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Alpine Souvenirs

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Ernst Reiss. Basel

Bilder 6 bis io Jeder Bergsommer findet sein Ende, und wenn die letzten Blätter von den Bäumen gefallen sind, folgen die kurzen Tage und die langen Abende zu Hause. Man nimmt sich dann gerne Zeit, wieder einmal alte Bergphotos anzuschauen, ein wenig Ordnung in die vielen Farbdias zu bringen, brieflichen Kontakt mit ehemaligen Bergkameraden aufzunehmen, ja sich sogar hin und wieder ganz dem « dolce far niente » hinzugeben. Dann bleibt der Blick gelegentlich an einem Wandbild oder an einem anderen alpinen Erinnerungsstück hängen. Bei mir rufen ein paar ganz bescheidene Andenken aus fernem Bergland Gedanken an unvergessliche Erlebnisse wach. Es sind Souvenirs, die ich nicht im Laden oder auf grossen Flughäfen erstanden habe; einzelne Stücke gelangten auf Umwegen, andere aber auch als ganz persönliches Geschenk in meinen Besitz.

Wer sich jemals im Hochland Nepals oder einem der benachbarten Länder aufhielt, beschaffte sich ohne Zweifel das Wappenzeichen dieses Himalaya-Bergstaates, das Kukri. Zwei solche Krummesser besonderer Art konnte ich mir während der beiden Expeditionen im Khumbugebiet zu eigen machen. Das eine davon, welches mir durch einen der orginellsten Tibet-Kulis in unserer Trägerkolonne besorgt wurde, schenkte ich meinem Jüngern Bruder. Das andere, grössere Kukri mit verschiedenen Verzierungen ist jedoch das persönliche Geschenk von Dawa Thondup, einem der namhaftesten « Himalaya-Tiger » aus der Eroberungs-Epoche der Weltberge. Mit diesem schweren Krummesser wandern meine Gedanken über einige hundert Kilometer durch das Bergland von Nepal und erleben dabei Dinge, die nach unseren Begriffen einmalig sind...

Indien, für uns Abendländer das Reich von Tausendundeiner Nacht, lag wie ein unwahrscheinliches Märchen hinter uns. Vor uns sahen 7Altes Kukri aus Nepal 8Indiofrauen über dem Santatal ( Peru ) 9In der Steilwand der Agujy Nevada; hinten Nevada Santa Cruz ( 6260 m ) 10 Verschiedene Topfformen der Inka Photos Ernst Reiss, Basel wir erstmals in weiter Ferne vom Flugzeug aus einige der hohen Schneeriesen hinter dem Vorgebirge des Kathmandutals. Endlich rückte unser Ziel in greifbare Nähe, und ein langgehegter Wunschtraum schien Wirklichkeit zu werden. Wohl hatte sich uns auch bis hierher schon eine unbekannte Welt aufgetan, doch von nun an glaubten wir direkter in das weitere Geschehen eingreifen zu können. Welche Überraschungen uns jedoch bevorstanden, war, besonders für uns jüngere Teilnehmer, nicht einmal zu erahnen.

Auf dem Hochplateau des improvisierten Flugplatzes, der weitgehend durch einen dicken Jute-belag überdeckt war, trieb sich ein gefleckter Stier zwischen einer Menge von Ziegen umher. Vielleicht setzte die alte DC-3 darum etwas zu spät auf, so dass ohne eine abrupte Bremsung mit Ausbrechen in den zur Zeit leeren, seitlichen Wassergraben unser Transport wohl kaum heil angekommen wäre. Aus dem offenen Wald wagten sich bald neugierige Affen bis an unser bereits aus-geladenes Gepäck und schliesslich bis in die Nähe des Flugzeugs. Mit grösster Pünktlichkeit fanden sich am selben Tag die zwanzig aufgebotenen Hochträger aus dem weit entfernten Darjeeling hier ein.

Der mir zugeteilte « Orderly » war der bekannte Sherpa Dawa Thondup, ein kleiner Mann mit mandelförmigen Augen, der sein grosses Krummesser stolz unter der erdfarbenen Leibbinde trug. Der stets hilfsbereite Mann war von seiner grazilen Tochter Domay begleitet, die sich mit ihrem enggeschnürten Schürzenkleid und den zierlichen Mokassins in dem stets umfangreicher werdenden Expeditionstross bald wie ein verlorenes Blümlein ausnahm. Neben diesem Nanga-Par-bat-Veteranen zählten nur noch unser Sirdar Tensing Norkay und Ang Tsering zu der « alten Garde » der Hochträger.

