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Das höchstgelegene Kulturvolk im Pazifik

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

Mit 3 Bildern ( 135, 136, 137).Von Carl Täuber

( Zürich ).

Neu-Guinea, heute durch die seichte Torresstrasse von Australien getrennt, mag vor wenig mehr als 20,000 Jahren mit diesem Kontinent zusammengehangen haben, und es hat sich damals bereits eine primitive Schiffahrt entwickelt und ein Kulturaustausch stattgefunden.

In diesem Teil der Welt hat die für die Entwicklung der Menschheit wichtigste Erfindung: die einer konventionellen Sprache, stattgehabt ( s. C. Täuber, Entwicklung der Menschheit. Grethlein, Zürich 1932 ).

Und aus dieser Erfindung ging nach langen, tastenden Versuchen die nächstwichtige Erfindung der Fixierung der Gedanken durch die Schrift hervor. Die tOsterinseb-Hiero-glyphen, älter als die ägyptischen, sind auf der Inselwelt um Australien entstanden DAS HÖCHSTGELEGENE KULTURVOLK IM PAZIFIK.

( s. C. Täuber, American Documentation Institute, n° 1258, s « Seafarers and Hieroglyphs ». Washington D. C. 1940 ).

Diese, wie auch die auf dem Wege über Vorderasien nach dem Mittelmeer gekommenen altkretischen Hieroglyphen hatte bisher niemand zu entziffern vermocht, weil die religiösen Anschauungen dieser frühesten Kulturvölker, die man « Wilde » nannte, nicht verstanden wurden ( s. G. Täuber, Verhandlungen am Naturforscherkongress, Basel, September 1941 ).

Die Resultate der Archbold-Expedition geben der bisher allzu schematischen Unterscheidung zwischen Sammlern, Jägern und Ackerbauern einen Stoss und sind daher von grossem wissenschaftlichen Interesse.

Dank sei dem American Museum of Natural History in New York gezollt, das die Erlaubnis zum Abdruck der Photographien in den « Alpen » freundlichst gegeben hat. T.

Trotz Krieg erfahren wir soeben von einem Bergvolk, das noch kein Weisser zuvor geschaut, photographiert und beschrieben hat, das vielleicht von einem ältesten Zweige der Menschheit stammt und ungeachtet aller Ursprünglichkeit und Abgeschlossenheit eine erstaunliche Kulturhöhe erreicht hat. Während man schon längst die arktischen und antarktischen Völker von Grönland und Feuerland, wo die Gletscher in mächtigen Zungen direkt ins Meer stürzen, gründlich studiert hat, handelt es sich diesmal um Stämme, die unweit des Äquators auf der nach Grönland grössten Insel der Welt, auf Neu-Guinea, wohnen, und zwar im holländischen, also westlichen Teil der Insel, wo sich die beiden höchsten Berggipfel erheben: der ( nach der holländischen Königin benannte ) Wilhelminagipfel ( 15,580 Fuss ) und der Carstenszgipfel ( 16,400 Fuss ). Sie bilden ein « Sneeuw Gebergte » und leuchten wie Kenia und Kilimandscharo weit ins Land hinein, aber hier über die Fluten des ungeheuren Pazifischen Ozeans.

Die Leute sind normalwüchsig ( also keine Pygmäen, wie solche früher schon im Hochland von Neu-Guinea gesichtet wurden ), sie sind keine Kraus-köpfe ( also keine Melanesier oder Neger ), sondern haben durchaus das Aussehen unserer Bauern, die aber infolge der durch Jahrtausende hindurch gedauerte Kulturberührung verfeinert worden sind.

Diese Schneegebirgler kennen noch keine andern Geräte als ihre Steinäxte uralten Typs und bebauen ihre Gärten mittels Grabstocks, dem primitivsten landwirtschaftlichen Instrument.

Es verlohnt sich im Interesse der Wissenschaft, mit diesen Leuten Bekanntschaft zu machen. Bericht und Bilder sind Eigentum der Archbold-Expedition. Sie wurden in der Märznummer 1941 des National Geographie Magazine erstmals veröffentlicht.

Die Expeditionsmitglieder reisten im eigenen, zweimotorigen Wasserflugzeug « Guba » um die Welt. Die Expedition bestand aus Richard Arch-bold als Leiter, aus mehreren Piloten und Radiooperateuren sowie dem Ornithologen Dr. A. L. Rand, dem Botaniker L. J. Brass und dem Säugetier-spezialisten William B. Richardson. Das Ganze stand unter den Auspizien des grossen Naturgeschichtemuseums in New York. Die niederländischen Behörden wirkten tatkräftig mit: sie stellten den Generalstabshauptmann C. G. J. Tee-rink, zwei Leutnants und einen Arzt, einen Entomologen und einen Forst-kundigen sowie eine Eskorte von 50 Soldaten und 72 Dayakkern nebst Sträflingen als Hilfsträger.

Von Hollandia, an der Nordküste Neu-Guineas, begab sich die Expedition auf dem Luftwege ins Innere und errichtete unterwegs elf Lager.

