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Das Kleine Spannort

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

Von Eugen Ochsner.

( 3149 Meter. )

Erste Besteigung mit Torangegangenem Versuche.

Am Abend des 16. Juli 1876 langte ich mit meinem Freunde, Herrn G. Forrer aus London, vom Uri-Roth-stock herunterkommend, in Engelberg an, und nahm in der trefflichen Pension Müller Quartier.

Es war ein herrlicher Tag gewesen und die untergehende Sonne liess den das Thal umgebenden Gebirgskranz in seiner ganzen Pracht erscheinen.

Am schönsten nahmen sich die ruinenartigen Spannörter aus, von denen damals bloss das « Grosse » bestiegen war; das « Kleine » war von Führern sowohl als von Touristen und auch von Jägern schon öfters genau untersucht, aber so bös befunden worden, dass sich noch Niemand recht daran gewagt hatte und man allgemein behauptete, es wäre eine Unmöglichkeit, hinaufzugelangen.

Es schien mir, als wäre dieses gerade dasjenige, was ein Alpenclubist wünschen könnte, und befasste ich mich denn sofort mit dem Gedanken, meinerseits einen Versuch zu wagen.

Ich theilte diesen Plan meinem Freunde mit, er war aber keineswegs gesonnen, die Partie mit mir zu versuchen.

Wir sassen vor dem Hause, und waren gerade in eifrigem Gespräche, als sich strammem Schrittes ein anderer Tourist mit einem Führer näherte, und ich in der Person des Erstem einen guten Freund, Herrn F. Schinz, ebenfalls Mitglied der Sektion Uto, erkannte. Derselbe kam über die Surenen von Altorf her und beabsichtigte, dem Titlis einen Besuch abzustatten. Diese Tour stand auch auf unserm Programm, und somit gingen wir zusammen gegen Abend des folgenden Tages nach der Trübsee-Alp, und in der kommenden Nacht bestiegen wir den Titlis.

Ich machte es mir zur Aufgabe, von dessen Spitze aus mit meinem Fernrohr die Spannörter genau zu untersuchen, beide aber präsentiren sich von dort aus als unbesteigbar; da ich aber wusste, dass das « Grosse » bereits unterlegen war, so dachte ich, es würde sich am Ende auch am « Kleinen » eine Stelle finden lassen, wo man demselben beikommen könnte.

Unser Führer, Namens Hess, theilte uns mit, dass einer seiner Brüder am Abend vorher mit einem Engländer nach dem grossen Spannort aufgebrochen sei; sie waren aber natürlich bis 6 Uhr Morgens, um welche Zeit wir auf dem Titlis ankamen, noch nicht hinaufgelangt, sonst hätten wir sie mit unsern Gläsern sehen können.

Um die Mittagsstunde fanden wir uns wieder in Engelberg ein.

Als nun der vom grossen Spannort zurückkehrende Führer Hess gegen 4 Uhr eintraf, frug ich ihn, ob er gewillt sei, die Tour gleich nochmals zu machen, resp. das kleine Spannort zu probiren, worauf er erwiderte, dass er mich gerne begleite, zumal er den Berg schon einige Male genauer betrachtet, und zwei Stellen entdeckt hätte, wo man einen Aufstieg versuchen könnte; indessen fügte er hinzu, dass, wenn sich der Plan nicht ausführen liesse, wir immer noch auf 's grosse Spannort gehen könnten. Die Art und Weise, mit welcher er mir diese letzte Mittheilung machte, liess mich aber schliessen, dass er die Schwierigkeiten kannte, und sich folglich nicht stark mit Probiren beschäftigen würde.

Der Proviant war bald beschafft, und um halb 6 Uhr brachen wir nach der Niedersurenen-Alp ( 1260 m ) auf, woselbst wir nach 1Stunden anlangten und unser Nachtquartier bezogen. Um 12 Uhr weckte mich der Senn, und 20 Minuten nachher waren wir bereits auf dem Wege nach der Schlossberg-Lücke. Der Senn begleitete uns mit einer Laterne. Das Wetter war nicht ganz so schön, wie wir es wünschten; auch war in der Nacht eine Lawine vom gegenüberliegenden Schlossberggletscher heruntergestürzt, ein Zeichen, dass der Föhn in den obern Regionen herrschte.

Wir waren ungefähr 2 Stunden unterwegs gewesen, als der Himmel eine sehr böse Miene angenommen hatte, und wir es folglich für besser fanden, zurückzukehren.

Ich vernahm später, dass eine von Engelberg nach dem Uri-Rothstock aufgebrochene Expedition um die gleiche Zeit, und aus dem gleichen Grunde hatte zurückkehren müssen.

Um 6 Uhr Morgens war ich wieder in Engelberg; meine Freunde rüsteten sich zur Heimreise, und ich Schloss mich ihnen an.

Seit jenem Tage schwebte das kleine Spannort fortwährend vor meinen Augen, und behielt ich mir denn vor, die Besteigung nochmals zu versuchen, aber mit einem mir bekannten Führer.

