt als kundigster Führer des Saastales. Sein « Repertoire » wurde 1865 von Abraham Roth dem der besten Schweizer Gletschermänner gleichgestellt, da es viele Gipfel und Pässe im Wallis, Berner Oberland und Tessin, in Uri, Glarus und Graubünden enthielt. Whymper hat auf der bekannten Zeichnung :

Die hohe Schule bildete für den strebsamen Alexander die Jagd. Eifrig streifte er im heimatlichen Tal und in der Gegend von Macugnaga umher und erwarb sich auf den Jagdzügen eine ausgezeichnete Gebietskenntnis. Seine Jagdlust war bis zuletzt unbezähmbar, und wenn bei Schlechtwetter in Hütten gefeiert werden musste, sprach Burgener mit gleichgestimmten Seelen tagelang von nichts anderem als von Gemsen. Er befand sich einmal mit Kuffner in der Wirtschaft im Rosegtal Um dem lärmenden Treiben der Ausflügler aus Pontresina zu entgehen, begaben sich beide mit dem Fernrohr auf den nächsten Hang. Unter dem Vorwand, scharf einstellen zu wollen, brachte Burgener das Fernrohr an sich und begann an den Wänden des Piz Tschierva nach Gemsen zu spähen. Nur der Erfolglosigkeit der Bemühungen hatte es Kuffner zu danken, dass ihm Alexander endlich das Fernrohr zur Betrachtung der Gegend überliess. Auf der Jagd erwarb sich Burgener seinen unfehlbar sicheren Tritt, der ihn selbst so sicher machte, dass er sagen konnte: « Mir passiert nie nix. » Er war ein ausgezeichneter Felsmann, wusste aber, dass es noch bessere Kletterer gab. In dieser Erkenntnis bildete er eine besondere Taktik aus, die darin bestand, an gewissen, ja entscheidenden Stellen den zweiten Führer oder sogar den Amateur vorauszuschicken. Dafür bietet die Literatur eine Reihe Die Alpen — 1940 — Les Alpes.7 von interessanten Beispielen. Auf dem Zmuttgrat ging J. Petrus unangeseilt fast bis zum Gipfel voran. Wenn er gute Fortschritte machte, war es der Gesellschaft ebenso von Nutzen wie im gegenteiligen Fall, da man nicht zurückgehen musste, um es wo anders zu verwenden. Bei der Besteigung des Grépon meisterte der leichte Benedikt Venetz den Mummeryriss und trug damit entscheidend zum Gelingen der Sache bei. Güssfeldt bezeichnet eine Seilschaft mit Burgener und Venetz als eine Vereinigung von Kräften, wie sie besser schwer zu beschaffen ist. Mummery hat das erkannt. Auf dem Zinalrothorn fand Burgener einmal jenseits der Gabel so widrige Verhältnisse vor ( September 1881 mit Schulz ), dass die Erreichung des Gipfels unmöglich erschien. Da entschloss er sich zu einem gewagten Seilmanöver und wies den zweiten Führer, Truffer, an, in die Westflanke am 30 Meter langen Seil hinauszuqueren. Ohne sich selbst anzuseilen, liess er das Seil in der Hand aufbrauchen. Dann wurde Schulz hinaufgesichert. Dieser Vorgang wiederholte sich einige Male, während Burgener, das Seil fassend, frei zum Gipfel hinauf- und wiederum zur Gabel hinunterstieg. Das war gewiss nicht nach den damals noch ungeschriebenen bergtechnischen Regeln, und nur ein Mann mit so unfehlbarem Tritt wie Burgener konnte in der verschneiten, plattigen Steilwand dieses Husarenstücklein bestehen. Bei der Überschreitung des Colle Torrone schickte Burgener Clemens Perren zur Erkundung voraus. Dem vereisten Hang unterhalb des Joches war Schulz nicht gewachsen. Da nahm Alexander das vereiste Seil zwischen die Zähne, tat einige Schritte zu einer Stelle, wo er einen breiten Tritt herstellen und mit seiner Riesenkraft Schulz in Sicherheit bringen konnte. Auf dem Pizzo Torrone und bei dem Versuch auf das Bietschhorn ( von Süden ) verfuhr er ebenso: Perren am Seil voran, er selbst ging unangebunden nach und dann kam Schulz. Auf dem Mittellegigrat zeichnete sich bei dem misslungenen Aufstieg der vorankletternde J. M. Biener besonders aus, und auf Kuffners Mont Blanc-Weg über den Südostgrat des Mont Maudit hielt Josef Furrer vielfach die Spitze ein. « Der Arme musste die meisten Stufen schlagen und vollbrachte hiebei eine wirklich ausserordentliche Arbeitsleistung. » ( Kuffner. ) Burgener hat auf diese Weise gegen die Anschauung, dass der leitende Führer auch die grossen Schwierigkeiten zu meistern habe, hin und wieder scheinbar verstossen. Aber er tat es nur der Sicherheit wegen und blieb dabei immer der leitende Kopf und der Mann, der über der Sache stand. Auf dem Teufelsgrat des Täschhorns rutschte der vorangehende zweite Führer Andenmatten von einem bereits erstiegenen Zacken ab. Mit bewunderungswürdiger Entschlusskraft fasste Burgener ins Seil und hielt mit eisernem Griff den Stürzenden auf. Ein erster Unfall war verhütet und die Fortsetzung der Tur ermöglicht worden. Auf dem Ausser Stellihorn liess er über eine Platte den Amateur Friedmann voraus mit der Begründung, dass er ihn, doch Friedmann nie Burgener auffangen könne, denn Friedmann wog 61, Burgener aber gegen 90 Kilogramm. Alexander war, wie Kuffner so hübsch sagte, auch dem Gewichte nach ein Führer ersten Ranges. Mag er auch einen gut kletternden Amateur vorausschicken, wie Mummery auf dem Teufelsgrat, oder einen jungen Geissbuben auf den Col d' Argentière ( mit Kugy ) oder einen Führer, es kommen immer die bangen Augenblicke oder kritischen Minuten, wo es sich zeigt, dass Wohl und Wehe der Gesellschaft in Alexanders Hand ruhen. Er kann noch immer seine Meisterschaft und Kletterkunst beweisen, wenn er als Letzter ohne Sicherung mit zwei Pickeln in der Hand absteigt ( Berninascharte ) oder eine knifflige Platte anstandslos und ohne Hilfe überwindet ( Mittellegigrat ). Er kletterte immer mit Kraft, die er bei seinem Gewicht anwenden musste. « Es ALEXANDER BURGENER 1845—1910.

