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Besteigung des Piz Tavrü und Piz Murtaröl

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E. Schenkel ( Sektion St. Gallen ).

Von Im Sommer 1897 hatte ich das Vergnügen, mit den Herren Imhof von Schiers und Ludwig von St. Gallen eine Reihe Gipfel zu besteigen. Nach einer längern Wanderung in der Silvrettagruppe und im Samnaun machten wir einen beinahe wöchentlichen Aufenthalt in Scarl, von wo aus wir mehrere Touren unternahmen und zum Schluß den Piz Tavrü besteigen wollten, um dann nach Pontresina zu gehen.

Der erste August 1897 war ein prächtiger Sonntag. Spät waren wir erst reisefertig; es mag 8 Uhr gewesen sein, als wir unserem lieben Obdache, dem Gasthaus Edelweiß in Scarl, wenigstens für dieses Jahr, Lebewohl sagten. In gemessenem Schritte marschierten wir thalauswärts, den schäumenden Bergbach zur Linken; noch einmal betrachteten wir die Ruinen der vom ehemaligen Bergwerk herrührenden Wohnhäuser. In saftigem Grün prangten die Wälder, aus deren Hintergrund die Felsmassive emporragten; zur Rechten, mit einem zarten Schneeschleier bedeckt, der Piz Madlain, aus dessen Innern man einst Silber- und Bleierze gerissen hat; dann im Vordergrund des Scarlthals der breite, kühne Piz Pisoc, mit seinem jähen Abstürze Scarl zugekehrt. Prüfend betrachteten wir diesen Gesellen, ob er wohl von dieser Seite erstürmt werden könne. Weiter links sehen wir den obersten Teil des Piz Mingèr und die benachbarten, zum Teil namenlosen Gipfel.

Ungefähr eine Viertelstunde unterhalb Scarl schwenkten wir in ein Sträßchen nach links ab und betraten bald die hübsche Val Tavrü, ein Nebenthal des Scarlthals. Dieses Thälchen, durch einen lustig dahin-brausenden Bach belebt, ist in seinem Vordergrunde mit schönem Walde bewachsen, den Hintergrund schließt in der Hauptsache der Piz Tavrü ab, während sich zu seiner Linken der Piz d' Astras und zur Rechten der Piz Poraz erhebt.

Der Piz Tavrü, 3170 Meter hoch, ist eine imponierende Berggestalt, ein breiter Felskoloß, in dessen Mitte sich der höchste Gipfel erhebt. Seine Nordseite, die er dem schon erwähnten Thale zuwendet, ist steil abfallend und jedenfalls nur unter sehr großen Schwierigkeiten und Gefahren, verursacht durch Steinschlag, zu erklimmen. Gletscher sind infolge des jähen Absturzes keine vorhanden, nur hin und wieder größere oder kleinere Schneerunsen sichtbar; rechts und links des Berges ziehen sich Geröllhalden zu den beidseitigen Einsattelungen empor, so daß der Aufstieg, soweit sichtbar, gegeben ist.

Immer mehr mußten wir unser spätes Aufbrechen büßen, denn die Sonne brannte heiß in das Thal hinab. Zwar führte im Anfang der Weg durch Wald, aber bald war auch dieser verschwunden. Die Alp, welche auf der Exkursionskarte S.A.C. 1899 den Namen Alp Tavrü trägt, ließen wir rechts liegen und zogen uns nach der links liegenden Geröllhalde, um von jener Seite aus den Berg zu gewinnen.

Bevor wir zum Fuße der Geröllhalde kommen konnten, mußten wir ein ziemlich hohes Felsband erklettern, das noch ordentlich Anstrengung erforderte. Bei dieser Arbeit schreckten wir ein friedlich ruhendes Schnee-hühnerpaar auf, welches sich in wilder Eile davonmachte.

Nun begann die Erklimmung des ersten Teils. Lebhaft wurde man an die Mühen des vorherigen Tages erinnert, nur der Trost blieb, daß diese Halde weniger steil und bedeutend kürzer war als die am Piz Cornet.

