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Das Göscheneralptal

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

Von Gottlieb Binder.

Alpwesen.

Die Alpweiden des Göscheneralptals sind Genossenschaftsalpen. Sie gehören der Korporation Uri und werden den Talbewohnern zur Nutzniessung überlassen gegen Entrichtung einer bestimmten Gebühr. Die Alpgenossenschaft setzt den Tag des Alpaufzuges fest. Wenn im Vorsommer der Talboden von Göscheneralp und der Fettwiesenhang beim Gwüst ausgeapert und mit dem ersten jungen Grün bekleidet sind, wird das Vieh aus den Heimställen, die Eigentum der Familien sind, auf die Weide getrieben. Und zwar hütet jede Familie ihr Vieh auf eigenem Grund und Boden, im sogenannten « Eigen ». ( Die Fettwiesen der beiden Siedelungen sind nicht Eigentum der Korporation Uri, sondern der Bürger. ) Früher wurde nicht im « Eigen » geweidet; man liess sämtliches Vieh vor Bestossung der Alp und im Herbst nach der Alpentladung frei auf dem Talboden weiden. Die privaten Grundstücke waren somit dem genossenschaftlichen Weiderecht unterstellt.

Sobald die Alpstafel beziehbar sind, hört die Eigenhirtung auf; denn nun wird das Vieh sämtlicher Alpgenossen — in der Regel 35 Kühe und 30 Stück Galtvieh — zu einem Senntum vereinigt und den von der Alpgenossenschaft gewählten Alpknechten ( Senn, Hirt, Zuhirt und Handknapp oder Zubub ) zur Obhut übergeben. Der Senn hilft beim Melken, besorgt das Käsen und trägt den fertig zubereiteten Käse in den Käsegaden oder Kässpicher. Ihm ist die Verantwortung für das Senntum Überbunden. Der Hirt und der Zuhirt helfen beim Melken und hüten das Vieh. Der Handknapp hat überall zu dienen, wo man ihn gerade braucht. Die Familien bleiben in den Dörfchen zurück und gehen ihrer täglichen Arbeit nach.

Zum Senntum der Göscheneralp gehören die folgenden Stafel: Bördlialp, Lochstafel, Riedmatt oder Gwüstboden, Fettfluh, Bergstafel ( Bratschi ), Drossel, Stäfeli, Vorder- und Hinterröti. Zur Zeit der Alpbestossung wird die Herde in der Regel zuerst auf die tieferen Stafel getrieben. Mit fortschreitendem Graswuchs bezieht man die mittleren und obersten, an der Grenze des ewigen Schnees liegenden Alpstafel. Die Alpung erfolgt somit im grossen ganzen talaufwärts und wieder zurück, aber mit eingeschobenen Kreisläufen. Da die einzelnen Weideplätze nur für zwei, vier, sechs, höchstens zehn Tage Futter bieten, ist die Herde immer von neuem wieder zur Wanderschaft gezwungen, was von nachteiligem Einfluss ist auf den Milchertrag der Kühe. Angesichts dieses Nomadenlebens begreift man auch den äusserst primitiven, an Urzeiten erinnernden Zustand der sechs steinernen Sennhütten. Bei dem ständigen Wechsel lohnt sich eben die Erstellung grösserer, neuzeitlich eingerichteter Hütten und Ställe nicht. Die arme Bevölkerung brächte übrigens das Geld nicht auf zum Bau solider Sennhütten auf jedem der einzelnen Stafel. Dass angesichts des häufigen Stafel- oder Hüttenwechsels auch die Fahrhabe, die jedesmal mitgenommen werden muss, auf das Not- wendigste beschränkt wird und dadurch der regelrechte Betrieb der Sennerei gehemmt wird, ist leicht begreiflich. In jüngster Zeit hat nun die Alpgenossenschaft, um den grössten Übelständen abzuhelfen, eine Zentrifugenmaschine angeschafft. Sie erleichtert die Butterbereitung wesentlich, indem sie die Vollmilch unmittelbar nach dem Melken zu scheiden vermag in Rahm und Magermilch. Die Butter wird grösstenteils nach Göschenen verkauft, der Käse dagegen für den Eigenbedarf verwendet.

