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Das Binntal

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

VON JAKOB MARZOHL, LUZERN

Einige Jahre zuvor schon trugen wir uns mit dem Gedanken, das Binntal1 aufzusuchen. Ausgerechnet während des verregneten Sommers 1965 konnte der Wunsch verwirklicht werden. Eine Woche blieb für die Planung und Ausführung zur « Erforschung » dieses heimeligen, abgelegenen Bergtales. Ausgangspunkt war Ernen oberhalb Fiesch, ein schmuckes Dorf, dem wir zuerst unsere Reverenz erweisen wollen.

Pfarrer Johann Conrad Fäsi schrieb Anno 1768 in seiner « Staats- und Erdbeschreibung » über diese Ortschaft: « Ärnen ( Aragnum ), welcher schön gebaute gemauerte und mit Schiefer bedeckte Häuser hat, da sonst in Ober-Wallis die Häuser meistens nur hölzern und die Dächer mit Schindeln von Lerchenholz belegt sind. In diesem Flecken hat der ganze Zehnden ( Bezirk der Gomser Talschaft ) sein Rathaus und Hochgericht, es werden hier auch die Zehnden-Zusammenkünfte gehalten. Dieser Ort ist ziemlich gross, er liegt auf einer schönen fruchtbaren Ebene. » So die Beschreibung vor rund 200 Jahren.

Heute lässt sich Ernen etwa so beschreiben: Hoch über den Mündungen des Fiescher- und des Binntales ins Haupttal der Rotten ( unterhalb Brig Rhone genannt ) erhebt sich auf einer Bergterrasse das urwüchsige, liebliche Ernen. Es liegt eingebettet in ein muldenartiges Gelände am Eingang ins mineralreiche Binn und wird dominiert von der mächtigen Pfarrkirche ( wird gegenwärtig einer umfassenden Renovation unterzogen ). Malerisch gruppieren sich um den Hengert ( Dorfplatz ) das historische, behäbige Teilen- und das renovierte Rathaus, das « Weisse Rössli » und das imposante Schulhaus. Das Zehnder Gerichtshaus und die Kirche von Ernen bergen Kunstschätze von hohem Wert. Drei Säulen am Galgenhubel sind Zeugen jener Zeit, da Georg Supersaxo, ein Sohn des Dorfes, als Landeshauptmann den Stand des Wallis unter seiner Herrschaft hielt und der kluge Kardinal Matthäus Schiner seine Fäden in die Weltgeschichte spann. Umgeben sind Ernen und der Nachbarweiler Mühlebach von Matten und einer überaus vielfältigen Flora, von dunkeln Tannen- und hellen Lärchenwaldungen, die der guten Luft die Würze geben.

Das Gebiet um die Furka lag tief verschneit, als wir Ende August ins Goms hinunterfuhren; doch je tiefer wir kamen, um so farbenprächtiger und wärmer präsentierte sich die Landschaft. In einer Stunde gelangt man mit der Post von Fiesch nach Binn ( 1401 m ).

Die Achsen Binneggen—Kriegalp, Nord—Süd, und Saflischpass—Hohsandjoch, West—Ost, bilden ein Kreuz, in der Längsachse südlich flankiert von den mächtigen Häuptern des Ofenhorns und des Albrunhorns, des Schin- und Binnerrothorns, vom Pizzo Cervandone, dem Helsen-, 1 Nach der LK: « Binnatal » Hillen- und Bortelhorn, von welchen das Helsenhorn alle übrigen Gipfel um 50 bis 100 Meter überragt.

Im Mittelpunkt des Kreuzes liegt Binn. Das Dorf beherbergt etwa 300 Einwohner. Unterkunft findet man im Hotel « Ofenhorn » oder in einigen Ferienwohnungen. Die Bevölkerung betreibt zur Hauptsache Landwirtschaft, oder sie findet zum Teil ihr Auskommen in den Industrieorten der Rhone-Ebene. Gondelbahnen und Skilifte gibt es hier nicht, auch keine Unterhaltungs- und Ver-gnügungsstätten, wie sie heute in modernen Sport- und Kurzentren üblich sind. Dafür bietet sich dem Bergler eine wundersame Alpenwelt dar, unverfälscht, einsam und erhaben.

