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Das Engadinerhaus

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G. Egger ( Sektion Davos ).

Von Kein Teil der Schweizeralpen hat so viel Hinundher, so viel Unruhe, Verkehr und Kampf, vom Hausstreit bis zur Episode von weltgeschicht-licher Bedeutung gesehen, wie die den Ausgleich zwischen Nord und Süd vermittelnden Thäler und Pässe Bündens. Und doch haben sich gerade auf diesem Durchgangsgebiet bis auf den heutigen Tag eine eigene Sprache fast ohne Unterstützung durch die Schrift, alte Haustierformen, alte Rechtsverhältnisse und manch uralte Sitte und Gewohnheit bei der Bevölkerung zäh zu erhalten gewußt. Darin ist gerade das Engadin, vielleicht wegen seiner longitudinalen, der Verkehrsrichtung entgegenlaufenden Lage besonders bevorzugt. Denn hier sind Rasseeigentümlichkeiten ( bildet es doch eines der beiden brünetten Centren der Schweiz ), sprachliche und Siede-lungsverhältnisse am deutlichsten gewahrt, wenn davon wahrscheinlich auch ein größerer Teil auf Rechnung der ehemaligen römischen Provinz als des autochthonen Zustandes zu schreiben ist. Neben der natürlichen Isolierung, die zweifelsohne hier wie in den Alpen überhaupt als erster konservierender Faktor in Frage tritt, neben der Begünstigung durch ein Staatswesen, das der Selbständigkeit der Einzelheiten von jeher so förderlich war, mußte dieser ausgeprägten Eigenart vielleicht gerade jene fortgesetzte Reibung mit feindlichen Elementen zur Stärkung und Ausbildung gedient haben, wie ja auch das in der Einsamkeit aufgewachsene Individuum fremden Einflüssen gegenüber seine Charaktereigenschaften um so hartnäckiger behauptet. Auf jeden Fall ist es bemerkenswert, daß sich gerade hier an der Grenze zwischen Nord und Süd, zwischen germanischem und romanischem Volkstum die einheitlichste und regelmäßigste Hausform der ganzen Schweiz findet, so mannigfaltig sich das Gebirgsland auch auf diesem Gebiete wieder erweist, und daß ferner dieser strenge, festgefügte Typus gerade ein Steinbau sein muß, der doch sonst der Freiheit in der inneren Einrichtung von vornherein Vorschub leistet.

Es sieht zuerst so aus, als hätte sich aus dem Anprall zweier Gewalten eine überraschend neue dritte Form herauskrystallisiert, so scharf sondert sich das Engadinerhaus sowohl vom unregelmäßigen, steinernen Durch-schnittsbau Italiens als von der einfachen deutschen Alphütte ab. Bei näherem Zusehen drängt sich aber doch folgender Gedanke überzeugend auf: die Grundidee des Engadinerhauses ist eine ans Gewagte streifende Ummodelung des romanischen Prinzips, das ohne weiteres in dieser Hochgebirgsgegend durchaus verloren wäre, in eine den klimatischen Verhältnissen angepaßte Form, so zwar, daß nicht sowohl diese Form selbst als vielmehr ihre Bestimmung eine Verschiebung erleidet.

Sieht man von allen ethnischen Eigentümlichkeiten ab und verfolgt den Hausbau in vertikaler Richtung rein nur in Bezug auf seine Zweckmäßigkeit, so findet einmal, je höher wir steigen, eine um so ausgiebigere Verwendung von Holz statt und Hand in Hand damit ein Vorherrschen des Blockbaues, weil die Transport- und Bearbeitungsverhältnisse mit zunehmender Abgelegenheit immer einfachere Methoden verlangen. Zugleich wird das Gebirgshaus kleiner, enger, niedriger und flacher und infolgedessen wärmer. Es nähert sich mit einem Wort, wie das ganze Leben des Gebirgsbewohners selbst, dem einfachen und primitiven Zustande.

Von alledem im Engadin nicht die Spur. Im Gegenteil, das Haus nimmt oft geradezu riesige Verhältnisse an und vereinigt mit einer Kühnheit sondergleichen alles zusammen, Stall, Scheune und Wohntrakt unter demselben Dache. Fast alle Räume sind hoch und luftig und erfreuen sich verschwenderischer Dimensionen. Und es ist wohl erstaunlich, mit welchen Mitteln diese an sich kalten und zugigen Steinhäuser nun doch zu behaglichen Winterwohnstätten gemacht worden sind.

Das Engadinerdorf.

Bevor wir auf Einzelheiten eintreten, dürfte doch noch die eine Frage aufgeworfen werden, warum sich die Bewohner des Engadins nicht in größerem Maßstabe den natürlichen Reichtum des Hochthales zu nutze gemacht, nicht mehr in Holz gebaut haben. Die gemeingültige Erklärung für diesen wirklich auffallenden Umstand ist zwar gleich bei der Hand: es soll nämlich nur der Deutsche etwas vom Holzbau verstanden und der Romane sich traditionell nur an Stein gehalten haben. Wo sind dann aber die Ungeheuern Wälder, welche die linke Thalseite einstmals bekleidet haben, hingekommen? Sollten sie wirklich gar keine Spuren ihres Daseins hinterlassen haben? Ein großer Teil davon wanderte unstreitig in die Schmelzöfen ( Scarl, Fuorn, Bernina etc. ), da ja der Bergbau in diesen Thälern und gerade in der Hand gewisser Engadiner Geschlechter einen heute kaum geahnten Aufschwung besessen hat, und ferner sind rätische Stämme nach einer alten Quelle zu Bauzwecken ausgeführt worden.

Aber auch am Engadinerhaus ist Holz, sogar viel Holz zur Verwendung gekommen, und es ist gar nicht ausgeschlossen, daß dies früher noch weit mehr der Fall gewesen sei, weil gerade primitive Häuser, z.B. die von Dorta, einem der ältesten Teile von Zuoz, vielfach Holzwerk statt Mauer aufweisen. Die vielen Dorfbrände und eine höhere Wertschätzung des Waldes überhaupt mögen da mit der Zeit nicht ohne Einfluß geblieben sein.

Wer von Norden her, etwa aus dem Prätigau oder Schanfigg, über die alten Paßwege hinübersteigt ins Engadin und zum erstenmal seine Dörfer erblickt, dem fallen allerdings die plötzlich auftretenden Steinmassen zunächst ins Auge. Kaum anderswo ist die Grenzlinie zwischen-zwei verschiedenen Haustypen so scharf gezogen wie hier. Nach den Hütten der deutschen Seite sind das — ich meine etwa die Häuserkolosse von Schuls — wahre Paläste, burgähnliche, eine Behäbigkeit und einen Wohlstand sondergleichen ausdrückende Bauernsitze. Die Holzteile gehen fast unter in der Masse von Stein 1 ). Jedoch ein einziges dieser gewaltigen Dächer verschlingt mit seinem Dachstuhl, seinen zugeschnittenen Brettern und dicken Schindellagen einen ansehnlichen Holzbestand. Und geht man vollends um das Dorf herum oder nähert man sich ihm statt auf der Straße von der Wiesenseite her, so bietet es ein völlig verändertes Aussehen: da ist weiter nichts zu sehen, als die braune Rückseite der Scheunen und die hölzernen Lauben an denselben.

Das führt uns auf die Stellung der Häuser und die Dorfanlage überhaupt. Statt der weithin zerstreuten Schar des deutschen Dorfes, wo sich höchstens um die Kirche, am „ Platz ", ein kleines Häusertrüppchen vereinigt, drängt sich hier alles auf einen großen Haufen zusammen, so daß die kompakten weißen oder weiß und braunen Massen der Dörfer mit den silbergrauen Dächern anmutig aus dem Wiesengrün hervorschimmern. Daneben sind die Wiesen und Weiden kahl; denn die vielen Ställe und Stadel, wie sie auf der deutschen Seite die Landschaft so hübsch beleben und wie aus Laune bis über die höchsten Alpen verzettelt sind, fehlen hier vollständig. Nur ganz vereinzelt blickt ein Maiensäß ( accia ) von höherer Warte ins Thal herab.

Das ist wohl mit ein Grund, dem landschaftlichen Charakter des Oberengadins seinen Ernst und seine Ruhe zu verleihen. In langen, feierlichen Linien streben die Thalhänge zu beiden Seiten auf in die Höhe, von keiner menschlichen Ansiedlung, also keiner Ablenkung, keinem. Ruhepunkt für das Auge mehr unterbrochen. Schaut man dagegen von erhöhtem Standpunkt hinunter auf die Thalsohle, so reihen sich die weißen Das Engadinerhaus.

Dorfnester wie so viele Edelsteine auf am Silberfaden des Flusses oder der Landstraße, und der Thalgrund erscheint wie ein großblumig durch-wirkter Teppich.

