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Alte und neue Pfade und Abenteuer in Goms

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

Von Edm. v. Fellenberg ( Section Bern ).

Alte und neue Pfade und Abenteuer in Goms Unter den Tausenden von Reisenden, welche alljährlich im Sommer in der verschiedensten Fuhrwerke-Mannigfaltigkeit, sei es auf der luftigen Impériale oder Bankette thronend oder in die schwellenden Polster des Intérieurs eines eidgenössischen Postwagens gedruckt, sei es in offenem Zwei- oder Einspänner oder gar auf einem bescheidenen Bauernwägelein, dem Besitzthum irgend eines kleinen Wirthes oder Dorfmagnaten aus einem der südlichen Nebenthäler des Wallis, gerüttelt, die schöne Straße durch das Gomser-thal nach dem Rhonegletscher und der Furka fahren, sieht man von Fiesch weg, der belebten Centralstation für Eggischhorn und Binnenthal, selten einen in den vielen dicht gedrängten Dörfern des Hochthales aussteigen, um der nördlichen Gebirgskette sich zuzuwenden.

In Ulrichen allerdings verlassen diejenigen Wanderer den Postwagen, welche durch 's Eginenthal, sei es nach der Nufenen und Bedretto, sei es über den Gries in'a Formazzathal und an die italienischen Seen zu gelangen trachten. In Münster stationiren sogar Pensionäre, welche sich jedoch meist mit kleineren Spaziergängen im Thale begnügen. Dann und wann wird von Münster aus das Blinnenthal begangen und dem Blinnenhorn, einem der schönsten Aussichtspunkte des Oberwallis, ein Besuch abgestattet. Als einziges Object des wenn auch nicht gerade häufigen Besuches der nördlichen Kette gilt das Löffelhorn ( 3098 m ), einer der Gipfelpunkte der zackigen Kette, welche, im Wasen hörn am Fieschergletscher anhebend, in südwest-nordöstlicher Richtung das Becken des Galmifirnes und das lange Gletscherthal des Oberaargletschers vom Gomserthale trennt. Mit Ausnahme des Löffelhornes im Westen, des Großen und Kleinen Sidelhornes im Osten dieser Kette ist sie selbst, wie die verschiedenen an ihr hinansteigenden Thäler und Schluchten, noch bis auf den heutigen Tag dem Touristen beinahe eine terra incognita geblieben und bis vor Kurzem mit Ausnahme von Strahlern und Jägern nur von dem Meßtisch der eidgenössischen Ingenieure und Topographen betreten worden. Unmittelbar neben dem geräuschvollen Straßenverkehr des Gomserthales dehnen sich stille Thäler in majestätische Felswüsteneien und Gletscherwildnisse hinein, die mit berühmten Mode-thälern rivalisiren können, wie das Bieligertal, Bächithal, Münsterthal und Trützithal, in denen aber außer dem- Rauschen der Wasserfälle und dem Geläute der Heerdenglocken, dem Sausen des Windes und Krachen der Lawinen kein profaner Laut an das Ohr des Wanderers dringt, kein Hotel seinen Reclamen- Schild zum Himmel streckt, kein Kellnerheer Bücklinge macht und blasirtes Städtethum zum Himmel gähnt. Dort lebt noch der einsame Hirt unter steinerner Hütte und sieht den ganzen Sommer hindurch ab und zu einen Geißbub, einen Jäger oder auch Monate lang Niemanden. Wer von der Landstraße nach Norden blickt, erschaut blos sanft gerundete Wiesenabhänge und sorgfältig gepflegte Kartoffel- und Gerstenäcker, darüber lichte Lärchenwälder, Alles übersäet mit Blöcken der verschiedensten Gesteine, den Zeugen alter Vergletscherung, als der Rhonegletscher noch seine tausend Meter mächtigen Massen hier durch 's Thal wälzte. Durch die Einschnitte der Thäler sieht man im Hintergrund einzelne Felswände starren, Schneeflecken erglänzen gleich Augen im Sonnenglanz, sonst aber bleibt der Hintergrund und Verlauf der Thäler dem Blick verborgen und reizt zu Entdeckungsfahrten, die hier noch mit Aussicht auf Erfolg gemacht werden können und gemacht zu werden verdienten.

Es war mir vor einigen Jahren von unserem hochverehrten Clubgenossen Herrn Ingenieur Frdl. Becker, dem ich die Illustrationen zu diesem Aufsatze hiemit wärmstens verdanke, mitgetheilt worden, es wäre -wünschenswerth, die Kette zwischen Oberaargletscher und Gomserthal gründlich zu begehen und die Nomenclatur derselben, die noch sehr lückenhaft und unvollständig, unklar und widersprechend sei, definitiv festzusetzen und zu vervollständigen. Herr Becker war damals mit der Neuaufnahme des Blattes 490 ( Obergestelen ), im Maßstab der Originalaufnahmen ( Vsoooo ) beschäftigt und hatte Mühe, an Ort und Stelle selbst bei den Anwohnern, Jägern und Hirten die-richtigen Namen der einzelnen Hörner und Gebirgs-abschnitte zu erhalten; auch stellte Herr Ingenieur Becker noch verschiedene jungfräuliche Gipfel und neu zu machende Pässe in Aussicht, was mich lebhaft nach diesem Theile meines Arbeitsfeldes hinzog. Es war mir jedoch erst nach Beendigung meiner geologischen Aufnahmen im Lötschenthale und Aletschgebiet möglich, endlich den lange gehegten Wunsch zu erfüllen, und dies geschah erst im letzten Jahr, nachdem inzwischen Beckers treffliches Kärtchen Obergestelen publicirt worden war.

Hatte ich bisher durch mehrfache Begehungen der Thalsohle des Gomserthales und des Grimselweges--die geologischen Verhältnisse des ersteren und des. östlichen Theiles der Sidelhornkette festgestellt, sa blieb mir allerdings noch die höhere Partie, das Westende der Wasenhorn-Sidelhornkette, zu untersuchen, obgleich ich annehmen durfte, es müßte diese Kette die genaue geologische Fortsetzung der Wannehörner am Aletsch- und Fieschergletscher sein, deren Fuß und Seiten ich genugsam kannte. So entschloß ich mich letzten Sommer, diese Lücke auszufüllen, dieses Versäumte nachzuholen und noch einmal die ganz » Gomser Nordkette oder Gomseralpen, wie ich sie der Kürze wegen benennen will, unter den Hammer zu nehmen und besonders in ihrem westlichen Theile auch topographisch zu untersuchen. Die Entdeckung ganz ungekannter geologischer Verhältnisse und überraschender Neuigkeiten, die Eröffnung eines neuen, sehr interessanten Passes waren trotz des vielen schlechten Wetters, welches im September vorherrschend geworden, ein einigermaßen befriedigender Ersatz für ein noch weit ausgedehnteres Programm, welches ich mir vorgenommen und welches wie viele für den Monat September 1883 gemachte Pläne zu Wasser geworden ist. Hier sei nur des touristisch Wichtigsten Erwähnung gethan.

Um in der Himmelsrichtung Südost-Nordwest die Gomseralpen zu überqueren und ein Profil zu erhalten, welches sich auf eine ziemliche Länge des Streichens der Hauptkette ausdehnen sollte, gedachte ich von den Alpen westlich des Grimselpasses, sei es von Grimsel-Altstaffel oder der Alphütte im Kühthal, in nordwestlicher Richtung zum Löffelhorn emporzusteigen, dem dominirenden aussichtsreichen Gipfelpunkt zwischen Galmihörnern und Grimselpaß. Ich stieg daher am Abend des 5. September in Begleitung von Caspar Blatter von Meiringen, pro tempore beurlaubter Wildhüter und Führer, und seinem jungen Sohne Menk von Ulrichen hinauf nach Altstaffel, da man uns versicherte, die Kühthalhütte sei schon verlassen. Wir traten in die niedrige, wie alle Hütten in Goms aus bloßen Feldsteinen gebaute Hütte ein, wo außer dem Herdfeuer, über dem der Kessel hing, und einer mit reinlichem Stroh und Wachholder- oder Alpenrosenreisig belegten Pritsche nur einige hölzerne Sparren an den Wänden das einfache Mobiliar trugen. Welcher Unterschied gegen die geräumigen hölzernen Sennhütten in Lötschen mit Zimmer und Bett! Wir fanden die Hütte und Umgebung von einer zahlreichen Gesellschaft Männer und Weiber besetzt, welche einen vor der Hütte sitzenden alten bebrillten Mann umstanden.

Dieser hatte auf den schlotternden Knieen ein großes Quartheft ausgebreitet, worin in gedruckte Colonnen oder Rubriken der heute am zweiten und letzten Milchwägungstag gemolkene Gehalt an Milch einer jeden Kuh eingetragen wird. Die sehr gut gearbeitete eidgenössisch geaichte Waage hing vor der Hütte an einem in die Fugen derselben eingesteckten Sparren. Nachdem jeder Besitzer einer oder mehrerer Kühe seine Stücke gemolken, wurde der Mulken genau gewogen und das Volumen eingetragen. Nach dem Mittel zwischen dieser Milchwägung und derjenigen im Frühsommer beim Bezug der Alpen wird der Ertrag einer jeden gesömmerten Kuh bestimmt und darnach die Bezahlung von Seite des Sennen an den Sömmernden normirt. Zwei Zeugen umstehen die Waage, lesen das Gewicht ab und rufen es laut aus, worauf es vom Schreiber eingetragen wird. Die Leute waren im Allgemeinen wenig befriedigt, die naßkalte Witterung des Juli, die vielen Schneefälle mitten im Sommer und die schlechte Entwicklung der Vegetation in den höheren Alpen hatten die Sommerung 1883 zu einer der geringsten seit vielen Jahren gemacht. Wir verbrachten einen sehr vergnügten Abend, mit den Sennen plaudernd am flackernden Feuer, nachdem sich die Gesellschaft nach Beendigung der Milchwägung verzogen hatte. Zum Nachtessen wollte ich mir Kaffee kochen lassen und verlangte nach einer Pfanne, um Wasser zu kochen. Is nich! hätte der Berliner gesagt, und Factum war 's, weder Pfanne noch Kessel zum Kochen ( außer dem großen Käsekessel ) war in der Hütte vorhanden. „ Aber um 's Himmels willen, macht ihr denn nie Kaffee ?" fragte ich den Obersenn. „ Wir brauchen 's nit !" antwortete dieser; „ wir haben Milch und Sirwolten ( Molke ) ". „ Und BrodJa, aber altes, Sie können es nicht beißen, wir bekommen einmal im Frühsommer von jedem Sömmern-den per Kuh ein halbes Brod !" Von trockenem Fleisch oder Speck war in dieser Hütte ebenso wenig die Rede, also nichts als Milch und Molke, Zieger und magerer Käse und als Seltenheit einmal ein Stück Brod, hart wie Stein, das ist die Nahrung dieser Sennen. Hundert Schritt von der lackstiefel- und tournürenbegangenen Grimselstraße, zwei Stunden vom Leckertisch und den Champagnerpfropfen des Hôtel du glacier du Rhône, welcher Contrast! Man hätte sich im abgelegensten Säter des norwegischen Hochlandes denken können und nicht am Wegesrande des Welttouristenverkehrs. Da es aus Mangel an einem Kochgeschirr keinen Kaffee gab, genossen wir der Sennen Kost und bestiegen um 9 Uhr Abends unsere Pritsche.