Um 11 Uhr saßen wir in der Einsattelung zwischen dem eigentlichen Gipfelstock und dem Punkt 2988 und rasteten gemütlich, in der Hoffnung, in einer guten Stunde auf dem Gipfel zu sein; doch hatten wir die Rechnung ohne den Wirt gemacht.

Neugestärkt gingen wir an die Kletterei. Da die direkte Begehung des Grates von unserem Rastplatze aus nicht wohl möglich ist, zogen wir uns etwas links in die Südflanke des Berges in einen langen Kamin, welcher ziemlich steil war, jedoch nicht allzu große Schwierigkeiten bot. In der Mitte desselben angekommen, wendeten wir uns nochmals links auf ein freies Felsenband, wo mit aller Sorgfalt, sowohl wegen der Steine als auch um ein Ausgleiten zu vermeiden, ans Werk gegangen werden mußte.

Nach kurzer Kletterei auf diesem Bande erreichten wir den gegen den Grat hin viel weniger steilen Abhang und schritten nun wieder munter aufwärts; doch als wir uns dem vermeintlichen Gipfel näherten, sahen wir zu unserer Enttäuschung, daß ein nordwestlich liegender Gipfel ein schönes Stück höher und durch tiefe Einschnitte von uns getrennt war. Wohl oder übel mußten wir uns bequemen, auf der andern Seite hinabzusteigen und diesen Gipfel zu erstürmen. Als wir bald oben waren, entdeckten wir zur allgemeinen, wenig erquickenden Überraschung, daß der höchste Gipfel des Berges ganz nordwestlich, von uns durch viele Zacken und tiefe Einschnitte getrennt liege.

Im ersten Augenblick sank mir der Mut. Von der bisherigen Kletterei ziemlich ermüdet und noch die Anstrengungen des gestrigen Tages spürend, wäre ich am liebsten umgekehrt, doch raffte ich mich auf und begann, wieder bergab zu klettern, um durch eine von weitem sichtbare Rinne oder, besser gesagt, einen Kamin wieder hinaufzusteigen.

Herr Ludwig hielt sich möglichst in der Höhe und versuchte, über zerrissene Zacken dem Grate nach den Gipfel zu gewinnen. Herr Imhof war mir schon weit vorausgeeilt und steuerte dem schon erwähnten Kamine zu; in demselben oben angelangt, entschwand er meinen Blicken. Ich folgte nach und erreichte glücklich die Rinne, welche eisfrei war und im Anfang keine große Schwierigkeit bot; doch als ich in dem obern Teil derselben ankam, wurde ich stutzig; dieser war sehr steil und mit einem Eispanzer vollständig ausgefüllt, die ihn einfassenden Felswände gingen senkrecht in die Höhe, so daß es nur möglich war, sich zwischen der rechten Wand und dem Eise hinaufzuarbeiten. Diese Strecke war nur kurz, und indem ich mit aller Vorsicht die Erzwingung dieser Partie unternahm, kam ich zwar langsam, aber doch ordentlich gut aufwärts; allerdings mußte ich, stärker als je, den Nachteil kurzer Arme und Beine empfinden. Oben angelangt, bot sich dem Auge eine wundervolle Fernsicht dar, doch hatte ich keine Zeit, die Naturschönheiten zu bewundern, denn ich befand mich auf einem ganz schmalen Grätchen, das auf der andern Seite noch steiler abfiel als die Wand, auf der ich heraufgekommen war. Nur einige Schritte, und ich war auf einer langweiligen Geröllhalde, die noch den Gipfel von mir trennte, wo Herr Ludwig bereits sein Ruheplätzchen aufgeschlagen hatte. In aller Gemütlichkeit wanderte ich nun über Fels und Geröll, etwas unter dem Grate hin, auf den Gipfel los und bald befand ich mich bei meinen Reisegefährten.