sah manchmal wie eine grosse Rauferei aus. Doch war er sehr sicher, und in der Sicherheit liegt auch eine gewisse Eleganz. » ( Kugy. ) Wie das ungestüme Klettern entsprach seine Art des Stufenschlagens seinem Temperament. Er schlug mit unbändiger Kraft und zerschlug nicht nur Stufen, sondern auch manchen Pickelstiel. « Aber alles an ihm war königlich. » ( Kugy. ) Steigeisen benützte er nicht, sein Tritt war unfehlbar. Dennoch hat er für den Anstieg vom Col du Lion ( mit Güssfeldt ), um die Trittsicherheit zu erhöhen, zu einem besonderen Mittel gegriffen. Er beschaffte kleine Nägel, die wie die beiden Axtenden des Pickels wie Spitze oder Schneide geformt waren. In jedem Absatz wurden drei Spitzen- und zwei Schneidenägel am äusseren Rande eingeschlagen, so zwar, dass die Schneiden quer standen. Diese kluge Massregel sollte sich auch bewähren, denn Güssfeldt musste stundenlang die Stelle des Letzten einnehmen, und so ruhte, während Alexander Stufen schlug, des Führers Schicksal in der Hand oder besser gesagt, in der Standsicherheit des Geführten. « Dies ist der Punkt, über welchen Burgener selbst in der Erinnerung nicht fortkommen konnte und wodurch der Abstieg vom Col du Lion auch für mich eine eigene Färbung erhielt " ). » Gegen Steigeisen hegte Burgener als Meister der alten Schule immer eine Abneigung, und als ihm Carl Täuber 1907 ein Paar Vierzacker verehrte, freute er sich, erklärte jedoch, dieses Hilfsmittels sich nur auf der Gemsjagd bedienen zu wollen. Er war eben ein Mann von Grundsätzen.

