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Aus dem Herzen des Clubgebietes

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

Von D. Stokar ( Sektion Randen ).

Mit dem Jahr 1897 kam das vierte und letzte Jahr, da das Albulagebiet das offizielle Clubgebiet bildete. Obgleich ich nun schon drei Sommer in der Gegend von Bergün gearbeitet hatte, war noch immer einiges Interessante unerledigt geblieben, dessen Nachholung mich zum viertenmal wieder in das altgewohnte Standquartier zog. Donnerstag den 29. Juli traf ich in Bergün ein und bezog wie üblich das Hotel zum weißen Kreuz, das diesen Sommer ganz besonders stark besucht war, und in dem sich neben vielen neuen Gästen ein Kern von alten Bekannten vorfand, die seit einer Reihe von Jahren sich durch die hohen landschaftlichen Reize, die Annehmlichkeiten des behaglichen Hotels und teilweise auch durch den Reichtum der Gegend an Schmetterlingen immer wieder aufs neue anlocken lassen. Die Schmetterlingsjäger kamen diesen Sommer freilich nicht auf ihre Rechnung; es wurde allgemein geklagt, diesmal sei auch gar nichts Ordentliches zu finden.

Die ersten Tage waren trüb und neblig. Als dann die Sonne wieder Meister wurde, erhielt ich Besuch von zwei Schülern des Schaffhauser Gymnasiums, welche ich Sonntag den 1. August bei prachtvollem Wetter rund um den Piz d' Aela herum über die Fuorcla da Tschitta und den Aelapaß und Dienstag den 3. August auf den Piz Kesch führte.. Oben fanden wir leider nichts als dichten Nebel, was aber nicht hinderte, daß die Tour einen höchst vergnüglichen Verlauf nahm. Leid that es mir natürlich schon um die jungen Leute, daß sie von der prachtvollen Aussicht so gar nichts zu sehen bekamen. Ich für meine Person konnte mich schon eher trösten, da ich den Genuß schon mehr als einmal bei denkbar schönstem Wetter gehabt hatte.

Nach diesen beiden Trainierungstouren und nachdem meine jungen Begleiter nach dem Engadin weiter gewandert waren, konnte ich mit der ernsten Arbeit beginnen. Der Anfang wurde mit dem Piz Uertsch gemacht, und zwar sollte er über den Westgrat erreicht werden, der gar nicht weit oberhalb ton Bergün mit dein Muot sureint ( 2674 m ) beginnt und sich mannigfaltig gezackt und langsam ansteigend in ziemlich direkt östlicher Richtung gegen den Gipfel hinzieht. Schon das Jahr zuvor hatten wir hier angesetzt, waren aber noch in der Nacht durch ein heftiges Gewitter den Berg hinuntergewaschen worden, ehe wir nur die Waldregion überschritten hatten. Mettier und ich hatten den Weg genau rekognosziert. Wir wußten, daß wir im besten Fall eine lange und ermüdende Tour zu erwarten hatten. Zwar beträgt die direkte Distanz zwischen dem Muot sureint und dem Gipfel nur cirka 4V2 Kilometer. Die Menge von Gegensteigungen, die bei der Überwindung der zahllosen Gratzacken unvermeidlich sind, mußten aber notwendigerweise viel Zeit und Mühe kosten. Was die Schwierigkeit betrifft, so erwarteten wir nicht gerade auf große Abenteuer zu stoßen. Die erwähnten Gratzacken sehen nicht eben bösartig aus. Wohl aber schien an einer Stelle der Erfolg zweifelhaft. Etwa zwei Drittel des Weges vom Muot sureint zum Gipfel steigt der Grat aus einer tiefen, breiten Einsattelung plötzlich in jähem Schwung sozusagen senkrecht zu einer breiten, eckigen Felsbastei ( 3026 m ) auf. Ob diese direkt von vorne zu nehmen sei, erschien höchst zweifelhaft; links, nördlich, sah eine Umgehung kaum denkbar aus, und so kam alles darauf an, ob der südliche Abhang gegen die Albulastraße zu gangbarer sein würde. Bei der Umgehung des Aela hatte ich von der Fuorcla da Tschitta aus mit dem Fernrohr die kritische Stelle genau untersucht und war zu einem eher günstigen Resultat gekommen. War erst einmal diese Stelle überwunden, so lag der weitere Weg gebahnt vor uns.

Samstag den 7. August früh 3 Uhr 10 Min. brachen wir auf. Die Führung hatte Mettier; als Tourist schloß sich uns Herr Ingenieur Rüesch, ein Clubgenosse von der Sektion St. Gallen, an, ein tüchtiger Berggänger, der auch für einige Wochen im Weißen Kreuz zu Bergün Quartier genommen und mit Mettier bereits das Tinzenhorn bestiegen hatte. Zuerst durch steilen Wald, dann weniger mühsam über Grashalden, streckenweise auch über Schutt, erreichten wir in gemächlichem Schritt um 6 Uhr 30 Min. den Muot sureint. Zwischen diesem und dem niedrigeren Vorgipfel Muot ( 2363 m ) waren wir auf höchst interessante, ausgedehnte Dolinenbildungen gestoßen, wie sie sonst in dieser Gegend selten vorkommen. Auch Edelweiß fand sich massenhaft, ohne daß man ihm extra nachgehen mußte.

Der Muot sureint ist ein prachtvoller Aussichtspunkt, einer der lohnendsten der ganzen Gegend. Unmittelbar gegenüber türmt sich in überwältigender Größe der Piz d' Aela auf, ein Anblick, der mich lebhaft bedauern ließ, den photographischen Apparat nicht mitgenommen zu haben. Das hätte ein schönes Bild für das Jahrbuch gegeben. Besonders schön präsentiert sich ferner die stolze, dunkle Pyramide des Piz Ot und dahinter die leuchtenden Gletscherfelder der Berninagruppe.Vor allem interessierte uns natürlich unser heutiges Ziel, der Piz Uertsch. Der ganze lange Grat lag direkt im Profil vor unsern Augen. Hintereinander türmte sich Zacke an Zacke vor uns auf bis hinan zu der schlanken, edel geformten Kuppe des Uertsch. Auch die gefürchtete Felsbastei wandte uns trotzig ihre breite Front zu; in dem feinen Duft des prachtvollen Morgens bot das Ganze einen Anblick von hohem Formen- und Lichtreiz.

Ein halbes Stündchen rasteten wir hier und stärkten uns an dem mitgebrachten Proviant; dann um 6 Uhr 55 Min. machten wir uns an die Arbeit. Eine kurze Strecke weit ging es über den leicht gangbaren an- und absteigenden Felsgrat fort; auf einmal trennte sich aber der Grat in zwei parallel laufende, mäßig hohe Wälle, zwischen denen eine lange Reihe von Mulden eingelagert sind. Leicht an- und absteigend ging es mitten durch, meist über hart gefrorenen Schnee; mühelos stiegen wir von einer Mulde über niedere Querriegel in eine andere hinüber, ohne Aussicht, aber recht behaglich; auch kamen wir auf diese Weise unerwartet rasch voran. Es zeugt gewiß für die Zuverlässigkeit der topographischen Aufnahmen, daß diese ungewöhnliche Terrainbildung in einem so abgelegenen Gebiet auf der Clubkarte durchaus richtig und charakteristisch wiedergegeben ist.

Nach einer guten halben Stunde traten die beiden Wälle wieder zusammen zu einem einheitlichen Grat, der zunächst in eine große Zahl von derben Felstürmen aufgelöst und daher meist auf seiner Höhe nicht gangbar ist. Wir mußten zuerst nach links, dann anhaltend nach rechts ausweichen und unterhalb der Grathöhe traversieren, was über Felsbänder und Schutt ohne besondere Schwierigkeit von statten ging. An einigen Stellen gab es kurze, hübsche, aber nicht wirklich schwierige Klettereien.