Die Straße selbst hat ihre alte südliche Bedeutung als Mittelpunkt des Dorfes noch nicht verloren, denn in konsequenter Weise stehen alle Häuser mit ihrer vorderen Seite gegen dieselbe; nur an starken Hängen wird das allerdings bei ihrer Längenausdehnung manchmal unmöglich, so Haus in Camogask ( Dach modernisiert ).

( Sektion Davos ).

Zuoz.

daß sie gezwungen sind, sich parallel der Straße aufzustellen. Doch bleibt auch dann noch die innere Einrichtung dieselbe, d.h. der Eintritt geschieht immer von der Giebelseite, von einem Vorplatz aus, an den sich dann oft ein Stück Garten anreiht.

Das steht in auffallendem Gegensatz zur Lage des deutschen Gebirgs-hauses, das sich rein nur nach dem Sonnenstand und nach der Fallrichtung kehrt und damit jedenfalls hygieinisch viel gewinnt. Auch in anderer Beziehung glaubt man sich nicht auf 1700 Meter Höhe, sondern in einem Jahrtuch dea Schweizer Alpenclub. 85. Jahrg.15 heißen, sonnedurchglühten Lande zu befinden: die Häuser treten mit den Giebeln so nahe zusammen, daß sich öfters der Durchlaß auf eine schmale, schattige Gasse beschränkt, so daß heutzutage der eidgenössische 10-Plätzer Mühe hat, durchzukommen ( vergl. Bevers ).

Einmal im Jahr nimmt die Dorfstraße vollends südlichen Charakter an. Es ist zur Zeit der Heuernte. Aus dem Veltlin und noch weiter her sind in Scharen die italienischen Taglöhner herübergekommen und stehen an schlechten Tagen überall auf der Gasse und an den Thoren herum. Frauen in der malerischen Veltlinertracht stricken und plaudern oder waschen am Brunnen und klappern mit den zoccoli auf dem Pflaster, wenn sie in kupfernen Gefäßen dort Wasser holen. Früher waren es Tiroler, welche dem Engadiner Bauern auf diese Weise seine wichtigste ländliche Arbeit, die Heuernte, bestellen halfen, da es im Thale selbst an geeigneten Arbeitskräften mangelt. Bei dem gänzlichen Fehlen von Vorwerken ist eben der wirtschaftliche Betrieb ein etwas anderer als beim beständig herumziehenden Bergbewohner deutscher Gegenden. Das Sammeln alles Heus an einem Centralpunkte hat daher verbesserten Transportmitteln gerufen, und mit dem Überschreiten der Hausgrenze sind wir auch in den Bereich eines neuen Haus- und Zugtieres gekommen, des grauen italienischen Ochsen. Kuhig und würdevoll läßt sich dieser treueste Mitarbeiter des Engadiner Bauern ins Joch spannen, um die Heu-schwaden zusammenraffen zu helfen oder jene niedrigen, mit Heubündeln beladenen Wägelchen zu ziehen, wie sie uns Herr Julien Gallet, zwar modernisiert, im letzten Jahrbuch vorgeführt hat. Der ältere Vetter dieses Fuhrwerks besitzt nämlich nur vorn Räder, während hinten die beiden Wagenbalken nachschleifen — eine Einrichtung, passend für holperige und steile Bergpfade ( tragliun, Schleifschlitten ).

Außer diesem Ochsengespann bringt der ländliche Verkehr wenig Leben auf das Pflaster der Dorfgasse. Am frühen Morgen und abends hallt es wieder vom zierlichen Getrippel der Ziegenherde und nachts vom taktfesten Schritt der Runde, welche die Feuerpolizei macht und ihr altes Lied zur Beruhigung des schlafenden Bürgers singt. Dagegen rasseln in der Kurzeit unaufhörlich die Postkutschen und Frachtfuhrwerke durch.

Gepflasterte Straßen, hohe, verputzte und geschmückte Fassaden, eng ineinandergebaute, durch größere Plätze wieder unterbrochene Häusergruppen, dann die im allgemeinen herrschende Sauberkeit, es trägt alles zu dem stattlichen, fast städtischen Aussehen der Engadinerdörfer bei. Die zahlreichen Wohnungen alter Patrizierfamilien treten freilich an sich schon hervor durch ein etwas vornehmeres Gepräge, wenn sie auch im Innern trotz der reichen Ausstattung die alte Einteilung nicht verleugnen können. Eine Freitreppe mit schönem Geländer führt vielleicht hinauf zur Thüre und eine marmorne Wappentafel fehlt nie darüber, oder hie und da wagt sich auch ein Balkon aus dem oberen Stockwerk hervor.

Wir haben uns natürlich ausschließlich mit dem Bauernhaus als dem Träger des Typus zu beschäftigen. Auch hier ist dieselbe reizende Wirkung durch Sgraffit erzielt, streckt der Erker naseweis seinen Dreikant in die Straße hinaus, sind die untern Fenster mit Gitterwerk und einem reichen Blumenflor dahinter, das Portal mit einem zierlichen Thürklopfer geschmückt. Dieser Sinn für ornamentale Ausgestaltung versöhnt völlig mit der etwas plumpen Bauart und den Unregelmäßigkeiten des Äußern. Er ist das Gegengewicht für das finstere Aussehen der massigen Mauern und der Fensterscharten, die der heiteren Gemütsart der Bewohner so gar nicht entsprechen, aber als Schutz gegen das Klima unentbehrlich sind. In der That nichts Auffälligeres als die kleinen Fenster, in alten Häusern oft mehr Löcher, und die Ausweitung der Lichtöffnungen sowohl nach innen als nach außen, übrigens eine noch nicht so sehr alte Errungenschaft. Diese schrägen Mauerflächen wirken als Lichttrichter ebensowohl, wie sie dem dahinter Sitzenden ein größeres Gesichtsfeld auf die Straße hinaus eröffnen, bilden also eine dreifache Erfahrungseinrichtung ( Wärme, Licht, Aussicht ). Fast keines dieser Fenster ist gleich groß, fast keines steht auf gleicher Höhe wie das andere. Tritt nun bei einzelnen Häusern der Stubenteil noch etwas vor die allgemeine Hausflucht, erheben sich massige Stützmauern ( barbachaun ) an den Ecken, ruht ein Stockwerk auf Konsolen und Bögen, springt da ein Erker ( ercul ), dort ein Backofen aus der Wand hervor, so kann man sich äußerlich nichts Unregelmäßigeres denken als diese Mauerflächen — und doch wiederholt sich die innere Einrichtung überall peinlich genau. Typisch sind auch die großen Zwei-familienhäuser, wo die Scheidewand unter dem First das Haus in zwei gleiche Teile trennt — auch da im Innern, links und rechts, völlige Symmetrie. Ja, oft steht ein solches halbes Haus allein und streckt dann sein Pultdach kühn in die Luft. Auch die Dörfer sehen sich durchs ganze Thal hindurch so ziemlich gleich, nur daß oberhalb Madulein der Campanile vorherrschend ist, während unterhalb fast nur noch der spitze Kirchturm vorkommt und ganz leise Anklänge ans Tirol auftreten.

Die große Übereinstimmung in der Bauweise findet nun ihre Erklärung zum Teil auch darin, daß alle Häuser ungefähr gleichen Alters sind, nämlich dem Zeitraum von nur drei Jahrhunderten angehören. Ganz alte Bauernhäuser finden sich leider nirgends mehr vor, zum großen Bedauern für den Altertümler. Damit haben die Engadiner selbst gründlich aufgeräumt, wie ein Blick auf einige Blätter ihrer Geschichte lehrt.

Im Hennenkrieg ist die Zerstörung von Dörfern zum erstenmal historisch beglaubigt; zu Beginn des Schwabenkrieges hat das Unterengadin gelitten; bald nachher legten die Oberengadiner selbst Hand an ihre Wohnstätten, um dem Kaiser den Rachezug für Calven zu verleiden. Wieder sind die Dörfer des Unterengadins 1622 den Scharen Baldirons zum Opfer gefallen und so besonders Zernez und Fetan eingeäschert C. Egger.

worden; auch noch 1799 mag die eine und andere Baute Schaden genommen haben. Es folgen die großen Dorfbrände dieses Jahrhunderts: Sent 1823, Lavin 1869, Zernez 1872, Fetan 1885. Kein Wunder, wenn man nur wenige Hauszahlen vor 1622 und wohl keine über 1499 hinaus erwarten darf.

Statt nun im allgemeinen auf den Baustil einzugehen, wollen wir lieber gleich eines dieser Häuser selbst besuchen, da sie sich doch alle wie ein Ei dem andern gleichen und technische Beschreibungen zudem schon mehrfach vorhanden sind' ). Der Leser verzeihe nur das der Kürze halber im Text untergebrachte Anhängsel der romanischen Nomenklatur, auf die eben noch zurückzukommen sein wird.

