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Aufgaben für die kleineren Leute unter den Alpenclubisten

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für die

kleineren Leute unter den Alpenclubisten.

Ein Sendschreiben an Hrn. Dr. A. R. in Bern

Hans Wieland.

von

Nicht genug, vereintester Kriegsgefahrte in den Bivouaks und dem unschuldigen Pulverdampf friedlicher Kriegsmanöver! nicht genug, dass Sie mich zum Alpenclubisten gepresst haben, mich, den Mann der Ebene, des breiten Thales, der ehrlichen Landstrassen — nein, nun steigern Sie Ihre Forderungen, nun soll ich Ihnen auch einen Beitrag liefern zum ersten geistigen Lebenszeichen des S.A.C. Ich befinde mich gegenüber Ihrem Ultimatum in peinlichster Lage. Ich kann Ihnen von keinem kühnen Gang jäh am schwindelnden Abgrunde, von keinem Steigen über die Granitblöcke der Hänge und über die Schrunde der Gletscher, von keinem Blicke tief hinab in die Thäler durch die zerrissenen Nebelwolken berichten.

Ich habe nie auf den steilen Eishalden des Finsteraarhorns bivouakirt; ich bin nie um die Riesenhäupter unserer Alpen gestreift auf Pfaden, die selbst der Gemsenbädeker mit keinem Kreuz uns andern Philistern empfohlen. Kurz, ich habe kein hochzeitliches Gewand an. Wie soll ich es wagen, mich in den Kreis der stolzen Pioniere unserer Alpen zu drängen?

Allein ich weiss, Sie halten Ihre Beute fest; das Wort, das Sie mir in einer unvorsichtigen Stunde entrissen, fesselt mich; Sie lassen mich nicht los 5 und will ich in Frieden mit Ihnen fortleben, sollen nicht unsere Beziehungen für das nächste Jahr getrübt werden, so muss ich, wohl oder übel, Ihrem Wunsche willfahren. Wenn ich aber nur wüsste, was ich schreiben sollte, das die Mitglieder des h. Alpenclubs interessiren dürfte, mit was ich deren Aufmerksamkeit zu fesseln vermöchte!

Sie haben mir hingeworfen, dass ich als Chef des Generalstabes des durch Sie und Meister Adam verewigten Truppenzusammenzuges im Hochgebirg wohl Manches von Interesse über Verpflegung im Berglande mittheilen könnte. Gehorsamster Diener, edler Menschenfreund! Die Genügsamkeit und Ausdauer des schweizerischen Alpenclubs in allen Ehren, aber Tag für Tag le potage und das zähe gesottene Kuhfleisch, an dem unsere Emmenthaler, St. Galler, Walliser etc., den hohen Generalstab inbegriffen, wie Sie aus eigener Anschauung wissen, mit Wehmuth und Hunger kauten — toujours perdrixdas wäre sicherlich den kühnen Berggängern, für die doch Ihr Buch bestimmt ist, zu viel zugemuthet.

Oder soll ich Ihnen von unsern langgeöhrten Kriegs-kameraden — senza malizia — berichten, den braven Mauleseln und ihren Führern, den Signori Rinaldo, Signori Macaroni und Vermicelli mit den braunen Ban-ditengesichtern, wie sie unverdrossen über Stein und Hang geklettert und Abends auf unrechten Matten bivouakirt haben? Das ist längst schon in erschöpfender Weise vom feinen Zeichner des Thierlebens der Alpenwelt geschehen.

