Break | Club Alpin Suisse CAS
Soutiens le CAS Faire un don

Break

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

Basel ist nicht so arg weit von Paris. Man sagt, die gedämpften Farben der neueren Basler Malerei kämen von der Seine her. Mag sein. Jedenfalls verspürte Egger zunächst den Einfluss jenes in subtilsten Farben- und Stim-mungsfinessen sich ergehenden Impressionismus, wie ihn ein Arnold Fiechter vertrat. Unbefriedigt ging er zur stilisierenden Malerei über, überwand auch dieses Stadium und suchte seinen eigenen Stil. Mit einfachen Mitteln, aber mit Kraft und Ausdruck ein Motiv zu behandeln, war nunmehr sein Streben. Es ist kaum zu bezweifeln, dass Eggers lebhafter Umgang mit dem Hochgebirge, speziell mit den Aiguilles von Chamonix, zu dieser Vereinfachung beigetragen hat: das Gemälde « Schreckhorn », dessen Reproduktion dieses Heft schmückt, ist ein deutlicher Ausdruck dafür. Farbig und kräftig, mehr flächig gemalt als gezeichnet wurden zahlreiche andere Alpenlandschaften, wie z.B. Monte Rosa, Fiescherhörner, Wetterhorn, Breithorn, Matterhorn am Abend und andere. Aus dem Kaukasus brachte Egger viele farbige ölskizzen heim und ein grösseres Gemälde « Elbrus ».

Egger hat seine Wohnstätte auf dem Bruderholz bei Basel. Von da hat er eine freie Schau auf die Täler des Rheins und der Birs, begrenzt vom Jura und Schwarzwald. Dass er dieser schönen Landschaft alle Stimmungen im Jahreslauf abzugewinnen suchte, ist fast selbstverständlich. Aber er behält fast alles zurück, speichert es allzu bescheiden in seiner Werkstatt auf, scheut die Ausstellung und Reklame, ist skeptisch.

Als alpiner Schriftsteller, als Bergsteiger und Skifahrer ist Egger weithin bekannt. Als Maler ist er ebenso wertvoll, nur weiss man es noch nicht.

Break...

Von Walther Bäumlein.

Es war ein derber und trotziger Felskopf, der aus den sonnigen Matten unvermittelt aufsprang und über dem dörflichen Kurort wie ein finsterer Steinbruch drohend hing, und den sie dort Tête de Napoléon nannten.

Der Engländer turnte an diesem Felskopf empor, ganz allein. Erst kletterte er ein wenig zweck- und ziellos in der untern sanften Partie; dann ergriff ihn die Lust an methodischem Klimmen, und er machte sich an die Durchsteigung des Napoleonsantlitzes. Er befand sich wohl und in ausgeglichener Stimmung. Von Zeit zu Zeit fiel ihm Jessie ein, an die er doch hatte schreiben wollen, Jessie, die in Nottingham ängstlich und knauserig die Tage seiner Freiheit abzählte. Noch war man hier weit weg von bürgerlichen und gesellschaftlichen Pflichten, und das war schön und beruhigend!

Hier aus der Ferne floss alles von Jessie ab, was ihn zu Hause oft bedrängte und herausforderte. Sie sehnte und ängstigte sich daheim, er genoss hier; das liess sein Herz von einer dankbaren und gerührten Zärtlichkeit wie von einem blutwarmen Strome überwallen. Arme Jessie! Er hätte doch schreiben sollen; vielleicht war die Stimmung, wenn er zurückkam, nicht mehr so günstig, und morgen war er ja wieder auf allen Höhen und im energischen Kampfe mit den Mächten des Berges... Er fühlte, dass er seine Brieftasche bei sich hatte; wahrscheinlich war darin ein Bogen Papier oder eine Karte, auf die er, im kurzen und duftigen Berggras ausgestreckt, ein paar Zeilen schreiben konnte.