Vierzehn Tage später, Donnerstag den 3. August, langte ich Abends 6 Uhr, von Zürich kommend, in Amsteg, an und traf im Gasthaus zur Post den Führer Joseph Furger ab Bristen; ich hatte nämlich Tags zuvor nach dem Hotel Alpenclub im Maderanerthal telegraphirt, man möchte mir auf Donnerstag Abend einen der Trösch, oder in deren Abwesenheit Führer Furger, wohl ausgerüstet, nach Amsteg senden. Die Trösch waren alle engagirt, und so kam denn Furger, den ich schon letztes Jahr bei Anlass einer Scheer-hornbesteigung kennen gelernt hatte, aber noch nicht hinreichend schätzen.

Furger ist mir nun seither ein lieber Mann geworden; er begleitete mich letztes Jahr während 8 Tagen, und könnte ich mir in keiner Beziehung einen bessern Führer wünschen. Ich theilte ihm meinen Plan, das Kleine Spannort zu besteigen, mit; derselbe gefiel ihm ganz gut, bevor ich mich aber nach jener Gegend wandte, hatte ich im Sinne, dem Bristenstock einen Besuch abzustatten, ein Berg, nach welchem ich mich schon lange sehnte.

Wir beschlossen desshalb, sofort nach der Blacki-Alp aufzubrechen, welche circa 3 Stunden von Amsteg entfernt und das gewöhnliche Nachtquartier bei Bristen-stockbesteigungen ist, wenn solche nämlich nicht in einem Tage ausgeführt werden. Wir versahen uns mit Proviant, und um 7 Uhr verliessen wir das Hotel. Kaum 2 Schritte von demselben entfernt, bemerkten wir, dass sich der Himmel ziemlich plötzlich überzogen hatte; es sah aus, als wollte es ein starkes Gewitter absetzen. Wir machten daher « ganze Wendung — kehrt » und traten wieder in 's Hotel.

Am folgenden Tag war das Wetter gänzlich hergestellt, wesshalb wir dasselbe für einen Versuch am kleinen Spannort benützen wollten.

Um 10 Uhr marschirten wir nach der Klus bei Erstfelden, welche wir nach circa Vji Stunden erreichten.

Unterwegs hatte ich Gelegenheit gehabt, mit Purger über meinen Plan zu sprechen; er kannte die zu besuchende Gegend nicht, und desshalb mussten wir nothwendiger Weise einen Führer über den Schlossberggletscher mitnehmen. Furger proponirte mir einen Namensvetter von ihm, welcher in der Klus wohnte, seines Zeichens ehemals Schuhmacher, heute aber Strassenmeister, der schon einige Male mit Touristen über die Schlossberg-Liicke, oder wie man es dort einfach nennt, das « Lückli » gegangen sein soll. Der Vorschlag passte mir ganz gut. Wir trafen richtig den Mann auf der Strasse an seiner Arbeit; er war gerne bereit, uns zu begleiten, bloss fügte er hinzu, dass er keine Klettereien oder sonst schwindlige Touren ausführen wolle, indem er für solche Sachen sich schon etwas zu alt fühle.

Wir assen miteinander zu Mittag, und um 1 Uhr brachen wir nach dem Erstfelder-Thale auf. Dieses noch wenig bekannte Thal ist höchst romantisch und verdiente, viel besucht zu werden. Leider befindet sich in demselben kein einziges Gasthaus, ein Grund wahrscheinlich, wesshalb die Touristen wegbleiben. Für einen unternehmenden Mann wäre hier jedenfalls Etwas zu machen; es soll einmal die Rede davon gewesen sein, ein Hotel zu erstellen, aber, wie es scheint, ist der Plan wieder aufgegeben worden.

Wir erreichten etwas nach 5 Uhr die oberste Sennhütte auf der Kühplanken-Alp, 1508 m. Es befinden sich zwar weiter oben noch einige Alpen, dieselben werden aber nur auf ganz kurze Zeit befahren.

Die Bewohner der Hütte, drei junge Sennen, waren zur Zeit abwesend, und kehrten erst gegen 7 Uhr zurück. Sie hatten ihr Vieh für 8 bis 10 Tage auf die sogenannten obern Staffeln hinaufgetrieben und holten je Morgens und Abends die Milch herunter.

Nachdem wir ein aus Alpenkost bestehendes Nachti essen eingenommen, undnoch einige gemüthliche Stündchen mit den freundlichen Sennen verbracht hatten, legten y/ìv uns in einem etwas abgelegenen Gaden auf 's Heu. Dieser Gaden war auf der einen Seite theilweise offen und somit konnten wir von unserer Lagerstätte aus in die herrliche Nacht hinausschauen. Der Himmel war dicht mit Sternen bedeckt, und eine feierliche Stille herrschte über dem ganzen Thale. Eine solche Nacht hat einen eigenthümlichen Eeiz und gehört, wenigstens bei mir, nicht zu den geringsten Genüssen der Bergwanderung.

Um 1 Uhr weckte ich die beiden Führer, und um 2 Uhr marschirten wir in der Richtung des Schlossberggletschers oder Glattenfirn ab.