Das Engadinerhaus.

In Zuoz am unteren Ende des Dorfes ( vischnauncha ), nahe bei der alten Kirche Sta. Catharina, liegt eines jener großen Doppelhäuser mit einem Garten ( üert ) davor, worin neben vielen Blumen Gemüse, vor allem ein besonders zarter Blumenkohl, gezogen wird, um in der Saison weit herum auf die Hoteltafeln zu kommen. Auch der Gar-tenhag ruht auf starkem Mauerwerk — man sehe sich diese mächtigen, mit kleinen Schindeldächern versehenen Pfeiler an — wie sich denn solche Solidität im Engadin aus leicht begreiflichen Gründen ( Schneelasten, Kälte ) auf alles, was zum Bauhandwerk gehört, er- streckt — selbst Clubhütten nicht ausgenommen! Ur- sprünglich Planta'sches Besitztum ( Vicari PL ) und wohl auch durch einen Planta erbaut, wird unser Bauernhaus nunmehr seit einer Reihe von Jahren schon von anderen Familien bewohnt. Wir wollen jedoch nur die rechte Hälfte betreten, die allein eine Grundfläche von beiläufig 28 auf 14 Meter beansprucht l ) Vergl. Gladbach, E., Holzarchitektur der Schweiz, S. 10 ff.Der Schweizer Holzstil.

„ Doflein, C., Bauernhäuser in Graubünden, in „ Deutsche Bauzeitung"-Jahrg. 1896, S. 239 ff. und 246 ff.

Die demnächst erscheinende Publikation des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins.

und von der andern Wohnung ganz abgeschlossen ist, auch nicht einmal durchgehende Stockwerkhöhen mit ihr besitzt. Um den Typus festzustellen, braucht man sich also einfach die andere Seite als nicht vorhanden zu denken.

Neben dem großen, gewölbten Eingangsthor ( porta ) fällt in der untersten Fensterreihe hauptsächlich das Gangfenster mit schmiedeisernem Gitter ( giatter ) und prächtigem Blumenschmuck, der sich auch auf die meisten übrigen Fenster verteilt, auf. Die beiden Stubenfenster nebenan, wie noch einige andere, sind übrigens wohl in diesem Jahrhundert erneuert und vergrößert worden; auch ist leider der Sgraffitschmuck der Fassade längst übertüncht. Vom oberen Stockwerk, wo zwei größere Gangfenster hervortreten, steigen rechts im Innern kleine Treppchen hinauf und hinab zu Kammern mit oben zwei und unten einem Fensterchen; das letzte Fensterdoppel endlich gehört dem Bodenraum an, und dann folgt im Giebel noch eine Luke. Ganz in gleicher Weise verhält es sich mit der linken Seite, so daß sich das anfängliche Durcheinander der Fenster nunmehr entwirrt hat. Fensterläden ( balcuns ) sind nur an den größeren vorhanden.

Um das Haus ( chesa, alt chia, cha ) zu betreten, müssen wir eine gepflasterte Rampe zum Hausthor hinansteigen, ebenso führt zum rechts davon in der Tiefe liegenden Stalleingang ein gepflasterter und mit Stufen versehener Weg nach unten ( chaunt d'porta und chaunt d'cuort ). Die Stützmauer zwischen beiden Rampen wird von einer hölzernen Bank mit hoher Lehne gekrönt ( il baunchet ), worauf am Feierabend oder Sonntagnachmittag der Hausvater seinen „ Fögl " studiert oder mit der Hausfrau Wirtschaftspolitik treibt. Oberhalb des überdachten Stallportals und längs der Mauer sind meist Holzvorräte aufgespeichert. Klopfen wir nun mit dem Thürklopfer ( pichun ) an die ins Portal eingesetzte, in der Mitte horizontal geteilte kleinere Thüre, so öffnet uns der Hausherr wohl selbst, nachdem er sich vorher durch den obern Flügel überzeugt hat, wer Einlaß heischt. Dieser obere Thürteil wird auch als Fenster benützt und gewöhnlich offen gelassen. Vor uns steht also der Bauer, eine große, stämmige Gestalt mit markanten Gesichtszügen, und führt uns auf Befragen bereitwillig im ganzen Haus herum.

Da ist zunächst der große Flur ( il sulêr ). Er nimmt die Hälfte des Wohntraktes und fast den dritten Teil der ganzen Grundfläche ein, dient als Vorrats-, Arbeits-, Wohnraum, Spiel- und Werkplatz, hauptsächlich aber als Durchfahrt zur Scheune ( il talvo ). Denn mit leichter Steigung führt sein aus Bohlen gebildeter Boden zum Scheunenthor, das, nicht ganz von so großem Umfang wie das vordere, doch eben noch einen beladenen Heuwagen durchlassen muß. Die linke Seite nehmen Kasten ( chaschas ), Truhen ( serins ), allerlei Geräte wie Gießkannen, Körbe u. dgl. ein; weiter hinten, bei der Treppe, steht ein Gefährt. Will der Bauer aus- G. Egger.

fahren, so wird der Schimmel aus dem Stall heraufgeholt und hier, also hübsch im Trockenen, eingestiegen. An der Wand hängen Peitschen, Rechen und eine große Stabwage ( balaunischa ), für die in der Decke ein Haken bereit steckt.

Auch Ringe, zum Aufziehen der Schlachtware bestimmt, befinden sich dort oben. Es ist nicht uninteressant, sich diese Decke aufmerksam zu betrachten; denn einen so reichen Eindruck sie einem auf den ersten Blick macht — sie ist natürlich gewölbt, vorn mit größerer Spannung, hinten als eng- maschiges Netzgewölbe — eine so komische geometrische Zeichnung ergiebt ihr Grundriß und weist auf eine naive Schöpferhand hin. Es stehen sich nämlich auf der einen Seite vier, auf der andern drei Kappen gegenüber, was dann durch eine kühne Verzerrung ausgeglichen wird. Nicht genug — einzelne Widerlager setzen auch direkt auf Thüröffnungen oder Wandschränken ( s-chantechia ) ab, deren im sulêr an verschiedenen Stellen angebracht sind.

Die gemütlichste, wohnlichste Ecke des sulêrs befindet sich gleich rechts neben dem Eingang. In der Fensternische ist hier ein Lehnsessel eingelassen, und davor steht ein Tisch mit Stühlen und einem Blumenstrauß darauf, ein Plätzchen wie geschaffen zum Plaudern oder Vespern. Erwähnen wir nur noch der Kuriosität halber, daß sich auch das Schuh-putzeisen im Innern, nicht vor der Thüre befindet, so hätten wir die Sehenswür- digkeiten dieses sulêrs aufgezählt. Was böte er einem modernen „ Fegnest " je- weilen nicht für ein ideales Samstagnachmittagsreinigungsfest, diese 120 Quadratmeter Hausgang! Es muß übrigens zu seiner Ehre gesagt sein, daß er das nicht nötig hatte.

Bas Engadinerhaus.

Betreten wir nun die Schwelle ( ims, im Unterengadin glims. Val d'Glimsdes ersten der drei Gemächer auf der rechten Seite, der Stube ( stüva ). Sie ist der niedrigste und kleinste Raum von allen, aber auch der wärmste. Denn ihre Wände besitzen zwischen dem Getäfel aus Arvenholz ( paraits ) und der Mauer noch eine Verkleidung von Balken ( curagias ), also dreifachen Abschluß. Diese Blockwände, gebildet durch roh behauene Stämme, die Fugen mit Moos ausgestopft, haben stets gleiche Größe, indem die Balken auf ein bestimmtes Maß zugeschnitten sind. Die Beschränkung des Raumes tritt daher auf allen Seiten zu tage: vom sulêr aus führen einige Stufen zur Thüre ( üsch ) hinauf, die Decke ist niedriger als irgendwo sonst, läßt sie ja oberhalb noch eine Art Entresol zu, und 1. Nebenhaus. 2. snlêr. 3. stufa, 4. clia-dn-fS. 5. chamineda. 6. talvo. 7. lobgia.

endlich ist die Seite gegen den sulêr um ein gutes Stück nach innen gerückt.