Ein Steinmann ziert den höchsten Punkt. Der Gipfel bietet für drei Mann kaum bequemen Ruheplatz.

Der Piz Tavrü dehnt sich nach Ost und West in die Breite aus und weist, wie schon erwähnt, viele sekundäre Gratzacken auf. Der Berg fällt gen Norden senkrecht ab, während er im Süden bis zum Fuße eine kahle, von Felsbändern durchzogene Geröllhalde ist. Das Gestein ist Dolomit.

Es war 23/4 Uhr, als wir auf dem Gipfel ankamen, folglich hatten wir mehr als drei Stunden an der letzten Partie geklettert; doch wurden diese Anstrengungen durch eine herrliche Aussicht belohnt.

Die Aussicht in die Berge hat sehr viele Ähnlichkeit mit derjenigen der andern Gipfel der Ofenpaßgruppe. Die Thalaussicht ist natürlich eine verschiedene. Nach Norden hat man das Thal und die Alp Tavrü zu Füßen und weiter weg sieht man ein Stückchen vom lieblichen Scarl- thal. Wendet man den Blick dem Engadin zu, so ist sogar ein Teil des Dorfes Schuls sichtbar. Im Süden sieht man auf die Ofenpaßstraße, die als weiße Linie hinaufschimmert, und auf den Buffalorapaß, der hinüber in die Val Mora führt. Besonders imponierend erhebt sich im Süden der Piz Murtaröl; sein Fuß reicht hinunter in die Val Mora; auf der Nordseite ist dieser Berg mit einem schönen, muschelförmigen Gletscher geziert und übt eine große Anziehungskraft auf den Touristen aus. Der Blick auf die umliegenden Gletscherriesen ist vom Tavrü, wie von den titeisten Gipfeln der Ofenpaßgruppe aus, großartig.

Man sieht die Silvrettagruppe, die Berge des Samnauns, die Ötzthaler Alpen, den Ortler, die Piazzi-Dosdé-, die Bernina- und die Albulagruppe. Uns interessierte besonders auch der Blick hinüber zu dem prächtig vergletscherten Gebirgsstock des Piz Lischanna und des Piz Sesvenna, welch letzterer der höchste Gipfel der ganzen Gruppe nördlich vom Ofenpaß ist. Wir hatten dieses Gebiet in den vorangegangenen Tagen besucht.

Gottlieb Studer giebt im Jahrbuch S.A.C. XIV, pag. 318—323, gelegentlich einer Besteigung des Lischanna, eine so gründliche und treffliche Beschreibung der hohen Gebirgshäupter, welche die Ofenpaßgruppe umgeben, daß ich mir erlaube, darauf hinzuweisen und auf eine weitere Schilderung nicht eingehe.

Es kam die Stunde des Aufbruches. Den Abstieg nahmen wir nach Süden, dem Ofenpaß zu, und hatten dadurch das Vergnügen, die unendlich lange, hie und da durch Felssätze unterbrochene Geröllhalde hinunterzugehen oder mehr zu springen. Als wir endlich wohlbehalten in der Val Nüglia ankamen, hofften wir, nun ein gutes Weglein zu haben, doch da kamen wir ans dem Regen in die Traufe.Von Weg keine Spur, bald maßten wir den ziemlich großen Bergbach überspringen, um auf die linke Seite zu kommen, bald wieder umgekehrt, bald am Ufer über Felsplatten hinaufklettern, wenn der Bach keinen Platz mehr zu beiden Seiten übrig ließ. Kurz und gut, diese Thalwanderung machte die Strapazen dieses Tages voll. Ganz im Vordergrunde dieses Thales, wo ein ordentlicher Wald ist, kamen wir auf ein kleines Weglein, das uns auf die Ofenstraße führte, wo wir einen Augenblick Rast machten, um dann die Straße zu überschreiten und den Buffalorapaß zu gewinnen.