Es war herrlicher Mondschein, in welchem sich die Zacken der Sonnigstöcke auf der Nordseite des Thales geisterhaft ausnahmen.

Der Weg wird bald hinter der Alp ziemlich mühsam, und stellenweise sogar etwas unangenehm, besonders über die sogenannten Katzenplanken, wo man Nachts vorsichtig zu Werke gehen muss, und öfters mit den Händen nachzuhelfen hat, um nicht über die Felsplatten hinunterzurutschen.

Nach und nach geht 's steil über Lawinenüberreste, Geröllhalden und Felspartien bis zum Gletscher; letzterer war aber gut zu begehen, wenigstens auf der Seite gegen den Schlossberg hin; mehr nach Süden oder gegen die Mitte zu, war er dann allerdings stark zerklüftet. Um 6 Uhr 40 Min. langten wir auf der Schlossherg-Lücke an, 2631 m, und machten einen viertelstündigen Halt. Wir befinden uns hier auf einem kleinen Felsgrate, von welchem aus man schon eine sehr schöne Aussicht hat; besonders imposant präsentirt sich der Titlis, den man in seiner ganzen Grösse sieht. Mit Hülfe meines Fernrohres konnte ich auf dessen Spitze eine grössere Gesellschaft erblicken.

Auch das gewaltige Becken des Glattenfirn, über welchem sich auf der andern Seite der Krönte erhebt, nimmt sich von hier grossartig aus.

Den Glattenfirn hinansteigend, umgingen wir nun das grosse Spannort auf dessen Ostseite, und nach 5/4 Stunden langten wir auf dem Spannörterjoch an, 2929 m, der ganz vergletscherten Einsattlung zwischen dem grossen und kleinen Spannort.

Das kleine Spannort präsentirt sich von hier aus wie eine enorme Festung, rings umgürtelt von einer Felswand von ungefähr 150™ Höhe.

Von der Mitte des Joches gegen den Berg zu ist der Firn etwas steil, und bildet am Fusse der Wand eine Art Terrasse, welche wir erstiegen.

Furger besah sich einen Augenblick die ganze Länge der Wand, und marschirte alsdann gegen die Mitte des Berges hin, woselbst sich eine ziemlich bedeutende Vertiefung befindet. In dieser Vertiefung zieht sich eine steile Geröllhalde ungefähr 100 Fuss an der Felswand hinauf.

Ich unterhielt mich einige Minuten lang mit dem Strassenmeister, welcher keine Lust hatte, eine Kletterei mitzumachen, und als ich nach Furger blickte, befand er sich bereits über dem Geröll an der Felswand. Ich war im Begriffe, ihm nachzueilen, und hatte bereits mehrere Schritte gegen das Geröll hin gethan, als er mich ersuchte, einstweilen wieder zurückzukehren, um nicht etwa von den durch seinen Aufstieg in Bewegung gesetzten Steinen getroffen zu werden.

Man kann sich denken, mit welcher Spannung wir Furger zusahen; vielleicht konnte er dort oben eine Möglichkeit des Hinaufkommens entdecken und in diesem Falle hatten wir gewonnenes Spiel. Furger war schon ziemlich hoch hinaufgeklettert; wir beobachteten aufmerksam jede Bewegung. Einst schien es uns, als käme er nicht mehr vorwärts; wir wollten ihn aber nicht stören, sondern sahen ihm fernerhin ruhig zu. Nach einiger Zeit rief er zu uns herab, es wäre hier absolut unmöglich, auch nur einen Schritt weiter zu thun, denn er befände sich am Fusse eines überhängenden Felsen, wo gar kein anderer Ausweg sei, als zurückzukehren. Da dieser Rückzug nicht sofort stattfand, sondern wir sahen, dass Furger wie gebannt oben an der Wand klebte, waren wir stark um ihn besorgt. Es dauerte ordentlich lange, bis er sich endlich wieder bewegte. Der gute Mann hatte sich verstiegen, und es fehlte wenig, so wäre er nicht mehr lebend zu uns heruntergekommen. Ich hatte grosse Freude, als uns Furger nach einiger Zeit wieder einholte; er sprach jenen Tag noch zwei oder drei Mal von der schlimmen Lage, in welcher er sich befunden, und wo er während mehrerer Minuten weder vorwärts noch rückwärts gelangen zu können glaubte.

Diess mahnte mich natürlich stark zur Vorsicht.

An jener Stelle war also an kein Hinaufkommen zu denken, und mussten wir folglich unser Glück anderswo probiren.

Wir zogen uns in nordwestlicher Richtung auf der Firnterrasse hin, die Wand immer genau prüfend, finden Fall, dass sich ein Couloir vorfände, durch welches man hinaufgelangen könnte.