Die Nacht war auffallend geruhsam, kein menschlicher Parasit störte unsern gesunden Schlaf; ich schreibe dieses Fehlen der sonst üblichen Einquartierung den steinigen Mauern der Hütte und der Kälte und dem Luftzuge durch die Fugen derselben zu. Um 5 Uhr Morgens früh, nachdem wir wiederum mit landesüblicher Milchkost gefrühstückt hatten, wollten wir vom Sennen die Addition. „ Gebt, was ihr wollt ,'s ist nicht der Rede werth ", war des bescheidenen Mannes Antwort. Gottlob, es gibt noch ehrliche Seelen im Hochland! Vom Altstaffel marschirten wir nach dem verlassenen Läger im Kühthal, wo ich erstaunt war, um die Hütte herum große Granitblöcke liegen zu sehen. Vom Kuhalpläger stiegen wir langsam nach dem Gestelergalen ( 2338™ ) empor, wo ein Steinmannli einen Vermessungspunkt andeutet. Nun sehen wir erst auf die Höhe der Hauptkette. Ueber uns das große Sidelhorn ( 2881 m ), dann der Ulricherstock ( 2890 m ) und G eschener stock ( 2894 m ). Das Löffelhorn war noch nicht sichtbar. Ueber den Trümmerhalden und Schneeflächen, den Hochmooren und Wassertümpeln strichen unterdessen gewaltige Nebelballen, der Wind fing an zu blasen und bald fielen schwere Tropfen nieder. Vom Löffelhorn war heute nicht mehr die Rede, nicht einmal vom Groß-Sidelhorn, dessen Gipfel wir in zwei Stunden bequem erreicht hätten. Wir stiegen daher in den obern Theil des Oberthals1 ) hinab, von dessen oberster Schafalpe wir einem hübschen Wasserfall entlang in den untern Thalboden abstiegen und am rechten Thalgehänge hinaus zur elenden, auf aussichtsreicher Vorstufe liegenden Alp Nessel ( 1711 m ), wo zwei in Felle gehüllte Buben, wahre Audifaxe, uns wie „ Gebilde aus Himmelshöhen " anglotzten und erst nach wiederholter Ansprache seitens Menk, der ihnen wahlverwandtschaftlich am nächsten stand, zu einigen im Deutsch des 12. Jahrhunderts gegebenen topographischen Erklärungen über die nächste Umgebung zu bringen waren. Da das Wetter sich zusehends verschlimmerte, war auch hier unseres Bleibens nicht, und wir stiegen steil über die runden Formen des gletschergeschliffenen Abhanges durch Felder von Alpenrosen und ehrwürdige Lärchenwaldungen nach Ulrichen hinab. Ehe man ganz zu Thale steigt, überschreitet man östlich von Ulrichen auf dem rechten Ufer des Oberthalbaches eine prächtige alte Moräne des Rhonegletschers, die aus Grus und Blöcken aus dem oberen Rhonethal besteht und deren weiße Geißberger- ( Granit- ) Blöcke zu March-steinen und anderen Bauzwecken verarbeitet werden. Ehe ich Ulrichen verlasse, wo ich seit acht Tagen mein Hauptquartier aufgeschlagen hatte, geziemt es mir, dem dortigen Wirthe und dessen regierendem Töchterlein, Fräulein Seiler, ein gebührendes Kränzchen zu widmen für alle die Freundlichkeit und Aufmerksamkeit, mit welcher der Gast dort behandelt wird, für treffliche Kost und reelles Getränke, billige Preise und alle Annehmlichkeit, die ein ländliches Gasthaus gewähren kann, wo eine steife langweilige Table d' hôte noch nicht eingeführt ist und will 's Gott auch nie eingeführt wird.