Was soll ich Ihnen vom Krieg und Kriegsgeschrei im Hochgebirg berichten? Hannibal hat seine Elephanten über die steilen Wege geführt, nach ihm folgte Feldherr auf Feldherr. Kein Firn, an dem nicht schon der wilde Schrei des Kampfes wiederhallte, kein Pfad, auf dem nicht im Abendsonnenschein das rothe Blut geblitzt, keine Halde, über deren sonnige Weiden nicht die Kugel gepfiffen Î Der Mensch trägt seine Noth und seine Leidenschaft über das Wasser und über die Felsen; wo die Natur ein Asyl des Friedens gedichtet, bringt er seine Waffen hin, und wohl haben die Alten Recht, wenn sie sagten: Kriegführen heisst Leben! Ueberall pulsirt das Leben, und wo seine Pulschläge beben, geht auch Schritt für Schritt ein unheimlicher rother Kamerad, der Krieg, mit.

Noch sind nicht drei Viertheile eines Jahrhunderts vorüber, da dröhnten die Schüsse auch in unsern Alpen. Wo jetzt die Ingenieure die Messtische aufschlagen, wo sich die Zeitungsblätter um die neuen Eisenbahnen herumzanken, da rang der kühne Lecourbe, da der fröhliche Gott des Gefechtes, Gudin; da erschien wie ein nordisches Wintermärchen der Steppenheld, der riesige Suwarow. Noch erzählt es der Granitblock im Trümmelnthal mit der glorreichen Inschrift: Suwarow victor

Schweizer Alpenclub34

dem staunenden Wanderer. Sie, mein Werthestcr, sind wahrscheinlich damals, als wir am sonnigen 19. August 1861 mit unsern braven Wehrmännern hinabzogen, hinab in 's gelobte Land Italien, hinab den uralten Sie-gesweg schweizerischer Legionen, theilnahmlos mit Ihrem Stabsauditor im schnellen Wagen daran vor-übergeeilt ', wir aber ein kleines Häuflein zwar wir haben dem todten Löwen unsern soldatischen Gruss geboten.

Doch, das sind alles alte Geschichten! Was bekümmert sich unsere Zeit um die Männer vom Schwert, um

— die Helden, deren Gleichen Auf Erden man nicht weist,

um die Rohan's, die Lecourbe's, die Gudin's, die Suwarow's, die Hetze's, die Xaintraille's, und so weiter, und so weiter!

Verstehen Sie mich wohl: ich meine die Welt draussen, und nicht die Männer des Alpenclubs. Die, denen kein Gipfel des Vaterlandes zu hoch, keine Halde zu steil, die, welche sichern Trittes über dem Abgrunde aufwärts ringen, haben nicht allein ein Herz für die Schönheit des Vaterlandes, nein, sie lieben auch seine Geschichte; allein was mich betrifft, so kann ich Ihnen wenig Neues erzählen; ich bin nur ein Aehrenleser \ Andere haben die reifen Garben längst geschnitten und ihr duftiges Brod den darnach Verlangenden dargeboten.

Es reiht sich Buchstaben an Buchstaben und Wort an Wort, wie in der Pelotonsschule Mann zu Mann und Rotte zu Rotte sich fügen; allein das müssige Geplauder erfüllt den Zweck nicht, den Sie mir gesetzt. Am Ende runzeln Sie die Stirne, und mit dickem Censurstrich werden meine Hieroglyphen in den Papierkorb dislocirt, wo sie jedenfalls die richtigsten Winterquartiere fänden.

Erlassen Sie mir das Lu-ther'sche Schlussbekenntniss auf dem Reichstage zu Worms! Ich will versuchen, ob es mir gelingt, die Aufmerksamkeit Ihrer Leser auf Augenblicke zu fesseln.