Seine Sicherheit erlaubte es ihm, schnell zu sein. Draufgängerisch wie er war, beobachtete er dennoch Vorsicht. Da die Berge vor ihm keine Geheimnisse hatten ( Güssfeldt ), wusste er, wie weit er gehen durfte. Mit Lendenfeld war er einmal Anfang September auf dem Weisshorn und geriet beim Abstieg in Zeitnot, so dass die Gefahr eines Freilagers auf dem Schalliberggletscher aufzog. Da begann er hin und her zu gehen, und Lendenfeld, der sich dieses Gebaren nicht erklären konnte, vernahm plötzlich ein Zischen und Brausen — Alexander hatte eine Lawine losgetreten. « Kommen Sie! Jetzt fahren wir », ruft er, und beide setzen sich auf das obere Ende der Lawine und rutschen in gemächlichem Tempo hinab. Immer grössere Schneemassen geraten in Bewegung, und mit dumpfem Brausen geht es abwärts. Burgener und Lendenfeld stopfen auf der Fahrt ihre Pfeifen... Die Bewegung verlangsamt und kommt in der Höhe der Hütte zum Stillstand. Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne leuchten für den Gang über den verschneiten Gletscher, und freudig springen dann die Unentwegten in der Dunkelheit nach Randa hinab. « Mit Alexander ist alles möglich », meint Lendenfeld. Und Charles Simon umschreibt dies: « Burgeners Blick und Erfahrung sowie seine Faust bringen eben die Sicherheit bis zur äussersten Grenze des menschlich Erreichbaren. » Doch bei allem Wagemut überstieg er nie gewisse Schranken.

Als man einmal Alexanders Kühnheit rühmte, sagte er: « Ich tue nie einen Schritt, dessen ich nicht sicher bin. » Diese von Güssfeldt überlieferte Äusserung darf nur auf die technische Seite bezogen werden. Burgeners Unternehmungsgeist war zu gross, als dass er sich durch Erwägungen hätte dämpfen lassen, die Melchior Anderegg in die Worte gekleidet hat: « Es geht, aber ich gehe nicht. » So sprach Anderegg, der mit seinem Erkundungsvorstoss auf dem Zmuttgrat eine der kühnsten Taten vollbracht hat, die die alpine Geschichte verzeichnet. Aber er lehnte es ab, « überall hinzugehen, wohin seine Herren mit ihm gehenAus der ursprünglichen Fassung des Aufsatzes « Col du Lion » im Jahrbuch des S.A.C. XV I I, S. 168.

wollten ». Burgener war sich dessen bewusst, dass in den Bergen der Erfolg mitunter an das geknüpft ist, was man gemeinhin Risiko nennt, und in dieser Erkenntnis hat er den Bann gebrochen, der seit dem Unglück Marinellis über der Ostwand des Monte Rosa lag. Menschlich anders geartet, unterschieden sich die grossen Meister Burgener und Anderegg auch in der Auffassung und Ausübung ihrer Kunst.

Sich, ohne zu schwanken, zurecht zu finden, war eine von Burgeners besten Gaben. Absoluter Meister sagt Kugy. Karte und Kompass gehörten nicht zu seiner Ausrüstung, da er damit nichts anzufangen wusste, doch liess er es geschehen, wenn in einem ihm nicht besonders vertrauten Gebiet bei dichtem Nebel ein kundiger Amateur mit diesen Hilfsmitteln den Weg aufspürte. Diese Stumpfheit gegenüber dem Neuen und Ungewohnten entsprach seinem primitiven Denken, das in unentwegtem Geisterglauben seinen besonderen Ausdruck fand. Schulz berichtet eine köstliche Episode von einem Nachtmarsch:

« Rechts am Wege blökte ein Schaf mit einer allerdings abnormen und heiseren Stimme, und es liess sich ein schwarzer Gegenstand wahrnehmen. Burgener, der hinten ging, erschrak, eilte vor und überliess mir den gefährlichen Posten des Hintermannes. Gewiss zehnmal sah er sich um und entgegnete, als ich ihn auslachte, vor Menschen und Felsen fürchte er sich nicht, mit Geistern aber wolle er nichts zu tun haben. » Wie weit sich dieser Wahn zu steigern vermag, beweist Mummerys Erlebnis mit Burgener und Venetz auf, einem nächtlichen Gang zum Schwarzsee. Es gibt so viele Schilderungen, die den Zauber oder die Schrecken der Bergnächte in mannigfachster Weise, auf lyrische, epische oder dramatische Art künden, aber keine einzige, sei sie überreich an Poesie oder packend durch die Wucht des Geschehens, kann sich an Originalität mit Mummerys Erzählung von jener Nacht des Irrwischtreibens und des Geisterspuks messen, jener unheimlichen Nacht, wo der zweifelnde Engländer und seine zwei Saaser schutzlos dem höllischen Treiben preisgegeben waren. Man muss sich nur vorstellen, wie der starke Burgener, der unerschrockene Meister der Berge, mit seinem Kumpan vor einem Kerzenschein in panischer Angst Reissaus nimmt, um in den geweihten Mauern der Schwarzseekapelle, « dieser winzigen Oase des Heils », eine Zuflucht zu finden...

Alexander hatte seinen eigenen Dialekt, nannte die römischen Bauten in Aosta « komische Gebiwer » ( komische Gebäude ), sprach von einem « Kanonesloch », vermochte sich aber ziemlich gut englisch auszudrücken. Weniger war ihm das Französische geläufig, und im Dauphiné « lebte er auf », als er sich in einem Hotel mit dem Besitzer in englischer Sprache unterhalten konnte. Er war auch zweimal in England. Und als er zum erstenmal nach Wien kam, wollte er unbedingt den Kaiser sehen. « Könige habe ich schon gesehen, einen Kaiser noch nicht. » Er hat auch den Kaiser wirklich gesehen. Ja, Alexander war eine ganz anders geartete Natur als Melchior Anderegg oder der geistig bewegliche François Devouassoud, nicht zu reden von dem weitgereisten Matthias Zurbriggen oder dem kenntnisreichen Christian Klucker, die nicht bloss den Pickel, sondern auch die Feder geführt haben. Gemessen an diesen Männern war Burgener ungebildet. Doch was verschlägt 's? Er war ein Mann aus einem Guss, und alle, die mit ihm gegangen — Herren und Frauen aus der Schweiz, aus Österreich und Deutschland, aus Frankreich, England und Italien, aus Russ-iand und Amerika —, schätzten seine kraftvolle, eigenartige Persönlichkeit. Er war auch um seine Gefährten sehr bemüht, hielt sie immer im Auge und konnte auch sehr liebenswürdig und weich sein. Burgener war kein Schmeichler und beurteilte seine Herren nach ihren Fähigkeiten. Er war mit Nachhilfen nicht aufdringlich, und jedes Mitglied seiner Seilschaft bemühte sich, das Beste zu leisten, namentlich auf grossen, ernsten Fahrten. Wer unter seiner Führung stand, wurde — wie Dent sagte — zu gutem Bergsteigen angeeifert und erfreute sich dabei des besten Unterrichtes. In diesem Punkte gleichen sich wohl alle wirklich grossen Führer. Alexander hat trotz seiner auf den Verdienst eingestellten Betriebsamkeit auch die Schönheit der Berge gefühlt, mehr aber das Grossartige in der Natur, weil es seinem Temperament zusagte. « Nicht wahr, es ist doch ein prächtiger Kerl, das Matterhorn », sagte er zu Charles Simon nach einer Besteigung im März 1894, als sie auf dem Wege nach St. Nikiaus einen letzten Blick auf den Berg warfen. Von einem Leichenzug weg, im Sonntagsgewand, war Burgener damals aufgebrochen, hatte in St. Nikiaus Alois Pollinger angeworben und sich von ihm Schuhe und Pickel verschafft. In der Art, wie diese Besteigung zustande kam, liegt ein gewisser Humor. Burgener hatte Humor, einen etwas ungeschlachten Humor, « der ihm königlich stand » ( Kugy ). Feinheiten durfte man von ihm nicht erwarten; er verlor sich auch nicht in Kleinigkeiten. Er sprach und erzählte gern.