Sie war weichlich und verwöhnt; ihm aber klang in diesem Augenblicke nichts angenehmer als der Tritt der Nagelschuhe auf hartem Stein, die stählerne Spannung jedes Muskels beim Ringen mit Gneiss und Kalk, das listige Angehen und Beschleichen der Bollwerke und Bastionen. Die Ferne mit ihrer Bequemlichkeit, ihren Ansprüchen und ihrer Verfeinerung versank in Nebel und Unwirklichkeit vor der derben, harten, steinernen Wand vor ihm, die mit ihren Quarzadern und vielen Glimmerblättchen, mit dem Glitzern vieler gelblich und silbern schimmernder Kristalle und dem rostfarbenen Anflug winziger Flechten ein lebendiges und lockendes Aussehen gewann. Es gab da Stufen und Tritte von kaum Sohlenbreite, kleine Risse, in welche die Hand eben noch greifen konnte, Quergänge von reinem weissem Kiesel, glatt und beinahe seifig anzufühlen, morsche Kanten und Vorsprünge, aus denen die Hand mit Leichtigkeit ganze Stücke ausbrach... hier war Härte und Widerstand, war Hindernis und Gefahr, denen gegenüber man den vollen Willen zusammenballen, die Kraft aller Sehnen und Fasern — wenn auch nur zu Spiel und Sport — ansetzen musste.

Edelweiss, wusste er, gab es hoch oben an der Wand, und weil hier wenige kletterten, waren sie gross wie Sterne. Das war etwas für Jessie... und wenn sie nur einsehen wollte, dass in seiner Tat mehr lag als in tausend gefühlvollen Worten!

Er kletterte durch kleine Rinnen hinauf, wobei ihm Risse und Vorsprünge und eingeklemmte Steine einigen Halt boten; manchmal musste er über ein Grätchen hinwegturnen, indem er mit Knien, Bauch und Armen Halt suchte wie beim Erklimmen eines Baumes. Auf einer Wandstufe, wo in dürftiger Erdkrume steinbrechartige Pflänzchen ein Polster bildeten, verschnaufte er... und da kam ihm Jessie wieder in den Sinn. Er setzte sich, die Beine über dem Abgrund, und zog sein Notizbuch hervor. Darin fand er eine Ansichtskarte des Kurörtchens: braune Holzhäuschen und ein veranden-strotzendes Hotel inmitten knallgrüner Matten, und hinter dem berühmten Napoleonskopf der Kranz von Schneebergen im sattesten Alpenglühen. Er fühlte sich nicht so straff wie gewöhnlich. Obschon er einen englischen Magen hatte, pflegte er vor Besteigungen knapp zu essen. Heute jedoch, als an einem Rasttag, hatte er seiner Esslust keine Zügel auferlegt. Als Willensmensch ärgerte er sich darüber; er sagte zu sich: « Breakfast was really too good and copious » und fing an, diesen Satz mechanisch niederzuschreiben. Nach der ersten Silbe jedoch kam ihm in den Sinn, dass das für einen Liebesgruss wohl nicht das Richtige sei, und er setzte den Bleistift ab. Da rauschte es über seinem Kopf, ein Schatten von schwarzen Flügeln huschte über ihm weg, und er verspürte einen scharfen Schmerz am Knie. Das war ein Stein, den die Bergdohle vom Überhang hinter ihm gelöst und der ihn am linken Bein getroffen hatte. Er sah dem Vogel nach, der schreiend in die graue Luft hinausstiess, zweimal kreiste und hinter einem Vorsprung verschwand; dann untersuchte er das Knie, fand aber keine Verletzung.