Ich habe zwar weder die Commandirliste des S.A.C., noch seine geheime Conduitenliste vor Augen, allein ich supponire, dass sich noch mehr solche Käuze, wie ich, in Ihre Gesellschaft eingeschlichen, die gerne der grossen Verbindung angehören, aber die stolzen Eisfirnen am schönsten finden, wenn man, in gemüthlichem Verdauungsprozess begriffen, unter der Veranda eines guten Hôtels sie bewundern kann. Mit einem ihr guten Christen und schlechten Musikanten will ich meine nachfolgenden Vorschläge nicht einleiten; allein ich denke, unter diesen gemallen Alpenclubisten gibt es immerhin auch solche, die zwar nicht das Finsteraarhorn oder die Jungfrau oder die andiern stolzen Frauen mit ihrem Besuch beglücken wollen, die aber gerne auf bescheideneren Pfaden ihre Brust in der frischen Alpenluft aufathmen lassen, und die mit Freuden und Genuss sich auch an kleinere Aufgaben wagen. Eine Reihe von solchen zu stellen, ist meine Absicht. Das werden Sie nicht missdeuten, wenn ich daran einen Gewinn für das Vaterland knüpfe; denn sicherlich ist der schweizerische Alpenclub ein patriotischer Verein, und was dem Vaterlande frommt, gehört auch in seinen Bereich.

Der Laie stellt sich den Krieg im Gebirg als etwas ganz Anormales vor, und zum Laien rechnen wir wohl mit Recht Jeden, der das Gebirge nicht kennt, trüge er selbst faustdicke Bpauletten auf den Schultern.

Am treffendsten antwortet darauf der gewaltige Gebirgs-general Herzog von Rohan, wenn er in seinen Memoiren sagt: Damals ( bei Gelegenheit seiner Campagne im Veltlin 1635 ) sah ich erst ein, dass die Berge im Grunde nicht so von der Ebene variiren und dass sie neben den gewöhnlichen Hauptpassagen noch genug Wege und Ueber-gänye haben, welche zwar nur den Bewohnern bekannt sind, die aber den Fremdlingen immer offen stehen, um die, welche sie bewachen wollen, zu täuschen. Er fügt dann später bei: Gerade bei dieser Gelegenheit, wo wir glaubten, der Berge als eben so vieler Festungen sicher zu sein, sahen wir erst recht ein, dass sie von allen Seiten offen sind, und dass, wo wir auch einen Zugang oder ein Loch zustopften, sich zehn dafür öffneten, so dass wir nicht eines, sondern tO Armeekorps bedurft hätten, um Alles zu bewachen. Ganz ähnliche Anschauungen finden wir bei Erzherzog Karl, bei Jomini und namentlich in den Befehlen und Instruktionen von Lecourbe.

Da es nun so ist, so hat auch der Krieg im Hoeh-gebirg seinen eigenthümlichen Ausdruck gefunden: er wird nicht auf dem Kamm des Gebirges, er wird in den breiten Thalsohlen entschieden. Habe ich einen Gebirgszug zu vertheidigen, so stelle ich mich mit meiner Hauptkraft im Thale da auf, wo die meisten Steige, die über den Kamm führen, zusammentreffen; ich warte, bis der Feind herabklettert und, erschöpft von endlosen Anstrengungen, im Thale anlangt, um über den Ermatteten herzufallen, ihn zu schlagen, zu vernichten. Gehe ich offensiv durch das Gebirge vor, so suche ich meinen Gegner über den gewählten Uebergangspunkt zu täuschen, zeige auf allen Wegen kleine Colonnenspitzen,

trachte darnach, seine Aufmerksamkeit abzulenken, ihn zu Detachirungen zu veranlassen5 gelingt es, so gehe ich blitzschnell über das Hinderniss mit concentrirter Kraft und entscheide den Kampf im jenseitigen Thal oder an den jenseitigen Berglehnen.

Um in beiden Fällen gerüstet zu sein, bedarf es einer ganz speciellen Kenntniss des Gebirges. Dem Ge-birgsgeneral darf kein Pass, keine noch so einsame und gefährliche Steig unbekannt sein; nicht desshalb, um sie zu besetzen und zu schliessen, nein, um zu wissen, woher möglicher Weise der Feind kommt, und zu entscheiden, welche Wege er zum eigenen Vorgehen zur Verfügung hat. Diese genaue Kenntniss des Gebirges war namentlich im Jahre 1799 den französischen Generalen eigen, sie gewährte ihnen manchen Vortheil. Ein Lecourbe kannte das ganze viel verschlungene Gebirgsland von der Finstermünz weg bis zum kleinen St. Bernhard -, der österreichische Generalstab, dessen Armee sich seit dem Mai des genannten Jahres in der Schweiz und im Gebirge schlug, wusste im August noch nicht, dass keine fahrbare Strasse von Flüelen nach Luzern längs dem Vierwaldstätter See führte — eine Unkenntniss, die Suwarow theuer genug bezahlte.