Endlich entdeckten wir eine Art Kamin, das ungefähr 100 Fuss hoch, und sozusagen senkrecht war. Von der Stelle, auf welcher wir uns befanden, führte noch eine kurze, aber äusserst steile Schneehalde bis zum Fusse dieses Kamins hinauf. Furger erstieg dieselbe sehr vorsichtig. Am Fusse der Wand angelangt, rief er uns zu, er glaube, er könne durch das Kamin hinaufgelangen, und möchten wir ihm einstweilen bis zu jener Stelle nachrücken. Am Seile gehalten, folgte ich nun seinen Tritten, und dicht hinter mir rückte der Strassennieister nach.

Hier entledigte ich mich wieder des Seiles, nicht so aber Furger, welcher am andern Ende angebunden blieb.

Das Kamin, an dessen Fuss wir uns nun befanden, schien mir unersteiglich, Furger aber glaubte, er könne hinaufgelangen; er machte sich denn auch sofort an 's Klettern und in kurzer Zeit war er schon ziemlich weit oben. Ich traute kaum meinen Augen, als ich Furger in seinen halsbrechenden Evolutionen zusah, und muss ich gestehen, es war mir ordentlich bange urn ihn; der Strassenmeister und ich riefen ihm denn auch mehrmals zu, wieder herunterzukommen, denn da Ersterer sich von vorneherein gegen eine Kletterei ausgesprochen hatte, so war ich trotz allen Vertrauen, das ich in Furger setzte, nicht gesonnen, mit bloss einem Führer, eine so gefährliche Partie zu unternehmen.

Furger liess sich aber nicht abhalten, sondern kletterte mit enormen Anstrengungen immer weiter, bis er oben am Kamin angekommen war. Nun rief er mir zu, mich an 's Seil zu binden, damit er mich hinauf ziehen könne; ich hatte aber dazu keine Lust, denn obschon ich sicher war, oben anzulangen, und auch wieder auf dem gleichen Wege herunterzukommen, so wusste ich doch weder, wie und ob wir weiter-gelangen, noch wie Furger wieder hinunter gelangen würde.

Auch dem Strassenmeister gefiel die Situation Furger's gar nicht. Letzterer trat nun oben aus dem Kamin heraus, und besah sich die Wand, an welcher wir noch hinaufzuklettern hätten, nachdem das Kamin einmal passirt wäre.

Er konnte zwar den obersten Theil des Felswand nicht sehen, und ebensowenig den Firn, der darüber lag, glaubte aber, wenn sich keine noch grösseren Schwierigkeiten böten, den Aufstieg bis zur Spitze und den Abstieg bis zur Stelle, an welcher er sich nun befand, in ungefähr 3 Stunden auszuführen. Es waren beinahe 2 Stunden seit unserer Ankunft im Spannörterjoch vergangen, und da wir noch einen 7stündigen Heimweg hatten, so ersuchten wir Furger wiederholt, herunterzukommen und die Partie einstweilen aufzugeben. Er hatte nun keine grosse Lust mehr, durch das Kamin wieder zu uns zu gelangen, sondern glaubte, weiter rechts an der Wand die Möglichkeit eines Abstieges zu finden. Wir warteten ungefähr 10 Minuten und als er immer noch nicht kam, fingen wir an, Befürchtungen zu hegen, ob ihm vielleicht etwas zugestossen sei. Es war uns nicht gut möglich, das Kamin zu umgehen, denn der Schnee, auf welchem wir uns befanden, fiel so steil gegen den Gletscher ab, dass wir uns nur im äussersten Falle hätten entschliessen können, den Ort, auf welchem wir standen, nach jener Richtung hin zu verlassen.

Endlich aber rückte Furger zu unserer grössten Freude wieder .heran, äusserst vorsichtig sich der Wand entlang bewegend. Er erzählte uns, wie 's auf der andern Seite aussehe, und fügte hinzu, er glaube, die Erkletterung des Gipfels sei nicht unmöglich.

Für heute aber wollten wir weitere Versuche aufgeben, überhaupt schien mir die ganze Sache so gefährlich, dass ich wirklich nicht beabsichtigte, die Besteigung je nochmals zu probiren. Wir verliessen somit die Wand unverrichteter Dinge um 10 Uhr 20 Minuten. Nach kurzer Zeit langten wir bei unsern Effekten auf der Firnterrasse an, und nachdem wir uns noch etwas gestärkt, brachen wir in der Richtung des Gornerenthales auf, den Glattenfirn von Westen nach Osten quer überschreitend. Der Gletscher wurde ohne Mühe passirt, und nach einer Stunde befanden wir uns am Rande einer enormen Schneewand, über welche hinunter der Weg nach dem Gornerenthale führt. Weder meine beiden Führer noch ich kannten dieses Thal, sondern wir sahen bloss auf der Dufourkarte, dass sein Ausgang auf die Gotthardstrasse beim Wyler unterhalb Wasen sei.

Die Wand war so steil, und die Beschaffenheit des Schnee's derart, dass ich mich anfangs sträubte, dieselbe zu betreten; auch dem Strassenmeister gefiel der Abstieg nicht; Furger aber sagte, wir dürften sicher sein, dass uns Nichts passiren würde, und somit entschlossen wir uns denn, unsern Weg über dieselbe hinunter zu nehmen, war er doch 3 Stunden kürzer, als wenn wir durch 's Erstfelderthal hätten zurückkehren müssen.