Diese Strecke kostete uns viele Zeit; wir waren daher herzlich froh, als die Grattürme immer kleiner wurden und wir uns wieder anhaltend auf der Höhe des Grates halten konnten, der mäßig an- und absteigend sich in seiner Gesamthaltung ziemlich stark abwärts senkte, um dann plötzlich zu der bereits erwähnten Felsbastei aufzusteigen. Man befindet sich hier gar nicht mehr sehr hoch über der obersten Terrasse der Val Tisch; ihre Schutthalden reichen bis nahe an die Grathöhe hinauf.

Noch bevor wir den Fuß der Bastei erreichten, verließen wir die Grathöhe und wichen nach rechts aus in den obersten Teil einer kleinen Thalmulde, eines Seitenthälchens der Val Zavretta, hinein. Unsere Vermutung, dem Felsklotz werde von vorne nicht beizukommen sein, erwies sich als richtig. Die breite, einheitlich aufstrebende Mauer wies keine Stelle, bei der man ohne dringende Notwendigkeit hätte ansetzen mögen. So blieb nichts anderes, als rechts zu halten und unser Glück auf der "..

Südseite zu versuchen. Indem wir ein ziemliches Stück abstiegen, erreichten wir Über eis Schneefeld mod eine listige, scbiefrige Schutthalde die Höhe eines auf der Südseite der Bastei nach Südwesten abzweigenden Sekundärgrates, und hier zeigte sich gleich, daß wir keine ernsthaften Schwierigkeiten zu gewärtigen hatten. Der Südabfall des Grates war weit weniger Steil als der nördliche.

Hier trennten sich unsere Wege vorübergehend. Während Herr Rüesch und Mettier sich schief, langsam nordöstlich ansteigend, gegen die Grathöhe hinaufzogen, packte ich den Grat durch ein steiles, felsiges Couloir direkt an und erreichte die Höhe ziemlich rasch, wenn auch nicht leicht. Die Sohle des Couloirs war stellenweise mit Eis ausgekleidet, und da gab es wenigstens eise Stelle, die für Einen allein etwas schwierig war. Unî-kebren mochte ich nicht, auch Mettier nicht zu Htilfe rufen, und so überwand ieh die Passage mit aller Vorsicht auf eigene Faust. Auf dem Grat War ich meinen Gefährten dann weit voraus und mußte auf sie einige Zeit warten.

£ine ziemliche Strecke weit stieg nun der felsige Grat wieder in gewohnter Weise auf und ab, doch ohne sehr starke Gegensteigungen. Dann wurde er fast eben, und von links her reichte in steiler Eiswand der Tischgletscher bis zur Höbe hinauf. Hier auf der scharfen, nach Süden stellenweise in Gwächten Überhangenden Schneeschneide galt es, mit aller Sorgfalt aufzutreten, wenn kein Unfall erfolgen sollte.

Der Gipfelkopf rückte nun doch allmählich näher, was wir offen gestanden nach der langen, ermüdenden Gratwanderung lebhaft begrüßten. 4n seinem Fuß angekommen, wichen wir zuerst etwas nach rechts aus und gewannen dann noch ein gutes Stück vor dem höchsten Gipfel den Grat wieder, über den es in anregender, aber gar nicht schwieriger Kletterei rasch aufwärts ging. Schlags 1 JDhr nachmittags erreichten wir den Gipfel nach einer Marschleistung von nahezu 10 Stunden, wovon 6 Stunden fast ununterbrochen Gratwanderung waren. Leider hatte das frühmorgens so schöne Wetter sich namhaft verschlechtert. Wir selbst saßen nicht im Nebel, wohl aber war der größte Teil der Aussicht mit Wolken verhängt. Unter diesen Umständen verwandte ich das Stündchen Rast, das wir uns da oben gönnten, zum großem Teil zu einem Schläfchen, das als wohlverdiente Stärkung trefflich schmeckte.

Bei einer frühem Uertschbesteigung im Jahr 1894 war ich mit Mettier von der Val Tisch aus über den von Norden gegen den Gipfelkopf ansteigenden Gletscherrücken auf- und über den felsigen Nordostgrat abgestiegen. Unbekannt war mir somit nur noch der am meisten benutzte Weg vom Albulahospiz aus über die Südwestwand. Dieser wurde nun natürlich zum Abstieg gewählt. Im Zickzack ging es über die in mäßiger Steilheit übereinander aufgebauten Fels- und Schuttbänder hinunter, im großen und ganzen die Richtung nach Südwesten einhaltend.

Namhafte Schwierigkeiten fanden sich nirgends/ wenB auch bra der großen Bröckligkeit des Gesteins stete Vorsicht angezeigt war. Wo der Pela aufhört, beginnen endlos lange, steile Schutthalden, die bis weit in die Alpweiden oberhalb des Hospizes hinabreichen. Hier wird man in der Regel langweilige und mühsame Arbeit finden, die uns aber zu unserer freudigen Überraschung durch ein schmales, bis fast in die Alpen hinunter reichendes Schneefeld erspart wurde. Das erleichterte und beschleunigte den Abstieg so sehr, daß wir, obschon uns durchaus nicht beeilend, schon 3 Uhr 35 Min., 1 Stunde 35 Min. nach dem Aufbruch vom Gipfel, im Hospiz anlangten. Dieser Uertschweg ist offenbar der kürzeste, direkteste und leichteste von allen, bietet aber auch weitaus den geringsten Reiz.

Abends noch za guter Zeit erreiottett wir über die Albulastraße wieder Bergün. Wir durften mit Befriedigung auf einen wohl angewendeten Tag zurückblicken; hatten wir keine spannenden Abenteuer erlebt, so hatten wir doch den ganzen Reiz des Neuen und Ungewissen empfunden und manches schöne und charakteristische Bild genossen. Für mich hatte die Tour ein besonderes Interesse als die erste lange Gratwanderung, die ich ausgeführt habe. Es dürfte aber leicht die letzte bleiben. Ich könnte nicht sagen, daß die erste Probe dieses Modesportes mir die Lust nach mehr geweckt hätte. Mein Geschmack ist es nicht, immer von neuem wieder auf und ab zu steigen. Zwei, drei Stunden lang hat es seinen Reiz; dann fängt es, wenigstens für mich, an einförmig und langweilig zu werden. Für den Fall, daB fch Lust an der Sache finden sollte, hatte ich für später noch eine Begehung der Ducankette in Aussicht genommen. Wir hätten mit dem westlichen Ausläufer, dem Piz Prosonch, angefangen und versucht, wie viele der folgenden Gipfel an einem Tage zu erreichen seien. Nach dem wenig ermutigenden Ausfall der Probe am Uertschgrat verzichtete ich aber auf dieses Projekt.

