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Bondasca

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

Michael Boos, St. Gallen

« ...Cengalo », das ist eine Linie, ein Zug bis oben, glatt und steil tausend Meter bis auf den Gipfel - dunkles, rauhes Gestein, herrlich griffig, kurz — ein Genuss wie aus einer andern Welt: Cengalo... » Ich liege vor dem Zelt und sinne den Worten eines Freundes nach, den herrlichen Klang dieses Namens im Ohr — da plötzlich kommt ein Gedanke: Wäre das nicht ein verlockendes Ziel? Ich unterbreite meinem Kameraden den Vorschlag, für eine Woche in die Bondasca zu ziehen, ein Gebiet, welches wir beide nur von Bildern und Berichten anderer her kennen. Doch zu meiner Enttäuschung lehnt Rudolf ab.

Der Herbst kommt, wird vom Winter abgelöst, von einem schneearmen, milden Winter, und schon kommt ein neuer Sommer. Ich spüre wie- 83 Hohberghorn-Nordwand. Im Hintergrund das Stecknadelhorn Photos: V. Meyer, L' ettligen hen Nachmittag am Ende des Trails, am Franschhoek Pass, ein.

Die Ortschaft Franschhoek am Fuss des Passes ist einstmals eine Hugenottensiedlung gewesen. Eingerahmt von wilden Bergen, an deren Abhänge ein ausgezeichneter Wein wächst, zeigt das Gebiet fast einen etwas « dolomitenhaften » Charakter. Am Abend kehren wir dann über den Helshoogte Pass nach Kapstadt zurück.

Damit ist unsere Zeit im südlichen Afrika endgültig abgelaufen. Es fällt schwer, dies zur Kenntnis zu nehmen. Wir verabschieden uns. Dann sind auch Ruth und ich wieder unterwegs nach Norden. Aus dem bequemen Jetsitz werfen wir nochmals einen Blick hinab zu den Bergen, die uns während der vergangenen Wochen begleitet haben. Es sieht alles so einfach aus,aus ioooo Meter Höhe.

der einmal den Drang, allein zu sein mit mir und den Bergen — mich ganz in die Natur einzufügen, sie zu erleben, sie in mich aufzunehmen.

Sonntagnachmittag, strahlende Julisonne, drückende Hitze in der Sohle des Tales, kein Lüftchen weht. Ich stehe in Bondo, dem Ausgangsort für die wilde Bondasca. Eng zieht ihr Tal gegen Süden, steile, bewaldete Hänge links und rechts des rauschenden Wildbachs, die gegen oben zuerst kahl werden, und dann als Geröllhalden zu Füssen mächtiger schwarzer, unnahbar scheinender Felskolosse auslaufen. Weit ist es bis dort hinauf!

Regelmässig steigend zieht die Stufenreihe dem Waldrand entgegen, bis sie sich in den Bäumen verliert. Angenehm kühl umfängt mich die hier nicht so drückende Luft, kosend durchweht sie 84 Im Vordergrund die Alpweidefläche der Alp Spitzibüel -nichts anderes als die ehemalige Gleitfläche eines prähistorischen Bergrutsches. Hinter dem Tannenwald im Mittelgrund liegt das Bergrutschareal vom 2. September 1806. Im Hintergrund - von links nach rechts - der Gnipengrat sowie die nach Süden geneigte östliche Abgrenzung des Bergrutsches 85 Bildmitte: Ein Teil der breiten Abrissfront; rechts die Abrissecke, gebildet durch diese und die seitlichen, stehengebliebenen Nagelfluhbänke, mergeligen Sandstein- und Mergelschichten, welche die östliche Abgrenzung des Berg-rutschareals darstellen mein Haar. Die Strahlen der heissen Julisonne vermögen nur noch ab und zu zwischen den Tannenästen einen Durchschlupf zu finden und erhellen dann für kurze Zeit das beruhigende, dunkle Grün.

Weiter oben schwenkt das Tal plötzlich nach Osten und gibt den Blick auf eine Reihe heller, schlanker Felsnadeln frei, die vorher dem Auge verdeckt waren. Zu deren Füssen sammeln sich die einzelnen Wasseradern in einer grossen flachen Mulde und vereinigen sich zu einem tosenden, reissenden Wildbach. Den Boden des Beckens bedecken riesige Granitblöcke, wahllos von der Gewalt mächtiger Lawinen hierhergeschleift und zerschlagen, ein Trümmerfeld, zeugend von der Kraft der Natur.

Der Weg schlängelt sich durch die Verwüstung hindurch, immer seinem Ziele, den Felsnadeln, zustrebend. Plötzlich macht er eine Wendung nach links und steigt dem steilen Hang entlang im Schatten des Waldes empor. Hin und wieder kreuzt er eines der silbernen, munter plaudernden Bächlein, dann führt er wieder über eine sattgrüne Wiese, bis er schliesslich die Baum- und Vegetationsgrenze erreicht. Von hier läuft er fast horizontal dem Hang entlang, jetzt weit über dem Talboden, gegenüber den mächtigen, nun nicht mehr, so abweisenden Felskolossen.