1. Das Löffelhorn ( 3098 ra ).

Samstag den B. September Abends spät kam, direct von Bern her gereist, meine liebe Frau mit der Post von Brig angefahren. Ich erwartete sie vor dem Gasthof in Münster. Ich hatte ihr eine Bergtour versprochen und deshalb das Löffelhorn verspart, bis sie meine Begleiterin sein könne. Also morgen auf den Großen Löffler? war mein erstes Wort. Einverstanden! Sonntag den 9. September um 5 Uhr Morgens traten wirf gehörig gestiefelt und gespornt, in 's Freie. Da meine Frau ohne Alpenstock hergereist kam, klopften wir in einem Hause außerhalb des Dorfes, wo schon Bauch dem Kamin entflog, an und baten um einen Stock. Der fand sich in der Gestalt einer berußten harthölzernen Stange, um den Backofen des Bäckers, der dort wohnte, auszuräumen. C. Blatter hatte rasch mit seinem Messer eine Spitze am verkohlten Ende zugeschnitten und bald klapperte der Backofenstock auf dem Steinpflaster des langsam über Wiesen und durch Aecker sich hinaufziehenden Weges. Wir erreichten bald den Eingang einer Schlucht, wo der Weg, statt in dieselbe einzubiegen, sich nach Osten in einigen Zickzacks an der Südseite des Berges hinzog, und gelangten in einen prächtigen Lärchenwald, nachdem wir eine kleine halbe Stunde lang gestiegen, zog sich der Weg horizontal am Gehänge hin dem Eingang in 's Trützithal zu. Nach einer weiteren halben Stunde waren wir an der Einbiegung des Weges hoch über der Schlucht des unteren Trützithales angelangt. Tief unter uns rauschte der Bach, glatte Felsen fallen jäh in die Tiefe ab. Der Pfad wird schlechter und schlechter, kaum mehr kenntlich zieht er sich über höckerige Wurzeln, rund geschliffene Felsen, durch nachgiebigen Morast oder über verwitterte Schieferplatten hin, ab und zu in alle möglichen Falten dea Alte und neue Pfade und Abenteuer in Goms. 19 Berghanges einbiegend. Es heißt hier etwas aufpassen; denn ein Ausrutschen und Fall würde sehr fatale Folgen nach sich ziehen und an ein Aufhalten auf der abschüssigen Bahn wäre kaum zu denken. So geht der Pfad wohl 20 Minuten gegen Norden am Eingang in 's Trützithal hin. An einer Stelle war durch die langen Regengüsse der letzten Zeit ein ganzes Stück Halde, bestehend aus verwittertem sehr schiefrigem Sericitgneiß, abgerutscht und zu Thal gefahren, der Pfad absolut abgeschnitten. Wir gingen einzeln über die heikle Passage, nachdem Blatter einige Trittchen in 's morsche Schiefergestein gehauen. Das war aber auch die letzte böse Stelle. Bald waren wir auf der schönen blumigen Alp des unteren Trützis, umgeben von freundlich muhenden Kühen und grun-zendem Schweinevolk. Ehe wir den Eingang de » Trützis erreicht hatten, entdeckte Menks scharfes Auge jenseits des Tobeis am Ende des Waldes in den jähen Grashalden ein einsam weidend Gemslein. Rasch nahm ich meinen Tubus heraus und auf unser helles Jauchze setzte es sich in kurzen Trab und rannte lange Zeit innerhalb Sehweite gegen den Grat des Oberthals hinauf. Nach kurzem Halt bei der ebenfalls bloß aus rohen Steinen zusammengefügten Sennhütte schritten wir thalaufwärts. Eine Stunde oberhalb der untern Hütte fängt die Steigung an, steiler zu werden. Ein gut gebahnter Kuhweg führt in langen Zickzacks über die gerundeten Felsen, über welche der Trützibach in verschiedenen kleineren Wasserfällen herunterstürzt. Die Thalwände des Trützithales sind hier noch einförmige fluhbanddurchzogene Schaf- triften und steile Trümmerhalden. Um 8 Uhr hatten wir die obere Hütte erreicht und am Rande eines klaren Wässerchens Angesichts der hohen Wände, welche halbkreisförmig das Thal einschließen, hielten wir unsere erste Frühstücksrast. Auch hier fielen mir viele Blöcke eines weißen Granits auf, von demselben, der an der Handeck vorkömmt und mir schon im Kühthal hinten aufgefallen war. Ich hatte früher die ganze Kette der Gomseralpen als Gneiß in verschiedenen Abänderungen angesehen. Da C. Blatter gerechnet, in drei Stunden sollten wir von hier den Gipfel des Löffelhorns erreichen können, ließen wir uns alle Zeit und brachen erst um 9 Uhr wieder auf. Wir überschritten den Trützibach und nun ging 's steil über gerundete Felsen und dürftige Schaftriften, durch schutterfüllte Kehlen und sumpfige Stellen empor zur Hochterrasse, auf welcher der einsame Trützisee ( 2581 m ) liegt. Es war 10 Uhr, als wir die Hochterrasse erreichten. Ringsum ein Felstrümmenneer, kaum von den grünen Flecken der endenden Vegetation unterbrochen. Zu unsern Füßen lag der Trützisee, | zu zwei Dritttheilen noch dick zugefroren und unter Lawinenschnee begraben. Jenseits steigen steile weiße Granitwände empor, welche das schöne zum Gipfel des Löffelhorns führende Schneefeld westwärts einschließen. Ueber erweichte Schneefelder umgingen wir den Ostrand des Trütziseeleins und hatten vor uns mühsame, von den letzten Spuren von Vegetation durchzogene Trümmerhalden zu überwinden, bis wir die Moräne des vom Löffelhorn absteigenden Gletschers, der spaltenlos als Hochfirn sich zum Gipfel hinaufzieht, erreichten. Hatte ich unten bei der Hütte vereinzelte Granitblöcke angetroffen, so befand ich mich hier mitten im anstehenden Granit ( Gneißgranit, Protogin ). Ich konstatirte hier, sowie später am Sidelhorn und früher am Maienwang ob dem Rhonegletscher, eine bisher nicht gekannte Zone. dieses Gesteins, welche parallel mit, aber unabhängig von der Hauptgranitzone des Finsteraarhornmassivs verläuft, welch letztere weit nördlicher, von der Grünhornlücke und dem Abschwung am Lauteraargletscher nach dem Escherhorn und Thierberg und hinüber nach der Handeck streicht. Wir rasteten auf den eckigen frischen Granitblöcken der Moräne neuerdings, zogen die Gamaschen an, schnallten das Seil vom Ränzchen und hielten Umschau. Gegen Norden umgrenzen zackige, vollkommen kahle und nackte Granitwände die weite schneeerfüllte Mulde, in die der Gletscher ausläuft. Diese Granitwände ziehen sich in scharfem Grat zum Gipfel des Löffelhorns hin. Gegen Süden ragen ebenfalls Klippen am Rande des Gletschers hervor und nähern sich concentrisch der nördlichen Felswand. Am Gipfel des Löffelhorns nähern sich beide Einrahmungen einander und geben so dem ganzen Schneefeld die Form eines Löffels, dessen halbrunde Schale der weite Kessel ist, in dem wir jetzt sitzen, der Stiel sich verengernd bis zum Gipfel des Horns reicht. Gegen Osten dehnt sich eine weite Trümmerfiäche aus, über die am Westfuße des Geschenerstocks der Sattel des Trützipasses ( 2809 m ), ein Uebergang nach dem Oberaargletscher und nach der Grimsel, führt. Der steinige Theil dieser Hochterrasse, über welche der Aufstieg zum Trützipaß führt, heißt, wie mir Jäger später sagten, der *Lö ff eltätsch*, ein Name, der un& noch vielfach Gaudium bereitete. Es gibt mehrere solcher Tatsche, wie Elwertätsch in Lötschen und Jeizenentätsch nördlich des Grimselspitals. ( Ueber die Bedeutung des Namens siehe unten. ) Um 11 Uhr brachen wir, wohl an das Seil gebunden, auf. Anfangs war der Schnee gut, weiter oben etwas weich, die Sonne schien grell durch fahrende Nebel auf den Firn. Der Anstieg war ziemlich steil. Meiner Frau, die zum ersten Mal in dieser Höhe auf blendendem Firn wandelte, fingen die Wirkungen der Lichtstrahlung und Gletscherluft an, sich bemerklich zu machen. Wir mußten öfter ein wenig anhalten. Deshalb zogen wir uns gegen eine Trümmerhalde, welche den Südfuß de » höchsten Kamms des Löffelhorngrates besäumt. Es war 12 Uhr, als wir die,Trümmerhalde erreichten^ und nun sahen wir, daß wir mit dem Betreten dieses Gufers einen schlechten Tausch gemacht. Locker und gefährlich lagen die wilden Granittrümmer auf und über einander, ein verrätherisches Terrain, würdig der Bietschhorntrohlfelsen. Mühsam ging das Ueber-klettern der Trohlfelsen, bis wir den Kamm in einer seiner thurmähnlichen Auszackungen erreichten und nun plötzlich durch den Blick auf den grandiosen Oberaargletscher und hinüber an den Thierberg und Zinkenstock belohnt wurden. Nun hatten wir noch eine lange Strecke dicht unter dem Felsgrat auf der Südseite zu traversiren, im erweichten Schnee zu tappen, über lose Blöcke zu klettern, unter labilen Granittafeln durchzukriechen, bis wir das Ende des Hochfirns, ein ziemlich schmales Felsgesimse, erreicht hatten; 30 Fuß über uns ragte die letzte Zacke, der eigentliche Gipfel, empor. Es war l' is Uhr. Meine Frau war von der mühsamen Kletterei über die lockeren Granittrümmer ziemlich erschöpft und mußte vor Allem aus etwas ausruhen. Während dessen klopfte ich Handstücke, schrieb Notizen und kletterte mit einiger Nachhülfe Blatters auf den höchsten Punkt. Dieser ist kaum zwei Fuß lang und einen Fuß breit. Eine Person kann nothdürftig aufrecht stehen. Die beiden Blatter saßen rechts und links rittlings auf dem Kamm. Ein kleines Brett mit eingeschnittenen Initialen und einigen Bleistiftnotizen gibt Kunde von früheren Besteigungen, meist von Leuten aus der Umgegend. Eine Flasche mit Notizen einer kurz vorher von Herrn Seiler in Münster ausgeführten Besteigung lag eingeklemmt in einer Felsspalte. Leider war die Aussicht, die von diesem gegen Ost und West freistehenden Gipfel sehr schön sein soll, durch überall hockende Nebel vielfach unvollständig. Die ganze südliche Walliserkette, die Gebirge von Formazza, Blinnenthal, Binnen- und Simplongegend waren verhüllt. Nur die nähere Umgebung war frei. Grandios und grausig ist der Blick hinunter in die schauerliche Einöde des Münsterthales und auf dessen vielzerklüfteten Gletscher. Wir übersehen den Felskamm der Thalschyen, der Rossenhörner, um uns zu erfreuen am Anblick der schönen Firngräte der Galmihörner, der schlanken Felspyramide des Oberaar-Rothhorns, endlich des in Anbetracht des unsichtbaren Finsteraarhorns weit und breit dominirenden Oberaarhorns. Unser Blick taucht tief hinab auf den Oberaargletscher und ich grüße das vor 20 Jahren zum ersten Male betretene Oberaarjoch. Leider war auch gegen Grimsel und Handeck, gegen Galenstock und Triftgebiet Alles verhüllt. Nur die nähern Stöcke und Felskegel des Gesehener- und Ulricherstocks und die Sidelhörner ragten aus dem breiten Grate empor. Ich blieb eine Viertelstunde oben, ließ mich wieder auf die kleine Guferterrasse hinunter- hissen, wo meine Frau nach kurzem Schlaf sich vollständig erholt hatte und nun auch den höchsten Punkt betreten wollte. Dem wurde schleunigst willfahrt; das Seil fest um die Taille gebunden, und in kräftigem Zuge wurde sie, mit Händen und Füßen nachhelfend, das Wändli hinaufgehißt. Wie sie oben stand, schien plötzlich die Sonne wieder, und manche Nebel, die mir vorhin das Meiste verhüllt, wichen galant der ersten Besteigerin des Löffelhorns.

Nachdem nun wieder Alle beisammen auf dem Guferband besammelt waren, sprachen wir fröhlich im hellen Sonnenschein den mitgebrachten Vorräthen wacker zu und brachen um 3 Uhr zum Abstieg auf. Um die abscheulichen Granittrohlfelsen zu umgehen, beschlossen wir, da der Schnee gut und auf dem Eise dick genug war, direct die steilen Firnhalden nach dem Gletscher abzusteigen. Wir waren Alle am Seil, voran Menk Blatter, Sohn, dann ich, dann meine Frau, zu hinterst C. Blatter, Vater. Langsam und vorsichtig, tüchtig mit den Absätzen einstechend, den Stock horizontal in die Firnlehne gestoßen, ging 's ganz sicher die steilen Firnhänge des Löffestieles nach den sanfteren Hängen des Löffels hinab. Da alle Schrunde gedeckt waren, hätten wir auch eine Glissade riskiren können, jedoch wollte ich es doch meiner Frau wegen nicht wagen, da wir nicht wußten, ob weiter unten nicht hartes Eis unter dem Schnee auftauche. Herr Seiler und Gesellschaft war acht Tage vorher vom Gipfel in wenig Minuten nach dem flacheren Gletscher hinabgerutscht. Qui va piano, va sano. Um 4 Uhr hatten wir die Moräne erreicht, banden uns vom Seile los und stiegen munter und jodelnd die felsigen und steinigen Abhänge zur oberen Trtitzihtttte hinab. Dort wurde schnell ein Schluck Wasser genossen, dann ging 's eilenden Laufs das Trützithal hinaus zum untern Läger. Es war 5 Uhr, als wir dort anlangten und schnell ein Glas frisch gemolkene Milch genossen; dann sputeten wir uns, um den bösen Pfad zum Trützi hinaus noch bei Tag zurückzulegen. Der Vorsicht halber und um mehr Halt zu geben, ließ ich an den gefährlichen Stellen das Seil abpacken und die Gesellschaft anbinden. Mit einbrechender Dämmerung hatten wir den schlimmen Weg hinter uns und um 8 Uhr rückten wir bei herrlichem Mondschein munter und etwas mode in Münster ein.