Wir wollen versuchen, dieses Idyll näher zu betrachten. Das Flüsschen Binna durcheilt mit seinem Wasser das Binntal, also den längsten Kreuzschenkel. Wir wandern flussaufwärts zu den Häusern « Feld », wenden uns dann zur « Freiche » und zu den Steinhütten. Von den grossen Alpweiden an den südlichen Hängen des « Holzerspitz » steigen wir links des Baches zum « Tälli » und « Ochsenfeld »; eine weitere Stufe mit grossen Felshöckern bringt uns auf eine Terrasse kurz vor den letzten Steilkehren des Albrunpasses ( 2409 m ). Wir stehen an der Grenze Italiens. 20 Minuten unter uns, auf italienischem Boden, liegt die Alpe Forno, und nach einer weiteren Marschstunde erreicht man den kristallklaren Lago di Devero. Wer Zeit hat, geht bis Ai Ponte ( 1640 m ) weiter auf dem sich am Gischihorn hinaufschlängelnden Pfad zum Kriegalppass und ins gleichnamige, wieder auf Schweizer Boden sich nach Heiligkreuz hinunterziehende Tal. Heiligkreuz ist ein Wallfahrtsort mit einigen Bauernhöfen und einer Wirtschaft, in einer Stunde von Binn zu erreichen.

Am Albrunpass erhebt sich zur Linken, Route Nord—Süd, das formschöne Ofenhorn ( 3235 m ). Seine mächtigen Westflanken beherrschen den Abschluss des Tales. Vom Ofenhorn zieht sich nördlich ein wenig ausgeprägter Grat zum Hohsandjoch, hinüber zum Hohsandhorn und über dessen Gletscher weiter zum bekannten Blinnenhorn und Griesgletscher. Wenden wir uns rechts vom Albrunpass dem Albrunhorn zu! Wir überschreiten das Horn vorteilhaft über den sich hinaufziehenden Grat bis zum Gipfel ( 2885 m ), wenden uns bergabwärts dem Passo Valdeserta zu ( 2665 m ) und wandern über die Weiden Halsen und Lärcheltini ins Tal zurück.

Der nächste Tag bringt uns in die herrlichen Gebiete der Messeralp und des Geisspfades. Eine halbe Stunde hinter Binn steigen wir scharf nördlich hinauf zur schönen Messeralp und zum gleichnamigen Seelein. Dort führt ein Weglein in südöstlicher Richtung zum 350 Meter höher gelegenen Geisspfadsee. Der kurzweilige Weg zu den Seen, die stolzen Gipfelgrate, Felswände, Firnen und Tristen einer fast unberührten Bergwelt werden jedem Alpinisten zum Erlebnis. Für jede Stufe bergsteigerischer Tätigkeit ist Gelegenheit vorhanden. Die Landschaft ist von einer seltenen Schönheit. Und wenn wir noch die Kräfte haben, um gleichentags um das vorgelagerte Stockhorn herum dem « Schaperseewji » einen Besuch abzustatten, immer im Bann der umliegenden Gipfelwelt, so haben wir Eindrücke gewonnen, wie sie sonst eine Talschaft auf so engem Raum kaum zu bieten hat.

Ein schöner Tag bricht an. Heute geht es Richtung West. Drunten am Langtalwasser in Zen Binnen schwingt sich ein Brücklein über den aufgestauten Bach. Ein meisterhaft angelegter Waldweg lädt uns ein, alle die Schönheiten der Umgebung zu betrachten. Eine Stunde Weg, und wir stehen auf der Grummelenalp. Was jetzt folgt, ist unbeschreiblich schön: So weit das Auge sieht, überblickt es einen Lärchenwald von unglaublicher Schönheit. Die Alpweiden stehen im Saft, muntere Bächlein versuchen sich im schnellen Lauf zu überbieten, zwischen den Baumkronen stehen die verschneiten Gipfel im Sonnenglast. Südwind steigt empor. Jeder Fels, jede Rinne, alle Grate und Zacken sind sichtbar. Eine wunderbare Welt! Wir wandern und schauen. Unser Ziel ist der Saflischpass. Niemand lenkt uns ab von der Schönheit, die uns dieses Stück Heimat offenbart.