Im Allgemeinen dürfen wir uns, denen das Vaterland die Sorge für seine Vertheidigung anvertraut, wohl rühmen, dass wir das heimische Gebiet genügend kennen. Der August 1861 hat Ihnen gewiss die Ueberzeugung aufgedrängt, dass der schweizerische Generalstab auch im Hochgebirg Bescheid weiss. In dieser Behauptung liegt keine eitle Ueberhebung; allein wenn ich das sage, so stehe ich anderseits auch nicht an, zu behaupten, dass noch manche wichtige Steig im Hochgebirge sich befindet, deren genaue Beschreibung in unsern Archiven fehlt.

Wohl hat hierin Ebel und sein Nachfolger Gr. v. Escher Unübertroffenes geleistet, allein ganz ist dieses Gebiet nicht erschöpft; auch hat, seitdem J. G. Ebel mit seinen Sieben-Meilen-Stiefeln an unsern Bergen kerumgeklettert ist, Manches sich geändert; manche Notiz, die er mittheilt, ist veraltet, und hier fänden sich nun eine Reihe von Aufgaben für die kleinen Leute unter deli Alpenclubisten, die reichlichen Genuss und für den Zweck, den ich im Auge habe, mancherlei Gewinn böten. Ich erlaube mir, eine Reihe solcher kleineren Aufgaben hier zu skizziren. Finden meine Vorschläge Anklang, so kann ich später mit einer neuen und vermehrten Dosis dienen.

Ich nenne Ihnen eine Reihe von Bergpfaden, von denen eine nähere Beschreibung für die Zwecke der Landesvertheidigung von Nutzen wäre. Ich beschränke mich für heuer auf zwei Abschnitte, einerseits auf die Parallelpfade des Simplons, anderseits auf die des Splügens.

Wer sich unter den Alpenclubisten an die Aufgaben machen will, hat namentlich folgende Punkte in 's Auge zu fassen, deren genaue Beantwortung von Werth ist:

Bis wohin führt eine mit Fuhrwerken zu ge-brauchende Verbindung?

In dieser Beziehung sind wir Soldaten nicht allzu'wählerisch. Wir bringen unsere Kriegsfuhrwerke auf Pfaden vorwärts, vor denen ein nur einigermassen anständiger Droschkenkutscher das Kreuz schlägt.

Wird auf dem Pass gesäumt und in welchem Grade?

Wie weit geht der Saumpfad, wenn der Pass

nur theilweise saumbar ist? Ist früher auf dem Pass gesäumt worden? Woher kommen die auf dem Pass verwendeten Saumthiere und in welcher ungefähren Zahl sind sie gewöhnlich vorhanden?

Auf manchem Pass wird nicht mehr gesäumt, auf dem früher die Hufe der Saumthiere Tag um Tag in den Schnee und Schutt sich drückten. Eine Folge veränderter Verkehrsverhältnisse! Ueber die Nufenen und den Gries wird z.B. wenig mehr gesäumt; vor 50 Jahren noch gingen hier jeden Sommer Hunderte von Saumthieren hinüber.

Wo befinden sich die letzten Winterdörfer, wo

die letzten Sommerdörfer? In welchen Monaten sind letztere bewohnt? Bezüglich der ersteren sind Notizen über ihre ungefähren Hülfsmittel, ihre Unterkunftslokale, ihre Backöfen, ihre Brunnen, ihren Viehstand etc. erwünscht. Auch die namentliche Bezeichnung zuverlässiger und intelligenter Führer kann willkommen sein.