In Summa ist die Besteigung des Löffelhorns, mit Ausnahme des allerobersten Fluhsatzes, ohne alle Schwierigkeit, das Aufsteigen durch das Trützithal ein schöner Morgenspaziergang. Will man oben die mühsame Stolperei über die Granittrttmmerhalde ersparen, so gehe man die schneebedeckte Firnwand bis zum Gipfelwändli hinauf, wobei man jedoch der großen Steilheit wegen wird Stufen hacken müssen. Wir hatten von Münster auf den Gipfel 8V2 Stunden gebraucht, wovon circa 2 Stunden auf Halte kommen. Ein sehr guter Gänger wird in 5 —6 Stunden den Gipfel erreichen können. Die Steigung beträgt 1708 m von Münster aus auf den Gipfel.x ) 2. Die Bieliger-Liicke. 3158 m. Hatte ich vom Löffelhorngipfel einen Blick in 's tief eingerissene Münsterthal gehabt, auf dessen wilden Gletscher und an die befirnten Gräte der Bossen- und Galmihörner, so waren mir noch zwei Seitenthäler von Goms verborgen geblieben, und da es in meiner Absicht war, auf irgend einem, womöglich auf neuem Wege, nach dem Oberaarjoch zu gelangen, so hatte ich nur die Wahl zwischen Bächithal und Walli-oder Bieligerthal. Vergleicht man die Dufourkarte mit dem neuesten Blatt Obergestelen, so sieht man, wie grundfalsch auf ersterer die ganze Partie im Hintergrund dieser Thäler gezeichnet ist. Das Wallithal z.B. schließt auf Dufour hinten mit entsetzlichen Felswänden ab, über die ein hangender Gletscher, die Hangend Firren, ragt. Nach Dufour wäre dort ein Uebergang, wenn nicht unmöglich, so doch jedenfalls sehr schwierig. Sehen wir uns nun Beckers Ober-gestelen-Blatt an, so finden wir einen Gletscher im Hintergrund des Thales, der sich neben den Hangend-Firren durch bis zu einem Sattel zwischen Wasen-und Vorder-Galmihorn hinanzieht. Wollte ich auf den oberen Fieschergletscher und zur neuen Oberaarhütte gelangen, so war jene im Hintergrund des Bieligerthales gelegene Lücke mein Uebergangspunkt. Durch das Münsterthal hinauf, am Oberaarrothhorn vorbei wäre ich direct auf den Oberaargletscher gelangt, jedoch hatte ich noch die Wahl, durch 's Bächithal hinüber auf Thalgrund hinabsenkt und die mannigfaltigsten Zacken bildet. Nun geht 's etwas bergab und wieder bergauf nach dem oberen Stock und von da eine halbe Stunde lang auf schneebedecktem Gletscher allmälig die Böschung des Gipfels hinauf auf die Spitzedes Löffelhorns. Von der Trümmerhalde und dem steilen Gipfelwändli sagt K. nichts. Wäre es möglich, daß 1856 der Firn sich bis zum Gipfelgrat des Löffelhorns erstreckte und die 10-15 Meter der Gipfelwand seither herausgeschmolzen wären? Ich glaub 's nicht, sondern weit eher, daß K. gar nicht auf dem wirklichen Löffelhorn war, sondern eher auf dem südlichen, durch die steile Firnwand, einen Sattel und scharfen Grat vom höchsten Punct getrennten Vorgipfel. Punkto Aussichtsschilderung will ich bloß anführen, daß K. auch die Schreckhörner und das Wetterhorn gesehen haben will, was eine pure Unmöglichkeit ist.

den Fieschergletscher zu gelangen. Ein wichtiger Grund, der mich für das Bieligertal entscheiden ließ, war ein mineralogischer. Seit Jahren wurden von Strahlern aus dem Oberwallis schöne Amethyste verkauft, die aus dem Hintergrund dieses Thales, vom Bieligerberg, einer allgemeinen Bezeichnung für die Alpen diese » Thales, kommen sollen. Mir selbst hatte vor vielen Jahren ein in Gluringen angesessener Berner, Dähler, einen prachtvollen, von dorther stammenden Amethyst- krystall gebracht. So erkundigte ich mich denn nach einem in der Gegend des Bieligerthales bekannten Aelpler, und ich wurde an einen altern Strahler^ Clemens Guntren im Dorfe Biel am Ausgange de » Walli- oder Bieligerthales, gewiesen.

Am 11. September traf ich in Biel mit Guntren zusammen, der mir versicherte, den Uebergang nach dem Fieschergletscher schon mehrmals auf der Krystall-jagd gemacht zu haben. Er ging viel mit einem Berner Strahler Abplanalp und hatte die Umgebung des Oberaar- und Fieschergletschers, sowie die ganze Kette der Gomseralpen in allen Ecken und Winkeln gründlich durchsucht. Auch bei der Ausbeutung der Amethyste im Hintergrund von Bieligen war er betheiligt gewesen und erklärte mir, wir kämen an der nun ausgebeuteten Stelle vorbei. Das war mein Mann. Ich engagirte ihn für die Tour nach der Oberaarhütte und zurück über Grünhornlücke nach Eggischhorn, wohin meine Frau noch am selbigen Tage verreist war, um mich in Kathreins trefflichem Hotel in der lady- und missreichen Gesellschaft zu erwarten. Am 12. Abends traf ich mit den beiden Blatter in Biel ein, wo ich beim Krämer Rovina, einem freundlichen altern Manne, der einen Kramladen und kleinen Weinschank führt, Unterkommen und Nachtquartier fand. In einem nebenan stehenden großen alten Haus stand ein Stockwerk leer, dort hatte man mir ein großes Zimmer bereitet. Ein Bett mit sauberem frischem Ueberzug, frisch gefülltem Strohsack, ein Toiletten tisch, kurz Alles, war für mich auf 's Beste hergerichtet, so daß ich ohne Bedenken mich hier für längere Zeit hätte einquartieren lassen. Am Abend nach unserer Ankunft kam Cl. Guntren herüber zu Rovina. Dort wurde nun der Feldzugsplan auf den folgenden Tag festgestellt und der Proviant, so weit ich ihn nicht von Münster mitgebracht, vervollständigt. Holz gedachten wir auf der Alp mitzunehmen. Wir ließen uns Käthis, Rovinas schwarzäugiger Tochter, Kaffee mit Polenta, frische Butter, Käse und währschaften Eiertätsch trefflich schmecken, saßen gemüthlich um den säubern Ahorntisch bei der Lampe mildem Scheine, tranken noch zwei Liter trefflichen, goldenen Land-weins, rauchten und schmauchten ein Pfeifchen nach dem andern, kurz es war ein urgemüthlich Dorf en, bis die Mahnung an frühen Aufbruch uns zur Ruhe trieb.

Es wurde 5 Uhr Morgens, ehe wir unter herzlichem Händedruck und bestem Danke von Papa Rovina und schön Käthi schieden, von ihren besten Segenswünschen begleitet. Der Proviant war ziemlich gleichmäßig unter meine drei Begleiter, Cl. Guntren, Caspar Blatter und Menk Blatter vertheilt worden. Menk trug noch meine Tasche mit einigen Kleidungs- stücken zum Wechseln, wie auch Steinsack und Hämmer, Alles auf ein von Guttannen mitgebrachtes neues Räf ( Tragbrett ) verpackt. Cl. Guntren trug das kleine Butili ( Bulggi oder Logeli ), ein Weinfäßchen aus Holz, 4-5 Liter haltend, C. Blatter Gletscherseil, meine Gamaschen und übrige Ausrüstung. In der Erwartung, am Abend in der Oberaarhütte genügend Decken zu finden, hatte ich mein großes Plaid als zu schwer nach Fiesch gesandt.

Gleich hinter dem Dorfe Biel stiegen wir steil empor, etwa eine halbe Stunde lang, bis wir einen gut ausgetretenen Weg fanden, der in 's Bieligerthal hoch über dem in tiefer Schlucht brausenden Wallibach beinahe ebenen Weges hineinführt. Hier sei nun gleich die Nomenclatur des Thales betreffend bemerkt, daß der Bach, der aus dem Thale fließt, Wallibach heißt, die linke Thalseite des Baches heißt Bieliger-,thal, weil die Alpen links des Baches den Bleiern gehören, während die rechte Thalseite Selkingerthal heißt, weil die Alpen rechts nach dem an Biel anstoßenden Dörfchen Selkingen gehören. Nun ist aber Biel das eigentliche Kirchdorf, und es erscheint am passendsten, dem Thale den Namen Bieligerthal zu geben, heißen doch die größten Alpen im Thalboden der Bieligerberg. Mit dieser definitiven Bezeichnung ist auch Herr Ingenieur Frdl. Becker durchaus einverstanden. Um 6 Uhr kamen wir an den schmutzigen wieder aus bloßen Feldstein en erbauten Hütten des unteren Bieliger-staffels vorbei, eine zahlreiche Kuhheerde drängte sich um die Hütten herum, um gemolken zu werden, schöne, meist schwarze oder graubraune Thiere. Der Aufstieg von der untern Alp zum obern Läger, Frutt benannt, ist ein sehr gleichförmiger, allmäliger, auf gutem Pfade längs der linken Thalwand hin. Um 7 Uhr machten wir bei der obern Hütte, die verlassen war, Halt, und da wir nicht sicher waren, in der Oberaarhütte Holz vorzufinden, lud Jeder hier ein kleines Bündel Reisig und Spältenholz, welches bei der Hütte lag, auf, eine Vorsichtsmaßregel, die uns noch wohl kommen sollte. Ueber der Hütte fängt die Steigung zur oberen Terrasse des Thales an. Die Umgebung wird großartiger. Gegen West erheben sich die hohen Granitwände des südlichen Ausläufers des Wasenhorns 3157 m, ein Gletscher, der über die nackten Wände in blauer, zerklüfteter Wand von wohl 40 m Höhe abbricht, heißt « Hangend Gletscher », nicht « Hangend Firren », wie auf der Karte. Gegen Süden ziehen sich weiße, kahle Granittrümmerhalden zu einer noch höheren Thalstufe empor, welche von der Moräne des noch unsichtbaren, höher liegenden Gletschers gekrönt ist. Oestlich steigen zackige Felsgräte empor, pyramidal, Zacken an Zacken, der Grenzkamm gegen Bächithal, von Guntren Gälmiengrat benannt. Ohne langen Aufenthalt streben wir in die immer großartiger werdende unbekannte Landschaft vorzudringen. Die Vegetation wird ärmer, das Pfeifen der Murmelthiere ringsum beweist, daß hier gottlob die Wildvernichtung noch nicht schwunghaft betrieben wird. Wir sind in das Gebiet des Granits eingetreten; die zu unsern Füßen liegenden glatt polirten Rundhöcker sind prächtiger weißer, stellenweise sogar etwas rosenroth angehauchter Granit ( Gneißgranit, Protogineine riesige Trümmer- halde runder Granitblöcke nimmt uns auf. Wir wenden uns etwas östlich, wo mehr Felsen hervortreten, und erreichen um 9 Uhr den oberen Rand der höchsten Thalstufe am Rande der Moräne des Bieügergletschers. Ein prächtiger Gebirgscircus entfaltet sich vor uns. In vollkommen glatten, unnahbar steilen Wänden erhebt sich der scharfe Grat des Wasenhorns, 3457 m, gegen Westen. Seine östliche Seite gipfelt in einem zweiten Felszacken, um jäh zu einer tief eingesägten Felsscharte abzufallen, östlich welcher ein scharfer, zum Vorder - Galmihorn, 3524 m, sich erhebender zackiger Grat aufsteigt. Gegen diese Felsenscharte haben wir zu steuern. Dies ist unser Uebergangspunkt. Gegen Norden erhebt sich aus breiter Firnmulde das klotzige, gwächtengekrönte Vor der-Galmi-horn, dann östlich über einem firnerfilllten Seitenthälchen die Reihe dreieckiger pyramidaler Kegel, 3223 m und 3241 m, welche zum Galmihorn ansteigen: oberwähnter Gälmiengrat Guntrens. Hier, an der Grenze der Vegetation, auf moosartigem Polster gelagert, hielten wir unser erstes substantielles Frühstück, und da wir Zeit genug vor uns hatten, das Wetter prächtig war, obgleich im Thale sich dicke Nebelballen sammelten, so brachen wir erst um 9 l/a Uhr auf. Wir zogen die Gamaschen an und gingen an 's Seil. Anfangs ging 's flach über den Gletscher nordwärts, dann fing die Steigung an bedeutender zu werden. Der Schnee war in vortrefflichem Zustand, so daß wir rasch in die Höhe rückten.