Auf der andern Seite der Straße fanden wir zu unserer großen Verwunderung in einer Wiese viele Edelweißblüten, die allerdings nur klein waren. Langsam, aber stetig ansteigend, kamen wir auf eine große Alp, die verlassen war, da die Sennen bereits eine höher gelegene bezogen hatten.

Fast hätte man Lust bekommen, in die Sennhütte einzubrechen und hier zu nächtigen, doch mußten wir trotz den müden Beinen vorwärts, da wir morgen in Pontresina sein sollten; wir wollten heute noch St. Gia- corno di Fraele erreichen, um von dort am Morgen über den Alpisellapaß bis nach Livigno und von dort über den Strettapaß nach Pontresina zu gelangen.

Als wir auf die Höhe kamen, hatten wir lange Zeit eine Ebene, Giufplan ( 2354 m ), zu passieren * ). Der Piz Murtaröl lag prächtig uns gegenüber und, je näher wir diesem Berge kamen, desto großartiger wurde er mit seinem muschelförmigen Gletscher, so daß wir recht bedauerten, nicht noch diesen Gipfel besteigen zu können.

Immer träger wurden die Füße, immer schneller eilte die Zeit dahin, es fing an, schon recht dunkel zu werden und der Weg schien sich ins Unendliche zu dehnen. Doch fing sich der Weg allmählich zu neigen an, und wir bemerkten im Thal eine Alp mit stattlichen Gebäuden.

Herr Imhof schlug vor, wenn möglich bei den Sennen zu übernachten, und gern wurde dieser Vorschlag angenommen. Auf der Alp Mora angelangt, teilten wir einem Sennen unser Begehren mit, welcher uns an den Ober-Senn verwies, einen großen, starken Mann, mit eben so großem Bart, eine richtige Berggestalt, von Gesundheit strotzend. Freundlich empfing uns der Mann, fragte woher und wohin, nahm uns bereitwillig auf und bewirtete uns nach Kräften. Bald saßen wir um das lodernde Feuer, und die Mühen des Tages waren vergessen.

In einem großen Stall, in dessen Hintergrund sich ein Heuschober befand, wurden wir einquartiert, und bald hatte Morpheus uns der Gegenwart entrückt. Um 4 oder 5 Uhr kamen die Kühe in den Stall, um gemolken zu werden und störten uns am Schlafen, doch konnten wir bald wieder einschlummern, und erst um 71/2 Uhr erhoben wir uns.

Als wir aus der Hütte traten, lachte uns ein prächtiger Morgen entgegen, und der schöne Murtaröl stand unmittelbar vor uns, sein Fuß mit prächtigem Wald bekleidet, weiter oben steile Halden mit spärlichem Graswuchs, wo noch Schafe und Ziegen herumklettern, die oberste Partie mit Eis und Schnee geschmückt. Der Gletscher ragt so kühn in die Welt hinaus, daß man glauben könnte, er stürze jeden Augenblick, alles zermalmend, zu Thale. Das oberste Spitzchen ist von Schnee und Eis frei und ragt wie die Spitze einer Pickelhaube empor. Der steile Hängegletscher hat viel Ähnlichkeit mit dem der Vordem Jamthalspitze.

In den herrlichen Anblick versunken, entstand in unserem Herzen der Wunsch, anstatt direkt nach Pontresina zu wandern, noch diesen Berg zu erklimmen, was wir auch einstimmig beschlossen.

Schnell machten wir uns bereit, der Senn richtete uns das Frühstück zu, und um 8 Uhr 30 Min. waren wir reisefertig. Nachdem wir unseren freundlichen Wirt belohnt und ihm herzlich Lebewohl gesagt hatten, marschierten wir direkt dem Fuße des Murtaröl zu, die Brücke des brausenden Gebirgsbaches überschreitend!