Wo ist der Weg steil, steinig und gefährlich? Wo überschreitet er Wasser, wo Schneefelder,

wo Gletscher?

Welche Vorkehrungen in baulicher Beziehung sind unerlässlich, um ihn gangbarer, namentlich für Pferde, zu machen?

Auch hierin begnügen wir uns mit einem Minimum. Unser Glaubensbekenntniss ist einfach: Wo eine Gaiss durchkömmt, kömmt auch ein Infanterist durch*, wo ein Infanterist vorwärts klimmt, klimmen Hunderte nach; gelingt es diesen Hunderten, sich durchzuarbeiten, so kömmt auch das Pferd vorwärts, und zwar nicht nur das an die steilen Hänge gewöhnte Bergpferd, sondern überhaupt jedes, dessen Beschlag in Ordnung ist.

Das haben wir zur Genüge erfahren. Nach dem ersten und zweiten Marschtage im Gebirg schritten unsere gewöhnlichen Reitpferde so bedächtig aus und wählten ihren Weg so vorsichtig, als ob sie aus Wallis und Bünden gebürtig und niemals ehrliche Schwaben gewesen wären.

Wie lang ist der Pass für den gewöhnlichen Fussgänger vom Aufhören der fahrbaren Verbindung bis zum Wiederbeginn derselben? Wo finden sich die steilsten Stellen und wie viel

Zeit erfordern sie?

Wo findet sich auf der Höhe Wasser zum Trinken, wo die letzten wirthlichen Sennhütten? Welche besonderen Wetterzeichen sind auf dem Pass bemerkbar, um auf die Witterimg des nächsten Tages, der nächsten Stunden zu schliessen?

Ich mische absichtlich diesen Fragen keine eigentlich militärischen bei, ich will den Alpenclub nicht zu einem rekognoscirenden Generalstab machen 5 allein da jeder Schweizer Soldat ist, so findet sich gewiss auch Gelegenheit, das eine oder andere rein Militärische über die besuchte Gegend beizufügen. Willkommen wird jede solche Bemerkung sein. Ich will überhaupt mit obigen Fragen das Thema nicht erschöpft haben, sondern nur andeuten, was am Wissenswerthesten für uns ist. Manches Andere mag sich daran reihen, das eben so werthvoll sein dürfte. Der Hauptzweck ist eben: genaue Lokalkenntniss, und diese kann nie zu gross sein.

Gestatten Sie mir nun, dass ich mit dem Meister Simplon beginne.

Die gewaltige Heerstrasse ist wie natürlich in allen ihren Details genau bekannt, allein doch finden sich Einzelnheiten, die der näheren Untersuchung werth sind, so z.B.:

1 ) Bei der Schlucht von Gondo. Wer kennt nicht das wilde Felsenchaos, das dort längs der Diveria sich thürmt, die plötzlich verkörperte Wolfsschlucht des Freischützen? Dort hat die Schweiz quer über den Weg und den schäumenden Bach eine Barrière gelegt, abgeschlossen den grossen Pfad, den Eingang in 's Wallis, und verlangt ihren Eingangszoll mit Eisen und Blut. Dem Laien mag die Barrière imponiren. Allein gibt es keinen Pfad für den kühnen Schmuggler? Da öffnet sich südlich vom siebenstöckigen Thurm von Gondo — erlauben Sie mir, den alten Namen Rüden zu gebrauchen, ich liebe diese deutschen Fussstapfen im italischen Boden — ein Thal. Grün und sonnig lacht es uns entgegen, das Thal von Varia. Aus demselben zweigt sich ein Pfad über die Furken ab, nur 1703 M. hoch. Er umgeht unsere Barrière, er führt den Feind in den Rücken derselben. Untersuchen wir ihn. Nördlich des Trümmermeeres schimmert das Alpendörfchen Alpien -, auch dort hinüber führen an den felsigen Lehnen des Kessihornes Pfade, auf denen der gewandte Bersagliere unsern bedächtig ladenden Schützen, der ihn im Grund erwartet, umgehen kann.