Da auf den Stafeln keine genossenschaftlichen Ställe vorhanden sind, ist das Vieh bei Tag und Nacht, bei Schnee und Regen unter Gottes freiem Himmel allen Unbilden der Witterung ausgesetzt. So oft früher während der Alpzeit Schneefall in Aussicht stand, wurden über Nacht auf einzelnen Stafeln Wachen ausgestellt. Sobald es anfing zu schneien, eilten diese ins Tal und weckten die Alpgenossen, damit sie ihr Vieh nach Hause holten. Geräumige, private Ställe befinden sich u.a. beim Hotel Dammagletscher und auf der Allmend beim Gwüst. Sie werden in erster Linie benutzt, wenn das Vieh infolge Schneefalls während der Alpzeit zu Tal getrieben werden muss.

Die Kehlenalp, einst nur über den Kehlengletscher erreichbar, wurde zu Kriegsbeginn aufgegeben und dient jetzt als Schafweide.

Die meisten Alpstafel sind zufolge Steinschlags oder durch den Niedergang von Grundlawinen in ausserordentlichem Masse mit Steintrümmern bedeckt ( Hinterröti, Lochstafel ), so dass der Ertrag von Jahr zu Jahr zurückgeht und die Fussleiden des Rindviehs zunehmen. Andere Stafel sind stark verstaudet ( Drossel ) oder verunkrautet und sumpfig ( Bergstafel ). Die Alp-inspektion äussert sich nicht selten unbefriedigt über die zu mangelhaften Vorkehrungen der Alpgenossen gegen die Vergandung der Weiden und fordert vor allem, dass mehr « geschönt » werde, d.h. dass man die Stafel von den Steinen säubere und energischer gegen Verunkrautung und Verstaudung vorgehe. Das ist schon recht. Aber die Hände der zehn Bauern von Göscheneralp und Gwüst reichen eben nicht aus, um der Verwüstung durch Steinschlag und Lawinen wirksam entgegenzutreten. Dazu wären Hunderte von Händen erforderlich! Gerade in dieser Sache zeigt sich am deutlichsten die Abhängigkeit des Älplers von der Natur und seine Ohnmacht gegenüber den Launen der ewig schaffenden wilden Gewalten unserer Berge.

An Schmalvieh zählt die Göscheneralp etwa 200 Ziegen und ebensoviel Schafe. Ihre Weiden ziehen sich schattseits von der Bördlialp unter den Spitzbergen bis zur Dammahütte hinauf und ob des Rötibodens bis zur Kehlenalphütte. Da und dort reichen sie in den Lawinenzügen bis in die Talsohle hinab. Im Gebiet der Ziegenweide befinden sich die Wildheuplanggen, wo jedes Jahr etwa 50 Kilozentner Wildheu gewonnen werden. Da es meist erst im Januar, in Netze gebunden, auf Schlitten zu Tal befördert wird, ist die Anlage von sogenannten Tristen erforderlich. Unter Felsköpfen oder Fichten, die vor Steinschlag und Lawinen Schutz bieten, wird auf einem aus Stein oder Holzprügeln erstellten Boden das Wildheu um eine senkrecht-stehende Stange zuckerhutförmig aufgeschichtet und oben mit Fichtenrinde, Steinplatten und dergleichen abgedichtet.

Über das Senntum führt der Alpvogt die oberste Aufsicht. Er wird aus dem Kreise der Alpgenossen auf zwei Jahre gewählt und hat bei seinem Amtsantritt in Altdorf vor dem Präsidenten der Korporation Uri einen Eid abzulegen. Er ist verpflichtet, sich persönlich in die Alp zu begeben, gute Aufsicht zu halten und in der Alp nichts zu dulden, was dem Gesetz oder dem Landbuch zuwider wäre, die Fehlbaren anzuzeigen und überhaupt darüber zu wachen, dass der festgesetzten Alp- und Stafelordnung pünktlich nachgelebt werde — kurz, er hat während der Alpsömmerung überall zum Rechten zu sehen.