Dort! Aus dem arg zerschrundeten Gletscher zieht sich eine Kante hoch empor, steil, glatt und regelmässig, bis unter den weissen Gipfel: Cengalo.

Rechts davon, ebenfalls auf dem Gletscher fus- send, erheben sich, fast noch glätter, die riesigen Plattenfluchten der Nordostwand des Piz Badile, die nach oben durch eine lange, messerscharfe < 88 Kante abgeschlossen werden. Düster steht sie zwi- 86 Die imposante östliche Seitenfront des Abrisses. Im Mittelgrund der Urmiberg, der mit der Hochflue zusammen den nördlichsten Teil der Helvetischen Decke präsentiert und damit geologisch zu den Alpen gehört Photos: H. Vögeli, Zug 87 Der Bergrutsch am Rossberg. In der Bildmitte oben die AbrissstelleLuftaufnahme Swissair Photo AG, Zürich 88 Die seitliche Abgrenzung aus Nagelfluhbänken, mergeligen Sandstein- und Mergelschichten. Unten im Bild die durch die Verwitterung aufbereitete grüne Mergelschicht, wo Schnecken der Gattung Cepeae und Turmschnecken gefunden werden könnenPhoto: H. vsgcii, Zug schen den von der Abendsonne vergoldeten Graten und wirft ihren Schatten ins Tal.

Dunkler wird das Gold, geht ins Rötliche über, und flammengleich ragen die Spitzen der Scioragruppe weit links des Cengalo hoch in den Abendhimmel. Die Sonne versinkt glutrot hinter dem Horizont, und plötzlich erlischt das Schauspiel um mich herum — nur das ferne Tosen des fliessenden Baches dringt an mein Ohr — die Natur legt sich zur Ruhe.

Nacht - sternenübersäht der Himmel, einer, besonders hell, funkelt zwischen den zwei Gipfeln der Gemelli knapp links des Cengalo — Schweigen, Stille, nur das leise Rauschen des Wassers. Plötzlich dröhnt es herüber, man sieht es ab und zu sogar Funken schlagen: eine riesige Steinlawine hat sich im obersten Teile des Cengalo gelöst und rast in die Tiefe, alles mitreissend, was sich ihr in den Weg legt. Gebannt schaue ich dem geisterhaften Schauspiel zu. Ein Grauen schleicht mir prickelnd über den Rücken. Dann erreichen die Geschosse das Eis - es kehrt wieder Friede ein.

Stunden später - noch ist die Sonne nicht aufgegangen - schreite ich zu Füssen der Gemelli dahin, unter mir das schlafende Tal, am lichter werdenden Himmel im Westen ein dünner Wolkenschleier. Vor mir erhebt sich die Nordflanke des Cengalo und des Badile, beide anthrazitgrau, kalt, tot. Im Osten hat sich bereits die Helligkeit des nahenden Tages durchgesetzt. Wie Finger zweier Hände greifen die Nadeln der Sciora in den Morgenhimmel. Irgendwo hinter ihnen verbirgt sich, nur noch für Minuten, die Sonne. Mit einemmal ist es soweit: Von oben bis unten werden die Platten des Badile und des Cengalo vergoldet, die Sonne haucht ihnen gleichsam Leben ein, sie nehmen Konturen an, es tritt eine klare Felsstruktur hervor. Das Tal schläft immer noch, doch die Berge sind bereits erwacht, sie scheinen sich zu sonnen, sich von den wärmenden Strahlen kosen zu lassen. Einen kurzen Blick zum Cengalo-Pfeiler, dann eile ich weiter, übersteige den Felsriegel unterhalb des Badile und erreiche den Beginn seiner Kante. Das Tal ist nun ebenfalls wieder belebt, es tönen von ferne die Glocken von Bondo an mein Ohr, und dem Kamin einer Alphütte entweicht eine feine Rauchsäule. Langsam steige ich hoch, alle Eindrücke auf mich einwirken lassend. Links der mächtige Pfeiler: Wie glatt und dunkel er aussieht! Aber in seiner Geschlossenheit strahlt er eine seltsame Anziehungskraft auf mich aus:

« Warte, Cengalo, bald wird es soweit sein, heute bin ich allein, da halte ich Abstand von dir, aber das nächste Mal... » Unter mir, tief unten, der Gletscher, dann die Silberstreifen der Bäche; links und rechts auf gleicher Höhe, fast zum Greifen nah, die Gipfel der die Bondasca abschliessenden Berge, einer kühner geschwungen als der andere. Dann kommt auch

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