Er sah auf, um auch aus der Nähe die Formen des Napoleonkopfes zu erkennen. Allein die veränderte Perspektive verzerrte alles. Über ihm war eine zwei, drei Mann hohe Wandstufe, beinahe überhängend, vielleicht der Nase des kaiserlichen Bildnisses zugehörig. Da kam man nicht hinauf. Aber seitlich führte ein schmales Band aufwärts, allmählich sanfter ansteigend. Oben wandte er sich wieder rechts, um auf den Überhang zu gelangen. Das Knie tat ihm weh; aber er achtete nicht darauf. Dann aber traf er auf völlig glatte, steile Platten und wurde verdriesslich, weil er sich nun auf eine schwierige Kletterei eingelassen, wo er doch hatte ausruhen und Briefe schreiben sollen. Doch blieb ihm nun nichts als weiterzuklimmen, bis oben der Fels wieder sanfter wurde. Auf einmal begann er auf den glatten Platten unaufhaltsam zu rutschen; er glitt bäuchlings abwärts und über den Vorsprung hinaus, fiel zwei, drei Mann hoch auf die Stufe, wo er vorhin gesessen hatte. Er kam auf dem ebenen Absätzchen auf die Füsse, fühlte jedoch den vorigen Stich im linken Knie in so scharfer Weise, dass er wankte und rücklings weiter stürzte. Er rollte über verschiedene Fluhabsätze hinunter, bekam einen harten Schlag auf den Rücken, und es gelang ihm nicht, einen Griff zu fassen. « Muss mir so etwas passieren an einem Katzenbuckel! » dachte er im Fallen und blieb schliesslich betäubt liegen.

Als er wieder zu sich kam, arbeitete sein Hirn ungefähr am selben Punkte weiter, wo es die Besinnung verloren hatte. « Es scheint noch glimpflich abgegangen zu sein, » dachte er. Er fand sich in halb sitzender Lage auf einem abschüssigen Rasenbord zwischen Aurikeln und winzigen violetten Blümchen, die er nicht kannte. Wie er sich auf sich selber besann, fühlte er zu seiner Verwunderung fast keine Schmerzen, nur eine grosse Mattigkeit und Schwäche, die aber nicht unangenehm, sondern eher wohltätig schien. Er rückte sich ein wenig zurecht. In Rücken und Gliedern spürte er eine lähmende Schwere, wie nach einem harten Tagewerk. Nichts schien ihm so schön als Müdesein und Ruhen; weitere Entschlüsse, wie Aufstehen, Abstieg oder nochmaliger Versuch, lagen in sehr weiter Ferne und Unbestimmtheit. Das erste Mal, dass er wirklich abgestürzt war, und er wunderte sich nachträglich, dass er darob keinen Schrecken, auch keinen Ärger und keine Beschämung empfand. Zwar waren seine Kleider ein wenig zerrissen; am Hand- gelenk fand sich eine blutige Schürfung. Er würde heute, an einem Sonntag, in einem auffallenden Zustand ins Hotel zurückkehren; doch schien dies nur als ferne Möglichkeit hinter einem ungewissen Nebel zu liegen. Jetzt wollte er nichts als sein Dasein verspüren, die Rettung geniessen...

Er sah hinauf: die Stelle, von wo er gefallen war, lag sehr hoch, erstaunlich hoch. Steil, wie der Helm eines Kirchturms ragte der Fels, welcher die Nase des Napoleon bildete, über ihm in den Himmel. Da hinauf wollte er nochmals, aber erst nachher... später... einmal. Man hätte rechts gehen müssen; dort bot sich wohl ein Durchstieg; doch jetzt wollte er dieser Möglichkeit noch nicht nachsinnen; sie ergab sich dann schon von selber, später... wenn er wieder aufstehen mochte.

Sein Unterkörper schien ihm nicht gut zu liegen, ohne dass es ihm gerade beschwerlich vorgekommen wäre; aber es war da eine kleine Mulde, in die er Hüften und Beine schmiegen konnte. Dabei fühlte er eine seltsame Mühe, sich zu bewegen, eine Schwere und Unbeweglichkeit in Hüften und Kreuz, die ihm jedoch nicht weh tat. Mit Hilfe der Hände brachte er sich in die gewollte Lage. Sein Oberkörper schien, im Gegensatz zu den Beinen, von solcher Leichtigkeit und Frische, geradezu unbeschwert, ja beschwingt, dass er sich zum sofortigen Wiederanstieg fähig fühlte. Aber merkwürdig war, dass er dennoch keine Lust dazu spürte, sondern ihm das Liegen und Träumen hier so ausserordentlich wohl gefiel. Er fand sich geradezu geborgen in der Kleinwelt um ihn. Die Aurikeln leuchteten mit einem goldenen Schimmer und lächelten um so lieblicher, je heller der Himmel wurde, mit einer gütigen Treuherzigkeit, man möchte sagen, mit einem rührenden Humor, der an die bescheidenen und doch tiefen Gemütsschwingungen der Dickensschen kleinen Leute erinnerte. Der Steinbrech schickte sich erst an, seine weisslich filzigen Blütenstiele zu treiben; er sah erdnahe und erdensicher aus in seiner Demut. Der liegend Sinnende bedauerte, dass er sich nicht mehr mit Blumen- und Pflanzenkunde abgegeben hatte; es musste ein schönes Studium sein...