Wie wir später im Thale unten erfuhren, hätten wir besser gethan, uns noch mehr nach Osten, in der Richtung des Krönte hinzuziehen, von wo der Abstieg nach dem Thale leichter sein soll. Wir liessen von hier aus nochmals unsere Blicke nach dem kleinen Spannort hinüberschweifen; stolz und kühn erhob es sich über dem Gletscher; sehnsüchtig schauten wir nach seiner blendend weissen, jungfräulichen Spitze hinauf, der einen Besuch abzustatten, uns leider nicht vergönnt gewesen war. Damals wäre ich überglücklich gewesen, hätte ich mich dort oben befinden können. Ich dachte keinen Augenblick daran, das Wagniss je nochmals zu probiren, und hatte desshalb auch keine Ahnung, dass wir 4 Tage später die Hindernisse dennoch überwinden würden, und die stolze Burg sich ergeben müsste.

Es wurde nun neuerdings das Seil hervorgenommen; zuerst kam der Strassenmeister daran, welchen Furger, der in einem Loche steckte, die ganze Seileslänge hinunterliess. Beim Abstieg machte er, so gut es eben ging, Stufen in den Schnee, glitt aber mehr wie einmal aus und hätte sich unangebunden jedenfalls nicht halten können. Als das ganze Seil abgewickelt war, rief ihm Furger zu, für sich und für mich zwei Löcher in den Schnee zu graben, aber als dieses geschehen, fand er denn doch, die Situation sei nicht sehr gemüthlich und rief herauf, ich könne dort jedenfalls nicht stehen. Glücklicherweise fanden sich einige Schritte seitwärts, kleinere Felsen vor, nach welchen hin sich nun unser Strassenmeister bewegte; dort angelangt, band er das Seil los, welches wir dann heraufzogen, um mich daran zu befestigen. Schon im Anfang glitt ich aus und dieses passirte mir noch mehrere Male, bevor ich auf den Felsen anlangte; Furger musste folglich seine ganze Kraft anwenden, um mich zurückzuhalten.

Als nun auch ich glücklich beim Strassenmeister angekommen war, liess Furger sein Ende des Seiles zu uns herunterfallen, und schickte sich an, uns einzuholen; ich muss gestehen, dass ich sehr gespannt war, wie er sich aus der Sache ziehen würde, aber Furger ist nie verlegen. Er betrat die Wand rückwärts, drückte seine Fussspitzen bei jedem Schritte senkrecht und so tief wie möglich in den Schnee, gleichzeitig auch sein Beil so tief wie möglich in denselben eingrabend. Auf diese Weise langte er bald glücklich bei uns an, und muss ich bekennen, dass ich mich durch seine Gegenwart immer viel sicherer fühlte. Nun wurde dieses Manöver noch 6 Mal wiederholt, was volle V/i Stunden in Anspruch nahm. Später war die Wand nicht mehr so steil und eignete sich sehr gut zu Rutschpartien. Aber es dauerte noch lange, bevor wir, nicht ohne Steinschlägen ausgesetzt gewesen zu sein, den Schnee verliessen, der sich dieses Jahr in ungeheurer Masse überall vorfand. Das Gornerenthal ist ein ziemlich enges Hochthal, dessen beide Seiten sehr steil abfallen; es war 7 noch weit hinaus mit enormen Lawinenüberresten bedeckt. Einzig gegen den Ausgang des Thales hin waren einige Alpen befahren, sie schienen mir aber sehr mager zu sein. Der Abstieg nach dem Reussthal, meist durch vernachlässigten Wald, ist ungemein steil und mühsam, und gehört vielleicht zu den schlechtesten Alpwegen, die ich je gesehen habe; für unsere ohnehin ermüdeten Knie war er jedenfalls nicht erwünscht.

Im " Wyler nahmen wir einige Erfrischungen, da unser Proviant, der für den ganzen Tag bloss aus 2*ji Flaschen Wein, etwas Käs und Brod und einem kleinen Stück Urner-Kauchfleisch bestanden hatte, schon lange erschöpft war, und langten Abends 6 Uhr, nach ungefähr 15 stündigem Marsche ziemlich müde in Amsteg an.

Tags darauf, es war Sonntag, beabsichtigten wir neuerdings, am Abend nach der Blacki-Alp hinaufzugehen um am folgenden Morgen alsdann den Bristenstock zu besteigen.

Wir verliessen Amsteg nach dem Mittagessen und wanderten in aller Gemüthsruhe nach Bristen hinauf, woselbst wir beim Kaplan einkehrten. Während wir mit ihm und seiner Perpetua zusammen einige Flaschen seines famosen Italieners leerten, hatte sich der Himmel neuerdings überzogen und in kurzer Zeit brach ein fürchterliches Gewitter über dem Thale aus. Wir hofften, dass es bis gegen Abend aufheitern würde; dieses war aber nicht der Fall, und somit entschlossen wir uns, in der gastlichen Kaplanei zu übernachten. An jenem Sonntag war gerade Gemeindeschiessen in Bristen, und da es mich sehr interessirte, einst ein solches Fest in den Bergen zu sehen, so begleitete mich Furger an Ort und Stelle.