Hier rief auf einmal Menk Blatter: „ Halt! Still! Gemseni, luegit dert !" und richtig sahen wir auf steilem Lawinenzuge gegen die Lücke zwischen dem Gipfel des Wasenhorns und dem südlichen Gipfel, 3341 m, zwei Gemsen in vollem Laufe bergauf jagen. In der Lücke oben auf dem Grate verschwanden sie, vermuthlich ist hier ein Wechsel nach dem Fieschergletscher hinüber. Jäger mußten in der Nähe sein. Denn vor uns friedlichen Wanderern wären die Thiere nicht so schnell flüchtig geworden, waren sie doch einen halben Kilometer von uns entfernt.

In der Mitte des gegen die Felswände der Lücke ansteigenden Firnhanges zeigte mir nun Guntren etwa 2-300 Meter gegen Osten eine vom Gälmiengrat westlich vorstehende Felsrippe. Dort sei der Amethyst in einem Quarzband gefunden und ausgebeutet worden; in einer halben Stunde wären wir an Ort und Stelle gewesen. Ich verzichtete darauf, hinaufzusteigen, da nichts mehr zu finden sein sollte und erst weitere Sprengungen vielleicht neue Funde erhoffen ließen. Die Sonne brannte heiß auf den blendenden Firn. Ich hatte schon eine Zeit lang bemerkt, daß Guntren leichenfahl aussehe und ganz violette Lippen habe; plötzlich fing er an, hin und her zu schwanken, und fiel dann der Länge nach in den Schnee. Wir luden ihm sein Gepäck ab, rieben ihm die Stirne mit Schnee und gössen ihm einen tüchtigen Schluck Cognac in den Mund. Nachdem wir ihn eine kleine halbe Stunde hatten ruhen lassen, erholte er sich von seiner Uebelkeit, und wir brachen auf, um nach einer letzten steilen Firnwand, wo man bei aberem Gletscher Stufen hacken müßte, die letzten Schneemulden am Fuß der Lücke zu erreichen. Um I112 Uhr waren wir am Fuß der ganz glatt und meist senkrecht mauerartig aufstehenden Felswand, welche die Lücke bildete. Das Wändchen mißt circa 40—50 Meter Höhe und ist von einer Rinne dureh-zogen, welche in stufenförmigen Absätzen eingesägt ist und zum Klettern guten Griff gewährt. Ich schickte die Mannschaft mit dem Gepäck voraus und bald verkündete ein fröhlicher Jauchzer, daß sie die Höhe erreicht hatten. Blatter kam mit dem Seil zu mir zurück. Unterdessen hatte ich auf den schmalen Felsabsätzen Alles gesammelt, was hier oben als ganz isolirte Vegetationscolonie noch wuchs. Folgende Arten fanden sich nach der Bestimmung Professor Fischers: Gentiana bavarica L. ( Hochalpenform ); Saxifraga bryoides L.; Chrysanthemum alpinum L.; Erigeron uniflorus L.; Cardamine alpina Willd.; Silène acaulis L.; Alsine Cherleri Fenzl; Saxifraga muscoides Koch, varietas integrifolia; Cerastium latifolium L., var. glaciale; Veronica alpina L.; Androsace helvetica Gald; Alchemilla alpina L. und fissa?: Poa sp.im Ganzen ein Dutzend Phanerogamen, meist blühend und vielleicht noch andere wenig entwickelte Kräuter, die mir entgangen sind. Weder an den Gräten des Wasen- noch Vorder - Galmihorns, noch an der Nordseite der Lücke war eine Spur von Vegetation sichtbar; nur hier am sonnigen, trockenen Südabhang der Gneißwand erfreute ein kaum noch in Blüthe entwickelter Flor in der öden Schneewüste als äußerster Vorposten organischen Lebens Herz und Auge. Daß diese kleine Oase in der Wüste auch ihren practischen Nutzen habe, bewiesen zahl- reiche Fußspuren und Loosung von Gemsen, die hier duftige Weide finden und nach dem Fieschergletscher hinüber wechseln. Mit einiger Nachhülfe Blatters war ich bald durch die kaminartige Rinne den Andern nachgeklettert und stand um 12 Uhr auf der Bieligerlücke, 3158 m, wie wir den Paß getauft haben. Die Lücke selbst ist höchstens 6-8 Meter weit und 1-2 Meter breit, gegen Ost steigt ein sehr zerklüfteter lockerer Felsgrat schneelos zum Vorder-Galmihorn empor; der Grat gegen West zum Wasenhorn ist scharf, eisig und gwächtengekrönt. Beide Gräte sind gangbar, der gegen das Vorder-Galmihorn vielleicht schwieriger und der lockeren Felsen wegen gefährlicher. Der Ausblick nach Westen ist höchst überraschend. Zu Füßen dehnt sich die schöne weiche Mulde des Studerfirns aus, gegenüber erhebt sich das Finster-aar-Rothhom als steiler Felsenkegel, zu Füßen inmitten großer Felstrümmer das schwer erkennbare Rothloch, Jahre lang die einzige höchst willkommene Herberge für die Finsteraarhornbesteiger. Wir übersahen den Fiescherfirn gegen die Grünhornlücke hinauf und nach Norden, jenseits des Galmifirns auf einem Felsvorsprung glänzt golden in der Sonne das neu erbaute Clubhüttchen am Oberaarjoch, unser heutiges so nahes Ziel. In höchstens zwei Stunden sind wir dort, meint Caspar, und da wir die Hauptarbeit gemacht wähnen, übergeben wir uns schrankenlos dem momentanen geistigen und materiellen Genüsse und legen uns auf die trockenen Gneißplatten nieder, wo eine einzige Gentianaseholle über 20 Blüthen weist, und „ fröhlich kreiste der Becher im kleinen Kreise herum !"

Unsere Sorglosigkeit sollte sich noch bitter genug strafen. Obgleich die Sonne noch hell und grell genug auf uns hernieder schien, hätten wir merken sollen, daß im Thal unten finstere Wolken sich angesammelt, daß aus dem Bieliger- wie Fiescherthal der Nebel in Form gewaltiger Ballen sich thalaufwärts über die Gletscher rollte. Schon waren alle höheren Gipfel in Wolken gehüllt, das uns geradeüber stehende, hoch alle überragende Finsteraarhorn war uns unsichtbar; plötzlich verschwand auch der Felsen mit dem Ober-aarhüttli uns aus den Augen; wie eine glänzende Sirene hatte es uns gelockt, und da wir ihm nicht gleich gefolgt, hüllte es sich wieder in Unsichtbarkeit. Plötzlich wurden wir aus unserer Gemüthlichkeit durch einen scharfen kalten Windstoß aufgescheucht. Nun blies Caspar zum Aufbruch. Bis wieder Alles in Ordnung und aufgepackt war, war 's 3 Uhr.

Wir banden uns an 's Seil und begannen den Niederstieg. Die Eiswand, die von der Bieligerlücke gegen den Studerfirn abfällt, hat oben eine Neigung von 45-50 °, in trockenen Sommern müßte hier stundenlang gehackt werden, heute erlaubt der tiefe Schnee, sicher einzustechen und in kurzen Zickzacks die jähe Wand hinunter zu steigen. Weiter unten macht uns der kolossale Bergschrund zu schaffen, dessen oberer Rand 3-4 Meter höher steht, als der untere. Zudem hing die obere Lippe so trügerisch über, daß wir uns nicht an deren äußersten Rand wagen durften, aus Furcht, sie breche mit uns in den Schrund ab. Wir mußten weit gegen das Wasenhorn zu traversiren, bis wir endlich eine schmale Stelle des Bergschrunds entdeckten und eine genügende Schneebrücke zum Uebergang benützen konnten. Unter dem Bergschrund nahm die Neigung der Firnwände ab und lustig trollten wir dem weiten Firnbecken des Studerfirnes zu. Es war circa 4 Uhr, eine halbe Stunde mochten wir schon auf dem Studerfirn in der Richtung Süd-Nord gewandelt sein, als plötzlich sich ein dicker ruhiger Nebel auf Thal und Höhen senkte und wir keine zwanzig Schritt mehr vor uns sahen.

Caspar ging voran und gedankenlos trappten wir anderen nach. Wir marschirten in langweiligem Einerlei lautlos dahin und stiegen und stiegen immer, eine Stunde, 1 lk Stunden, und nichts vor und um uns als Nebel und wieder Nebel. „ I glaube, Vater, mer sy lätz, " fing auf einmal hinten an der Colonne Menk an. Wir standen still. „ Was weltisch wüssen, du tonders Stürmiantwortete Caspar.I glaube, du haltisch z'viel rechts,u erwiderte ruhig der Junge. Caspar fing an zu fluchen, er wisse, wo wir seien, da vor uns müsse das Oberaarjoch sein. Plötzlich stehen wir vor einem ungeheuren Firnschrund, in welchen wir beinahe unversehens hinein getappt wären. Da ich von großen Firnschründen am Westfuß des Oberaarjoches nie etwas gemerkt hatte, wurde ich stutzig und hielt an. „ Caspar,u sagte ich, „ am Fuss des Oberaarjochs sind keine Schrunde, was hat 's mit dem da für eine Bewandtniss? und was ist das für eine blaue Eiswand und die colossale Gwächte darüber?11 fuhr ich fort, indem bei'm momentanen Dünnerwerden des Nebels über uns eine dreiseitige Eisfläche sichtbar wurde, gekrönt mit mächtiger überragender Eiswand.