Gleich links neben der Thüre steht der große Ofen ( la pigna ) und läßt auf der Rückseite Raum frei für eine kleine hölzerne Treppe ( la straglietta ) zur Kammerluke ( il burêl ) hinauf, durch die im Winter die Wärme nach oben streicht und die ofenlose Schlafkammer heizt. Auch der Bauer braucht also nicht den Umweg durch den kalten sulêr zu machen, wenn er sich zur Ruhe begiebt. Ein Klapptischchen ( la maisina ) an der Wand ist ein specifisches Engadinermöbel; sein Fuß ist etwa mit einem ausgestanzten Wappen aus Metall verziert. Weiterhin bemerken wir, daß auch hier der Tisch ( maisa ) in die hellste Ecke gerückt ist und daß, abgesehen von den Stühlen ( s-chabels ) im Zimmer, auch an der Wand eine Bank um ihn herumläuft ( ils baunchs ), wie auch am Ofen das „ Kutschi " nicht fehlt ( aber ohne besonderen Namen, il baunch d'pigna ). Das letzte Stück der nicht modernen Einrichtung ist ein großes Buffett ( plat s-chantschia ) rechts von der Thüre, aus dessen zahlreichen Schub-lädchen einem unser Führer mit Stolz einen Adelsbrief, wie sie fast jedes alte Engadiner Geschlecht vorweisen kann, verliehen vom späteren Kaiser Ferdinand I., nebst anderen Familienpapieren zieht. Darunter auch ein Stammbaum, worauf solch reizende und wohlklingende Namen wie Cilgia, Inglina, Baltramina, Jan Avard u. dgl. vorkommen; unter den männlichen Vorfahren figurieren ein „ Jurist und Poet ", natürlich viele ministers ( Pfarrer ) und auch ein poet e musicant.

Nehmen wir unsere Rundreise wieder auf und sehen uns die anstoßenden Räume an. Es sind große Steinhallen ( Mauern 87 cm. dick !) mit gewölbten Thüren und Tonnengewölben zur Decke, vorn die Küche ( cha-da-fö ), dahinter die Vorratskammer ( chamineda ) und in diese letztere später hineingebaut der Abort ( il secret ), der aber ursprünglich in der Scheune hinter dem Treppenhaus seinen Platz hatte. Die Küche enthält einen großen Rauchfang ( chappo ) über dem modernen Herd ( piatta ), in einer Ecke findet sich aber noch eine andere, steinerne Feuerstelle mit daran anschließendem Backofen ( il fuorn ), der einst ins Freie hinausragte, und auf der gegenüberliegenden Seite der Schüttstein ( l' aguröl ). Die Familie nimmt ihre Mahlzeiten in der Küche ein, wenn sie unter sich ist. Ein Unterländer aber müßte sich hier zuerst an die „ fette " Zubereitung der Speisen gewöhnen, bevor er mithalten könnte, wie denn besonders zu den nationalen Gerichten und Gebäck stets viel Butter verwendet wird ( spech, spech in gramma, tatsch, chapuns. foatscha grassa, patlaunas etc. ).

In der Scheune hinten zieht es noch viel mehr als im Hausgang, denn ihre Seiten bestehen nur aus lose übereinandergefügten Balken aus Rundholz ( toi, travun, U. E. mader ), durch die der Wind pfeift. Hinten sind ebenso zwei mächtige Rundfenster in der Größe von stattlichen Kirchenfenstern damit ausgefüllt, nur die massiven Eckpfeiler sind aus Stein. Endlich klebt noch mitten an der Hinterwand eine hölzerne Laube ( lobgia ) an oder der Holzschopf befindet sich dort ( cligna ). Der Gang aber, auf dem wir stehen, ist das Tenn ( irel ), links und rechts Hegen Abteilungen für Geräte, oder im Unterengadin auch für Feldfrüchte ( quartas ) und oben drüber in einem oder mehr Stockwerken die Heubühnen ( crapendas, Tragbalken = giaschiglier, Stützpfosten = parpaun ), wo die Heubündel hinaufgezogen werden. Die oberste enthält auch Knechte-kammern und kann vom oberen Gang aus betreten werden.

Kehren wir in den sulér zurück und steigen die steinerne, unten durch ein Holzgitter abgeschlossene Treppe hinauf, so stehen wir überrascht einem ebenso großen Vorplatz mit riesiger, eingelegter Holzdecke gegenüber. Es ist der palintschieu, oder eigentlich, weil er mit Stein- fliesen bedeckt ist, der estêr. Wieder schmücken verzierte Truhen ( scrins = Truhen für Kleider u. dgl.; archas = Truhen für Mehl etc., mit dachförmigem Deckel ) die Seiten; auch eine Hobelbank steht da und ein Schlitten, an dessen Vorderteil das Familienwappen prangt. Aus den beiden Kammern über der Stube ( stüvasur, chambra da dormir ), die ebenso noch mit Blockwänden bekleidet sind, dringt der penetrante Geruch von Arvengetäfel. Nebenan liegt das schönste Zimmer im Haus, die seletta, mit zierlichem Sterngewölbe, so daß man fast eine Kapelle zu betreten vermeint; dann folgt noch ein drittes Gemach. Auf dem Dachboden endlich herrscht das übliche Durcheinander von alten Truhen, ausgedienten Polstersesseln mit nur drei Beinen, Holzvorräten und Gerümpel aller Art, und im Halbdunkel grinst zwischen den riesigen Balken des Dachstuhles hindurch das vertrocknete Haupt eines Rindes vom First herab, ein alter Brauch, die bösen Mächte zu bannen. Hier finden wir auch das Fleischgemach ( chamineda della charn, U. E. giauden della ch .), gewöhnlich ebenfalls gemauert und mit vielen Zuglöchern in der gewölbten Decke versehen, damit das aufgehängte Bindenfleisch gut austrocknen kann.

Dem Dach ( il tet ) gebührt fast ein Abschnitt für sich, besonders weil es bis jetzt vom ethnographischen Standpunkte aus noch nie recht gewürdigt worden ist. Doch davon später. Hier genüge die Wahrnehmung, daß das unserige mit großen, gehobelten Brettern ( las assas ) gedeckt ist. An den Rändern sind sie vernutet. Nur längs der Firstpfette ( cuol-mera ) und auf der Dachmitte liegen noch kleine Schindeln ( s-chandellas, schintlas ) in dicken Schichten darüber; sie werden festgehalten nicht durch horizontale, sondern in Form von Dachreitern aufgesetzte Stangen ( chavagls ), die über dem First durch einen Holzpflock miteinander verbunden sind. Sparren ( asserchels, Alb. anchargias ) und Pfetten ( keine romanische Bezeichnung, die Dachlatten = lattas, Alb. tisöls ) bestehen aus Rundholz, und die Bretter sind an ihnen nur mit Holzpflöcken befestigt, also eine ganz primitive Konstruktion; dagegen ist der Giebel ( la pensla ) mit ausgeschnittenen Brettern und gewöhnlich mit Pferdeköpfen geschmückt.

Endlich führt uns der freundliche Hausherr noch in sein Heiligtum, den Stall ( stalla ), wobei wir nicht etwa außer Haus zu gehen brauchen, sondern auf derselben Treppe bis in den Keller ( murùtsch, U. E. schier ) und Viehstall hinuntergelangen. Der gepflasterte Raum, der dem sulêr entspricht, heißt cuort oder cuort suot und besitzt den schon erwähnten Ausgang ins Freie, den einzigen im Hause außerdem großen Portal. Rechts liegen zwei Keller, natürlich gewölbt, entsprechend oben Stube und Küche; ebenso befindet sich unter der Rampe der porta ein Kellerraum. Ein Gestell ( il tuorn ), drehbar und mit übereinander liegenden, runden Etagen, erinnert an ähnliche Wallisereinrichtungen und hat dieselbe Bestimmung, nämlich die Mäuse von den daraufgestellten Speisen, dem Brot, Käse etc., abzuhalten. Was aber noch mehr in die Augen fällt, ist ein großer, ge- mauerter Ziehbrunnen ( il puoz ). So ist also dieses Haus wahrlich wie eine Festung ausgerüstet, und es ist keine Übertreibung, wenn man angesichts dieser klafterdicken Mauern, schießschartenartigen Fenster und der ganzen spatiösen und fürsorglichen inneren Einrichtung den Vergleich mit einer Burg nicht los wird. Braucht doch der Bauer keinen Schritt nach außen zu thun, um im Winter sein Vieh zu tränken, zu füttern und alle häuslichen Geschäfte zu verrichten. Er könnte sich wochenlang einschneien lassen ohne Unbehagen oder Gefahr.

Diese weiten Hallen, hochgewölbten, steinernen Räume, d.h. alles das, was ich oben als auf dem romanischen Prinzip fußend genannt habe, sind ihrem ursprünglichen Zwecke, Schatten und Kühlung zu spenden, natürlich entfremdet. Aber sie ermöglichen — denn sonst wären sie gewiß nicht beibehalten worden — die Vereinigung des gesamten Wirtschaftsbetriebes unter demselben First. Hier also liegt die ganze Bedeutung und der Vorteil der Engadiner Bauweise.

Wie anders der Ansiedler auf der deutschen Seite. Beständig hat er während des Winters seinen Weg vom Haus zum Stall und vom Stall zum Brunnen offen zu halten, und ich habe Höfe angetroffen, wo das Tränken des Viehs oft geradezu mit Schwierigkeiten verbunden war und manche Stunde Arbeit erforderte. Daneben reicht sein Futtervorrat nicht einmal für den ganzen Winter hin; er wechselt deshalb einigemal seinen Standort ( viele Familien besitzen drei bis vier Häuser ) und führt also ein eigentliches Nomadenleben.