Wo auch immer sich meinem « Orderly » eine Gelegenheit bot, sein überdimensionales Kukri einzusetzen, trat er flugs in Erscheinung. Er spitzte dem Expcditions-Kassier damit ebenso geschickt den Bleistift, wie er während des langen Anmarsches kleinere Bäume fällte. Wenn die Küche wieder einmal mit frischem Fleisch versorgt werden sollte, lieh man sich Dawa Thondups Al-lerweltsmesser aus.

Als wir dann nach vierzehntägigem Anmarsch durch die Vorberge am nahezu 5000 Meter hohen Gheudunga-La durch ein Unwetter zwei Ne-wari-Träger verloren und nur haarscharf einer grösseren Katastrophe entgingen, war es wieder der kleine Dawa Thondup, der durch seine Tatkraft die Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Schwer beladen, mit seiner zarten Tochter Domay an der Hand, floh er mit mir nach der Überquerung des sturmumtobten Passes in den Windschatten eines riesigen überhängenden Steins. Ebenso konnten sich auch einige Kulis an diesen Auffangplatz retten. Vor Kälte und Nässe schlotternd, schauten wir zusammengedrängt auf den alten Sherpa-Kö-nig, wie er sich am Boden mit seinem Kukri und einigen restlichen Holzkohlen zu schaffen machte. Die typisch kauernde Stellung, die asiatische Ruhe und Ausdauer widerspiegelt, verriet noch nicht genau, was da geschehen sollte. In den Händen verbarg Thondup die Zusatzbestandteile seines Hauptwerkzeugs: das kleine Schlagmesser, den Feuerstein und den winzigen Lederbeutel mit dem trocken gehaltenen Zunder. Mit einer unwahrscheinlichen Geduld und grosser Fertigkeit brachte er von den winzigen Funken etwas Feuer mit feinen Rauchschlangen auf das Stücklein Zunder und durch unaufhörliches Blasen eine winzige Glut in die toten, schwarzen Kohlenreste auf der halbgefrorenen Erde. Trotz des zunehmenden Schneesturms entstand eine kleine Glut-stelle und bald darauf ein geplagtes Holzkohlen-feuerlein. Wohl war es eine Handlung von geringem Nutzen, aber dennoch ein bedeutungsvolles Zeichen von erster Wärme und Leben in diesem Wettersturz, der uns im Anmarsch zum höchsten Weltberg zu vernichten drohte.

In mühsamer Verständigung ernannte ich meinen « Orderly » zum Chef dieses Notlagers, um, allein zurückeilend, die Verheerung in der auseinandergerissenen Kolonne festzustellen... Schnee- treiben - Nebelschwaden - liegengelassene Lasten im Schnee - Stille.

Erst zwei Tage später, als die Sonne wieder schien, begegnete ich meinem treuen Helfer vom kleinen Auffanglager wieder. Er trug eine schwere Last, da die meisten Kulis ihren Dienst aufgegeben hatten. Vorn, in der Lendenbinde, dominierte das legendäre Wahrzeichen Nepals: das Krummesser. Ich wurde mir nochmals bewusst, wie entscheidend dieses winzige Holzkohlenfeuer die damalige Hoffnungslosigkeit erhellt hatte.

Fast zwei Monate später, während der unglaublich harten Vorwinter-Expedition zum « Dach der Welt », hat sich auch Dawa Thondup, mein treuer Helfer in 7000 Meter Höhe, durchfroren und krank für die Rückkehr zum Basislager abgemeldet. Viele Tage habe ich dann den kleinen Mann mit dem Kukri nicht mehr gesehen. Als wir, geschlagen und entkräftet, den winterlichen Stürmen am grossen Berg entkamen und in kürzester Zeit vom Südostgrat des Everest über die vielen neuverlegten Rundholzbrücken im Eisbruch zum Basislager gelangten, wussten wir, wieviel der kleine Thondup während seiner Abwesenheit zu unserem unfallfreien Rückzug beigetragen hatte. Am qualmenden Holzfeuer in der Feldküche suchten wir uns zu erwärmen, ja in der sonnigsten Mittagsstunde reichte es sogar zu einem Fussbad. Die Organisation für den langen Heimmarsch wurde getroffen.