7 Zwischen uns und der blauen Eiswand gähnten noch mehr Schrunde. „ Das muss d's Oberaarhorn sy, " meinte Caspar, „ mer sy wahrschynlich am Oberaarjoch vorby, mer wey rechts halte.a Ich entgegnete, von Oberaarhorn könne da keine Rede sein, es sei felsig und von keiner blauen Eiswand mit überragender Gwächte gekrönt, zudem seien wir in einem Gewirr heilloser Schrunde, aus denen wir vor der Nacht heraus zu kommen suchen müßten. Meinetwegen halten wir rechts, gab ich zu. Wir schritten dem großen Schrund parallel in der Richtung, aus der wir hergekommen waren. Plötzlich senkte sich das Firnfeld und im Nebel wurde ein Felsen sichtbar. Um denselben zu erreichen, mußten wir bedeutend niedersteigen. Als wir an der glatten Felswand angelangt waren, sahen wir, daß da von Oberaarjoch keine Rede sein könne. Jenseits des Felsens fiel der Firn in eine tiefe Mulde ab; was tiefer lag, war verborgen. Es fing an zu schneien, die Dämmerung fing an, ihre langen Schatten durch Nebel und Schneeriesel auf die endlosen Schneewellen zu werfen. „ Wir sind verirrt !" erklärte ich nun Caspar des Bestimmtesten, der in fieberhafter Aufregung mit offenem Hemd, schwitzend und fluchend betheuerte, er wisse gut, wo wir seien, das Oberaarjoch sei da, da oder da — ganz nahund das Beste ist, wir suchen einen Felsen auf, um dort und nicht auf dem blanken Gletscher zu bivouakiren. " Am letztgenannten Felsen konnten wir nicht bleiben, er bot als glatte Wand gar keinen Schutz, wir hätten uns in die vorliegende Schneewand eingraben müssen. Hingegen hatten wir im Heraufsteigen im Düster des Nebels eine Zeit lang einen dunkeln Fleck am Horizont gesehen, Menk mit seinen Adleraugen hatte erkannt, daß es Fluh oder Gufer sein müsse. So gingen wir unserer Spur nach zurück, wieder zum großen Schrund unter der Eiswand und dann quer über den Gletscher gegen den dunkeln Punkt, der uns eine Stunde vorher erschienen war. Deutlicher und deutlicher trat er aus dem Nebel heraus, schon sahen wir eine hohe Felswand in festen Umrissen, noch wenige Schritte und vor uns thürmte sich ein Chaos über einander gestürzter Blöcke, welche gerade an der Stelle, an der wir den Felsen erreichten, eine Art Vorscherm bildeten. Hier ist gut sein, sagten wir ( natürlich verhältnißmäßig ), und da bleiben wir. Also wurde abgeladen und unser Bivouakplatz näher untersucht. Drohend und unheimlich lagen die Blöcke, die sich von der hohen Felswand einmal abgelöst hatten, über einander geschichtet, besonders einer ragte zwischen andern eingeklemmt mit seiner langen Seite circa sechs Fuß weit heraus. Wir untersuchten vorsichtig jeden Stein, rissen kleine lockere heraus, verebneten ein bischen den Platz, scharrten den Schnee aus einzelnen Löchern und fingen an, ein Feuerchen anzuzünden aus unserem mitgebrachten Holz, das uns jetzt unschätzbar schien.

Es war ganz Nacht geworden. Um 7 Uhr hatten wir den Felsen erreicht. Noch war 's nicht sehr kalt. Um die Scenerie freundlicher zu gestalten, wurde die Laterne angezündet und an einem in einen Felsspalt eingesteckten Pickelstock aufgehängt. So verbreiteten die Laterne und unser Feuerchen freundlichen Licht- schein. Zum Kochen hatten wir kein Geschirr, als nur ein zur blechernen Schnapsflasche'eines weiland internirten Zuaven gehöriges blechernes Becherlein. In diesem Blechbecher wurde nun der Reihe nach etwas Rothwein mit Zucker über dem Feuer warm gemacht, dann kam Fleischextract an die Reihe, Kätherli's kalte Polenta dazu sollte das Brod ersetzen. So wurde ein Becher nach dem andern warm gemacht, bis wir alle etwas Warmes genossen hatten. In meinem Täschchen hatte ich noch ein zweites Hemd, welches über das Flanellhemd angezogen wurde, zwei Paar Strümpfe über einander schützten gut vor Kälte, während die Bergschuhe am Feuer trockneten. Endlich hatte ich noch eine gestrickte wollene Leib-jacke und den Sommerttberzieher angezogen, so daß ich vorläufig nicht von Kälte litt. Menken gab ich ein Paar Sommerhosen, die ich in meiner Tasche hatte, um über seine nassen, etwas defecten Inexpressibles anzuziehen. Auch Caspar und Clemens richteten sich für die Nacht ein, Nastücher um den Kopf gebunden, Ueberstrümpfe an 's Feuer zum Trocknen, Seil und Tornister als Unterlage, noch ein Pfeifchen geschmaucht, so wurde es 9 Uhr Abends. Ich hatte unter einem drohend hervorragenden Felsstück mir einen ziemlich ebenen Raum herrichten können, wo ich mich ausstrecken konnte. Hätte jedoch der obere Block sich um einige Centimeter gesenkt, wäre ich zu Brei zerdrückt worden. Caspar und Clemens kauerten am Feuer nieder, Menk suchte sich in einer Felsenspalte etwas gegen den Wind zu schützen. Gegen 10 Uhr Nachts fing 's an, kalt zu wehen, dann wieder zu schneien, zuerst nur als feiner Riegel, später in krystallinischen Flocken. Ich hatte noch ein Nachthemd in meinem Täschchen, das nahm ich über den Kopf gehüllt, wie die Kopfhülle der Frauen im Orient, .zum Schutz gegen den Schneegux in 's Gesicht. So litten wir uns bis gegen Mitternacht, die Kälte nahm zu, unser Feuer glimmte nur noch in der Asche; da befahl ich, unser schönes Guttanner Räf aus Buchenholz zu zerschlagen und mit zu feuern. Das half dem Feuer wieder bis gegen 2 Uhr Morgens auf, dann schlugen wir unser Butili ( Weinfäßchen ), dessen Inhalt als Glühwein schon vertilgt war, auch in Stücke, so daß wir doch bis zum Morgengrauen einen Hauch des belebenden Elementes verspürten. Von Schlaf war später keine Rede mehr, der Sturm nahm von Stunde zu Stunde an Intensität zu, immer dichter wurde der Schnee, horizontal vom rasenden West fortgetrieben; wir waren eingeschneit wie in Grönland. Endlich wurde es Tag und wir hofften doch einmal auf eine momentane Aufheiterung, um endlich auszuforschen, wo wir eigentlich steckten. Unser Feuerplatz war zollhoch mit Schnee bedeckt, wir selbst schnatterten wie die Gänse vor Kälte, lange Eiszapfen hingen über der Feuerstelle von der Decke herab, woran sich das niedergeschlagene Dampfwasser in Eis umgewandelt hatte. Immerzu raste der Schnee sturm, keine zehn Schritt sah man vor sich hinaus. Caspar Blatter war vor Aerger krank und fieberte, Cl. Guntren ruhiger, jedoch sehr kleinlaut, nur Menk war noch voll guten Muthes. Wir zwangen uns, etwas zu essen, dann schüttelten wir den Schnee von den Kleidern und liefen weiter am Felsen hin, um ein gegen den rasenden Sturm etwas geschützteres Plätzchen zu finden. Gegen 9 Uhr Morgens sah es einen Moment aus, als wolle sich das Wetter aufklären. Caspar wollte nun allein auf Recognoscirung gehen, ich widersetzte mich, wir alle oder keiner; denn bei dem Sturm wären seine Spuren bald verweht gewesen und er hätte riskirt, uns auch noch zu verlieren. So banden wir uns wieder an 's Seil und wandten uns in tiefem frischem Schnee quer über den Gletscher gegen die Gegend, wo Caspar noch immer das Oberaarjoch hin-zaubern wollte.Vergeblich Bemühen! Wir kamen wieder an dieselben Schrunde wie gestern. Eine Schwalbe saß ganz matt und halb verfroren im Schnee, wir hätten sie mit der Hand ergreifen können. „ Ja ja,u sagte Blatter, „ du bist verloren und wir auch!u Ich befahl, das unnütze im Nebel Herumstolpern verur-theilend, zurück zu marschiren nach unserem Bivouakplatz. Dort angelangt, erklärte ich, jeder weitere Versuch, bei dem Nebel und Sturm den Ausweg aus dem Sack, in dem wir steckten, zu suchen, sei eitel Unsinn. Sollten wir eine zweite Nacht hier zubringen müssen ohne Feuer und ohne Warmes kochen zu können, so müßten wir uns wenigstens so viel als möglich vor dem Erfrieren schützen. Wir fingen nun an, etwas oberhalb unserer Bivouakstelle einen Raum Schuttes umzugraben, um trockenen Boden zu erhalten; dann trugen wir, um uns zu erwärmen, Steine herbei und fingen an, gegen die Windseite eine Mauer aufzuführen, hinter welcher wir, wenn es hätte sein müssen, auf einander gekauert und halb in den Boden eingegraben die zweite Nacht zuzubringen versucht hätten. Es war Mittag vorüber, aber Niemand mochte essen; eine düstere Stimmung hatte sich meiner Leute bemächtigt. Da schien das Schneegestöber durchsichtiger zu werden, wie Lichtblicke im Nebel erglänzten einzelne Stellen der allgemeinen grauen Wand. Da bat Caspar, rechts von den Felsen Ausschau halten zu dürfen. Ich erlaubte es ihm unter der Bedingung, daß er nicht vom Fuß der Felsen sich entfernen dürfe.

Er war keine Viertelstunde fort, als hie und da der Nebel zerriß, einzelne Schneefelder und Hörner kamen zum Vorschein und als um 2 Uhr plötzlich der Nebel von unserm Gletscher wich, erkannte ich an der Hand des Blattes Obergestelen, wo wir waren. Wir saßen hoch oben auf dem Galmifirn am Südfuss des Oberaar-Eothhorns, uns gegenüber lag die gestern gesehene blaue Eiswand, es war die Nordfläche des Vorder-Galmihorns. Nun that es sich auch unten auf dem Fieschergletscher auf und da sahen wir Finster aar-Bothhorn, Rothloch und bald auch die Wannehörner. Caspar, der, als ich beim ersten Aufheitern durch Blick auf die Karte sogleich erklärt hatte, wo wir seien, noch immer auf seiner Idee bestand, das Oberaarjoch liege im Hintergrund des Gletschers, an dem wir bivouakirt, gab sich nun besiegt und nachdem ich befohlen, alles aufzupacken, steuerten wir, uns in der Höhe haltend, gegen Westen und bald, als wir den äußersten, südwestlichen Ausläufer des Oberaar-Roth-horns passirt hatten, glänzte wie gestern um diese Zeit das gelbe Hüttli am Oberaarjoch sirenenhaft in 's Gletscherland hinaus. Nun stürmten wir in wohl-begreiflichem Jubel durch fußtiefen frischen Schnee dem Clubisten-Eldorado zu, das uns um 3 Uhr Nachmittags, genau 24 Stunden, nachdem wir es zuletzt von der Bieligerlücke erblickt hatten, in seinen gastlichen Raum aufnahm.