Nach einigen Tagen schlechten und zweifelhaften Wetters ging es Mittwoch den 11. August wieder einmal dem Piz d' Aela zu Leibe. Schon im Sommer 1896 war mir die Idee gekommen, es könnte vielleicht möglich sein, vom Tranter Aela aus, statt vor dem großartigen Absturz des Aelagletschers links in die Felsen der Ostwand auszuweichen und den Gletscher erst weit oben, ganz oberhalb des Gletschersturzes, wieder zu betreten, den untersten, steilsten Teil des Sturzes nach rechts zu umgehen und in den obern, weniger wilden Teil einzumünden. Mettier, dem ich diese Idee vorlegte, wollte nicht recht anbeißen. Als ich nun dieses Jahr wieder nach Bergün kam, griff ich das Projekt wieder auf und rekognoszierte mit dem Fernrohr auf eigene Faust. Ich nahm ganz deutlich wahr, daß etwa in halber Höhe des Gletschersturzes zwei übereinander liegende schneebedeckte Bänder sich ein Stück weit in die östliche Wand des südlichen, im Rugnux da dor gipfelnden Ausläufers hinein- ziehen. Von der Val Tuors ans sah es ganz so aus, als ob wenigstens eitles dieser Bänder direkt auf eine tiefe Scharte in diesem südlichen Ausläufer ausmünde, und als ich dann noch von Stuls aus wahrnahm, daß von hinten, vom Hintergrund des Üglixer Tobeis aus, diese Scharte aber eine Wand von anscheinend mäßiger Steigung zu erreichen sein mußte, war mein Plan gefaßt. Ich wollte im Üglixer Tobel ansetzen, in die Scharte aufsteigen und von dort auf der entgegengesetzten Seite de« Grates über das erwähnte Felsband den Gletscher zu erreichen »sehen. Ich versprach mir von dieser Route großen Genuß, da man dabei dein Überaus großartigen Gletschersturz des Aelagletschers sehr nahe kommen mußte. Der obere Teil des Sturzes schien keine besondern Schwierigkeiten zu bieten, da er bei weitem nicht mehr so wild zerrissen ist wie die unterste Partie. Daß ich vom Üglixer Tobel ausgehen wollte,. hatte zwei Gründe: einmal war mir der langweilige und mühsame Aufstieg zum Tranter Aela auf dem gewöhnlichen Weg gründlich verleidet, und sodann hätte ich mir schon lange gern das Üglixer Tobel angesehen, von dem aus nach Mettiers Meinung auch noch ein neuer direkter Aufstieg zum Piz d' Aela möglich wäre.

AI« am Nachmittag des 10. August das Wetter schön wurde, besichtigte ich nochmals mit dem Fernrohr genau die projektierte Route Uta setzte am Abend Mettier meinen Plan auseinander. Er erhob keine Einwendungen mehr und war bereit, den Versuch zu machen; auf seinen Wunsch sollte auch sein ältester, 21jähriger Sohn Peter mitkommen, den er diesen Sommer allmählich in den Führerberuf einführte.

Früh um 2 Uhr brachen wir auf; mit der Laterne verfolgten wir den heillos steilen Üglixer Weg, den man einschlägt, um zur Aelahütte zu gelangen. Da wo er anfängt weniger steil und rauh zu werden und nach rechts abbiegt, verließen wir ihn und stiegen zuerst durch Wald, dann über mäßig steile Weiden, streckenweise auch über Schutt in den Üglixer Tobel hinauf. Bei anbrechendem Tag machten wir um 5 Uhr weit oben, nahe am Fuß des kleinen Gletscherchens, einen viertelstündigen Halt.

Es ist eine wilde Gegend da hinten, ein auf drei Seiten von riesigen Felswänden umstarrter, schutt- und schneegefüllter Kessel. Im Süden hat man die fast senkrecht aussehende Nordwand des Aela vor sich, und zu beiden Seiten laufen die wild gezackten Gräte Aela-Rugnux da dor und Aela-Piz Spadlatscha. Leicht wäre eine Ersteigung des Aela von hier aus gewiß nicht; aber Mettiers kundiges Auge entdeckte doch gleich einige Stellen, an denen man ansetzen könnte. Es stellte sich nun heraus, daß er meine Absichten falsch verstanden hatte und meinte, wir würden den Aufstieg hier versuchen. Er war aber gleich bereit, auf meinen Plan einzugehen, und hielt ihn durchaus nicht für aussichtslos.

Es galt nun also zunächst in die Lücke zwischen der Aelawand und dem südlichen Ausläufer aufzusteigen. Um 5'/4 Uhr brachen wir auf, überquerten das kleine Gletscherfeld und arbeiteten uns Stufen hackend über eine weit hinaufreichende, hart gefrorene, stellenweise ganz zu Eis gewordene Schneezunge hinauf. Die tiefe Randkluft war nicht ganz leicht zu überschreiten; dann begann eine mittelschwierige Felskletterei. Bald trennte uns nur noch eine breite, seichte Felsrinne von der Scharte; durch sie galt es jetzt, schief ansteigend, hinüberzuklettern. Das war an und für sich nicht gerade leicht, da der Griffpunkte nicht eben viele'waren und diese leicht ausbrachen. Es konnte nur je einer auf einmal in Bewegung sein,und zwar nur mit aller Vorsieht und Langsamkeit. Es gab eine unheimliche halbe Stunde, bis wir endlich alle drei glücklich drüben waren, denn von oben her sausten fast ununterbrochen Steine kleinem and- mittlern Kalibers die Rinne herunter und schlugen krachend rings um uns her auf. Es war doch noch früh am Tag und ziemlich kühl; auch hatte sich die Sonne hinter Wolken versteckt. Wie muß es da erst am Nachmittag im hellen Sonnenschein knattern und prasseln! Wenn die ganze'Wand aus so bröckligem Gestein besteht, so wird man besser thun, den direkten Aufstieg aus dem Uglixer Tobel als allzu gefährlich nicht zu versuchen. Eine verlockende Aufgabe würde er allerdings bieten, denn die Wand ist von großartiger Wildheit.

Um 8 Uhr standen wir aufatmend in der Lücke vereint; wir konnten von Glück sagen, daß wir unversehrt davongekommen waren; gar mancher Stein war hart neben oder über unsern Köpfen vorbeigesaust; gar manchmal hatten wir uns platt auf den Boden legen und uns unter einen Stein ducken müssen, um eine neue Ladung über uns weg fliegen zu lassen. Wir konnten es kaum begreifen, daß uns der nur wenige hundert Meter betragende Aufstieg so viele Zeit gekostet haben sollte, und jetzt war alle Anstrengung und Gefahr erst verloren, denn von dem Band, über das wir auf der andern Seite in den Gletscher einbiegen zu können hofften, war nichts zu sehen; in glatter, senkrechter Wand stürzte der Grat gegen Tranter Aela ab, das gar nicht sehr weit unten mit seinem flachen Gletscherchen vor uns lag.

Jetzt was thun? Umkehren und nochmals das Steinbombardement durchschreiten? Das hätten wir nur im äußersten Notfall thun mögen. Über den Grat war auch nicht weiter zu kommen. Eine Strecke weit wäre es zwar durch einen engen, senkrechten Kamin vielleicht möglich gewesen; weiter oben war dann aber augenscheinlich jedes Vorankommen abgeschnitten.

Es blieb nichts anderes als der Abstieg nach Tranter Aela. Der sah zwar von oben ganz verzweifelt steil aus, ging aber dann über jäh aufgerichtete Platten mit genügenden Kanten und Gesimsen zum Auftreten und Halten zu unserm größten Erstaunen ohne alle Schwierigkeit von statten. Als wir nach kaum viertelstündigem Klettern unten standen und hinaufblickten, kam es uns rein fabelhaft vor, daß wir da hinunter gekommen sein sollten, so senkrecht und glatt sah die Wand aus. Das hat mich wieder einmal gelehrt, daß man über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer Passage mit Sicherheit eigentlich nichts sagen kann, bevor man mit eigenen Händen und Füßen den praktischen Versuch gemacht hat.