Die Alpauffahrt findet in der Regel anfangs Juli statt. Die Alpzeit dauert meist bis 10. September. Gleich zu Anfang segnet der Geistliche auf der Alp Mensch, Vieh, Hütten und Weiden. Die Milch wird während der Alpzeit dreimal gewogen: am vierten Tag nach dem Alpauftrieb, anfangs August und ein bis zwei Tage vor der Alpentladung, und zwar im Beisein des Alpvogts und einiger weiterer Mitglieder der Alpgenossenschaft. Der durchschnittliche tägliche Milchertrag einer Kuh beträgt fünf bis sechs Liter. Auf Grund der Wägungen berechnet man den Nutzen einer Alpkuh. Die Alpkosten ( darunter etwa 900 Fr. für die Alpknechte ) werden auf die einzelnen Bauern verteilt nach Massgabe der Haupt Vieh, die jeder auf der Alp gesommert hat. Den Käse verteilt man nach der Alpentladung unter die Alpgenossen auf Grund der dreimaligen Wägung der Milch. Die betreffende Gesellschafts- oder Genossenschaftsrechnung ist interessant. Sie verursacht viel Arbeit und liegt jähre- und jahrzehntelang in der Hand des nämlichen Rechnungsführers. Den Anteil des einzelnen Genossenschafters an der Butter berechnet man in gleicher Weise wie beim Käse. Sie wird während der Alpzeit von den Alpgenossen auf Rechnung ihres Anteils in verschiedenen Malen bezogen und frisch verkauft. Da diese Anteile vor Abschluss der Alpzeit nur mutmassungsweise berechnet werden können, findet im Herbst anlässlich der Alpabrechnung eine Ausgleichung statt. Wer zu viel bezogen hat, zahlt das « Zuviel » an die Kasse zurück zugunsten desjenigen, der weniger bezogen hat, als ihm gehört. Diese Ausgleichung findet « in aller Minne » statt.

Die an die Korporation Uri abzuliefernden Gebühren betragen nach der Angabe eines Alpgenossen: für eine Kuh 8 Fr., für ein sogenanntes Maisch-rind 4 Fr., für ein Kalb 2 Fr. und für Schmalvieh 1 Fr. 30 Rp.

Die Kühe gehören der Braunviehrasse an, sind leichteren Schlages, zähe und widerstandsfähig und deshalb sehr geeignet für die rauhen, steinigen Alpen.

Die Nahrung der Alpknechte besteht aus Reismus, Polenta, Käse, Zieger und Brot ( kein Fleisch ). Als Getränke dienen Wasser, Milch, Kaffee ( sogenannter « Schwarzer » ) und ab und zu ein Gläschen « Gebranntes ». Zum Unterhalt des Feuers bei der Käsebereitung werden auf der Alp Hinterröti, wo der Wald gänzlich fehlt, Alpenrosen und Heidekraut ( « Brüsch » ) verwendet.

Auffallend ist, dass die Sagen aus dem Sennenleben fast ausschliesslich mit der am obersten Ende des Tals liegenden, an den Kehlengletscher angrenzenden Alp Hinterröti verbunden sind.

Zum Schluss noch einige Sagen des Göscheneralptales aus der prächtigen Sammlung Josef Müllers.

Der Röiihund mit dem Menschengesicht.

Vor vielen Jahren begab sich Vater Baumann aus der Göscheneralp in die Kehlenalp, um Wildheu zu mähen. Etwas vor dem Rötisteg begegnete ihm ein grosser schwarzer Hund mit einem Menschengesicht, das er mit nicht geringem Schrecken sofort erkannte.Vor Chlupf fiel Baumann rücklings auf den Boden; der Hund aber verschwand augenblicklich. Die Erklärung glaubt man in der folgenden Erzählung zu finden:

Es war an einem regnerischen Tage, als der stolze Senn der Göscheneralp mit seinen beiden Untergebenen, Hirt und Zuhirt, in den Stafel Röti gefahren war, wo das Sennten gewöhnlich etwa 14 Tage bleibt. Der Hirt fragte den Senn, der alles in der Alp zu regieren hatte, wo er heute die Kühe hintreiben solle. Dieser wies ihm die Planggä ob dem Rötisteg an. Da diese aber ungemein steil und steinschlägig, bei Regenwetter daher sehr schlüpfrig und gefährlich ist, so wollte der einsichtige und gewissenhafte Hirt nicht recht einwilligen und machte ernsthafte Gegenvorstellungen. Erst auf strengen Befehl des eigensinnigen Senns trieb er die Herde in die angewiesene, abschüssige Halde hinauf. Nachher ging er wieder zur Hütte, um eine kleine Mahlzeit einzunehmen. Unterdessen löste sich am Berg, vom anhaltenden Regen erweicht, eine lockere Felsmasse los und tötete sechs schöne Kühe.

Nun muss der hochmütige Senn seine sträfliche Nachlässigkeit und seine Hartköpfigkeit, die den Schaden verursachten, büssen.

Der Rötihund mit glühenden Augen.

Der Senn zu Röti in der Göscheneralp hatte die schlimme Gewohnheit, den Chessideckel zu erwärmen und damit die Milch im Chessi zu decken. Es gab dann Vorbruch, und den daraus gewonnenen Vorbruchanken verwendete er für sich selbst. Die Alpgenossen erlitten infolgedessen einen bedeutenden Schaden. Später aber, nachdem der ungetreue Senn gestorben, sah man öfters im Feuerloch zu Röti einen grossen, schwarzen Hund mit glühenden Augen, und wenn die Älpler in einen anderen Stafel zogen, folgte er ihnen auch dorthin. Schon oft hat man durch Geistliche die Alphütten segnen lassen, aber ganz vertrieben sei der unheimliche Gast immer noch nicht.