Vor dem Stall zur rechten Hand liegt etwas, was man in anderen Gegenden der Alpen auch nicht an dieser Stelle suchen würde — hier aber ist wirklich alles im Haus — die Mistgrube ( foura del biag ). Und nun treten wir endlich in den Stall ein. Sein Aussehen ist das eines sauber gehaltenen, freundlichen Gemaches mit Holzverkleidung und kleinen Fenstern. Geradeaus sind die Viehstände ( mons dellas bes-chias ), hier für den Schimmel, dort für den Ochsen, und dann die Kühe, das Kleinvieh, selbst den Hühnerstall ( chabgia ) in halber Höhe an der Wand nicht zu vergessen. Vom Heustall führt die Heurüsche ( fagnera ) zur Krippe ( il preseppen ) herab, Schweinetrog ( bügl ) und Streuebehälter ( zuon del-l'arüd ) füllen zwei Ecken aus, und zwar bilden die Streue hier Lärchennadeln und Tannreis, weiter unten aber Laub oder Stroh. Damit ist jedoch des Originellsten im Stalle noch gar nicht erwähnt. Wie vor der Hausthüre die Bank, im sulêr das Plätzchen vor der Nische, in der Stube die Tischecke, so hat sich der Engadiner auch hier im warmen Stall ein Ruheplätzchen, eine behagliche Ecke geschaffen. An der Wand, zwischen den beiden Fenstern, liegt das Stäbchen, die stüvina, ein meterhoher Verschlag mit Thüre, drinnen Bank und Tisch, gleichsam ein Ställchen für die Menschen. Hier sitzt der Bauer an den Winterabenden mit der Pfeife, plaudert und empfängt Besuch, der Knabe macht seine Bas Engaäinerhaus.

Schulaufgaben, kurz, ein Teil des Familienlebens spielt sich im Winter im Stall ab. Und dabei muß der Kontrast hervorgehoben werden, den dieser Engadinerstall mit solchen des Unterlandes bietet. Dort sind sie im allgemeinen dunkel, hermetisch verschlossen, dumpf und schmutzig, hier aber herrscht peinliche Sauberkeit, und sie sind hell gehalten und gut durchlüftet — also gewiß das gerade Gegenteil von dem, was man mit Rücksicht auf die kli- matischen Verhältnisse zu erwarten versucht wäre.

Unser Rundgang ist beendigt und der Typus des Engadinerhauses damit festgelegt. Abweichungen sind selten; am häufigsten ist im palintschieu des ersten Stockes noch ein gutes Zimmer nach vorn, ganz in Holz, eingebaut. Wo zu beiden Seiten des sulêrs Gemächer sich aufthun, ist der Charakter des Bauernhauses schon verlassen und demjenigen der Patrizier-wohnung genähert. Hier finden wir dann die Stuck-decken, Kamine, Treppen-balustraden u. dgl., die sich auch in Beschreibungen des typischen Hauses verirrt haben. Das eiserne Gemach im ersten Stock, wohin in Kriegszeiten die Kostbarkeiten geflüchtet wurden, ge- hört ebenfalls dahin.

Viel wichtiger wäre die Besichtigung von ganz alten Häusern, und da bieten gerade diejenigen von Dorta einige bemerkenswerte Anhaltspunkte. Das erste links ( 1551 ) hat die denkbar massigste Fassade, man könnte hier nur von Fensterschlitzen sprechen, wenn nicht eine Reihe moderner Fenster eingebrochen wäre. Der sulêr ist infolge eines Ein-baues kleiner, aber die Thüren zu den Wohngemächern liegen — recht charakteristisch — etwa einen Meter hoch über dem Boden, auch ist die weite Spannung des Gewölbes bemerkenswert.

Beim ältesten Bauernhaus in diesem Teil und wohl von ganz Zuoz ( vom Jahre 1542 ) ist zunächst erwähnenswert, daß kleinere Fenster nicht abgeschrägt sind und der Stubenbau nur aus Blockwand besteht, die direkt an die Mauer des übrigen Teiles ansetzt. Wie aus dem Grundriß noch weiter ersichtlich ist, folgen die Wohngemächer in umgekehrter Reihenfolge und ist der sulêr auf die Hälfte reduziert, weil auch die Scheune fehlt ( frühere Bewohner Hörige, also kein Grundbesitz ), so daß der Eingang in die Stube vom Küchenraum aus geschieht. Der letztere ist zwar gegen den sulêr hin ganz offen, die Feuerstelle ist aber doch deutlich in der eigentlichen cha-da-fö gelegen: nirgends habe ich im sulêr einen Kamin oder einen Herd angetroffen, wie Gladbach erwähnt. Der sulêr war offenbar nie Mittelpunkt des Hauses wie der italienische Herdraum. Was die Nomenklatur anbetrifft, so fällt schon in Zuoz, also noch im Oberengadin, eine kleine Verschiedenheit mit Pallioppi 1 ) auf ( aguröl, pichun, curagias ), wie viel mehr haben das Unterengadin, das Münster-oder Albulathal mit anderen Bezeichnungen zu rechnen. Ihren Ursprung nehmen die meisten im romanischen Sprachschatz aus dem Vulgärlateinischen, die deutschen Wörter sind zu zählen ( stüva, gedem, sela, lobgia, balcun, latta, giatter, schintla, stalla ) und noch weniger stammt aus dem Italienischen ( barbachaun ), obgleich auf den ersten Blick die Verwandtschaft mit dieser Sprache enger zu sein scheint. Die Entwicklung vieler Wörter aus dem Mittellateinischen ist zwar eine direkte, aber nach gleichen Laut-gesetzen wie beim Italienischen; daher die Ähnlichkeit.

Ausschmückung.

Sonst wird der Bewohner der Alpen gemeinhin als ein bedächtiger und nüchterner Charakter geschildert, wie er der einfachen Lebensweise und der ernsten Natur wohl am ehesten entspricht. In seinem Sagenschatz und seinen Liedern sprudelt jedoch ein phantasiereicher Quell frischen Lebens, und auch in rein äußerlichen Dingen zeugt es durchaus von nichts weniger als nüchternem Sinn, wenn er seiner Freude am Sinnen-gefälligen und Sinnigen ( Heimeligen ) Ausdruck verleiht.

Die Tracht bleibt zwar meist ernst oder doch einfach, weil die Gelegenheit zum Sehen und Gesehenwerden eben im Hochgebirge auf ein Minimum beschränkt ist, auch die harte Arbeit und das rauhe Klima kein so buntes, schmucküberladenes Kleid leiden, wie es etwa in den Vorbergen oder gar den südlichen Thälern, wozu nun aber doch auch manche romanische Teile Graubündens zu zählen sind, getragen wird 2 ).

Das Engadinerhaus.

Dafür schmückt der Gebirgler seine Gerätschaften und vor allem seine Wohnstätte mit Eifer und oft rührender Erfindungsgabe. Oder ist es Zufall, daß sich gerade das Alpenland der schmucksten Bauernhäuser sowohl in Holz als in Stein rühmen darf? Dort ist es der Berneroberländerstil in der ganzen Feinheit und Zierlichkeit einer dem Material aufs höchste angepaßten Technik, hier das Engadinerhaus, dem der Sgraffitschmuck Leben und Gestaltung verleiht. Was hier aus den plumpen Fassaden mit den spärlichen Lichtöffnungen mittelst einiger weniger und dazu höchst einfacher Verzierungsmotive gemacht worden ist, das setzt einen hohen Sinn fürs Dekorative voraus. Die Unregelmäßigkeit wird Gliederung, der tote Stein erhält Leben und Farbe, auch das Geringste wird mit gleicher Liebe behandelt. So erstreckt sich die Bemalung selbst bis auf die Kamine auf dem Dach. Wie müssen die Engadiner-dörfer einst ausgeschaut haben, als noch Haus für Haus, das ärmliche so gut wie das vornehme, in diesem Kleide prangte! Jetzt ist schon das meiste übertüncht und übermalt, doch schimmern selbst durch diesen barbarischen Überwurf noch die Reste alter Herrlichkeit hindurch. Und doch wie einfach ist die alte Behandlungsweise! Auf dem grauen Bewurf der Fassade sind die Umrahmungen des Portals und der Fenster als blendendweißer Putz aufgetragen und darauf die Zeichnung in scharfen Konturen eingeritzt, so daß der graue Grund wieder zum Vorschein kommt. Ebenso sind die Gebäudeecken gequadert, ein Zier-band läuft längs des Giebels herum, und meist findet sich noch eine Spruchtafel oder ein Wappen ( häufig Bundeswappen. Quist ais tig wapen dels Grisuns etc. Sta. Maria ) und am Giebel der ältesten Häuser das Weihkreuz daran. Es lassen sich hauptsächlich drei Stile oder Verzierungsweisen verfolgen, der älteste ist der Sgraffit in strenger geometrischer Ornamentik und findet sich vorwiegend im oberen Teil des Thales, wohin ja wohl auch italienische Arbeiter gekommen sind. Der Eierstab, das Wasser-wogenband und etwa noch eine einfache Blattranke charakterisieren ihn. Ebenfalls an älteren Häusern bemerken wir die zweite Art, Umrahmungen und Erker im Somrih ( summus vicia ) Zuoz.