Jetzt was beginnen? Es w » vmk früh »9 » Tag«. Den Aela auf dem gewöhnlichen Weg zu besteigen, hatte ich keine große Lust, war er mir doch als nur mittelmäßiges Interesse bietend in Erinnerung. Ich ilaebt© daran,f^twa den Piz d' iï £»rb* Ped«r nnd einen der fiigoBX zu besuchen. Vorerst wollten wir aber doch nachsehen, ob dem Gletscher->8,turz. nicht etwa doch noch von rechts her beizukommen sei. Ziemlich verdrossen, wenig Hoffnung auf Erfolg hegend, wandten wir uns wieder aufwärts. Da auf einmal, kaum daß wir einige Entfernung von der Fels-wasd gewonnen batten, warden die beiden v

Um 8 Va Uhr setzten wir uns am Fuss der Wand in fröhlicher und hoffnungsvoller Stimmung zu kurzer Stärkung nieder. Dann nahmen wir den Fels in Angriff und erreichten in nicht gerade leichter, aber doch auch nicht abenteuerlicher Kletterei in kurzer Zeit das untere breite Band. Nan.;war fjer 8jeg.entschieden; der von jetijfe an an yerfolgende Weg lag klar vor unseren Augen. Das Band war ganz leicht gangbar und führte leicht ansteigend auf den Gletscher zu, in den es vermittelst einer sehnjalen, rasch breiter werdende! » Sflhneezunge einmandete- Wir standen nahezu in gleicher Höhe mit dem unteren, steilsten Teil des Gletschersturzes, der mit seinen wild zerrissenen, mächtigen Eisblöcken und Nadeln einen wahrhaft großartigen Anblick bot.

Um 9V4 Uhr betraten wir den Gletscher, über den wir nun langsam empordrangen, zuerst tins an Seinen rechten, westlichen Rand bal' tend, dann allmählich gegen die Mitte einbiegend. Wir hatten uns durch ein Gewirre von sich kreuzenden Spalten aller Größen und Breiten durchzuarbeiten, häufig Stufen hackend, immer wenigstens mit aller Behutsam- keit auftretend und stets nur je einer in Bewegung. So ging es freilich langsam voran, aber auch sicher, da meist tiefer Schnee auf dem Eis lag und die Spalten stets gut überbrückt waren. Bei der langsamen Fortbewegung hatten wir auch reichlich Zeit, uns umzusehen; und in der That, was sich da dem Auge bot, war des Ansehens wert. Unter uns der wilde Gletschersturz, zur Seite ein gewaltiger, gewölbter, blau durch-schimmernder Eisdom, rechts und links die tief klaffenden Spalten, in die zuweilen die Sonne bis tief hinunter schien, prächtige Farbenspiele entzündend, oben das blinkende Firnfeld, das zum Gipfel emporführt, und das alles im reinen, warmen Sonnenlicht erstrahlend, nur leicht verschleiert und im Effekt noch erhöht durch die dünne Nebelwolke, die fast jeden Vormittag, auch beim schönsten Wetter, einige Zeit lang am Aelagletscher hängt und jetzt eben im Begriff war sich aufzulösen. Eben wurde auch das stattliche, langgestreckte Bergün sichtbar, von dem aus wir ohne allen Zweifel jetzt auch erblickt wurden, waren doch nicht nur Mettiers Angehörige, sondern auch die befreundeten Kurgäste gespannt, ob unser Plan gelingen würde. Wer einmal nach glücklicher Überwindung von Mühsalen und Gefahren, einen schönen Erfolg sicher vor Augen, bei herrlichem Wetter solche Pracht geschaut hat, der durchlebt Stunden reinen Glückes, die ihm in der Erinnerung sein ganzes Leben durch das Herz erwärmen können.

Ich sage es ohne Bedenken, etwas so Schönes wie hier habe ich zuvor noch nie erblickt. Das soll natürlich nicht heißen, daß es nicht anderwärts Gleichwertiges oder auch sogar noch Großartigeres geben könne. Wer wie ich jeweils 3 bis 4 Jahre auf eine eng begrenzte Gegend verwendet und nicht weiter geht, bis er sie in allem wesentlichen gründlich kennen gelernt hat, der kommt natürlich nicht weit herum. Eine ganz große Zahl der schönsten Berge unseres Vaterlandes sind mir unbekannt geblieben. Dennoch glaube ich sagen zu können, daß dieser Aufstieg über den Aelagletscher sich in Ehren neben mancher weit berühmteren Passage behaupten kann.

Um 10 Uhr 50 Min. erreichten wir die Stelle, wo der Gletscher vorübergehend flach wird, worauf er in einer ununterbrochenen steilen Flucht bis zum Gipfel hinaufreicht. Hier befinden sich zwei tiefe, breite Spalten, die aber solid überbrückt waren und keinerlei Schwierigkeiten bereiteten. Das oberste Firnfeld hatte sich in den letzten paar Jahren gewaltig verändert. Als ich im Jahr 1894 zum erstenmal den Aela bestieg, blieben wir bis nahe unter den Gipfel auf dem Firn, traversierten dann horizontal zu den jenseitigen westlichen Randfelsen hinüber und erreichten schließlich den Gipfel über einen kurzen Felsgrat. Das gestaltete sich nun alles ganz anders. Das Firnfeld war ganz bedenklich zusammengeschmolzen; es war nur noch eine ganz dünne, schwärzlich schimmernde Lage glasharten Eises da, aus dem überall Steine und Felsen herausragten. In der obern Partie wurde der Firn durch vorspringende Felsen an einer Stelle zu einem ganz schmalen Streifen eingeengt, und nur zu oberst am Gipfelkopf hing ein kleines zusammenhängendes Schneefeld herunter.

Diese veränderte Gestaltung erleichterte nun allerdings den Aufstieg ganz namhaft. An Benutzung des Firnes war nicht mehr zu denken; das hätte eine verzweifelt lange und ganz zwecklose Stufenhackerei gegeben, denn am linken, östlichen Rand des Firns kam man ganz leicht über Schutt und kurze Felsstufen voran bis hart unter den Gipfelkopf. Dort traversierten wir vermittelst einiger tief geschlagener Stufen über das harte Eis etwas nach rechts und stiegen dann in einem schmalen Riß zwischen dem Gipfelschneefeldchen und einer rechts daran anstoßenden Felspartie vollends zum Gipfel auf.

Ich war der zweite am Seil; auf einmal sandte mir Mettier von oben einen derben, gut faustgroßen Steinbrocken zu, der mich auf den Kopf traf, und da ich, wie stets bei einigermaßen warmem Wetter, den Hut am Rucksack angehängt trug, gab es eine tüchtige Schramme, so daß das Blut im Bogen aufspritzte und ich einen Augenblick beinahe die Besinnung verloren hätte. Ein weiteres Unglück geschah nicht; mit Schnee wurde die Blutung bald gestillt, und da ich antiseptisches Verbandzeug bei mir hatte, heilte die Wunde rasch und schmerzlos in wenigen Tagen. Mettier war nicht schuldig an dem kleinen Unfall. Das Seil hatte offenbar den Stein losgelöst, und dafür konnte er doch nicht verantwortlich gemacht werden.

Um 12 Uhr, genau 10 Stunden nach dem Aufbruch von Bergün, schüttelten wir uns auf dem Gipfel freudig die Hände. Es war nun das viertemal, daß ich auf der stolzen Zinne stand, und auch heute wieder erstrahlte die wundervolle Rundsicht im hellsten Sonnenglanz. Nur zu rasch schwanden die 6k Stunden dahin, die uns Mettier gönnen wollte; dann drängte er zum Aufbruch.