Die Sonne war unterdessen durchgebrochen und beschien seinen Platz mit grosser Hingabe. Er bemerkte, wie die Feuchte der Nacht, die noch in kleinen Tröpfchen an den Blatträndern hing, verdunstete und die Pflanzen trocken wurden, wobei sie einen würzigen Duft ausströmten.

Er sah wieder empor: der Felsklotz über ihm war von der Sonne hell beleuchtet, und es schien ihm, auch hier habe er noch nie so freundliche Farben in den Steinen gesehen. Er schimmerte in allen Schattierungen von Grüngrau über Gelb bis ins Rostrote, und die Schatten, die hinter den Gräten und in den Rinnen noch schwebten, waren blau und violett und keineswegs finster; so dass, wenn das steinerne Bild wirklich ein Gesicht darstellte, es sicherlich mit allen seinen Furchen und Fältchen am ehesten noch einem gutmütigen alten Bauern gleichkam.

Es berührte ihn selbst wundersam, wie sein Leben in diesem Augenblick offen und licht vor ihm dalag, erhellt bis in eine schöne Zukunft hinein mit hundert Möglichkeiten und Aussichten von fruchtbarem Verkehr und seelischem Austausch mit Freunden, die er seit dem College vernachlässigt hatte und die nun alle vor ihm standen mit lauter ansprechenden und flotten Eigenschaften... von Sport auf dem Wasser, sommerlicher Gesellschaft voll Frauenzauber und Kinderjubel... ja vor allem schien es ihm, dass das fernere Zusammensein mit Jessie nun immer beschwingt, sorgenfrei und liebevoll sein müsse.Vom Sonnenschein erwärmt, traute er sich die Kraft und Gewandtheit und dem Schicksal die Güte zu, alles in freundlichem Gleichmass zu erhalten...

Er zog seine Brieftasche hervor und nahm die angefangene Karte heraus, um nun wenigstens an Jessie zu schreiben. Die Edelweiss waren allerdings beim Sturze verloren gegangen... ach nein! er hatte sie noch gar nicht gepflückt. Schliesslich nahm sie ein paar liebevolle Worte lieber als die seltenen Blumen; wenn das schon nicht seine Ansicht war... denn Tat — daran lässt sich nicht rütteln — ist wertvoller als Worte.

Er war eben noch voller Gedanken gewesen, die er alle Jessie mitteilen mochte; nun mit dem Worte « Break », das er las, drängten sich wieder jene einfältigen Begriffe von Breakfast und Lunch zuvorderst in einer burschikosen Art, die einem jungen Studenten vielleicht angestanden hätte. « Breakfast was good, and Lunch will be excellent ». Er legte den Bleistift weg und fing wieder zu träumen an. Er musste doch schreiben! in diesem Augenblick schreiben!... darauf kam es an. Er wusste zwar nicht, wieso diese Notwendigkeit so imperativ und dringlich war; aber sie war es unzweifelhaft... Er meinte, wenn er den Bleistift fester fasse, komme ihm etwas Besseres zu Sinn, und es war ihm auch dunkel, es warte hinter den zwei dummen Sätzen eine hübsche und poetische Ausdrucksweise, dunkel zwar, aber so nahe, wie einem manchmal ein Wort ist, das man nicht aussprechen kann und das einem doch so gegenwärtig ist, dass man sagt, es liege auf der Zunge...