Zufrieden und glücklich ziehen wir unsern Pfad weiter, halten Rast auf dem Pass des Saflisch. Es bliebe uns die Möglichkeit, über das « Hohlicht » und das Steinental zum Simplonpass vorzudringen. Wir müssen der langen Marschzeit wegen verzichten und wenden uns deshalb zur riesigen Furggenalp. Wir haben freien Ausblick auf die unteren Dörfer des Goms und auf die gegenüberliegende, allerdings einige hundert Meter tiefer liegende Bettmer- und Riederalp. Heimwärts wenden wir uns durch den Kehliwald wieder Heiligkreuz zu. Mit einem verdienten Schoppen Dole beschliessen wir den Tag.

Zwischen dem Goms und dem Binntal erhebt sich ein Höhenzug mit massig hohen Gipfeln. Am Ausgang des Dorfes, bei den Schmidigenhäusem, zweigt der Waldweg ansteigend hinüber zur Ebne Matte. Hier ist der Anfang unserer Gratwanderung. 800 Meter über den Abbruchen der Steinmatten, am nördlichen Kreuzbalken, gegenüber dem Binner Breithorn, liegen die Weiden der Ebne Matte. Der sich anschliessende Höhenzug mündet nach Osten.

Den ersten Gipfelaufbau bildet das Eggerhorn ( 2503 m ). Wir schauen auf das dem Tal des Oberwallis gegenüberliegende höchste Dorf, Bellwald. Der breite Schweifengrat bildet die Verbindung zum nächsten Berg, dem Faulhorn ( 2677 m ). Nun folgt ein fast ebener Höhenzug an der « Bettel-wäng » bis zum Holzjihorn, dessen Ostflanke im Feldbach-Gletscher ausmündet. Der Firn führt in massiger Steigung zum Mittag- oder Rappenhorn ( 3141 m ), und die Gruppe schliesst sich mit dem 3247 Meter hohen Turbhorn, dessen Ausläufer sich dem Hohsandhorn zuwenden.

Östlich vom Gipfelaufbau des Eggerhorns haben wir die Möglichkeit, ins Rappental abzusteigen; wir folgen einem Pfädlein bis zur Alp Ripei, dann nordöstlich zu Punkt 2616. Hier haben wir die Wahl, in eines der Gomser Dörfer, von Niederwald bis Reckingen, zu gelangen.

Westlich der « Twängi », gegenüber der Schlucht, stossen die nackten, rötlichen Felsflanken des Binner Breithorns gegen den Himmel Dieses Horn bietet eine vollendete Aussicht auf das Binntal und die oben beschriebenen Routen und Berge.Von Grummelen bleiben wir an der Kante bis zu den breiten Feldern des Horns. Ein Abstieg nach Ausserbinn ist möglich, indem wir zuerst westlich, dann östlich an den obern Rand des Riedgrabens schreiten, weiter zur Alp « Fürsiten » und über Gartwald zu den Ried- und Hockmatten. Eine Brücke über die Binna weist den Weg wieder hinauf nach Ausserbinn.

Mit diesen Hinweisen haben wir einiges aufgezeichnet zur Erschliessung dieser schönen Talschaft. Wir möchten aber unsern Bericht nicht schliessen, ohne darauf aufmerksam gemacht zu haben, dass im Binntal Mineralien vorhanden sind, die jeden Kenner entzücken. So finden sich auch heute noch « Strahler » ein, die nach Beute graben. Im Dorf sind in einem Mineralien-geschäfte sehr schöne Stücke zum Verkauf ausgestellt. Die Bevölkerung des Binntals ringt um ihre Existenz. Auch hier vollzieht sich eine Abwanderung in die Ebenen, wo der Lebenskampf weniger Härte verlangt.

Wer Ruhe und Erholung inmitten einer herrlichen Bergwelt sucht, der versuche es einmal im Binntal!

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