2 ) Im Binnenthal. Das Binnenthal ist die bedeutendste südliche Verzweigung des Gomser Thales. Aus demselben führen zwei wichtige Pässe neben ganz unwegsamen Steigen nach Süden, der eine, westlichere, in 's Val Vedro, der andere mit zwei Verzweigungen in 's obere und untere Pommât.

Der erste wird der Ritterpass genannt, italienisch Passo del Boccareccio, derselbe fällt senkrecht südlich von Binn auf den Hochkamm der Alpen und geht über Langthal und Heiligkreuz auf die Höhe, die er auf einem vom Helsenhorn herabfallenden Gletscher überschreitet, nach den Sommerhütten von la Balma und Direglio; von dort folgt er dem Lauf der Cherasea bis Trasquora, wo er in die Simplonstrasse fällt. Die Walliser haben früher dort hinüber Salz und Pulver geschmuggelt. Der zweite — der Albrunpass ( Arbelaist bekannter-, er folgt dem östlichen Zug des Binnenthaies über Imfeid und verzweigt sich dann jenseits des Kammes links am Lebendunsee vorbei nach Pommât, rechts nach den Hütten von Crempiolo und dem Laufe der Denera folgend nach Crodo. Zwischen beiden genannten Pässen zieht sich noch der Col della Rossa, der sich mit der westlichen Verzweigung des Albrun bei Crempiolo vereinigt, und die Gletschersteig durch das Kriegthal. Alle diese Pässe sind schwierig, aber wichtig genug, da sie die lokale Vertheidigung des Simplons umgehen.

Die weiter westlich gelegenen Verbindungen des Monte Moro etc. lasse ich hier ausser Betracht; meistentheils sind es auch bekannte Touristenwege. Wichtiger erscheint

3 ) der Griespass, als auch zum unmittelbaren System des Simplons gehörig. Der Pass selbst ist bekannt genug; weniger hingegen die Verzweigung über S. Giacomo nach all'Acqua im Bedrettothal, beide reich an hohem landschaftlichem Reiz; namentlich die Fälle der Tosa sind wunderbar schön.

Gehen wir zum Splügen über, so fallen hier die Pässe in Betracht, die einerseits aus dem Misoxer Thal, anderseits aus dem vielangefoclitenen Val di Lei in 's Thal des Liro und der Meira und nach Cleven führen.

Wiederum bemerke ich — wohl zum Ueberfluss — dass der Splügen bekannt ist; erlauben Sie mir aber beizufügen, dass für ein offensives Vorgehen über denselben namentlich der Besitz der Steigen von Campo Doleino aufwärts bis Pianazzo entscheidet. Wollen wir den Splügen zu einem solchen benützen, so müssen wir Herr der endlosen Zickzacks der Strasse sein, deren Zerstörung durch den Feind enorme Schwierigkeiten jedem Vorwärtsschreiten böte. Um die genannte Stelle rechtzeitig zu besetzen, d.h. bevor der Feind seine Zerstörungsarbeit beginnen kann, ist eine genaue Kenntniss der Pässe nöthig, die rechts und links von unserm Gebiete her sie umgehen. Um diese Pässe handelt es sich hier. Das Thal des Liro ist wie ein Keil in unser Gebiet getrieben; wir umfassen es von Cleven aufwärts bis auf die Höhe des Splügens; westlich zieht sich parallel mit ihm das Misoxer Thal, östlich das wilde Canicul mit seinen Verzweigungen des Hemeththales und des Val di Lei. Zwischen dem Misox und dem Thal von S. Giacomo ( Thal des Liro ) hebt sich ein langgestreckter Gebirgsrücken, der ohne merkliche Spalte vom Tomben-horn in südlicher Richtung bis zum Monte Cenere und zu den Becken des Luganer und Comer See's sich zieht; östlich läuft ein ähnlicher Grat vom Surretta-horn gegen das Bergell und bis zum Maloja. Ueber beide Rücken führen mehrfach mehr oder weniger schwierige Pfade. Beginnen wir mit den westlichen, so haben wir:

1 ) vom Dorf Bernhardin und S. Giacomo aus den Pfad über den Col Balniscio ( Dufour ) oder Baldizza ( Österreich, und italien.