Den Eingeborenen blieb das Nahen der Expedition nicht lange verborgen, und sie entsandten zwei Kundschafter: einen älteren, offenbar Würdeträger oder Häuptling, dessen Kopfhaare durch ein Netz zusammengehalten wurden und dessen Nasenseptum mit einem Eberzahn verziert war, und als Begleiter oder Adjutanten einen jüngeren, sehr kräftigen Mann ohne Netz.B.eide trugen über die Schulter grosse Steinäxte und waren mit Bogen und Pfeilen bewaffnet. Sie hatten Armbänder, waren aber im übrigen völlig nackt. Ihre Gesichter waren mit Holzkohle verschmiert.

Man bot ihnen kleine Kaurimuscheln, Zigaretten, Zucker, getrocknete Fische und ähnliches an. Diese Dinge wurden zuerst entgegengenommen, dann jedoch zurückgegeben, offenbar weil sie damit nichts anzufangen wussten. Dagegen rauchte der « Häuptling » aus Hauptmann Teerinks Zigarre einige Züge — gewiss der Freundschaft halber.

Nach viertelstündigem Geplauder in der Zeichensprache schüttelten die beiden den Expeditionsmitgliedern die Hand und zogen ab. Später kam eine Menge neuer Besucher. Alle waren stark beeindruckt von der Flugmaschine und ihrem Summen.

Bei einigen Hütten spielte ein Eingeborener mit einem Kind, während seine Frau das Feuer in der Nähe behütete. Frau und Kind flüchteten sobald Expeditionsmitglieder auftauchten; nur der Mann blieb sitzen zum Zeichen, dass er nicht erschreckt sei. Dann kamen von allen Seiten Männer und Knaben und riefen « Nap! Nap! » — ein Grusswort.

An andern Orten ergriffen die Eingeborenen zum Gruss den Rist der Expeditionisten. Wiedere andere stiessen sie mit den Fingern an und zogen diese mit einem Knall zurück.

Als Teerink und einige seiner Leute badend in den Bergstrom tauchten, kannte ihr Erstaunen keine Grenze.

Als er die Zelte abbrechen liess, gaben sie durch Zeichensprache ihrem Bedauern darüber Ausdruck und baten ihn, zu bleiben. Durch Schiessen mit Pfeil und Bogen gaben sie zu verstehen, dass die Nachbarn ihn übel behandeln würden. Bei dem dessenungeachtet erfolgten Aufbruch begleiteten ihn 300 Männer und Knaben singend und johlend mehrere Stunden lang. Dann steckten sie einige Zweige in den Pfad, und als auch dies den Weitermarsch nicht hinderte, machten sie eine menschliche Barrikade, indem sie fünf Glieder tief Arm in Arm über den Weg standen. Offenbar war nun eine Grenze am Feind erreicht worden. Jetzt kehrten die Eingeborenen um.

Viele hatten Pfeilwunden an ihrem Körper, und es scheint, dass Streitigkeiten mit den Nachbarn häufig sind.

Die interessantesten Lager waren die an den Hängen des Wilhelminaberges. Auch hier waren viele Eingeborene zu treffen. Eine Partie von sieben Personen ( zwei Männer, vier Knaben und ein kleines Mädchen ) nächtigte unter einem Felsen, nachdem sie tagsüber mit schweren Lasten langsam unter dem Schutz einer Art von Spitzhüten aus Pandanusblättern im Regen marschiert waren. Durch Zeichen gaben sie der Archbold-Expedition zu DAS HÖCHSTGELEGENE KULTURVOLK IM PAZIFIK.

verstehen, dass sie hier zu schlafen wünschten und dass sich die Expedition fernhalten solle.

Das geschah. Eine Stunde später kam ein Mann ins Expeditionslager zu Besuch. Die Leute hier waren von früher getroffenen nicht sehr verschieden, aber ihr Grusswort lautete « Wai » ( statt « Nap»).T. Bei den Papua in Hanuabada, Pfahlbauern bei Port Moreshy, grüssten mich auf meiner Weltreise schäkernd die schwarzbraunen, krausen Papuamädchen in ihren kleidsamen Strohröckchen mit « Pali! Pali! », auf Bali mit « Tabe! Tabe! » ) Des Besuchers linke Hand wies eine Verstümmelung auf: es fehlten zwei Gleiche des ersten und zweiten Fingers. Auf Befragen erklärte er, er hätte ( gemäss allgemeinem Gebrauch ) die Verstümmelung vorgenommen als Zeichen der Trauer für einen nahen Verwandten.

Die Expedition bereicherte hier ihre Sammlungen mit seltenen Exemplaren von Fauna und Flora: mehrere Hochgebirgs-Paradiesvögel, Schneehühner, Finken, sibirische Wanderschnepfen usw.; drei Fuss lange Ratten, Opossum, Moschusnager; 25 Spezies von Rhododendron, brillante Orchideen im Moos und an Bäumen, Farne, welche in offenem Grasland wachsen und Frost und Feuer widerstehen; Genzianen, Butterblumen und eine Unmenge kleiner alpiner Pflanzen; Schmetterlinge, Motten und Fliegen bis auf 12,465 Fuss; Krebse, Eidechsen bis zur Waldgrenze und Schnecken auf 14,000 Fuss.