Wie ein Feenpalast kam uns das zierliche Club-zimmerchen auf dem Oberaarjoch vor. Hell, freundlich, sauber, mit allem Comfort ausgerüstet, mit Stühlen, Tisch, Bänke, Kochofen, Theemaschine, vollständiger batterie de cuisine für 6 Mann, Handtuch, Sage, etc., endlich, last but not least, einer Pritsche voll saubersten duftigsten Bergheus. Kein Wunder, daß wir es uns den Rest des Tages recht gründlich wohl sein ließen. Da ich noch Kaffeepulver und Tapioca-conserven genug hatte, zudem Käse, Brod und ge- troknetes Fleisch übrig war, lebten wir herrlich und in Freuden, kochten Kaffee und Suppe nach Herzenslust und trockneten in der behaglichen Wärme des Zimmerchens unsere nassen Kleider. Der Abend war ganz klar und am Platz des Schneesturms trat bittere Kälte ein. Großartig ist der Blick von der wie ein Adlerhorst auf hohem Felsen, 150 Meter hoch über dem Studerfirn thronenden Hütte, welche auf der Südseite sich an eine senkrechte Felswand lehnt, an welche sie noch durch Eisenstangen befestigt werden soll.Prächtig nimmt sich das Finsteraarhorn in seinem scharfen Ostprofile aus, davor der zuckerstockförmige Kegel des Finsteraar-Rothhorns; links streckten die Wannehörner ihren langen Gipfelgrat in den klaren Abendhimmel hinaus, leicht geröthet von der untergehenden Sonne. Das scharfkantige Wasenhorn und der Eselsrücken des Vorder-Galmihorns schlössen dieses Gletscherbild ernster Natur ab. Im Hintergrund trat bescheiden das weit hinunter eingeschneite Eggischhorn hervor. „ Was denken sie wohl dort, wo wir steckendachte ich fortwährend bei mir, da wir ja schon gestern im Eggischhorn erwartet wurden. „ Wenn sie gescheidt sind, so schicken sie Jemand zum Joch über dem Märjelensee, um zu sehen, ob Licht in der Oberaarhütte scheint; sehen sie heute Abend unser Licht in der Hütte, so können sie denken, wir seien geborgen, " Noch war kein Verlaß auf das Wetter, finstere Wolken stiegen wieder von Süden über Italien und den Alpen von Binnen herauf. Um 9 Uhr legten wir uns nieder. Etwas nach Mitternacht wurde ich durch Stöße aufgeweckt, wie wenn Jemand unter unserer Pritsche säße und mit dem Rücken dieselbe heben wollte. Diese Stöße machten das ganze Gebäude erzittern. Wie brüllender Donner toste der Windsturm an unser Obdach und das Gebäude ächzte und krachte, daß uns angst und bange wurde, wir könnten sammt der Hütte weggetragen werden. Wie wäre es uns nun diese Nacht auf dem Galmi ergangen? Der Sturm unserer Bivouaknacht war ein Kinderspiel gegen diesen Orkan. Gegen Morgen gab der Sturm etwas nach und als wir um 6 Uhr die Thüre unseres Asyls aufthaten, schneite und stürmte es fort wie im Winter. Von Grünhorn- lücke-Eggischhorn kann keine Rede mehr sein, ich würde mich bedankt haben, stundenlang in zwei Fuß tiefem frischem Schnee zu waten; daher zu Thal über das zahme Oberaarjoch so schnell wie möglich! war die Losung.

Um 7 Uhr verließen wir unser lieb gewordenes Hüttchen voller Dankbarkeit gegen unsern S.A.C., der solche Asyle aufbaut, nicht nur um allen möglichen Bergfexen die Befriedigung ihrer Kletterlust zu ermöglichen, sondern um verirrten Wanderern und ernsten Forschern in der Wildniß Asyl, ja vielleicht Lebensrettung, zu bieten. Wir stellten alles in Ordnung her, ich constatirte den Bestand der Ausrüstung, schrieb mich in 's Buch ein und schloß die Thüre mit dem festen Vorsatz: Auf Wiedersehen! MusterhüttliIn dickem Schneesturm und Nebel stiegen wir zum Joch empor und da wir eine scharfe Gwächte für den Kamm hielten, wären wir beinahe wieder irre gegangen und wieder gegen den Studerfirn abgestiegen, als plötzlich Menk rief: « Vater, mer sy umhi lätz! » und richtig thronte die Clubhütte links über unsern Köpfen! Nun stellte ich mich an die Spitze der Colonne und that C. Blatter, der an den Augen leidet, an den Schwanz, nahm meinen Compaß zur Hand und steuerte gerade Ost. So erreichten wir in einer Viertelstunde das Joch und stiegen auf den Oberaargletscher hinab, wo wir uns beim besten Willen nicht mehr verirren konnten. Weiter unten, in der Höhe des Thierbergs, traten wir aus dem Nebel und Schneegux heraus und es fing säuberlich an zu regnen.

An den Abhängen des hinteren Zinkenstocks sahen wir fünf Gemsen friedlich sich auf einer kleinen Schneeplötsche tummeln. Es war in C. Blatters Wildschutzrevier und er erklärte, es seien gegenwärtig in den Gebirgen der Oberaar wieder Rudel von 15-20 Stück bei einander.

Um 11 Uhr waren wir bei der verlassenen Hütte an der Oberaar. Wir hielten hier Mittagsrast und verzehrten den Rest des Proviants, stiegen dann, um möglichst rasch wieder in 's Rhonethal zu einem Telegraphenbüreau zu gelangen, hinter der Oberaarhütte gegen den Trübtensee empor, südlich von diesem hinauf zum Sattel westlich des kleinen Sidelhorns bei 2651 m und hinab über die Grimselwänge, merkwürdige weitausgedehnte Rundhöckerbildungen, zum Grimselsträßchen hinab. Wir kamen wieder an unserm früheren Quartier Altstaffel vorbei, die Sennen waren jedoch anderswohin gezogen. Um 7 Uhr waren wir glücklich, wohl und munter zurück in Ulrichen, von wo ich sogleich nach dem Eggischhorn unsere glückliche Rückkunft in 's Thal telegraphirte. Nicht den geringsten Schnupfen hatte uns dieses Sturmbivouak eingebracht, was wohl dem zuzuschreiben ist, daß wir uns in der Clubhütte gehörig durchwärmen und trocknen konnten. Wie ich später erfuhr, hatte Niemand daran gedacht, vom Eggischhorn aus nachzusehen, ob am Abend des 15. in der Oberaar Licht zu sehen sei, was durch die dunkle Nacht ganz gut möglich sein muß, da das Fenster der Clubhütte gegen Süden sieht. Als wir am 14. Abends nicht einrückten, war man der Meinung, wir seien bei dem schlechten Wetter gar nicht fort. Es kam aber durch Kutscher von Biel aus Nachricht, wir seien den 13. aufgebrochen und als man am 15. Abends noch immer nichts von uns wusste, wollte Herr Kathrein schon Leute in der Nacht ausschicken, uns aufzusuchen, als mein Telegramm männiglich Beruhigung brachte, nicht am wenigsten meiner lieben Frau, die, obgleich meinetwegen sonst sehr ruhig, doch anfing sich zu ängstigen.

3. Topographisches.

Das Resultat dieser Tour war in touristischer Beziehung von nicht unbedeutendem Werth. Bekanntlich ist der Aufstieg von Fiesch nach dem Oberaarjoch längs des beinahe ungangbaren Fieschergletschers nicht nur äußerst mühsam, sondern beim Aemmerbach, der fallenden Steine wegen, sehr oft gefährlich. Auf die gefährliche Passage am Aemmerbach folgt die scheußlich zerschrundete Partie des obern Fieschergletschers, wo man in gewissen Jahren auch beinahe nicht durchkommt. Dies Alles vermeidet man, wenn man die Bieligerlücke überschreitet, um vom Gomser-thal nach dem Oberaarjoch zu gelangen. Wer eine Stunde früher aufbricht als wir, z.B. im Hochsommer, wird von Münster aus die Tour beginnen, wo ein treffliches Hotel ist. Will man die Tour abkürzen, so kann man Abends bis zum Bieligerstaffel gehen und dort übernachten, so erspart man von Münster aus mindestens 2 Stunden. Zudem ist das obere Bieligerthal sehr schön und pittoresk, der Aufstieg zur Lücke eine allerliebste Kletterei ohne alle Schwierigkeit, der Blick auf die Firnreviere des Fieschergletschers im- posant .Die ganze Tour bis zum Oberaarjoch wird von Biel 8-9, von Münster aus 10-11 Stunden erfordern.

Durch die treffliche Karte Nr. 490 ( Obergestelen ) von Herrn Ingenieur Frdl. Becker ist erst Klarheit in die Nomenclatur dieser Gegend gekommen. Jetzt erst stehen die verschiedenen Galmihörner am rechten Ort. Bei der Zeichnung der Bieligerlücke habe ich bloß zu bemerken, daß auf der Karte der Gletscher auf der Bieliger Seite bis zur Lücke hinauf gezogen erscheint, während eine mindestens 40-50 m hohe Felswand sich schroff, mauerartig, ohne Unterbrechung vom Wasenhorn zum Vorder-Galmihorn hinüber zieht. Was die Nomenclatur dieser Partie anbetrifft, so ist wünschenswerth, daß die verschiedenen Rothhörner in jener Gegend von einander unterschieden werden; deßhalb nenne ich das Rothhorn am Südostfuss des Finsteraarhorns, an dessen Fuß das Rothloch liegt: Finsteraar-Rothhom, 3549 m, dasjenige Rothhorn zwischen Oberaarjoch und Hinter-Galmihorn: Oberaar-Rothhorn, 3458 m. Interessant ist der Name der Rossenhörner zwischen Oberaar-Rothhorn und Löffelhorn. Wir haben es hier offenbar mit einer Wurzel zu thun, die mit dem Ausdruck Ross für Pferd absolut nichts gemein hat. Es ist dieselbe Wurzel wie in Rosenhorn, Schneerose etc., offenbar mit Runse zusammenhängend.