Karte ) durch das Thal von Febbraro nach Isola, eine wilde Gebirgssteig über Fels-triimmer und jähe Geröllhalden.

2 ) Südlich von diesem Passe, aber höher steigend, führt der Weg von Misox über Pass Bardan nach Campo Dolcino hinunter.

3 ) Von Soazzo zieht sich durch das einsame Thal der Forcola der gleichnamige Pass über den Kamm und senkt sich in mehreren Verzweigungen nach Cleven. Rechts und links von ihm gehen kleinere Steigen in ähnlicher Richtung.

4 ) Es folgt dann von Cama aus die Forcellina, die nach Ueberschreiten der Höhe durch das lange Bodengo-thal in das Thal der Meira fällt.

5 ) Eigenthümlich interessant seiner centralen Lage wegen ist der Saumpfad über den S. Jorio, der sich einerseits nach Roveredo, anderseits nach Bellinzona abzweigt und dessen östlicher Ausgangspunkt Gravedona am Comer See ist.

Die meisten dieser Pässe erfordern 3— 4 Stunden Zeit, um aus dem Moësathal auf die Höhe zu kommen. Eigentliche Schwierigkeiten bietet wohl keiner unter ihnen. Auf den sub 4 und 5 bezeichneten Pässen wird gesäumt, auf dem sub 3 soll gesäumt werden. An landschaftlichem Reiz müssen alle diese Pässe reich sein, wenn auch nicht gerade einen Blick in weite Gebirgspanoramen bietend, immerhin aber wohl Abwechslung und Eigenthümlichkeit der lokalen Scenerie. Einige Kenntniss der italienischen Sprache dürfte für den Besuchenden fast unumgänglich nothwendig sein.

Auf der östlichen Seite des Splügens kommen wir in das wilde Canicul oder Ferrerathal. Ehe die grosse Strasse von Andeer aus in den eigenthümlichen Abschnitt der Roffla tritt, überschreitet sie auf einer Brücke einen über Felsblöcke und rothe Granittrümmer schäumenden Bergbach;

an dem linken Ufer desselben zweigt sich über glatte Felstreppen ein schmaler Weg ab. Dies der Eingang in 's Canicul. Das Thal selbst ist schmal und finster, mit Tannen bewachsen. Beim Orte Canicul zweigt sich das erste Seitenthal südlich ab, das Val Emet oder Hemeth; durch dasselbe führt eine Steig bis zur Höhe des Grates und senkt sich dann nach dem kleinen Emetsee, von wo er dem Bach Madessimo bis Pianazzo folgt; dort fällt er in die grosse Strasse. Er umgeht somit die wichtige lange Sehutzgallerie ob Isola. Gehen wir von Canicul thaleinwärts, so kommen wir bald zum kleinen Val d' Uors, dem Thor zum viel-angefochtenen Val di Lei. Der eigentliche Eingang ist zwar noch östlicher, bildet aber eine unzugängliche Schlucht, in deren düsterer Tiefe der Wildbach braust. Das Val di Lei ist bestrittener Boden. Gar zu hübsch lautet die Sage, wie dieses Stück Bergland von Bünden getrennt worden sei. Ein bestochener Aepler, heisst es, habe einen Sack lombardischer Erde mit sich über den Berg getragen, sich darauf gesetzt und dann eidlich beschworen, er sitze seines Wissens noch nicht auf Bündner, sondern auf lombardischem Grund. Durch dieses Val di Lei führt ein Pfad, allmälig über Weiden und Hänge steigend, bis zum See Ghiacciato, der bei 9000'hoch liegt. Von dort senkt er sich zum See Acqua fraggia und folgt dann dem Bach abwärts nach Cleven. Der Pass selbst muss auf der südlichen Seite mühsam und steil sein, dürfte aber einen herrlichen Blick auf die beiden mächtigen Berge bieten, die wie Thürsteher ihn rechts und links hüten, den Piz Stella und die Cima di Lago.