Ende September musste im Lager beim Bergsee Habbema ( 11,342 Fuss ) das Eis im Waschbecken durchschlagen werden, und am Abend setzte man sich ans Feuer — vier Grad südlich vom Äquator!

Der Weg zum höchsten Gipfel führte durch ein Lavablockgewirr; aber infolge des schlechten Wetters konnten wir den Gipfel nicht betreten und mussten etwa 650 Fuss unterhalb umkehren.

Auf 9352 Fuss wurde ein tieferes Lager bezogen. Dort pflanzten die Eingeborenen Panda nusbäume, deren Nüsse, roh oder geräuchert, einen wichtigen Bestandteil ihrer Nahrung ausmachen.

Den schönsten Anblick bot ein grosses, mit einer Unmenge von Wassergräben durchzogenes Areal, neben dem, gut eingehegt, ein ganzes Dorf von Eingeborenenhütten liegt. Hier befinden sich die Pflanzgärten für Süsskartoffeln, welche die Hauptnahrung bilden. Auch Taro, Spinat, Gurken und Bohnen werden gepflanzt. Bananen und Tabak sind zu treffen. Das Land war sorgfältig von Steinen und Unkraut gereinigt. Im ganzen beträgt die Bergbevölkerung etwa 60,000 Seelen.

Bei einem so langen Zusammenleben mit den Eingeborenen ergaben sich natürlich hie und da Misshelligkeiten. So wollten die Dayakker Pandanus-bäume fällen, wobei sich gelegentlich ein Eingeborener empört widersetzte, denn ein solcher Wald gehört zu seinem Leben. Mit einigen Kaurimuscheln wurden solche Versehen jeweils wieder gutgemacht, und ein in der Aufregung erhobener Speer des Eingeborenen senkte sich wieder. Der Zorn war beigelegt.

Wollte man etwa ein Schwein kaufen und bot im Austausch Stahläxte, so liess dieses Angebot die Eingeborenen kalt, denn sie hielten ihre Steinäxte für weit besser. Dagegen lockten ausser den Kaurimuscheln auch kleine Handspiegelchen. Die Wissenschaftler fanden beim Sammeln von Flora und Fauna reichlich die Hilfe der eingeborenen Jungmannschaft.

Den anthropologischen Messungen unterwarfen sich die Wilhelminabergler willig ( Körperhöhe zwischen 4 Fuss 8 Zoll bis 5 Fuss 8% Zoll ). Dagegen sträubten sie sich durchaus gegen Blutproben; sie haben nämlich eine entsetzliche Furcht, irgendjemandem ein Teilchen ihres Körpers zu überlassen. Nicht einmal ein Haar oder einen Fingernagel geben sie; denn mit einem Teil ihres eigenen Ichs könnte man sie im Streit oder in Krankheitsfällen verzaubern oder zugrunde richten.

Der Expeditionsleiter fand Beweise für « cérémonial cannibalism ». Das ist nicht verwunderlich, da diese Institution ja noch unlängst in weiten Gebieten Neu-Guineas und Australiens bestand. ( Beide Gebiete waren durch die Schiffahrt stets miteinander verbunden. ) Häufige Feste und Tänze, bei denen die Weiber zumeist stumme Beschauer sind, bilden auch hier soziale Höhepunkte. Das zum Festessen gehörende Schwein muss streng zeremoniell mit Pfeil und Bogen getötet werden. Die Leber, als leckerstes Stück, wird den Ehrengästen serviert. In diesem Falle waren solche Gäste die Mitglieder der Archbold-Expedition, die nun in den Stamm aufgenommen wurden.

Beim Rückweg lernte man die Eingeborenen, die sich als so vorzügliche Ackerbauer ausgewiesen hatten, auch als ausgezeichnete Bauarbeiter kennen. Sie hatten eine Hängebrücke mittelst grosser Waldranken erstellt, die mit einer drei Fuss dicken Decke von Holzsplittern überzogen war und auf der 20 Leute auf einmal den Fluss queren konnten.

Man traf kleine und grosse Beuteltiere aller Art und grosse Eichen mit immergrünen Blättern.

Dann begegnete man andern Volksstämmen, welche rechte Nomaden waren und die mit ihren Einbäumen von Ort zu Ort zogen.

Gegenüber den grazilen Polynesiern — in diesem Falle Dayakker —, die offensichtlich in der Entwicklung der Menschheit eine Menge von Ver-feinerungsstadien durchgemacht haben, bildeten diese robusten, starkbärtigen, geschickten und doch ganz ungekünstelten Ackerbauern in den höchsten Schneebergen von Neu-Guinea eine reizvolle und wissenschaftlich ungemein interessante Erscheinung.

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