Der Schiessstand ist ungefähr 2 Minuten vom Hause des Kaplan entfernt und es befinden sich in demselben eine Kehr- und eine Stichscheibe.

Die Scheiben selber sind aber nicht, wie bei uns, auf circa gleichem Niveau mit dem Stand, sondern waren hier hoch oben an einer gegenüberliegenden Felswand angebracht.

Um dem Zeiger das Signal zu geben, schwang ein jüngerer Senn bei jedem Schuss in die Kehrscheibe eine sogenannte « Kuhschelle », während bei der Stichscheibe ein Horn geblasen wurde. Es waren ungefähr 20 Mann anwesend, die meist sehr gut schössen. Ich wurde eingeladen, mein Glück auch zu probiren und man gab mir eine alterthümliche Waffe von furchtbarem Gewicht, die ich kaum in die Höhe halten konnte. Auf meine Anfrage, ob kein leichteres Gewehr vorhanden sei, gab man mir einen Vetterlistutzer. Es regnete in Strömen, auch war es schon ziemlich düster, so dass ich beim ersten Schuss die Scheibe fehlte, beim zweiten hingegen traf ich nahe an das Schwarze. Auch Furger schoss mehrere Male und zwar sehr gut.

Es amüsirte mich ordentlich, einen altern Mann mit einer Heugabel heranrücken zu sehen, zumal ich absolut nicht begreifen konnte, was er damit anfangen wollte.

Endlich aber stellte er sie vor der Stichscheihe auf, die Gabel nach oben gerichtet. Zwei jüngere Sennen hielten das Instrument fest, während der Alte seinen Stutzer in die Zacken hineinlegte und ziemlich lange zielte. Schliesslich aber Schoss er, und ein fürchterliches und nicht enden wollendes Rufen und Jauchzen der Anwesenden bewies mir, dass der Schuss gut gewesen sei. Der Alte hatte scheint 's den zweiten Preis gewonnen, dessen Betrag ich zwar nicht kenne, ich weiss nur, dass der erste Preis 3 Franken war. Auf meine Anfrage, ob solche Ilülfsmittel wie eine Heugabel erlaubt seien, wurde mir gesagt, dass sich der Schütze deren bedienen dürfe, sobald, er das 60. Altersjahr zurückgelegt habe.

Erst gegen 7 Uhr des folgenden Morgens nahm der Himmel eine bessere Miene an; wir verschoben desshalb unsere Bristentour bis am Abend und benützten den schönen Vormittag zu einem Spaziergange nach dem Hotel Alpenclub im Hintergründe des Thales, woselbst ich einige Bekannte antraf.

Wahrend des Mittagessens wurde viel von schönen Bergtouren gesprochen; leider aber war mein diess-jähriges Repertoire so bescheiden, dass ich mich beinahe genirte und mich dann entschloss, nochmals und zwar sofort nach dem kleinen Spannort aufzubrechen und den Bristenstock für einstweilen aufzugeben.

Furger war mit Vergnügen bei der Partie, und somit verliessen wir das Hotel um 3 Uhr Nachmittags, marschirten in aller Eile nach Bristen, allwo wir uns vom Kaplan verabschiedeten und stiegen alsdann nach Amsteg hinunter.

Hier telegraphirte ich nach der Pension Müller in Engelberg, man möchte mir auf den folgenden Abend, Dienstag, einen guten Führer nebst Proviant nach der îTiedersurenenalp schicken. Wir benützten die Post nach der Klus, woselbst wir zu übernachten gedachten. Bald nach unserer Ankunft langte auch der Strassenmeister an, welcher an jenem Tage in Altorf gewesen war; wir luden ihn ein, eine Flasche Wein mit uns zu trinken und verbrachten mit ihm zusammen ein angenehmes Stündchen. Jene Wand hinten im Gorneren-thale war noch lebhaft in seinem Gedächtniss, dieses Mal aber wollte er lieber zu Hause bleiben; wir bedurften übrigens seiner Dienste nicht mehr.

Den folgenden Morgen um halb 6 Uhr brachen wir nach der Surenen auf, welche wir beim herrlichsten Wetter, gemächlich die schöne Aussicht geniessend, überschritten. Abends gegen 5 Uhr erreichten wir die Niedersurenenalp, unser heutiges Ziel. Später rückte dann auch der telegraphisch bestellte Führer mit dem Proviant heran; es war der bekannte Joseph Cattani aus Engelberg.

Um halb 9 Uhr legten wir uns in 's Heu, und schlief ich während einiger Stunden wider Erwarten gut.