Parallel mit dem Val di Lei läuft das Thal von Madris, dessen Pass durch das Seitenthal del Lago noch etwas höher auch nach dem See von Acqua fraggia führt.

Diese Pässe sind uns fast ganz unbekannt; um so verdienstlicher ist eine Besteigung und die daran sich knüpfende Beschreibung derselben.

So, mein lieber Doctor! damit schliesst sich meine literarische Sünde. Gefällt sie Ihnen, so verewigen Sie dieselbe mittelst Druckerschwärze; ist sie nicht würdig, in den stolzen Reigen der Federn gewiegter Alpenclubisten zu treten, so dislociren Sie sie in den Papierkorb, wie ich Ihnen bereits angerathen.

Nachschrift. Wir haben uns wohl gehütet, dem letzt-angedeuteten Rathe zu folgen; wir glaubten umgekehrt, die Abtheilung der Aufsätze in keiner passenderen Weise abschliessen zu können, als gerade mit diesem, wo ein durch seine Neuheit spannendes Thema verflochten ist mit einer Darstellungsweise, in welcher die so zahlreichen Freunde des Verfassers mit wehmüthiger Freude ihn, wie er leibte und lebte, wieder erkennen werden. Seit es dem unerbittlichen Tode gefallen hat, unsern Freund mitten aus der Blüthe männlicher Kraft und aus frischem, fröhlichem Schaffen herauszureissen, betrachteten wir den Aufsatz gewissermassen als ein heiliges Vermächtniss. Möge auch der Club diese Auffassung theilen und u. A. davon Zeugniss geben, indem Eint'oder Anderer die oben skizzirten Aufgaben übernimmt und deren Lösung in einem späteren Jahrbuche mittheilt.

Der eidg. Oberst Wieland zählte zu jenen Mitgliedern unseres Club, die wir als Zierden desselben betrachten; denn wir werden es immer als eine den Vereinszwecken dargebrachte ehrende Huldigung, ansehen, wenn Männer von hervorragender Stellung und dieser entsprechenden ausgezeichneten Leistungen in irgend- welchem Zweige des öffentlichen Lebens sich als unsere Genossen bekennen;

namentlich wenn es in so aktiver Weise geschieht, wie hier. .Ohne selbst Bergsteiger zu sein, im Gegentheil einer der kleineren Leute, wie er sich ausdrückt, widmete Hans Wieland den verschiedenen Leistungen auf diesem Gebiete den lebhaftesten Antheil; und wie er Alles, was er unternahm, militärisch rasch und keck anpackte, und in seiner feurigen Vaterlandsliebe jeder Erscheinung die patriotische Seite abzugewinnen verstand, so war er der Erste, welcher unserer Einladung zur Mitwirkung an diesem Buche thatsächlich Folge leistete. Im vergangenen Dezember machte er sich nach gegebener Zusage sofort an den Aufsatz, inmitten zahlreicher und dringlicher Berufsgeschäfte, die er bekanntlich nie vernachlässigte, und während die Krankheit schon tief seinen Organismus unterwühlt hatte. Wer, der Wieland's Kraft über sich selbst nicht kannte, würde dies diesem heitern Styl ansehen?

, Die Schweizer Milizarmee bewahrt Hans Wieland lange in treuem und dankbarem Andemken. Der Schweizer Alpenclub wird nicht ermangeln, auch sein Scherflein für diesen Ehren-tribut zu steuern.

A. R.

V. Kleinere Mittheilungen.

Schweizer Alpenclub.

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