Der Abstieg ging auf dem gewöhnlichen Weg ohne das mindeste erwähnenswerte Ereignis von statten. Das Felsband, über das man den untern flachen Gletscher erreicht und das bei Vereisung nicht unbedenklich werden kann, war schneefrei und folglich ganz leicht zu begehen. Noch früh am Abend erreichten wir Bergün, froh des schönen Tages und des errungenen Erfolges. Dieser freute mich doppelt, da es mir hier einmal gelungen war, eine Route zu finden, die zu allgemeiner Benutzung warm empfohlen werden darf. Von den beiden andern Aelawegen, die Mettier und ich erstmalig eingeschlagen haben, über die Ostwand und den Südostgrat, könnte ich dasselbe nicht mit gutem Gewissen behaupten. Unsere heute gefundene Route ist kaum wesentlich schwieriger als der gewöhnliche Weg von Tranter Aela aus, aber unvergleichlich viel schöner und interessanter. Natürlich wird man bei künftigen Wiederholungen auch über Tranter Aela aufsteigen und nicht unsern mühsamen und Steinschlag-gefährlichen Umweg durch den Uglixer Tobel einschlagen. Nur etwa im Spätsommer und Herbst nach einem heißen Sommer könnten die nicht mehr überbrückten und vermehrten Spalten harte Arbeit geben.

Eine Beobachtung hat mich betrübt, das bedenkliche Zusammenschmelzen des obersten Firnfelds. Ich kann es überhaupt nicht recht begreifen, wie sich der zwar nur kurze und schmale, aber immer noch recht ansehnlich mächtige und so sehr schöne Aelagletscher hat bilden können. Er hatte ja auch früher, vor dem Beginn des allgemeinen Rückgangs, nichts hinter sich als ein verhältnismäßig schmales und kurzes Firnfeld, und doch ist er unten seit dem heißen Sommer 1895 dem Anschein nach eher wieder etwas stärker geworden. Wenn das Firnfeld, wie es allen Anschein hat, noch immer weiter zusammenschmilzt, muß doch schließlich der Augenblick kommen, da unten der Eisstrom beim Mangel an genügendem Zufluß von oben mager wird und zuletzt ganz versiegt. Ob das bißchen Schnee, das im Frühling und Frühsommer und etwa nach Neuschneefällen von den rechtsseitigen Randfelsen auf den Gletscher herunterfallen mag, auf die Länge ausreicht, um ihn zu speisen, erscheint mir doch recht zweifelhaft. Jammerschade wäre es aber um den Gletscher; trotz seinen bescheidenen Dimensionen ist er ein wahres Musterexemplar von einem Gletscher und belebt den stolzen, in harmonischen Linien aufgebauten Kuppelbau des Aela aufs schönste. Man darf gar nicht daran denken, wie häßlich der Berg aussehen müßte, wenn an die Stelle der weiß und blauen Eismassen eine trostlose, gelblich-graue Schuttrinne treten müßte.

Der junge Mettier hatte sich am Aela so wacker gehalten, daß ich an einem der nächstfolgenden Tage mit ihm allein das Tinzenhorn auf dem gewöhnlichen Weg bestieg. Es war mir darum zu thun, einmal selbst den Führer zu machen und die Handhabung des Seiles aktiv zu erproben. Der junge Mettier war vor sechs Jahren als Knabe einmal mit seinem Vater oben gewesen und hätte den Weg natürlich nicht mehr gefunden. Die Besteigung verlief aufs beste. Das Seil wurde bei der eigentlichen Kletterei beständig verwendet, und zwar ging beim Aufstieg ich und beim Abstieg Mettier voran. Es bestätigte sich mir durchaus, daß die Handhabung des Seiles bei weitem nicht die Kraftanstrengung erfordert, die etwa der Unerfahrene erwartet. Allerdings hatte ich in Mettier einen gewandten Touristen zu halten, der sich nicht mit seinem ganzen Gewicht ans Seil hängte, sondern mit einem leichten Zug zufrieden war. Auch das Auffinden des Weges bereitete uns beim Auf-und Abstieg keine Schwierigkeit. Beim Aufstieg hat man hauptsächlich darauf zu achten, daß man nicht gerade aufwärts steigt, sondern rechts abbiegt und den Grat auf die hintere nördliche Seite überklettert, sowie man, bald nach Erreichung des eigentlichen Kegels, das kurze Schnee- couloir hinter sich hat. Hier gehen die meisten des Weges nicht genau Kundigen irre; wie wir den noch deutlich sichtbaren Fußspuren ansahen, ist es auch zwei Berlinern mit zwei Tiroler Führern so ergangen, die kurz vor uns das Tinzenhorn bestiegen hatten. Hinauf kommt man übrigens auch so, nur soll es auf der Mettierschen Route leichter und schöner gehen.

Wie ich früher schon mitgeteilt habe, hegte Mettier die Besorgnis, der vorspringende Stein, der die Überwindung der bekannten überhängenden Stelle unter dem Gipfelgrat ermöglicht, könnte einmal ausbrechen. Diese Besorgnis hat sich nun als unbegründet erwiesen. Der bereits erwähnte Herr Ingenieur Ruesch, der mit mir die Uertschbestei-gung ausgeführt hat, hat den Stein nach allen Regeln der Technik eingehend untersucht und erklärt, der halte noch jahrzehntelang mauerfest.

Mittwoch den 18. August bewegte sich am Nachmittag eine lange Kolonne die Val Tuors aufwärts. Es waren neun Touristen, Mitglieder der Sektionen Basel, Winterthur, Solothurn, Zofingen und Randen, alles Gäste des Weißen Kreuzes, mit Mettier, seinen beiden Söhnen Peter und Oswald und einem Träger. Ziel der Expedition war am gleichen Abend die Keschhütte und am folgenden Morgen der Piz Kesch, der auf verschiedenen Wegen erreicht werden sollte. Während das Gros die gewöhnliche Route einschlagen sollte, beabsichtigte ich mit Mettier einmal den ganzen Keschgrat zu begehen. Schon wiederholt hatte ich mir das vorgenommen, war aber immer durch verschiedene Umstände daran verhindert worden. Jetzt wollte ich den Plan einmal ausführen, und zwar wählte ich den Weg von der Fuorcla d' Eschia auf die Nadel, den im Sommer 1895 Herr Rzewuski mit Führer Engi erstmalig gefunden hat und der seither, soviel mir bekannt war, nicht wiederholt worden ist. Herr Rzewuski hat seine Tour, wenigstens im Jahrbuch und der „ Alpina ", nicht beschrieben. Es mag daher gestattet sein, daß ich diese Lücke ausfülle, handelt es sich doch immerhin um eine der wichtigsten und schönsten Touren im ganzen Clubgebiet.

In der Keschhütte ging es diesen Abend lebhaft zu; so viele Insassen hatte sie wohl schon lange nicht mehr beherbergt. Zu unserer Kolonne von 13 Mann kam noch ein weiterer Tourist mit einem Davoser Führer. Als daher die Gesellschaft nach einem ziemlich ausgedehnten, höchst vergnüglichen Abendsitz bei Wein und Gesang sich endlich auf die Pritschen verteilte, blieb für den Hüttenwart Rauch trotz aller Geduld, mit der sich die Leute ineinander pferchen ließen, kein anderer Platz übrig als die harte Bank. Um so sicherer waren wir, daß er uns morgens rechtzeitig wecken würde. Wer klug war, der sicherte sich rechtzeitig eine Schlafstelle im vorderen Raum auf dem Heu; die Matratzen im hinteren verschließbaren Raum sind zwar sehr schön sauber gearbeitet, glänzen aber nicht gerade durch sybaritische Weichheit. Wer's nicht glaubt, der sehe sich im Hüttenbuch die Zeichnung an, in der der „ Uto-köbi " in so köstlicher und drastischer Weise die Folgen eines Nachtlagers auf diesen Matratzen darstellt. Noch etwas muß mit Bedauern gesagt sein: Die Flöhe haben endlich den Weg in die sonst so saubere und trefflich unterhaltene Hütte gefunden.