Herr Becker gibt eine andere Erklärung ( siehe unten ). Derselbe schreibt mir auf Anfrage wegen einiger oben angeführter Namen ( z.B. Gälmiengrat, dem Fundort der Amethyste ) Folgendes:

„ Der Name Bieligerlücke scheint mir auch ganz passend. Den Namen Wallithal habe ich weggelassen, das Thal selbst hat zwei Namen, die linke Thalseite mit der Alp heißt: Bieligerthal, die rechtsseitige Alp Selkingerthal, der Bach: Wallibach. Der Name Gälmiengrat ist offenbar identisch mit Galmigrat. Was Galmi und Gälmien heißt, ist mir unklar, jedenfalls steckt das Wort Galen, Galm, Galmgrat dahinter, Gälmien oder Gälmje — schmaler Grat, wie alpien aus alpje, sewien aus seewje; Seeli ( Pluralis ).

Ein directer Uebergang vom Galmifirn in 's Bächithal ist jedenfalls möglich und könnte man jene Lücke zwischen Vorder- und Hinter-Galmihorn: Galmilücke oder Bächilücke nennen; Schwierigkeiten könnten einzig auf der Westseite wegen sehr steiler Gletscherwand sich bieten. Den Uebergang Galmifirn-Münster-gletscher haben Sie selber unfreiwillig recognoscirt. Bei gutem Wetter dürfte derselbe ohne welche Schwierigkeiten zu bewerkstelligen sein. Leicht ist der Uebergang vom Münstergletscher in 's Bächithal entweder direct südlich von Punkt 3247 m oder nordwestlich von Punkt 3091 m ( Firrenhorn ). Wir haben dort einmal zwei Wilderer zu einem offenbar nicht beabsichtigten Abstieg veranlaßt. Auf den Münstergletscher selbst ist zu gelangen von Süden über das Firrenhorn gegen Punkt 2820 m oder dann über das Platt und den Rossen ( Rossen = viereckige Löcher, in denen sich Wasser sammelt, ähnlich wie in den Riedern und Torfmooren ). Uebergänge vom Münstergletscher auf den Oberaargletscher gibt es mehrere: bei Punkt 2931 m ( Thalschyen ), zwischen 3113 m und 3183 m, bei 3108 m und links ( westlich ) 3154 m, ob man aber bei den zwei letzteren direct auf den oberen Theil des Oberaargletschers hinunter steigen kann, bezweifle ich, der starken Schrunde wegen; man müßte um den Punkt 2790 m herum schwenken und käme dann bei den letzten rechtsseitigen Felsen des Oberaargletschers auf dessen Mitte; damit wäre aber der eigentliche Zweck eines solchen Uebergangs mit Endziel Oberaarjoch verfehlt und wäre ein Uebergang südlich Rothhorn ( bei 3305 m ) rathsamer. Uebrigens könnte man diese Lücke als am Ende des Galmißrns: Galmilücke und die vorher besprochene bei 3402 m: Bächilücke nennen. Den Namen Löffeltätsch kann man meinetwegen aufnehmen. Solcher Tatsche, allerdings nicht immer in Verbindung mit einem Löffel oder einem andern Eßinstrument, gibt es allerdings viele, es sind gewöhnlich Lugplätze der Jäger und mit Vorliebe auf der Sonnenseite ( stimmt !), wo man auch angenehm etwa einschlafen kann. Hangend Gletscher statt Hangend Firn: meinetwegen, richtiger wäre vielleicht Gletscher. Mit den Namen habe ich in diesem Gebiete meine liebe Noth gehabt und ist gerade in solchen Gebieten ein ungemein uner-bauliches Frage- und Antwortspiel, bei dem der Antwortende immer mit dem Fragenden wechselt. "

„ Daß Sie den Beweis geleistet, daß die Bieligerlücke der richtigere Weg nach dem Oberaarjoch ist, als über den Fiescherfirn, freut mich sehr; allerdings entgeht einem der Anblick des wilden oder wildesten Fieschergletschers. Das Gebiet der Galmihörner ist überhaupt werth, mehr besucht zu werden, als es bis dahin geschah, und wäre das hauptsächlich eine lohnende Aufgabe für das Excursionsfeld des S.A.C.u So weit Hr. Becker.

So viel mir bekannt, ist keines der Galmihörner, noch das prächtig-stolze Wasenhorn bestiegen; Gälmiengrat, Firrenhorn, 3280 m, und Kastlerhorn, 2844 m, dürften wohl schon von Jägern und Hirten bestiegen worden sein. Ich schließe mich der von Herrn Ingenieur Becker vorgeschlagenen Nomenclatur vollständig an und fasse sie folgendermaßen zusammen:

1Lücke zwischen Wasenhorn und Vorder-Galmihorn: Bieligerlücke. 3158 m.

2 ) Lücke zwischen Vorder- und Hinter-Galmi- horn. ( Uebergang vom Galmifirn ins Bächithal ): Bächilücke. 3402 m.

3 ) Lücke zwischen Hinter-Galmihorn und Ober-aar-Rothhorn ( Uebergang vom Galmifirn auf den Münstergletscher ): Galmilücke. 3205 m.

4 ) Ferner ist noch ein von Mrs. F. T. und E. P. Wethered den 22. August 1879gemachter Uebergang zu erwähnen, südlich vom Oberaarjoch und nördlich vom Oberaar-Rothhorn bei der Quote 3325™, vom Oberaargletscher nach dem Studerfirn und Rothloch, welches ^Kastenjoch " genannt wurde. Der Name rührt von einem alten Panorama im Eggisch-hornhôtel her, wo das Oberaar-Rothhorn fälschlich Kastenhorn heißt. Da aber das Kastenhorn ganz anderswo liegt, nämlich südlich zwischen Bächi- und Münsterthal, so fällt der Name Kastenjoch dahin, und ich schlage vor, diesen Paß Rothhornjoch oder noch besser Oberaar-Rothjoch, zum Unterschied vom gegenüber liegenden Rothhornsattel ( zwischen Finster-aar-Rothhorn und Finsteraarhorn ) und dem Roththalsattel an der Jungfrau zu nennen.

5 ) Der Uebergang vom Münstergletscher an den Rossenhörnern vorbei ( bei 3108 m ) direct vom Münstergletscher auf den Oberaargletscher: Rossenjoch.

6 ) Der Uebergang aus dem Bächithal in 's Bieligerthal bei 3143 m, südlich vom Vorder - Galmihorn Gälmiengrat, und die südlich davon gelegenen Spitzen 3241 m und 3233 in: Gälmienhörner, und endlich:

7 ) der Uebergang vom Bächigletscher nach dem Münstergletscher, südlich des Hinter-Galmihorns ( 3482 m ), zwischen letzterem und dem Firrenhorn ( 3280 m ) bei 3247 m, Firrenlücke oder Firrengrat.

4. Geologische Notizen.

Es bleibt mir zum Schluß noch übrig, einige Worte über die geologischen Verhältnisse der Gomseralpen beizufügen, welche der Hauptzweck und die nächste Veranlassung zu den erfolgreichen Begehungen des letzten Jahres waren. Wie schon erwähnt, habe ich eine bisher nicht bekannte Zone von Granit ( Gneißgranit, Protogin ) constatiren können, welche südlich des Wannehorns am Fieschergletscher anhebt und sich in einer größern Mächtigkeit von höchstens einem Kilometer durch den Hintergrund der Thäler von Bieligen, Bächi, Munster, Trützi, Oberthal, « tthtfiàl bis zu den Sidelhörnern und dem GrimselpâB éïstretfKt, Wo dïeseïbe Granitzone zu einem wenige Meter breiten Gange verschmâlert erscheint. Als Hauptfoftnätiön der Gömseralpen erscheint südlich 8er Graiiitzöiie der Gneiß der südlichen Zone des Fiftsteraar'hófn-Cèntralmassìvs. Es sind diese Gneiße in Aussehen und Zusammensetzung wesentlich verschieden von den öneißen der nördlichen Zone, z.B. den Gneißen der Jungfrau, des Mettenberges, Schreckhorns oder des Trugbergs. Die Gneiße der südlichen Zone sind entweder wie am Nollen bei'm Grimselspitäl selir grobflasrige Protogingneiße und Augengüeiße Mt schuppigem grauem Glimmer, großen Feldspatfi'kry-stallen und linsenförmigen Quarzkörnern oder eigentliche Augengneiße mit großen eingewachsenen Feldspathkrystallen, welche bis zolllang werden und porphyrartig in einem silberglänzenden, manchmal glimmer-schieferartigen Gneiß, meist aber in einem blättrigen sericitischen Schiefer oder Gneiß eingewachsen sind. Diese prachtvollen sericitischen und glimmerigen Augengneiße treten am schönsten im mittleren und unteren Theile der Thäler von Trützi, Oberthal und Kühthal, sowie auch oberhalb Obergestelen auf. Wunderschöne Abänderungen finden sich in den Mauern an der Poststraße bei Ulrichen, Münster und Biel. Durch diese mächtigen Zonen von Augengneiß nun ziehen sich sehr regelmäßige Zonen eines zerreiblichen, weiß-silbergrauen, glänzenden Sericitschiefers, der durch Aufnahme von Quarz- und Feldspathkörnern Sericitgneiß wird. Diese Zone hebt auf der Höhe des Grimselpasses an, ist nachzuweisen ob « den Zeichen* an der Grimselstraße, oberhalb der oberen Sennhütte im Kühthal, am Eingang des Trützithales, unter dem Eggisehhornhotel, dann weiter unten ob Mund, ob Baltschieder u. s. w. Durch das ganze südliche Gneißmassiv durch sind mehrere dieser Sericitgneiß-Einlagerungen zu constatiren. Es sind mindestens zwei, eine obere und eine untere. Endlich bleibt noch eine Einlagerung von Hornblendefels zu erwähnen an der Furkastraße zwischen Gletsch und Oberwald und eine interessante schmale Zone von Kalkstein und Dolomit im Thalgrund bei Obergestelen und Ulrichen. Sie bildet die Fortsetzung der Kalkschiefer an der Furkastraße auf der Höhe und bis Realp und Andermatt.

II

Freie Fahrten.

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