Thürklopfer in Zuoz.

Kamin in Zuoz.

C. Egger.

Quaderimitation in Tuffstein, daneben sind aber stets noch aus praktischen Gründen die Fensterschrägen weiß verputzt. Später endlich und entwickelt aus der ersten Art kommt üppiges Rankenwerk in Renaissanceformen, zuerst in Sgraffit und schließlich nur mehr in Malerei vor, hauptsächlich im Unterengadin, und ebenda finden sich einige anspruchsvollere Fassadenmalereien: Tiere ( Löwen in Sent, Elefant und Lindwurm in Ardez ), Adam und Eva ( Ardez ), Blumenstücke oder endlich Köpfe ( Fetan, Ardez ), welche in einem Falle, an einem Plantahaus in Ardez, wohl als Porträt der Familie des Erbauers aufzufassen sind. Dazu kommen nun noch lateinische oder romanische Haussprüche, auf den Bau bezüglich oder eine fromme Sentenz enthaltend, in der üblichen Weise. Doch sind darunter auch solche mit politischen Anspielungen, wie ich wieder an einem nicht un- interessanten Beispiel zeigen will.

In Guarda steht das Haus ( 1671 ) eines gewissen Mastrel Gisep Könz, der mit dem damaligen Governatur Planta nicht auf dem besten Fuße stand und später auch das Haupt seiner Gegenpartei bildete. Letzterer ließ die Dorfstraße, an der Könz ein Gasthaus besaß, verlegen, angeblich um ihm zu schaden, aber ebenso schnell war auch das Könzische Haus an der neuen Straße wieder aufgebaut, und der Mastrel bewillkommnete davor seinen lllu-strissim patrun mit einem etwas malitiösen Hinweis auf seine Haus-verzierung ( Mitteilung des Herrn alt Ständerat Könz ). Da standen nämlich die Sprüche:

Am Eingang über einem Löwen:

Esser non stousc dech ambitius Mo sco sun eu, eir generus.

( Du sollst nicht nur ehrgeizig sein, sondern, wie ich es bin, auch großmütig. ) Auf der anderen Seite ist ein riesiger Blumenstrauß gezeichnet.

Weiterhin:

Dintavnt la rösa es fraischia bellaScodvn zvond gient sawvra qvella Mo cvr dalg temp lais impassida Pavcks la giaw'vschan, mo, s' imblida Uschè favn eir cvn servitvors Avaritivs svperbis sgnivors ( Solange die Rose frisch und schön ist, riecht sie jedermann gar gern. Aber wenn sie mit der Zeit verwelkt, begehren ihrer wenige mehr, im Gegenteil, sie wird vergessen. So verfahren auch mit ihren Dienern habsüchtige, stolze Herren. ) Es folgen noch neben dem Stalleingang als Anspielung auf den Bauern- und Adelsstand ein Ochse mit der Inschrift:

Ev svn vtil in tots grads und ein Pferd:

Tavnter las limargias nöblas svn eir ev ( Zu den edeln Geschöpfen gehöre auch ich. Limargias = Geschöpfe, limari = speciell das Schwein !) Als weitere Beispiele ländlicher Spruchweisheit seien noch angeführt folgende Proben; zunächst, unter einem Wappen, der virgilische Vers, den wir schon, um die Erwartung des guten Mannes zu erfüllen, erwähnen müssen.

Forsitan haec olim meminisse iuvabit Sr. And. Thomas Hainrih Cun seis duos figls Gallus et Joan.Schuls 1696 .) oder der andere, oft wiederkehrende Spruch:

Pensa anima Fidelis Quid respondere velis Christo ventiro de celis Schimun Thunet Anno 1625Ardez. ) Manche unter den romanischen Haussprüchen zeichnen sich durch originelle Schreibweise, einige wenige daneben auch durch tieferen Gehalt aus:

MEILG. EISC. V. AIR VN. BVN. NOM. CO. WAIR GRANDA. RICHIESHIA JACHIAM. WAR.

DSCHILIPontresina 1664. ) ( Besser ist 's, einen guten Namen als großen Reichtum zu haben. Joachim Avard Gilli. ) In tuot teis fats t'eimpaisa ils prüm.

Co posa rivar la finGuarda 1728. ) ( Bei allen deinen Thaten bedenke zuerst, wie das Ende kommen mag. ) Parsfal Jon Stupaun Ano 1725 Hai Renova Dien Benedescha Chi laint sta wer darinnen wohnt. Guarda ).

Ilg travagl dalg muond et sias vanitas via va mo ilg plet da deis reista in eternaGuarda 1675. ) ( Dio Mühsal der Welt und ihre Eitelkeiten vergehen, aber das Wort Gottes bleibt in Ewigkeit. ) Dann, wohl von einem Wirtshaus:

Tü nobel giast sajast bainvgnî La pasch eun tei gnand aint a-qui.

La pasch eun tei eir nel turner Avant co ir am dest pajer.Guarda 1696. ).

( Dn, edler Gast, seist willkommen, wenn der Friede mit dir hier hereintritt. Friede mit dir auch zum Abschied — doch bevor du gehst, mußt du mich bezahlen. ) HONORE. ET GLORIA. SVLET DEIS. 1640. ANDREA RVMEDI ( sulet = allein. Madulein 1640. ) ANDREA. PLANTA. HA. CVMANZA E. TVOT. DA. NOF. FAT. QVISTA. CHIA.

SEIS. FILG. NOTTIN. HA. EIR. VVLGII. FAK.

CHIA. EL. ALAINT. POSA. CHIASAR.

ANDREIA. PLNTA. FILG. DA. NOTTIN.

ANS. DETA. DEIS. NA. BVNA. N. Sus 1687. ) Das Engadinerhaus.

Spiritus concupisci adversus cameni Caro adversus spiritum. GAL. V.

Ün mal cuslgier la carn cert ais Quel in il muond maina il brais A quist cuslgier chi voul sgundar In tuorp et mort vain a crudar. Ün bun cuslgier fidel ami Ilg sonck spiert ais quai craian tu A quist cnslgier stousck obedir Vita et hunur vainst a surfgnir Lg seis cusalg poust tu incler Lg Plaed da Deis stovasck tu 1er.

1706 DIE. G. VOST ( Guarda, S. Clagut ANDEE — D. Catarina BARBA. ) Auch an anderen Teilen des Hauses bethätigt sich der rege Kunstsinn. So sind die älteren Portale meist schön geschnitzt, nicht nur, wie später, mit schrägen, profilierten Leisten verziert. Dann und wann findet sich auch Bemalung des Thores ( Ardezganz reizende Wirkung ergeben aber auf der Innenseite mit Blumen oderFigürchen bemalte Fensterläden ( Lavin, Ardez ). Am Portal ist ferner der Thürklopfer künstlerisch geformt, auch sind manche schmiedeiserne Gitterarbeiten bemerkenswert, und in Camogask ist mir ein hübscherWasserspeier aufgefallen.

Der Giebel nimmt später oft barocke For- men an ( Bos-cha, Süs, Sent ). Ein besonders gestaltungsfähiges Element bildet aber der Erker; er ist dreiseitig und springt entweder ganz aus der Wand hervor oder bleibt als bloßer Ausguck von den verwunderlichsten Formen im Rahmen des Fensters Jahrbuch des Schweizer Alpenclub. 35. Jahrg.

16 zurück ( Süs, Bos-cha ), alles, um das Gesicht des Bewohners näher an die Außenwelt heranzubringen und so die Mauerstärke zu überwinden. Auf seinen Schmuck wird besondere Sorgfalt verwendet, und die Holzteile daran — wie übrigens auch alle andern alten Fensterrahmen — sind schön geschnitzt.

Endlich findet sich im Innern der Häuser noch eine Menge zierlicher Erzeugnisse des Kunstgewerbes, dank dem vor dritteinhalb Jahrhunderten, der Zeit friedlicher Reaktion auf die vorhergehende Unruhe, begründeten Wohlstand und dank dem verfeinerten Geschmack der von ausländischen Unternehmungen Heimgekehrten. Venetianische Spiegel, holländische Fayencen, eingelegte Schränkchen aus Elfenbein oder kostbaren Hölzern, wappengezierte Truhen und viel Schmucksachen aus edeln Metallen und Steinen sind heute noch Zeugen, daß der und jener Vorfahr einst auch in fremden Kriegsdiensten oder bei fremdem Broterwerb der Heimat nicht vergaß.