Trotzdem schlief ich ganz ordentlich und trat wohl ausgeruht mit Mettier morgens 4 Uhr 10 Min. in den prächtigen frischen Morgen hinaus, als die andern eben langsam anfingen, sich den Schlaf aus den Augen zu reiben und das Heu aus Haaren und Kleidern zu lesen. Da wir einen weitaus längeren Weg vor uns hatten als sie, war ausgemacht worden, daß wir eine Stunde vor ihnen aufbrechen würden. Auch so noch mußten sie nach'aller Voraussicht vor uns den höchsten Gipfel erreichen.

Der Schnee auf dem Gletscher war ziemlich hart gefroren, so daß wir mühelos in cirka 5/4 Stunden in der Nähe der Fuorcla d' Eschia anlangten. Es galt jetzt die Stelle zu finden, bei der der Fels angepackt werden sollte. Die Route des Herrn Rzewuski war uns unbekannt; wir mußten auf eigene Faust den Zugang neu suchen; ich kann daher auch nicht wissen, ob wir ganz denselben Weg verfolgt haben wie unsere Vorgänger. Ich meinte, wir sollten zwar nicht unmittelbar von der Fuorcla aus direkt über den Grat aufsteigen, wohl aber nur ganz wenig weiter rechts, westlich auf der Nordseite ansetzen. Dort schien mir der Fels gangbare Stufen zu bieten. Ich stellte mir vor, wir würden etwa an der Stelle die Grathöhe erreichen, wo der Grat in einer kurzen, weniger steilen Schulter ausladet, und dann von dort aus den Grat bis zur Spitze verfolgen. Mettier, der sich offenbar schon früher eine genaue Route für den Fall des Bedürfnisses konstruiert hatte, war der Ansicht, einige Hundert Meter noch weiter rechts werde es besser gehen. Dort reicht eine Zunge des Gletschers ziemlich weit in die Felsen hinauf und dorthin wandten wir auch unsere Schritte.

Um 5 Uhr 30 Min. überschritten wir den ganz weit oben, nahe an den Felsen klaffenden Bergschrund, was einige Vorsicht erheischte; dann stiegen wir in die Felsen ein. Unsere Erwartung, hier harte Arbeit zu finden, erfüllte sich nicht. Im Zickzack ging es aufwärts, im ganzen in schiefer westlicher Richtung. Stets fand sich wieder ein Ausweg, wenn es einmal den Anschein haben wollte, als hätten wir uns festgerannt. Über gute Mittelschwierigkeit ging die Kletterei nirgends hinaus. Überall fand sich genügender Halt und Stand für Hand und Fuß, und das Gestein war von geradezu ideal solider Beschaffenheit. Ruhig und gemächlich ging es so aufwärts; stets war nur einer in Bewegung und inzwischen konnte der andere seine Blicke aufwärts und in die Ferne schweifen lassen. Der Gletscher zu unseren Füßen belebte sich nachgerade. Zuerst tauchte in der Fuorcla d' Eschia eine Kolonne von 4 oder 5 Mann auf; dann kamen unsere Genossen von der Keschhütte her in zwei getrennten Säulen in Sicht und schließlich folgten nochmals ihrer zwei über die Fuorcla nach. Da fehlte es natürlich nicht an hin und her gesandten Grüßen und Jauchzern.

Um 7 Uhr 10 Min. erreichten wir den Gipfel der Nadel, und zwar von Norden her. Der Grathöhe hatten wir uns nirgends genähert, sondern waren immer auf der Nordseite geblieben.

Die Gratschneide zwischen den beiden höchsten Punkten „ könnte wirklich nicht schärfer sein ", wie Güßfeldt richtig sagt. Wir brauchten uns jedoch nicht wie er „ der menschlichen Würde zu begeben " und sitzend hinüber zu rutschen. Bei genauerem Zusehen fand sich etwa in Mannshöhe unterhalb der Schneide auf der Ostseite ein schmales Gesimse, das man aufrecht beschreiten konnte, mit der Hand oder dem Pickel sich rechts seitlich an die Wand anlehnend.

Nach den wenigen im Steinmann vorhandenen Karten zu schließen, mochten wir etwa die vierte oder fünfte Partie sein, die ihren Fuß auf die überaus kühne, luftige Zinne gesetzt hat. Da unsere Genossen schon gegen die Gipfelfelsen zu rückten, konnten wir uns hier nur wenige Minuten aufhalten, wenn wir nicht gar zu lange nach ihnen auf dem höchsten Gipfel eintreffen wollten. 7 Uhr 17 Min. brachen wir wieder auf. Ich war wirklich neugierig, wie wir von der nach Westen förmlich hornartig weit überhängenden Nadel auf den Grat hinunter gelangen würden. Die Sache sah ein bißchen fabelhaft aus, mußte aber möglich sein, da unsere Vorgänger auch durchgekommen waren. Das Rätsel löste sich überraschend einfach und leicht. Unter dem Überhang durch führt hart an der Westwand der Nadel in südlicher Richtung eine Rinne in die Einsattelung am Fuß des Gipfels hinunter; es war wie eine extra angelegte, allerdings recht steile Treppe mit sehr hohen Stufen.

Einmal auf dem Grat angelangt, ging es rasch voran. Nach 23 Minuten, von der Nadel weg, standen wir auf dem mittleren Gipfel ( 3388 m ), den wir schon das Jahr zuvor bei unserem Aufstieg vom Piz Cotschen her betreten hatten. Dann folgt auf eine längere Strecke eine scharfe Schneekante, auf der es etwas zu balancieren gab. Ein sich gleich darauf vor uns erhebender steiler Gratturm hielt uns diesmal, da wir zu zweien statt wie voriges Jahr zu dreien waren, nicht lange auf und dann ging es wieder rasch voran, bald über Schnee, bald über Fels. An einer Stelle hatte sich zwischen dem Felsgrat und dem von Norden heraufreichenden Schneemantel ein schön blauer Miniatursee eingebettet, der zur Hälfte noch gefroren war.

Bald nachdem die Stelle passiert war, an der wir voriges Jahr nach Norden zum Gletscher abgestiegen waren, stieg wieder ein hoher, steiler Gratturm vor uns auf. Auf der uns zugekehrten Seite bot er augenscheinlich keine Schwierigkeit; wohl aber mußte nach Mettiers Ver- Sicherung die hintere Seite schlimm zu begehen sein. Wir versuchten es daher, ob wir den Zacken nicht vielleicht auf der Nordseite umgehen könnten. Hier passierte mir nun etwas, das zu meinem großen Verdruß in entstellter und kraß übertriebener Darstellung die Runde durch einen großen Teil der schweizerischen Presse angetreten hat. Wir waren am Seil, ich voran, während Mettier weiter oben das Seil hielt. Das Terrain sah vollkommen harmlos aus. Ich betrat eine steile, enge, mit Schutt gefüllte Rinne, und kaum hatte ich den ersten'Schritt auf diesen Schutt gethan, da wurde unter und über mir alles lebendig und rasselte unter großem Gepolter mit mir abwärts. Das Seil war nahezu gespannt; Mettier hielt fest und das Seil riß nicht, und so war das Abenteuer im Augenblick zu Ende. Als ich schon am gespannten Seil hing, wälzte sich ein großer Stein langsam über meinen Nacken und Kopf, ohne mich zu beschädigen, nahm aber wenigstens meinen Hut mit, den ich diesmal ausnahmsweise auf dem Kopf trug. In der Überraschung ließ auch Mettier seinen Pickel fallen, der in großen Sätzen auf den Gletscher hinunterflog und hart vor dem Bergschrund stecken blieb.