Der Jodelbub.

In der Hütte auf der Göscheneralp sassen drei Gesellen am Herdfeuer, einer davon auf dem Melkstuhl. Da trat ein Handbub in die Sennhütte. Einer der drei Sennen fragte den Knaben, was er wolle. Der Knabe sagte es, worauf der Senn weiter forschte, ob er Durst habe und Milch wünsche. Auch das bejahte der unerschrockene Junge. Da schöpfte der Senn aus dem « Wellchessi » Milch in drei Mutten, und zwar war die Milch in dem einen Geschirr weiss, im zweiten rot und im dritten grün. Jetzt fragte er den erstaunten Burschen, von welcher Milch er trinken wolle. Der erklärte kurz entschlossen, obschon er ganz gern einmal rote oder grüne Milch getrunken hätte, er wünsche die weisse Milch. Da leuchtete es eigentümlich auf im Gesicht des alten Mannes, und der Senn bedeutete nun dem Knaben, weil er seine Neugierde gezügelt habe und er ein braver, unerschrockener Bub sei, so dürfe er sich etwas wünschen, von dreierlei wählen: am besten zu singen oder zu jodeln oder zu schwingen. Freudig wünschte er sich das Jodeln, und wie der Bub aus der Hütte trat, da weckten seine hellen Jodler freudiges Echo an den Felswänden, und er blieb der beste Jodler weit und breit.

Alles staunte, wie der Junge auf einmal so schön jauchzte, und neidische Burschen forschten ihn aus, wo er so schön jauchzen gelernt, machten den Gang auch in die Alphütte, kehrten aber ganz heiser zurück.

Die Wetterhexe in der Göscheneralp.

Zur Zeit, als noch Josef Maria Arnold, ein grosser, stattlicher Herr mit prächtigen Augen, der stets eine weisse Zipfelkappe trug, in Göscheneralp als Kaplan amtete ( 1806—f 1849 ), geschah es eines Tages, dass bei herrlichstem Wetter und bei glanzheiterem Himmel ein fremdes, unbekanntes Weibervolk ins Tal kam. Agatha, die Haushälterin des Kaplans, hat es gesehen durch den Boden herein und durch die Alp bis zuhinterst marschieren. Da, auf einmal bedeckte sich der Himmel über der Göscheneralp ganz schwarz, ehe man sich versah, fiel ein gewaltiger Regen vom Himmel; die Reuss schwoll an, sie schäumte geradezu. Es war ganz merkwürdig, wie sie sichtbar aufging. Da lief die Agatha zum Kaplan und fragte, ob sich da nicht etwas mit Segnen dagegen tun liesse. Der Kaplan wollte zuerst nicht, weil ja niemand sonst komme und darum bitte. Dann legte er aber doch seine Zipfelkappe an und ging an die Reuss, warf etwas Gesegnetes hinein und las den Segen. Da legte sich das Wetter, und die Reuss nahm von Sekunde zu Sekunde sichtbar ab, sank in sich zusammen und in kürzester Zeit auf ihre gewöhnliche Höhe. Das hat die Agatha mit wahrer Andacht, in aller Treue erzählt, mehr als einmal.

Der Spuk in der Kaplanenküche.

In der Küche des alten Kaplaneihauses in der Göscheneralp wurde nachts von Geistern gefeuert und gekocht, auch wenn das Haus unbewohnt war, und es ging dabei so geräuschvoll zu, dass die Nachbarn erwachten. Eine Witwe aus der Nachbarschaft ging mehrere Male, wenn sie es so « spratzlen » hörte, hin und schaute nach, fand aber nie etwas vor, weder Leute noch Feuer. Man schrieb dieses nächtliche Treiben untreuen Herrenmägden zu.

Gegenwärtig besitzt eine Familie B. das Häuschen. Zum Vater kam eines Abends ein Geist, ein Mann, ins Bett, legte sich zu ihm, den Kopf auf dessen rechten Arm aufgelegt und blieb die ganze Nacht. Der Vater konnte sich nicht bewegen und nicht rufen. Der Arm war mehrere Tage geschwollen und gelähmt. « Ich selber aber hatte gar nicht gewusst, dass es da spuke, und ich war ganz sicher wach », beteuert der Gewährsmann.

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