Ethnologisches.

Bis jetzt ist nur von dem Haus des Engadins die Rede gewesen, obschon die allgemeinere Bezeichnung „ Rätoromanischer Haustypus " gäng und gäbe ist. Alle Schriftsteller haben jedoch, und mit Recht, das Engadinerhaus als den reinsten Ausdruck dieser rätoromanischen Form hingestellt; nur haben sie allerdings wieder zur Vergleichung mit anderen Haustypen sich nicht folgerichtig dieser reinsten Form ausschließlich bedient. Das Engadinerhaus oder also das rätoromanische Haus hat in der That Spuren, mehr oder weniger deutlich, im größten Teile der alten Raetia prima hinterlassen, allein schon vom Albulathal an begegnet man in sprachlichen Ausdrücken wie auch in der Form fast von Dorf zu Dorf fortschreitenden Veränderungen. So auch gegen Süden, wo besonders das Dach Anhaltspunkte giebt. Umschreiben wir daher einmal das einzig Sichere, die engere Begrenzung des Engadinerhauses.

Schon im Unterengadin weicht der Dachreiter wieder der horizontalen Belastungsstange, und tritt der offene Tiroler Dachstuhl auf, ebenso im Münsterthal, wo das steinbeschwerte Dach und die Treppe bis zur Hausthüre hinauf mit Taufers beginnen und die Fenster nicht mehr stark abgeschrägt sind. Die sprachliche Abweichung ist in beiden Thälern schon sehr groß. In Bormio vegetiert noch der solajo, die Sgraffitverzierung und das Bretterdach des Engadins, allein weiter unten im Veltlin bedeutet solajo wieder Dachboden, das Steindach, die unregelmäßige Einteilung, speccole in der Scheune statt der großen Fenster herrschen vor, Wohntrakt ( civile ) und Stall ( rustico ) bleiben getrennte Gebäude. Im Puschlav hat alles Steindach bis Cavaglia, wo sich Holz und Stein begegnen, ebenso im Bergell. Auch im Albulathal trennt sich allmählich der Stall ( clacò ) vom Wohnhaus, und der kleine Heustall ( bargun ) erscheint. Weiterhin, in den Rheinthälern, vermischt sich das rätoromanische Das Engadinerhaus.

Haus immer mehr mit fremden Elementen, ebenso im Glarnerland; was allenfalls noch an die Engadinerform anklingt, ist der Frontaleingang, das große Thor mit anschließendem Flur, der aber nur mehr entfernte Verwandtschaft mit dem sulêr besitzt, und etwa noch gewölbte Decken. Weiter gegen die Nordgrenze der alten Provinz dürfte auch die letzte Spur verschwunden sein. Man hat zwar hierfür einen Beweis darin erblicken wollen, daß der schwäbische eher ( Keller ) mit der rätoromanischen cuort Verwandtschaft zeige, allein das schweizerische Idiotikon weiß davon nichts. Die cuort suot ist zudem ihrem Wesen nach rein nur Durchgang und Zugang zum ( unterirdisch und unter der Scheune, nicht Wohnstock! gelegenen ) Stall, während der schwäbische Stall, wenn er zufällig auch neben dem cher liegt, besonderen Zugang hat ' ).

Ihren Grenzen nachzugehen und die verschiedenen Haustypen miteinander zu vergleichen, ist eine für die Volkskunde nicht undankbare Aufgabe.

werfen auf das Völkergemisch der Alpen, auf das Kommen und Gehen, die ganze immer noch nicht völlig abgeklärte Bevölkerungsbewegung in unseren Hochthälern; denn das Haus ist hier historisches Dokument, wie es die Sprache, das Kunstgewerbe, die Eigennamen des Volkes sind.

Es ist jedoch wichtig und nicht ganz leicht, ethnische Momente und reine Zufälligkeiten oder Ergebnisse der klimatischen Anpassung auseinanderzuhalten.

Beim Engadinerhaus handelt es sich vor allem um die Frage, ob auch deutsche Elemente daran zu erkennen seien und welchem Stamm sie angehören.

Professor Hunziker 1 ), unser verdienter Hausforscher, erblickt in der stüva mit ihrem Blockbau ein solches. Es sei der einzige Holzteil am Hause, und da die Romanen den Holzbau und insbesondere den Blockbau nicht kennen, so müsse derselbe ein deutsches Erbstück sein, hier speciell ein langobardisches. Als Zwischenglied zwischen Engadiner und deutschem ( Walser- ) Haus wird ein Haus vom Stafel ob Mutten beschrieben, das einfach aus vier solchen Blockwürfeln, wie sie sich aus dem Engadinerhaus als stüva mit stüvasur herausschälen lassen, zusammengesetzt und mit einem gemeinsamen Dach versehen sei.

Nun läßt sich aber das kalte Engadinerhaus ohne die mit Holz gefütterte Wohnstube als bewohnbar fast nicht denken, und dieser Klimaschutz erscheint in dem holzreichen Hochthal so natürlich und gegeben, daß er wohl nicht als ethnisches Merkmal angesprochen werden darf. Gegen die Bestrebung, den „ Holzwürfel " als solches hinzustellen und aus seinem natürlichen Verband herauszureißen, hat schon Virchow seine Bedenken geäußert. Es ist deshalb von höchstem Interesse, wie es sich in Wirklichkeit mit dem Muttnerhaus verhält, und ich habe aus diesem Grunde die Muttnerhöhe zum Ziele meines diesjährigen Weihnachtsausfluges gewählt. Nebenbei bemerkt, bildet das Sträßchen vom Stafel auf die Schynstraße hinunter eine der schönsten Schlittelbahnen des Kantons, die, bei einer Höhendifferenz von cirka 1000 Meter, in wenigen Minuten im Fluge durchmessen werden kann.

Das umfangreiche Haus auf dem Stafel ist — und das erklärt alles — ein Zweifamilienhaus. Ursprünglich bestand wohl die linke Hälfte: Stube, darunter Vorratskammer, und hinten Küche mit der Thüre direkt aus dem Küchenraum ins Freie gehend; vielleicht befand sich unter dem 1 ) Prof. Dr. J. Hunziker: Das rätoromanische Haus in Verhandlungen der Berliner Gesellschaft für Ethnologie etc., 1890. S. 320 ff.

Derselbe: Zum Schweizerdorf etc., Schweizerisches Archiv für Volkskunde I, 1.

Derselbe: Das Bauernhaus des Großherzogtnms Baden etc., Schweizerisches Archiv für Volkskunde II. S. 193.

Derselbe: Das Haus der Urschweiz in W. Öchsli: Anfänge der schweizerischen Eidgenossenschaft, Zürich 1891.

Vergleiche auch Gladbach, 1. c.

Virchow: Verhandlungen der Berliner Gesellschaft für Ethnologie, 1890. S. 553.

Gustav Bancalari: Forschungen über das deutsche Wohnhaus in „ Das Ausland 1890, 1891 ".

August Meitzen: Das deutsche Haus. Berlin 1882.

Rudolf Henning: Das deutsche Haus in seiner historischen Entwicklung. Straßburg 1882.

Rann: Kunst- und Wanderstudien. S. 262 ff.

Dach noch eine Kammer. Später ( es ist nicht ersichtlich, ob die Jahrzahl 1701 im Giebel dem ursprünglichen einfachen oder dem späteren Doppelhaus zugehört ) wurden das Nebenhaus, die hintere Abteilung und schließlich noch der Stall ( bei Hunziker weggelassen ) alle aneinander gebaut, und es stellt sich also das Ganze nicht als vier regelmäßige Würfel, sondern als ein Konglomerat von vier verschiedenen aneinander-geflickten Bauten dar, deren drei allerdings der Bequemlichkeit halber unter einen Hut gebracht sind. Noch jetzt werden die beiden Wohnungen von zwei voneinander völlig unabhängigen, nicht etwa verwandten Partien benützt. Nur die Küche ist gemeinschaftlich, besitzt aber zwei getrennte Feuerherde. Die Bretter, welche die Spalten zwischen den Würfeln verdecken sollten, suchte ich vergeblich, dagegen sind alle diese und ähnlich zusammengebaute Gebäudeteile, auch ausgebesserte Teile des gewöhnlichen „ Stricks ", durch einen Verband, der sich schon einigermaßen dem Ständerbau nähert, zusammengeflickt.