Der Vorfall hat mir viel Ärger und manche recht überflüssige Moralpredigt eingetragen. Es war kaum der Mühe wert, ihn nur zu erwähnen. Für solche Vorkommnisse, die hie und da unvermeidlich sind, bindet man sich eben ans Seil. Führer und Seil haben ihre Pflicht gethan und damit war die Sache in Ordnung.

Besondere Wahrnehmungen über ausnahmsweise beschleunigte Gedankenfolge habe ich diesmal nicht machen können. Ich hatte kaum Zeit, ein „ oho !" zu rufen oder zu denken, da hing ich auch schon am straffen Seil und das ganze Abenteuer war zu Ende. Mein erster Gedanke war der: Gott sei Dank, daß unsere Genossen uns nicht sehen können. Wir waren ihren Blicken durch den Grat entzogen. Wie sie uns nachher sagten, haben sie das Gepolter der Steine vernommen, sich aber keine Gedanken darüber gemacht, als sie wohl Steine, aber keine Menschen auf den Gletscher herunterstürzen sahen.

Wir ließen uns nicht lange aufhalten, sondern gingen gleich wieder weiter. Mit der Umgehung des Gratzackens war es aber nichts. Wir mußten wieder umkehren und den Zacken doch überklettern. Hinauf kamen wir rasch; auf der andern Seite ging es aber wirklich nicht leicht hinunter. Der Turm bricht in hoher, glatter, sehr steiler Wand ab und nur ein schmaler Riß mit ganz wenigen Griffen ermöglicht das Hinunterkommen. Das ist aber auch die einzige Stelle der ganzen Tour, die einigermaßen Anspruch auf Schwierigkeit machen kann. Wenn sie nicht wäre, würde die ganze von uns heute verfolgte Route gar nirgends über das Gewöhnliche hinaus gegangen sein. Ich empfehle ihre Wiederholung allen Kletterlustigen aufs lebhafteste als höchst interessant und genußreich.

Um 8 Uhr 30 Min. erreichten wir den Gipfel, auf dem sich jetzt eine mindestens zwanzigköpfige Gesellschaft zusammengefunden hatte. Unsere Genossen hatten die Besteigung ohne jeden Unfall, wenn auch wegen der großen Zahl der Teilnehmer etwas langsam, ausgeführt. Sie rühmten sehr die umsichtige Leitung der beiden jungen Mettier, von denen jeder an der Spitze einer Kolonne gegangen war. Auch der erst 15jährige Oswald soll seine Partie tadellos geführt haben. Es besteht somit gegründete Aussicht, daß der Führername Mettier in allen Ehren weiter leben wird, wenn einmal der Alte das Bergsteigen aufgeben muß, was übrigens durchaus nicht in naher Aussicht zu stehen scheint. Der ältere Sohn hat vergangenen Sommer verschiedene Partien ganz allein mit bestem Erfolg auf den Piz Kesch geführt, und was ihm dieses Jahr für schwierigere Touren an vielseitiger Erfahrung noch fehlen mochte, das wird er sich in der Schule seines Vaters bald angeeignet haben. Beanlagung und körperliche Eignung sind vorhanden.

Die Aussicht war auch diesmal wieder tadellos klar; bis in die fernen Tiroler, Walliser und Berneroberländer Berge hinein hob sich jede Spitze deutlich vom fast wolkenlosen, strahlenden Himmel ab. Den Glanzpunkt bildet natürlich die nahe Berninagruppe, eine unvergleichlich großartige, zusammenhängende Masse von Schnee und Eis, imponierend und harmonisch wirkend, obschon ja die einzelnen Gipfel an Prägnanz und Schönheit des Umrisses mit den berühmtesten Gestalten des Wallis und Berner Oberlandes nicht konkurrieren können.

Daß es unter so günstigen Umständen in so zahlreicher Gesellschaft fröhlich zuging, läßt sich denken. Nur zu schnell verstrich die Zeit, da mußte man schon ans Aufbrechen denken. Die größere der beiden aus dem Engadin kommenden Partien bestand zum Teil aus Clubgenossen. Die berichteten, heute mittag werde die neue Zuozer Keschhütte auf der Engadiner Seite des Berges auf Muot ot feierlich eingeweiht; wir seien zu dieser Festlichkeit aufs beste eingeladen. Obgleich wir beabsichtigten, zur Keschhütte zurückzukehren, fanden wir doch, es wäre unhöflich, einer so freundlichen Einladung nicht Folge zu leisten. Wir sandten darum den jüngsten Mettier und den Träger in die Hütte zurück, um das dort zurückgelassene Gepäck nach Bergün zu bringen und unsere Rechnung beim Hüttenwart zu bezahlen. Die anderen entschlossen sich nach längerem Hin- und Herreden alle, zur Zuozer Hütte abzusteigen. Unterwegs suchten Mettier und ich beim Bergschrund seinen Pickel. Er fand sich richtig, aber ohne Haue und Spitze. Es war freilich nur ein wenig solides, vom Dorfschmied angefertigtes Stück. Der Jörgsche Pickel, den ich Mettier als Ersatz schenkte, würde den Luftsprung wohl ohne Schaden aushalten.

Es mag wenig nach Mittag gewesen sein, als die ersten von uns bei der Hütte anlangten. Der offizielle Festredner hatte eben mit der Weiherede begonnen und nun folgten sich Gesangsvorträge eines von Zuoz heraufgestiegenen gemischten Chors, Musikvorträge, ernste und heitere, deutsche und romanische Reden Schlag auf Schlag. Mehrere Hundert Personen beiderlei Geschlechts und jedes Alters hatten sich eingefunden und malerisch um die Hütte gelagert. Es entwickelte sich ganz ungesucht ein höchst fröhliches und animiertes Volksfest. Wir wurden aufs herzlichste empfangen und mit saftigem Zigeunerbraten und Champagner bewirtet und verlebten ganz unerwartet einige Stunden urwüchsigen Festlebens.

Die Zuozer Keschhütte, auch „ Chamana Rascher " genannt nach einem großmütigen Spender, der durch ein größeres Legat den Bau ermöglicht hat, steht in prächtiger Lage auf dem Muot ot, einem scharf ausgeprägten, grasbewachsenen Grat. Im Norden grüßt die von hier aus unerhört spitz und keck aussehende Keschnadel herunter und im Süden überblickt man aufs herrlichste die Berninagruppe. Es ist schwer zu entscheiden, welche der beiden Keschhütten, die am Porchabellagletscher oder die auf dem Muot ot, die schönere Lage habe. Bei der ersteren imponiert der Kesch weit mehr, während bei der zweiten der Blick in die Ferne unvergleichlich viel schöner ist. Seien wir froh und dankbar, daß wir sie beide haben.

Die neu eingeweihte Hütte, welche ohne jede Subvention des S.A.C. von den Zuozern aus eigenen Mitteln erstellt worden ist, entspricht unzweifelhaft einem Bedürfnis, indem sie die Besteigung des Piz Kesch vom Engadin aus wesentlich erleichtert und abkürzt. Bisher mußte man von der Thalsohle ausgehen oder am Abend vorher über die Fuorcla d' Eschia zur Keschhütte hinübersteigen. Beides nahm viele Zeit weg. Von der Zuozer Hütte aus wird ein guter Steiger kaum mehr als 2 Va Stunden auf den Gipfel brauchen, bei günstigen Schneeverhältnissen sogar noch weniger.

An Komfort kann sich die neue Hütte mit ihrer älteren Schwester jenseits des Berges allerdings nicht messen. Sie ist kleiner, aus Stein gebaut und besitzt auch keinen Becker'schen Kochofen, sondern eine einfache Feuerstelle. Dagegen hat sie eine Pritsche mit guten Matratzen und bietet dem nicht allzu anspruchsvollen Bergsteiger gewiß, was er braucht. Die Zuozer haben durch diesen Bau Anspruch auf den Dank aller Bergsteiger und namentlich des S.A.C. erworben.