Zwanzig Minuten nach Mitternacht, Mittwoch den 9. August, weckte mich Cattani; der Kaffee war schnell eingenommen, und bald darauf, um 12 Uhr 40 Minuten, wurde aufgebrochen. Als wir vor die Hütte traten und abmarschiren wollten, fand ich unsere Gesellschaft um eine Person verstärkt, nämlich um diejenige des Sennen und Gemsjägers Joseph Hess, welcher von unserem Vorhaben gehört, und sich Cattani gegenüber geäussert hatte, es würde ihm grosse Freude machen, uns begleiten zu dürfen, wofern ich Nichts dagegen einzuwenden hätte. Gleichzeitig offerirte er sich, eine kleine Fahnenstange, die ich bereits am Abend vorher bei Seite gelegt hatte, hinaufzuschleppen, was uns nur angenehm sein konnte. Diese Vermehrung unserer Gesellschaft war mir auch desshalb willkommen, weil uns Hess unter Umständen sehr nützlich konnte sein.

p]s war herrlicher Mondschein über dem Thale, so dass wir einstweilen noch keiner Laterne bedurften.

Ohne ein Wort zu wechseln, marschirten wir erst auf der rechten Seite des schäumenden Aabaches, den wir aber bald auf primitiver Brücke passirten, und stiegen alsdann gegen die sogenannte « Steilefluh » hinan, deren Fuss wir in einer starken Stunde erreichten. Diese « Steilefluh » ist eine paar hundert Meter hohe Wand, an welcher wir emporzuklimmen hatten. Es ist eine mühsame Arbeit, bei der oft auch die Hände das Ihrige thun müssen und wo ein etwaiges Ausgleiten schlimme Folgen haben könnte. Man geht meist auf Felsbändern mit spärlicher Vegetation, deren Disteln den Händen nicht gerade angenehme Anhaltspunkte gewähren.

Wir hatten diese Wand erst seit Kurzem betreten, als der Mond hinter dem Schlossberg verschwand; es wurde desshalb die Laterne angezündet, die ebenfalls Hess nebst der Fahnenstange bei sich trug. Voraus marschirte nun Cattani mit der Laterne, nachher kam meine Wenigkeit, dicht hinter mir Furger, um mich vor allfälligem Ausgleiten zu schützen, und schliesslich der Gemsjäger.

Die Wand wird immer jäher, bis sie in einen ganz schmalen, und steil ansteigenden Grat, einen Ausläufer des Schlossberges, den sogenannten « Geissrücken », ausmündet.

Diese ganze Partie erfordert Schwindelfreiheit und einen sichern Fuss.

Am obern Ende des Grates wurde der erste kurze Halt gemacht, und der Magen etwas restaurirt.

Von hier an führt der Weg nun über eine lange Oeröllhalde hinauf, wie man sie sich kaum steiler und mühsamer denken kann, und schliesslich noch über Schnee auf die Schlossberglücke, 2631 m, wo wir bereits vier Tage früher gewesen waren. Es war 5 Uhr 30 Minuten, als wir hier anlangten; gegen 6 Uhr wurde wiederum aufgebrochen, um 7 Uhr hatten " wir neuerdings das grosse Spannort umgangen, und standen auf der kleinen Firnterrasse des Spannörterjoch, an der gleichen Stelle, wo wir beim vorhergehenden Versuche unsere Effekten abgelegt hatten.

Heute thaten wir dasselbe und nahmen blos etwas Proviant und eine halbe Flasche bereits mit Wasser getauften Weines mit. Die letzte der 3 mitgebrachten Flaschen steckten wir bis zu unserer Rückkehr in den Schnee.

Furger band mich nun an 's Seil, das andere Ende aber hielt er blos in seiner Hand, ohne sich selber daran zu befestigen. Die kurze Schneehalde, welche zum Kamin führt, war bald passirt, ebenso auch das Kamin in wenigen Schritten umgangen, und nun stunden wir an der Wand, über welche hinauf der Weg zu unserem Ziele führte. Es war 7 Uhr 15 Minuten.

Die Wand besteht aus Kalkschiefer, der so bröcklig ist, dass man die Haltbarkeit eines jeden Steines untersuchen muss, bevor man sich entweder mit der Hand daran klammert oder den Fuss darauf setzt.

Je alle 5 bis 7 Meter findet sich ein schmales Band vor, wo man sich jeweilen wieder sammelte, weil meistens nur Einer auf 's Mal sich bewegen konnte oder durfte.