Stafel und Obennutten sind die Sommerdörfchen des etwas weiter unten gelegenen Mutten, ihre Häuser sind daher nicht für Überwinterung eingerichtet. Überhaupt sind diese Holzhäuser sehr wenig stabil. Da wird angebaut, versetzt, vereinigt und wieder getrennt. Am nördlichen Ende von Untermutten steht z.B. auch solch ein zusammengebautes Doppelhaus, doch ist hier die Verbindungsstelle als Hausgang für die eine Wohnung benützt, und der obere Teil ist zur Kammer geschlagen. Dieses Zusammenbauen zweier Einzelhäuser ist zwar in den letzten Jahren nicht mehr vorgekommen, dagegen habe ich selbst den entgegengesetzten Fall beobachten können, wo ein Doppelhaus nahe der Kirche getrennt und die zweite Wohnung als besonderes Haus an einen andern Platz weiter oben gestellt wurde.

Daß den Rätoromanen der Holzbau nicht ganz unbekannt gewesen sein dürfte, scheint auch das alte Engadinerdach zu bestätigen, gerade seiner Unbeholfenheit, seiner Holzverschwendung und seines primitiven Zustandes wegen. Denn daß die Germanen vollkommenere Holzdächer zu bauen verstanden, beweisen die von Osten importierten verzimmerten Dachstühle und die Ausschmückung des Daches ( Pferdeköpfe, Stirnbrettchen ). Für die Dachreiter und die vernuteten Dachbretter findet sich sonst in der ganzen deutschen Schweiz kein Analogon.

Ferner habe ich schon betont, daß an älteren Häusern mehr Holzwerk verwendet und die Scheune zum großen Teil, ja nicht selten vollständig aus Rundstämmen aufgeführt sei. Diese primitiven Holzkonstruktionen alle stehen zwar in offenbarem Gegensatz zu den feinen Tischler-arbeiten im Innern des Engadinerhauses. Aber die ausgeschnittenen Bretter in den Scheunenfenstern ( las picherdellas ), die geschnitzten Holzdecken und die arvenen Vertäfelungen, ebenso Truhen, Schränke etc. sind doch neueren Datums, während am Dach und Stall die alte Bauweise sich unverändert erhalten hat.

Sehr interessant ist sodann eine Verordnung aus dem Jahre 1561, wonach in Zuoz gewölbte Küchen vorgeschrieben wurden 1 ). Es existierten also damals solche mit hölzernen Decken oder doch wenigstens hölzernen Unterzügen.

Sehen wir uns schließlich noch in der Nomenklatur um, so finden wir auch da, daß die Bezeichnungen der Holzteile und gerade dieser durchaus nur dem romanischen Sprachschatz entstammen. Neben den scheinbaren Ausnahmen stalla, schintla, balcun, geben ( Gaden ) della charn, für welche die älteren gutromanischen Ausdrücke ovigl, s-chandella, üschöl, chamineda della charn bestehen, bleiben schließlich als echt noch übrig stüva und lobgia. Endlich sind noch die weiteren, von Hunziker als langobardischen Ursprungs erwähnten torvasch oder truaisch, zawasch und sala zu nennen, von denen die beiden ersteren jedoch im ganzen Bereich des ladinischen Idioms nicht vorkommen ( truasch, Albulathal = Brunnen ) und sala als gemeingermanisches Wort geradesogut einem anderen Stamm entlehnt sein kann.

Im ältesten lokalen Dokument, dem Testament des Bischofs Tello vom Jahre 766, ist sala einer der häufigsten Ausdrücke und wird von den Glossatoren mit Herrenhaus oder Herrenstube übersetzt. Wenn letzteres der Wortstellung nach das Wahrscheinlichere ist, dann ist die Unterscheidung zwischen sala ohne Beiwort und sala muricia ( gemauerter Saal ) in eben diesem Testament bemerkenswert und könnte schließen lassen, daß damals schon die Holzkonstruktion vorhanden war. Neben diesem Ausdruck kommt aber auch schon einmal das alemannische stuba ( so darf gewiß das sluta der Kopisten gelesen werden ) vor, hier wohl als Badstube aufzufassen. Wäre nun die rätoromanische stüva wirklich langobardisches Erbstück, so müßte diese Bezeichnung um diese Zeit schon völlig eingebürgert gewesen sein und würde nicht nur vereinzelt vorkommen.

Die Langobarden haben ebensowenig wie die Goten und Franken die eroberten, spärlich bevölkerten Gebirgsgegenden mehr als besetzt, jedoch nicht eigentlich beherrscht. Sie sollen zwar Türme errichtet haben ( Ursernthal ), daß sie aber der ursprünglichen Bevölkerung ihr Recht, ihre Sitten oder ihre Sprache aufgedrungen hätten, wie es die Römer gethan, ist nicht bekannt, im Gegenteil, sie haben sich derselben vollständig assimiliert mit der bekannten Ausnahme, daß sie für sich ihr nationales Recht Das Engadinerhaus.

beibehielten; so wird es auch mit dem Haus gewesen sein, es ist wenigstens nicht erwiesen, daß sie in Oberitalien, wo sie doch gewiß fester an-gesessen waren, irgend eine Spur einer eigenen Hausform hinterlassen hätten. Dagegen haben die Alemannen von Anfang an an der eigenen Kultur festgehalten und derselben sowohl schon beim ersten Vorstoß, als nach der Frankenherrschaft, schrittweise Boden zu erringen versucht, hauptsächlich aber durch die späteren Walser-Enclaven Einfluß ausgeübt. Alemannischen Ursprungs mag denn auch das Wort stüva und ihre Einrichtung mit Bänken längs der Wand, dem Ofen in der fensterlosen und dem Tisch in der hellsten Ecke sein, wenn anders diesem letzteren Umstände überhaupt eine ethnische Bedeutung zukommt. Selbst für die straglietta findet sich Verwandtes im deutschschweizerischen Gebirgshause. Eine alemannische Entlehnung jüngeren Datums scheint mir auch der Fensterladen, balcun = alemannisch Balke 1 ), zu sein. Die alten Engadiner Fenster ( fneistras, Läufterli = feneztrigl ) haben bekanntlich keinen Fensterladen, sondern nur kleine, hölzerne Schieberchen ( üschöls = Thürchen, lat. ostiolum ). Wie dann die Fensterbalken aufgekommen sind, hat man sie teilweise direkt mit ihrem alemannischen Wort balcuns benannt, teils das alte üschöls auf sie übertragen. Aus balcuns wurde dann bal- 1 ) Berner Oberland, Graubünden, Wallis.

cunera für die neuen, großen Fensterstöcke ( pars pro toto ). Diese Entwicklung scheint mir ziemlich plausibel und ein neuer Beweis alemannischen Einflusses. Und sie wird es noch mehr durch den Umstand, daß auch alle anderen neueren Zuthaten und Anhängsel zum alten Haus ebenfalls fremde Namen haben [lobgia, ercul, glatter, balcun 2 ( =Balkon ), barbachaun ).

Zusammenfassend seien also folgende Ergebnisse dieser Betrachtung aufgestellt: Was am Engadinerhaus keltisch oder rätisch ist, kann nicht mit Bestimmtheit erklärt werden. Dagegen ist der große römische Einfluß unverkennbar. Jedenfalls haben die Rätoromanen den Holzbau gekannt, das läßt sich nicht nur aus den Holzteilen des Engadinerhauses, insbesondere dem alten Dach, schließen, sondern ergiebt sich auch aus der romanischen Nomenklatur. Zu beachten sind auch die romanischen Ausdrücke für Teile ( natürlich hölzerne ) des Prätigauerstalles ( Talina, Muntäschiel u.a. ), sowie für Gegenstände zum Holztransport und zur Holzbearbeitung in deutschen Gegenden ( zappün, paluog, bruoch etc. ).

Endlich sind die deutschen Elemente am Engadinerhaus zu nennen: alemannische in der Einrichtung und dem Wort stäva, der lobgia, dem balcun und anderen neueren Zuthaten, bajuvarische in gewissen Dach-stuhlkonstruktionen, dem Giebelschmuck ( Pferdeköpfe ); alles in allem aber ist dieser germanische Einfluß bisher überschätzt oder zu früh datiert worden und das romanische Prinzip das überwiegende.

Ist die Frage nach dem Woher also noch nicht völlig gelöst und wohl schwer zu lösen, so ist die weitere Frage nach der Zukunft, dem Wohin des Engadinerhauses, leider um so eher beantwortet. Schneller noch als die Sprache, schneller als Sitten und nationales Bewußtsein hat sich im Volke die alte Kunst der Ausschmückung der Häuser verloren; in nicht zu ferner Zukunft wird auch der Rest ihrer Originalität in unserer alles verflachenden Zeit dem Untergange geweiht sein. Darum der Wettlauf unserer Tage, das allgemeine Bestreben, noch ein Stück dieser Ursprünglichkeit zu erhaschen und Späterkommenden wenigstens in Wort und Bild zu hinterlassen als Beispiel einheimischer Kraft und Art.

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