Zuerst ging 's durch niederen Wald, dann kamen wir an die schon erwähnte Grashalde, wo wir die schmalen, vom Weidgange herrührenden Weglein verfolgen konnten. Da wir uns auf der Nordseite befanden, so hatten wir von der schon hoch stehenden Sonne wenig zu leiden, Die Halde hinter uns habend, mußten wir ein kleines Felsenband erklettern, was allerdings gar keine Schwierigkeiten gab. Oben machten wir Rast, um uns gebührend zu stärken, bevor wir dem nahen Gletscher auf den Leib rückten.

Erst ging 's noch über Geröll und Schutt; auf dem Schnee angekommen, wurde das Seil umgelegt, und Herr Imhof übernahm die Führung. Da der Gletscher zur Rechten weniger steil ist, so strebten wir nach jener Seite hin. Der Schnee war gut. Hin und wieder kam blankes Eis zum Vorschein, so daß Stufen gehauen werden mußten. Der Aufstieg erinnert oft an denjenigen über den Nordgrat des Muttier. Froh atmeten wir auf, als wir die letzte Steigung überwunden hatten und an dem Einschnitte westlich vom Gipfel standen; auf der Exkursionskarte nördlich des ersten r im Worte Murtaröl.

Weil nun die Eispartie ein Ende hatte, wurde das Seil entfernt, und jeder suchte sich den Weg selbst für das letzte Stück. Wir schwenkten auf die Südseite des Berges und kamen, bald über Felsen, bald über Geröll kletternd, um 1 Uhr 10 Min. auf dem Gipfel ( 3183 m ) an.

Die Aussicht war schön; lieblich lag zu unseren FUßen gen Norden die Alp Mora mit ihren weißen Gebäuden, und dankbar gedachten wir der freundlichen Aufnahme, die uns dort zu teil geworden. Stolz winkte der rauhe Tavrü herüber, seine abscheuliche Geröllhalde uns zukehrend. Im Süden grüßte S. Giacomo di Fraele, mit seinem Kirchlein in der Mitte, herauf. Die Aussicht im weiteren Gesichtskreis hat große Ähnlichkeit mit der des Piz Tavrü, während sie in der näheren Umgebung interessante Thalblicke bietet.

Ungefähr eine Stunde rasteten wir oben. Herr Imhof notierte in gewohnter Weise zum Zweck des Itinerars die sichtbaren Gipfel. Nachdem wir zuerst den Südgrat auf kurze Strecke verfolgt hatten, ging es am Süd-West-Abhang über Felsbänder und Geröll hinunter, S. Giacomo zu. Dieser Abstieg entsprach so ziemlich demjenigen am Tavrü, nur daß es hin und wieder schwierige Stellen gab. Auch das Thal, welches sich vom Fuße des Berges nach S. Giacomo zieht, ist nicht besonders gut mit Wegen versehen; erst in dem ganz vordern Teil, wo ein prachtvoller Wald steht, sind die Wege gut, die aber nicht nach S. Giacomo, sondern thalauswärts nach Presure führen. Dies noch zeitig bemerkend, schlugen wir uns mehr rechts und kamen ein Stück unterhalb des Dorfes aus dem Walde. Uns nach einem leckern Imbiß sehnend und einen kühlen Trunk nicht verschmähend, wandten wir uns dem Wirtshaus zu, wo der Wirt, Pietro Trabucchi, mit Heuen beschäftigt war.

Kaum unser ansichtig geworden, kam er uns freundlich entgegen und sprach uns italienisch an. Da keiner von uns dieser Sprache kundig war, nur hin und wieder über einige Worte verfügte, gab man sich durch Zeichen und Gebärden zu verstehen. Bald saßen wir in der gemütlichen Wirtsstube, wo ein leichter, aber sehr gut schmeckender Wein und ausgezeichneter Käse von der Wirtstochter aufgetragen wurde.

Die Leute waren so freundlich und die Herberge so einladend, daß sie es einem leicht angethan hätte, hier Nachtquartier zu nehmen. Doch mußten wir noch bis Livigno, denn durch die Besteigung des Murtaröl hatten wir ohnehin einen Tag verloren. Es that uns wirklich leid, schon Abschied nehmen zu müssen, und auch unser Wirt sah uns ungern scheiden.