Ganz allein, von einer gewaltigen Bergwelt umgeben, begann ich unterhalb des Khumbugletschers mit meinen angefrorenen Fingern das Tagebuch nachzutragen. Mit bereitgestellter Kamera und geöffnetem Taschenmesser vermutete ich damals noch den mysteriösen « Yeti » in dieser Gegend. Ich erschrak bei den geringsten Geräuschen, und grosse braune Felsblöcke in der Moräne betrachtete ich voller Misstrauen. Mit dem Fortschreiten des Geschehens befielen mich auch Gedanken der Einsamkeit und des Abschieds, und die Sehnsucht nach Hause wurde immer stärker.

Die Kolonne mochte schon lange auf der Klosterwiese von Thyanboche eingetroffen sein, als ich unter Schmerzen, mit angeschwollenen Füssen den Rückstand aufzuholen suchte. Auf dem steinigen Pfad unterhalb der wenigen Häuser von Melingo kam mir Dawa Thondup bestürzt entge-gengelaufen. Er glaubte wahrscheinlich, mir sei etwas geschehen, und fühlte sich deshalb schuld-bewusst. Mit sichtlicher Erleichterung hörte er sich meine Erklärung an. Ich bat meinen « Orderly » lediglich, mir in den nächsten Tagen nach einer alten Gebetsmühle und einem schönen Ne-pali-Krummesser Ausschau zu halten. Es rührte mich geradezu, wie ich in meinem sorgfältig aufgestellten Zelt das vorbereitete Kerzenlicht und den heissen Tee vorfand. Noch vor dem Einnachten schob sich Thondup nochmals durch den Zelteingang. Strahlend überreichte er mir sein eigenes Kukri und wies jede Zahlung höflich zurück. Diese Geste überwältigte mich um so mehr, als normalerweise jeder Sherpa darauf bedacht ist, seine eigene Ausrüstung zu bereichern. Dadurch wurde mir dieses Geschenk aber auch zum weitaus wertvollsten Souvenir aus dem Himalaya.

Über weniger Glück, aber über eine nicht weniger bewegte Geschichte wüsste mein alter « Inkatopf » zu erzählen, welchen ich auf ganz pro-saisch-kommerzielle Weise im grössten Luxushotel von Peru erstanden hatte. Der uns befreundete Hotelier gab einigen ehrlichen indianischen Händlern die Chance, in seinem riesigen Haus auch auf diese Art ein paar Soles zu verdienen. Wie konnte aber der alte Indio wissen, dass wir Gringos als einfache Bergsteiger nur über ein kleines Taschengeld verfügten! Es ging mir auch wirklich nur darum, durch eine kleine Auslage ein möglichst echtes oder originelles Gefäss aus der Inkazeit zu ergattern. Ein seltsam gerundeter Topf mit zwei primitiven menschlichen Figuren aufgemalt, einigen Anrissen und einem Brand-fleck auf der unteren Seite schien mir nach der bekannten Härteprobe mit dem Soles-Stück die lohnendste « Anlage » zu sein. Wohl hatte meine Börse durch diesen Kauf etwas gelitten, aber ich war auch gewillt, meinen « Kronschatz » gegenje- des abschätzige Fachurteil zu verteidigen und vor Beschädigung zu schützen.

Nachdem ich schon bei meinem Aufenthalt in Cuzco den Pass samt Impfzeugnis verlegt hatte und der erforderlichen Nachimpfung für die Weiterreise nur durch das Ertönen der Mittagsglocke im Impfinstitut entgangen war, hinterlegte mir unser Geologe im Hotel den inzwischen wiedergefundenen Pass und den sorgsam umhüllten Inkatopf im noch leeren Suppenteller, was bei der ganzen Tafelrunde ein ausgiebiges Gespött auslöste. Ich nahm mir vor, gewisse Utensilien in nächster Zukunft besser im Auge zu behalten. Als mir ein Kamerad drei Wochen später noch einen Reisesack versteckte, war für mich der Spass vorbei. Was jedoch bei der Zwischenlandung in Paran-quilla geschah, verschlug mir fast den Atem:

Übernächtig und reisemüde beobachteten wir in der flimmernden Hitze über dem Asphalt vom Vorhof aus das Auftanken unserer Super-Constel-lation, als ein dumpfer Knall alle motorischen Geräusche übertraf. Durch die aufgeplatzte Lade-luke purzelte eine Menge Reisegepäck aus dem hohen Rumpf zu Boden. Mir schwamm es vor den Augen, sah ich doch in Gedanken meinen teuer erstandenen Inkatopf in dem dünnen Lederkoffer bereits in Stücke zerschlagen.Jedoch auch diesmal war ein Wunder geschehen, denn ich konnte vierundzwanzig Stunden später in New York mein Kleinod unversehrt aus einem weichen Al-paca-Halstuch schälen.

Bald darauf schmückte der von mir als Trink-gefäss des Inka bezeichnete Krug die « Vorhang-galerie » unseres Wohnzimmers. Schon des runden Bodens des Gefässes als auch der kleinen Kinder wegen konnte man diesen Aufbewahrungsort als narrensicher bezeichnen. Einzig der immer weiter um sich greifende Philodendron, jene grüne Kletterpflanze, die ich im brasilianischen Wald und auch in Gärten gesehen hatte, nahm meinem wohlbehüteten Topf etwas Platz weg. Darum wählte ich während der Verlegung der vorstossenden Zimmerpflanze für den « Schatz des Inka » einen bruchsicheren Ort.

Monate später wurde ich ausnahmsweise wieder einmal von einem interessierten Besucher nach meinen alpinen Souvenirs befragt. Ich traute meinen Augen kaum... gerade mein wertvoller Inkatopf war spurlos verschwunden. Ge-linde gesagt, war ich von dieser Entdeckung geradezu erschlagen, liess es mir aber nicht allzusehr anmerken. Meine bescheidene Kopfrechnungs-maschine begann nach rückwärts zu drehen; jedoch führte diese erste Rückblende in der Aufregung weit an den Pfaden von Sherlok Holmes vorbei.

An einem regnerischen Wochenende muss ich sehr gut ausgeschlafen haben, als ich bei tieferem Nachdenken die Entführung meines indianischen Gefässes durch die städtische Kehrichtabfuhr vor mein geistiges Auge bekam. In der Tat hatte ich das rundliche Prunkstück zur « Sicherstellung » auf die vielen Papierreste meines schriftstellerischen « Sachverwalters », in den Abfallkorb, gelegt und dort vergessen. Wahrscheinlich erhielt unser Erstklässler Markus den Auftrag, diesen Korb zu leeren.

Damit musste ich erfahren, dass es auch schmerzliche Gedankenblitze geben kann. Ich sann nicht umsonst darüber nach, diesen Verlust wiedergutzumachen. Christel Hauser, der Leiter der folgenden Schweizer Anden-Expedition hatte das Verständnis und die grosse Güte, mir in Peru wieder etwas Ähnliches zu besorgen. Er entdeckte allerdings nicht den Kronschatz des letzten Inka, Atahualpa, aber er hielt sein Versprechen. Dazu ist zu sagen, dass seither die Diskussion über die Echtheit meiner peruanischen Töpfereien auch nie mehr annähernd so heftig entbrannte. Jene sechzehn teils sehr schwierigen Erstbegehungen unserer Mannschaft zählten in der Tat und als Andenken wohl mehr als alle irdenen Gefässe.

Mehrere Jahre später, auf unserem privaten Unternehmen in der Cordillera Blanca, bin ich mit Geny Steiger auf einer untergegangenen Indiosiedlung in den Sanddünen der Pazifikküste beinahe nochmals in den Besitz eines wirklich au- thentischen Inkakruges gelangt. Zwischen unzähligen Gebeinen und Totenschädeln sahen wir den Kopf einer Mumie mit vollem Haarschmuck. Während ich mich um eine Aufnahme mit möglichst kurzer Brennweite bemühte, stocherte mein Freund eher gelangweilt mit der Schuhspitze am Rand des frisch aufgeworfenen Sandkraters herum. Und man höre und staune: Er fand jenen echten Topf der vergangenen Inkakultur, der für mich nochmals eine ganze Souvenirgeschichte bedeutet hätte...

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