Er schaute auf das Kärtchen: « Break... » stand da... Und dieses eine Wort hielt ihn und seine Gedanken auf wie ein unübersteiglicher Wall, wie eine nicht zu erkletternde Wand, auf die er doch gelangen sollte, weil es nur von dort aus ein Weiterkommen gab. Die Sonne am Himmel stand hoch und glanzvoll; die ferneren Berge im Rund rein und herrlich licht und königshaft, der Himmel in seiner festlichen Farbe wie seidenes blaues Bannertuch; aber all das war unerreichbar, so gerne er sich es zu eigen gemacht und an Jessie weitergegeben hätte. Im Gefühl seiner Ohnmacht brach er sogar in Tränen aus... der starke herbe Engländer! Eigentlich sah er nicht ein, warum er weinte; er fühlte sich nicht unglücklich, nicht elend und war über sich selber erstaunt, wie man es bei einem reichlichen Regenguss aus blauem Himmel ist, durch dessen Nässe das Licht rieselt...

Aber er weinte; sein Körper hatte mehr Kenntnis seines Zustandes als sein Bewusstsein, das sich umsonst in dieses leichte und schwere Unterfangen, an Jessie zu schreiben, verbissen hatte. Aber gerade in diesem überraschenden Weinen schien ihm Jessie selbst ganz nahe zu sein, wie wenn er sie fassen und halten, ja näher mit ihr vereinigt sein könnte, als er es je gewesen. Schliesslich gab er sich diesem Tränenstrom hin und fühlte den linden Tau ebenso kühlend und wohlig über seine gebräunten Wangen gleiten, wie Jessies feine Hand früher darüber gestreichelt hatte.

Dann fühlte er plötzlich sehr dringend das Bedürfnis, ihr zu erklären, wie er hieher geraten und sozusagen gefangen gehalten war. Und da es mit dem Schreiben nicht ging, so meinte er, er müsse den Hergang zeichnen: den Berghang, den Felskopf, das Napoleonsgesicht, sich selber kletternd und stürzend. Aber wie er den Bleistift wieder fester fasste, ging auch dies nicht; die Formen drängten sich herbei, verwirrten sich ihm schon im Auge; er wusste nicht, welche zuerst zeichnen, wo anfangen... Auf einmal hatte, was so fest und bestimmt dazustehen schien, keine Linie und Grenze mehr... Und doch drängte es ihn, sich darzustellen... aber wie? aber wie?

Er war nie ein Zeichner gewesen; schon in der Schule hatte er mehr Neigung zur Musik gehabt, hatte nie die leichte Hand besessen, die mit Sicherheit eine Strich- oder Pinselführung nachahmt und auf jeden beliebigen Gegenstand anwendet. Die Kunst hatte ihn immer ziemlich kalt gelassen, und auch jetzt hatte er nur in dem unbestimmten Bedürfnis sich auszudrücken, zum Stift gegriffen. Nur damit Jessie verstehe... verstehe.., damit sie einsehe, wieso das so war... aber was sollte sie einsehen, verstehen? Auch diese Absicht, zu zeichnen, sich auszudrücken, zerfloss ihm wieder; was hatte er zeichnen, ausdrücken, denken wollen?