Obschon nur 1,60 Meter gross, war er eine verblüffende Erscheinung. Sein elementares Ungestüm und seine Persönlichkeit wirkten geradezu hinreissend. Er war von heissem Temperament und doch kaltblütig dabei. Als leidenschafl> licher Jäger vor dem Herrn war Alexander auch unentwegter Wildschütz. Oft hefteten sich ihm Polizisten und Wildhüter an die Fersen. Er wusste immer zu entkommen und schlug den Hütern des Gesetzes manches Schnippchen. Eines Tages — Alexander war damals schon in den Fünfzigern — verfolgte ihn ein von den Wilderern gefürchteter Gendarm, dem er ein solches Tempo aufzwang, dass dem Verfolger die Kräfte ausgingen. Um sich zu erholen, liess sich der Gendarm zu einem Frühstück nieder und stellte eine Flasche Fendant neben sich. Da kracht ein Schuss und die Flasche geht in Scherben. Diesen tönenden Gruss hatte Alexander aus einer Entfernung von 100 Meter seinem Verfolger geschickt. Echtester BurgenerHiezu ein Gegenstück. Als Burgener mit Carl Täuber und Gefährten nach fast zehnstündigem Anstieg über den Tribulazionegletscher auf dem Gipfel des Gran Paradiso ankam, legte er sich auf den Bauch und rief: « O! ich hab einen mächtigen Durst », worauf ihm alle Wein- und Cognacreste kredenzt wurden. Solchen geistigen Genüssen sprach er nicht ungern zu, doch bei weitem nicht in dem Mass wie M. Zurbriggen oder D. Maquignaz. Aufpulverungsmittel bedurfte er nicht, sein Mut war in jüngeren Jahren unbezähmbar. Dent unterstreicht, dass vor allem Burgeners Mut zur Bezwingung der Aiguille du Dru geführt hat.

Und dennoch war dieser Mann, der so genial mit den Bergen umzugehen wusste ( Güssfeldt ), vor pessimistischen Anwandlungen nicht gefeit. In solchen Fällen hiess es immer: « Wenn so sind wir alle kaputt. » Ja sogar seinen Führerlohn von einem ganzen Jahr wollte er darum geben, wenn alle gesund hinunterkämen, und so ein Angebot bedeutete für Alexander wirklich sehr viel. Aber er wurde auch stets der ernstesten Lage Herr, denn Schwierigkeiten und Gefahren gegenüber war sein Blick ausserordentlich, und kraft seines aufs höchste entwickelten Berginstinktes gebot er förmlich über den Erfolg. Niemand ging kaputt und alle kamen gesund hinunter. Wie es mit der Einlösung des Gelübdes bestellt gewesen ist, entzieht sich unserer Kenntnis. Alexander konnte kein Blut sehen. Auf dem Teufelsgrat hatte er sich eine leichte Quetschung des Daumens zugezogen, und deshalb wurde aus dem glänzend gelaunten Stürmer ein wahrer Jammermann, der mit betrübtem Gesicht und trauriger Stimme darüber klagte, keine Kraft mehr in seiner Hand zu haben. Man muss V\ Frau Mummerys glänzende Erzählung lesen, um zu ermessen, was Alexanders « kraftlose Hand » an jenem heissen Tag geleistet hat. Solche Stimmungswechsel wurzelten in seinem Temperament. Burgener ist aber noch einmal über den Teufelsgrat gegangen und hat die feindselige Schlucht zum Col du Lion nach allen bösen Erfahrungen ein drittes Mal durchstiegen.