Durch die East neu gestärkt und den Wein angefeuert, ging es mit frischem Mut dem Westen zu. Steil und andauernd wand sich der Weg zwischen zwei Gebirgszügen hinauf; immer enger wurde der Zwischenraum; rechts erhoben sich senkrechte Felswände, die dem Monte del Ferro angehören und sich in jähem Absturz dem Alpisella-Paß zuwenden, links erhoben sich langsamer ansteigende Grashalden, deren Gipfel auch mit Felskuppen gekrönt sind. Ein gutes Stück unter der Paßhöhe erreichten wir einen kleinen See, und einige Minuten später standen wir an der Quelle der Adda, welche als lebendiger Quell aus dem Boden hervorsprudelt. Zu Ehren des denkwürdigen Augenblicks nahmen wir einen kräftigen Schluck und zogen weiter.

Nachdem wir die Paßhöhe ( 2285 m ) überschritten, blieb unser Weg noch längere Zeit in der Höhe, sich in scharfen Kurven, mehrere Tobel überschreitend, unter den Felsblöcken des Monte del Ferro hinziehend, während der Bach, welcher seine Wasser dem Spöl zuführt, plötzlich in einer tiefen, mit Wald überdeckten Schlucht verschwindet. Viel Edelweiß fanden wir an den Berghalden, darunter recht große Exemplare, und wir freuten uns sehr, auf italienischem Boden dieses liebliche Blümchen zu pflücken.

Nach dreistündigem Marsch fing endlich der Weg an, sich erheblich zu senken, und nach einem letzten längeren, steilen Abstieg waren wir am Spöl, der seine Wasser dem Inn zusendet.

Wir waren ganz überrascht von den vielen Getreide- und Kartoffelfeldern, die wir im Livignerthal zu sehen bekamen. Eechts und links des Thals erheben sich hohe Eücken, die bis in unglaubliche Höhe mit Wald bewachsen sind, und zwar nicht etwa nur mit Bergföhren oder sonstigen kümmerlichen Nadelhölzern, sondern mit großen stattlichen Lärchen.

Wir überschritten die Brücke des Spöls und lenkten unsere Schritte südlich, Livigno zu, welches noch in einiger Entfernung thaleinwärts lag.

Das Wandern auf der Landstraße war nun noch eine Pein für die müden Füße, und man sehnte sich wirklich nach einer gastlichen Herberge.

Auffallend waren die Scheunen mit ihren breiten, massiven Treppen, ein Zeichen, daß die Bewohner hier das Holz noch nicht sparen müssen. Livigno zieht sich sehr in die Länge, und das Dorf scheint nicht zu enden; wir kamen an zwei Kirchen vorbei, aber immer wollte das Gasthaus, in welchem Herr Imhof auch schon logiert hatte, nicht auftauchen, so daß wir bald glaubten, wir seien schon an demselben vorbeigelaufen.

Durstig waren wir, aber zu unserem großen Leidwesen konnten wir im ganzen Dorfe keinen einzigen Brunnen entdecken.

Endlich nach langer Thalwanderung war das schmerzlich ersehnte Ziel da; leider ist mir der Name des Gasthauses entfallen* ).

Speise und Trank waren recht gut, und wir ließen uns auch beides trefflich schmecken, zogen uns dann auf das Zimmer zurück und ruhten von den Lasten des Tages aus.

Ich schließe meine Reise-Erinnerung, indem ich es angezeigt finde, die Ofenpaßgruppe der Touristenwelt warm zu empfehlen. Fehlen ihr auch große Gletscher und Gipfel ersten Ranges, so bietet sie, dank ihrer centralen Lage zwischen einer ganzen Anzahl hoher und vergletscherter Gebirgsgruppen, eine wundervolle Aussicht, und ich bin überzeugt, daß jeder, der Touren in diesem Gebiete gemacht hat, hochbefriedigt an dieselben zurückdenkt.

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