Er lag auf seinem Rasenplätzchen unter Blumen; er hatte nicht das Bedürfnis, aufzustehen, weiterzugehen; sein Wunsch und sein Zustand deckten sich. Er sah das grüne Tal mit den zahllosen zerstreuten Hütten und den Hecken, den Mäuerchen. Die Kirche lag dazwischen, breit hingelagert und gelassen wie eine stolze Kuh unter kleinen braunen Ziegen, das Grand Hotel mit seinen Veranden und Türmchen wie aus dem Knabensteinbaukasten; der Fluss wand sich wie eine schillernde Schlange durch den Grund und funkelte mit silbernen Schuppen auf. Dies alles war putzig und klein wie ein auf dem Weihnachtstisch ausgebreiteter Kram und mochte für sich selber keinen Sinn haben; die Berge gegenüber aber schienen nur wie eine besondere Art fest und beständig und tönend gewordener Luft. Ja, sie tönten und begannen zugleich zu wallen und in einem Reigen zu fliessen. Sie hoben sich und gaben eine sanfte, anmutige und zugleich erhabene Musik von sich, die ihm bekannt war wie ein Jugendgefühl und beseeligend wie die Erfüllung einer Erwartung. Dies war wohl das uranfängliche Leben, das in der Schöpfung fortwirkte?... Und es war ihm, als ob hinter allem Jessie stände... eine Jessie, wie er sie früher geträumt, sie aber im Leben — durch allerlei Trübungen und Gebrechen verhindert — nie gesehen hatte, und die nun da war und nicht da war, unsichtbar und wirksam. Und er wusste nicht, ob er sich selber im Reigen hob und senkte, ob die Stunde um ihn wogte, die Sonnenstrahlen durch ihre Wärme und Helle ihn bewegten, ob sein Blut auffloss und ihn in einem sanften Tanze wiegte...

Es war nicht nötig, den Bogen der Geige zu heben, wenn die Schöpfung selber musizierte. Der Himmel war eine zart und gedämpft spielende Orgel, die Sonne warf lichte und strahlende Hörnertöne herein, die Landschaft, die kühle, grüne, liebliche Weiden- und Waldlandschaft zu Füssen sang und schluchzte in holden Geigentönen... Und zugleich hatte er die Empfindung eines unablässigen gleichförmigen Fahrens und Gleitens; der Erdball selbst schien ihn zu tragen, in ein Reich ohne Schatten und Sorgen zu entführen. Seine untere Hälfte blieb an den Boden gebunden, wie aus ihm erwachsen, während in seinem Oberkörper der Sitz aller Bewegung, Leichte und allen Verständnisses war; der Zusammenhang aber zwischen der dumpfen Gebundenheit und dem Empordrängen musste sich bald lösen.

Er sah das Blatt auf seinem Knie, worauf der Bleistift feine, unwillkürliche Züge geschrieben hatte, unmerkliche, nur vom Blut und den Nerven eingegebene Linien, die ihm alles zu enthalten und zu erklären schienen, was in ihm war. « Break » stand da, und ihm verschwamm auch dieses Wort, weitete sich und umfasste alles, beschloss die Erde unter ihm, die sich gegen den Himmel öffnete.

Aber er wunderte sich selbst, wann er wohl aufstehen und weitergehen würde. Eigentlich lag ihm gar nichts an einer Veränderung seines Zustandes; es war am besten, so zu bleiben, wo und wie man war. Sein Oberkörper, noch immer leicht und beweglich, fühlte immerhin eine befremdliche Spannung in sich, nicht schwer, sondern voller Reiz und wie geschwellt von dem Eingehen der Sonnenstrahlen in ihn.

Eine leise Beunruhigung kam über ihn, wie wenn hinter ihm, wo der Felskopf lag, die « Tête de Napoléon », sich etwas vorbereite, was ihn betraf, als ob dort eine verhüllte Gestalt warte, und er fühlte ein gelindes Bangen, ohne dass er versuchte, sich durch Umwenden darüber klar zu werden. Es kam ihm vor, als ob sich dort, in seinem Rücken, die starre Erde wandle, lebendig werde und sich gegen ihn neige, um ihn zu beschatten. Ja, eine feine Dämmerung schien ihn bereits zu umfliessen. Er sah sich nicht um; er wollte sich nicht bemühen; er wollte es erwarten. Man darf dem Nahenden nicht zuvorkommen, nicht die Überraschung vorwegnehmen, die da hinter ihm stand, beunruhigend und beglückend wie die Gestalt einer Frau... Im letzten Augenblick kam die Empfindung von Erwartung und Seligkeit noch einmal über ihn, die er seit seinen Jünglingsjahren umsonst herbeigewünscht hatte... und dann legte sich eine dunkle Hand über sein Auge...

Feedback