Im Saastal nannte man den gewaltigen Kämpen nach seinem Anwesen « Huteggli ». Diese Koseform will nicht recht zu seiner kernigen Natur passen. Burgener war sich seines Wertes bewusst, doch nahm er es freiwillig auf sich, Kugys Reisekoffer von Breuil über den Theodul nach Zermatt zu schaffen, um dem Gefährten den Trägerlohn zu ersparen. Er bedang sich nur aus, die Last verstecken zu dürfen, wenn Leute in Sicht kämen. Man kann es verstehen, dass der weltberühmte Führer, der sich gerne photographieren liess, im Bannkreis des Matterhorns, im Reich seiner Triumphe, nicht mit einem Koffer auf dem Rücken gesehen werden wollte.

Geschichtlich gesehen stand Burgener zwischen zwei Epochen. Sein Auftreten fiel in die ersten Jahre nach der sogenannten « Goldenen Zeit der Hoch-turistik ». Als er jung war, gab es in seiner Heimat nur sehr wenige grosse Berge, die noch kein Steinmann krönte.Von den vier nach der Besteigung des Matterhorns noch unbetretenen " Viertausendern der Walliser Alpen eroberte er zwei, darunter einen der schönsten des Gebietes, die Lenzspitze. Er musste auf neuen Wegen Lorbeeren pflücken. Seine Zeit stellte ihn vor wahrhaft neuartige bergsteigerische Probleme im Feld, und sein Tätigkeitsdrang und Ehrgeiz fanden besondere Ziele. Die Ersteigungen der Aiguille du Dru, der Charmoz und des « Grand Diable » ( Grépon ) gehören zu den glänzendsten Taten der alpinen Geschichte. Es liegt darin der Ausdruck höchster Eigenwilligkeit. Voraussetzungen für solche ausserordentliche Leistungen war die Harmonie unter Führer und Geführten, die Harmonie des Wollens und auch des Könnens. Burgener brauchte Männer wie Dent und Mummery, Kuffner und Güssfeldt. Deshalb hat das Zerwürfnis mit Güssfeldt so manches Grosse vereitelt, und vermutlich wäre Alexander 1892 in der Brenvaflanke und 1893 auf dem Peutereygrat mit dabei gewesen. Auf abenteuerlichen Felsfahrten erwarb er höchsten Ruhm. Dass er auch ein Eismann ersten Ranges gewesen ist, beweisen die Taten im Kaukasus, belegt vor allem die Ersteigung des Monte Rosa über die Ostwand in 8% Stunden. Mögen auch G. I. Finch und C. I. Case 1911 mit 8% Stunden einen « Ostwandrekord » aufgestellt haben, wer wird die Palme der Burgenerseilschaft streitig machen wollen? Sie bestand aus drei nicht gleichwertigen und wesentlich älteren Mitgliedern als die englischen Studenten, ging von einem 200 Meter tieferen Schlafplatz als die Marinellihütte aus — Schlafplatz, nicht Hütte —, konnte sich nicht an die Erfahrungen von einem Dutzend Vorgängern halten und arbeitete im alten Stil ohne Steigeisen 1 ).

Alexanders Anteil an der Auffindung des Ostwandweges wird in der Literatur immer übersehen, obgleich er eindeutig bezeugt ist. In der lebendigen Schilderung der denkwürdigen Fahrt vom 22. und 23. Juli 1872 berichtete Charles Taylor 2 ), dass Ferdinand Imseng, der Anreger und Leiter, den vorgeschlagenen Weg wiederholt und von verschiedenen Punkten aus geprüft hatte. « Ich denke in Gesellschaft Alexander Burgeners » in einer Fussnote beifügend. Ein Irrtum Taylors in bezug auf die Person Alexanders ist ausgeschlossen, weil in derselben Zeile auch von Franz Burgener die Rede ist. Was Taylor über Alexander mitteilt, ist zweifellos Tatsache und als solche leicht erklärlich, da Burgener und Imseng, die gleichaltrigen Kameraden, auf ihren Jagdzügen oft Gelegenheit zur Beobachtung der Ostwand des Monte Rosa gefunden haben. Bereits 1870 erfuhr Taylor von Franz Burgener, dass einige Führer einen Hüttenbau in der Ostflanke beabsichtigen. Solche Gedanken konnten nur in Köpfen vom Schlage Ferdinand Imsengs und Alexander Burgeners kreisen. So bleibt Alexanders Name ruhmvoll mit der Geschichte des Monte Rosa verknüpft.