Nur ungern rissen wir uns von der immer fröhlicher werdenden Gesellschaft los; es mußte aber sein, denn wir hatten bis Bergün noch einen weiten Weg vor uns. An steilen Grashalden entlang zogen wir uns in leichter Steigung zu einer Gualdauna genannten Lücke in dem Bergzug hinüber, der die Val d' Eschia von der Albulastraße trennt. In die letztere mündeten wir etwa eine halbe Stunde unterhalb der Paßhöhe auf der Engadiner Seite ein. Auf diesem weiten und etwas mühsamen und einförmigen Weg löste sich die lange Kolonne in einzelne Gruppen auf, die sich erst im Weißenstein beim dampfenden Kaffeekrug allmählich wieder zusammenfanden. Etwas müde, aber froh des Gesehenen und Genossenen, rückten wir noch früh am Abend in Bergün ein.

Damit sind meine diesjährigen Leistungen erschöpft. Die wenigen schönen Tage, die ich noch zur Verfügung hatte, konnte ich nicht ausnützen, da Mettier anderweitig engagiert war. Am 27. August trat ich die Rückreise an und verließ nicht ohne Bedauern Bergün, das mir in viermaligem längerem Aufenthalt lieb und vertraut geworden ist, und seine wackeren Bewohner, unter denen ich mich nachgerade ganz heimisch fühlte. Wer weiß, ob ich einen zweiten Ort finden werde, an dem ich mich in gleich großartig schöner Gegend gleich wohl und behaglich finde.

Viel Unerledigtes lasse ich in der Gegend nicht zurück; sie ist ziemlich gründlich abgesucht. Noch wäre etwa, wie schon oben erwähnt, die Ducankette von ihrem westlichen Anfang an zu begehen, eine Aufgabe, die mich aber wenig reizt und die ich gerne den Gratspecialisten überlasse. Dann wäre, wie ich gleichfalls schon bemerkt habe, der Piz d' Aela noch vom Uglixer Tobel aus zu ersteigen. Technisch möglich scheint mir das zu sein, vielleicht aber so steinschlaggefährlich, daß es doch wohl besser unterbleibt. Jedenfalls müßte über diese Gefahr erst durch eine vorangehende Rekognoszierung Klarheit geschafft werden. Es wäre ja möglich, daß die Aelawand in ihrem westlicher gelegenen Teil aus soliderem Gestein bestünde, als in der Nähe des zum Rugnux da dor abzweigenden Grats.

Endlich wäre möglicherweise am Piz d' Aela noch eine Aufgabe allerersten Ranges zu lösen, die bereits von, den Herren Purtscheller und Dr. Blodig erfolglos versuchte Ersteigung des Berges direkt über die riesige Südwand.1 ) Wem das gelingt, der hat aber auch gleich das Aller-großartigste geleistet, was weit und breit denkbar ist. Ich habe schon früher vermutet, es könnte möglich sein, von der Gegend der Fuorcla da Tschitta aus durch ein von unten ausgehendes Couloir aufzusteigen, durch das gleiche, durch dessen obersten Teil Mettier und ich im Jahr 1895 die Höhe des Südostgrates erreicht haben, über den wir dann zum Gipfel aufgestiegen sind. Es hätte das eine reizvolle Vereinigung von Wand- und Gratkletterei gegeben, die eines Versuchs wohl wert wäre. Als ich nun dieses Jahr wieder die Rundtour um den Aela machte, sah ich mir die Sache nochmals genauer an, kam aber zu dem Schluß, sie dürfte doch wohl unausführbar sein. Das Couloir zeigt Stufen und Absätze von solcher Steilheit und Höhe, daß es schwerlich gangbar sein wird.

Dagegen zeigte sich mir weiter nordwestlich, aber nicht so weit westlich wie die Stelle, bei der die Herren Purtscheller und Dr. Blodig angesetzt haben, eine Partie, bei der mir ein Erfolg möglich schien. Etwa in der Mitte der südlichen Aelawand zeigte sich eine Folge von Gestuf im Felsen, die möglicherweise zusammenhängen könnte und dann in direktem Aufstieg zum Gipfel führen würde. Die Aelawand mag da in einem Aufschwung ca. 600 Meter hoch sein; eine Wandkletterei von solcher Ausdehnung wird man nicht leicht anderswo wiederfinden. Es wird mich sehr freuen, wenn diese Aufgabe gelöst wird. Ich will sie gerne anderen überlassen; ich habe jetzt drei neue Wege auf den Aela ausgeführt und kann nicht immer am gleichen Berg kleben bleiben.

Noch ist vom Aela etwas Interessantes zu melden. Wie mir Mettier geschrieben hat, ist es ihm Ende August gelungen, im oberen Teil des Weges von der Aelahütte aus eine Variante ausfindig zu machen, die die Ersteigung auf diesem Wege ganz wesentlich erleichtert, indem es in Zukunft nicht mehr nötig ist, die steile Eisrinne hinaufzusteigen oder, wenn diese ungangbar ist, die ziemlich schwierige oberste Partie des Westgrates zu überklettern. Man scheint etwas weiter oben als bisher in die Eisrinne einzusteigen, sie zu überschreiten und dann in den jenseitigen Felsen auf einer allerdings komplizierten und schwer zu findenden, aber an sich leichten Zickzackroute zum Gipfel aufzusteigen. Mettier meint, damit sei der Weg von der Hütte aus zum leichtesten und sichersten von allen Aelawegen geworden. Das wäre ein Resultat, das man nur begrüßen könnte. Der lange, mühsame und mäßig reizvolle alte Weg vorn herauf über Tranter Aela würde dann voraussichtlich wenigstens zum Aufstieg fast ganz außer Übung kommen; dafür würde man regelmäßig von der Aelahütte ausgehen, oder, wer die Besteigung von Bergün aus ohne Übernachten in der Hütte an einem Tag ausführen will, würde den von uns diesen Sommer gefundenen und oben beschriebenen Weg rechts auf den Gletscher wählen.

Ob in dem mir ganz unbekannt gebliebenen östlichen Teil des Clubgebiets noch etwas Wesentliches unerledigt geblieben ist, weiß ich nicht. Im westlichen Teil sind wenigstens noch zwei Aufgaben nicht gelöst, die ich beide auf mein Programm gesetzt hatte, zu deren Anhandnahme ich aber aus verschiedenen Gründen nicht mehr gekommen bin. Einmal ist die Kette Piz Forbisch-Piz d' Arblatsch noch immer nicht von der Westseite erstiegen. Wie aus einem Artikel in der „ Alpina " aus dem Jahr 1896 hervorgeht, hat Clubgenosse Sprecher seine Augen auch schon auf dieses gewiß lockende Problem geworfen. Möge er es verwirklichen.

Sodann wäre dem Piz Piatta vielleicht noch von Westen beizukommen, wie schon das Itinerar vermutet. Ein direkter Aufstieg zum Gipfel dürfte auf der Westseite bei der enormen Steilheit der Wand allerdings kaum thunlich sein: wohl aber könnte vielleicht weiter südlich der oberste Teil des großen Piaitagletschers von den Weideterrassen der Val Gronda aus erreichbar sein. Hoffentlich behält das prächtige Albulagebiet auch fernerhin seine Freunde, die ihm ihre Aufmerksamkeit schenken, auch wenn es nicht mehr Clubgebiet ist. Es ist immerhin eines der großartigsten unter denjenigen Gebieten Graubündens und der Schweiz überhaupt, in denen der einheimische Bergsteiger sich noch mit einem gewissen Behagen bewegen kann.

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