Kann man von einer Burgenerschule sprechen? Er hat seine Söhne zu guten Führern und namentlich in Heinrich einen ausgezeichneten Mann herangebildet, aber nie Schule gemacht wie Anderegg. Das lag auch in seiner Art der « Führung » des Handwerks. Dent, der viele grosse Führer am Werk gesehen hat, urteilt in seinem Buch « Above the snow line » ( 1885 ):

« Burgener hatte nie die wunderbare Genauigkeit und Vollendung, die für Melchior Anderegg so bezeichnend ist, der selbst noch von jenen, die sich der Maquignaz, Carrel, Croz und Almer erinnern, als der beste Führer, der je lebte, beurteilt wird. Burgener besass auch nicht die gleiche Einfachheit und Natürlichkeit, die uns Jakob Andereggs Verlust so tief fühlen liess, noch war ihm die Leichtigkeit und Beweglichkeit von Rey oder Jaun eigen. Aber in ihm vereinigten sich Stärke, Ausdauer, Sorgsamkeit und Rührigkeit, und ausserdem offenbarte er jene zahlreichen Züge von Beobachtung und Erfahrung und das Streben nach Vollkommenheit in seiner Kunst, die zusammen das ergeben, was man als natürlichen Führerinstinkt bezeichnet. Das waren die Eigenschaften, die ihm den ersten Rang verliehen und ihn tatsächlich zum aussergewöhnlichen Führer stempelten. » Von Alexander Burgener handeln viele Seiten der deutschen und englischen Bergliteratur, handeln die Bücher von Güssfeldt, Dent und Mummery. Seine Laufbahn hatte sich in stetigem Anstieg vollzogen, und körperlich war er bis zuletzt auf der Höhe. Wenige Monate fehlten ihm zum Sechziger, als ihn das Balfrinhorn, sein Hausberg, bei schlechten Verhältnissen auf dem Nordwestgrat nicht weniger als 12 Stunden beschäftigte, und zwei Jahre darauf ging er mit W. Bergmann in zwanzigstündigem Gewaltmarsch von Prarayé auf die Dent d' Hérens und über den Col de Valpelline zur Staffelalp. Er schien dem gefürchteten Alter zu spotten und war auch im Herbste des Lebens sehr begehrt, eifrig darauf bedacht, die vielen « Engagements zu fügen ».

Burgener war ein Liebling der Berge, und die Berge haben ihn behalten. Er hegte eine merkliche Besorgnis vor den « ersten » Besteigungen im Jahr, die er wegen der Lawinen für gefährlich hielt. Nicht selten bekannte er seine Vorahnung, das Opfer eines solchen Unfalls zu werden. So abergläubisch Alexander auch gewesen ist, diese Ahnung hat nicht getrogen. Am 8. Juli 1910 wurde er mit zwei deutschen Herren, seinen zwei mitführenden Söhnen Alexander und Adolf und drei Grindelwaldner Führern kurz unterhalb der Berglihütte, im Aufstieg von der Station Eismeer, von einer Lawine in die Tiefe geschleudert, wobei ihrer sieben umkamenr ). Es war der erste schöne Tag nach langer Regenzeit und starkem Schneefall in den Höhen, und da musste der weisse Tod eine furchtbare Ernte halten. So endete Alexander Burgener, « der sieghafte Führerkönig der Schweiz, dessen glorreicher Name und gewaltige Persönlichkeit — wie Kugy sagt — viele Jahrzehnte hindurch alle Herzen höher schlagen liessen und die Berge erfüllten ».

x ) « Alpina » 1910, Seiten 146, 154. Im gleichen Jahrgang zwei kurze Nachrufe auf Alexander Burgener von J. Eberli, Seiten 162, 223.

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