Furger ging voraus, uns vorher noch die grösste Sorgfalt anempfehlend, und nachdem er auf dem ersten Bande angelangt war, kam die Reihe an mich. Wie oben erwähnt, hielt er mich am Seil; ich glaube zwar nicht, dass es mir im Falle eines Sturzes etwas genützt hätte, denn an der ganzen Wand waren nur wenige Stellen, wo man auch nur einigermassen sicher stehen konnte; diess wusste Furger wohl und that er desshalb auch gut, sich nicht fest am Seile anzubinden, denn in diesem Falle hätte ich ihn bei etwaigem Ausgleiten jedenfalls mitgerissen. Ein grosser Nachtheil, den übrigens noch das Seil mit sich brachte, war der, dass es fortwährend Steine in Bewegung setzte, denen die Nachkommenden alsdann so gut, wie eben möglich, ausweichen mussten. Die an der Wand eingeschlagene Richtung war übrigens etwas nach links hinauf, und desshalb waren wir meist so gestellt, dass selten Einer in gerader Linie unter dem Andern sich befand, ausser eben da, wo ein Aufstieg nicht anders möglich war. Auf dem schmalen Bande bei Furger angelangt, that ich gewöhnlich einige Schritte seitwärts, um für die Nachrückenden Platz zu machen. Der Aufstieg selber war weniger unangenehm, als das stille Stehenmüssen auf schmalem Fluhsatz, mit dem ganzen Leib dicht an der eiskalten Wand, mit den Händen an den Steinen angeklammert, und immer besorgt, ob nicht vielleicht das Bischen Boden, auf dem man stund, nachgebe, und man elend in die Tiefe stürze.

Hinter uns sahen wir fast senkrecht in den steil gegen die Surenen hin abfallenden Gletscher hinunter und etwas weiter vorn, zu unserer Rechten, erblickten wir in schwindliger Tiefe, etwa 2000 Meter unter uns, das herrlich gelegene Engelberg.

Unsere Gletscherbeile hätten wir während des Kletterns absolut nicht halten können, und somit wurden sie, bevor wir die Wand betraten, sämmtlich niedergelegt; da wir aber voraussahen, sie auf dem Firn über der Wand zu gebrauchen, so mussten wir sie dennoch hinaufschaffen. Bevor nun der Letzte, also Hess, die Wand betrat, bot er Stück für Stück und auch die Fahnenstange an Cattani hinauf; dieser schob mir eines nach dem andern wiederum zu, und ich händigte dieselben an Furger aus, welcher sie alsdann an sicherer Stelle anlehnte, was oft sehr schwierig war, und wo sie so lange verblieben, bis Hess daselbst ankam. Dieses Manöver musste auf jedem Fluhsatz, sowohl beim Aufstieg als nachher auch wieder beim Abstieg, wiederholt werden.

Mit Anwendung der äussersten Sorgfalt, und oft mit klopfendem Herzen gewannen wir ein Band nach dem andern; Furger blieb immer voraus, und wies einem Jeden diejenigen Steine an, an welchen er sich ziemlich sicher halten konnte.

Die Vorsprünge je zwischen den Bändern, auf welche wir Hände und Füsse setzten, waren oft sehr klein, bisweilen blos zollbreit, und da wo es thunlich war, folgte Einer hinter dem Andern und drückte des Vormanns Füsse gegen die Wand, um ein etwaiges Ausgleiten zu verhindern.

IOCOchsner.

Wenn sich grosse Steine vorfanden, die nicht fest in der Wand sassen, nahm sie Furger völlig heraus und liess sie in die Tiefe stürzen; der Lärm, der daraus entstand, machte immer einen eigenthümlichen, unheimlichen Eindruck, und schien es mir, als müssten wir den Steinen nachfolgen.

Bisweilen hatten wir mehrere Schritte horizontal auf den Bändern zu gehen, bevor wir wieder weiterklettern konnten, und einmal kam es vor, dass ein grösserer, aus der Wand herausstehender Fels die Passage theilweise verhinderte. Diess war natürlich sehr schlimm, weil man sich nach rückwärts gegen den Abgrund biegen musste, und nicht sah, wo man auf der andern Seite des Felskopfes den Fuss hinsetzte. Hier hielt uns übrigens Furger fest am Arm.

Die erste und schwierigste Hälfte war endlich glücklich passirt, nachher ist der Aufstieg nicht mehr ganz so steil, immerhin aber noch äusserst bös.

Oft, wenn ich mit dem ganzen Leib an der Wand stund, und mit dem Gesicht sozusagen die Felsen berührte, kaum athmend, um nicht etwa auszugleiten, und die beiden Andern erwartete, welchen Furger ebenfalls heraufhalf, machte ich mir Vorwürfe, mein. Leben auf solche Art auf 's Spiel gesetzt zu haben, und gerne hätte ich mich wieder auf festem Boden befunden; ich behielt aber guten Muth, und blickte sehr oft nach der Tiefe hinunter, um mich mit dem Anblick 2U befreunden.

Was mir natürlich am meisten Sorge machte, war der Abstieg, der noch weit schlimmer ist als das Hinaufkommen.

Es dauerte beinahe Vh Stunden, bevor wir die Wand hinter uns hatten, aber es schien mir, als hätten wir viel länger gebraucht. Ueber den Felsen angelangt kamen wir auf Firn, konnten aber die höchste Spitze noch nicht erblicken. Der Firnhang war nicht hoch, aber ziemlich steil; wir bestiegen denselben äusserst sorgfältig in der gleichen Eeihenfolge wie bisher, und war ein Jeder froh, dass wir die Beile hinaufgeschleppt hatten. Nach einigen Minuten gelangten wir auf einen schmalen Firngrat und glaubten, dessen oberer Theil wäre unser Ziel; wir fanden uns aber bald getäuscht, denn dort angelangt, sahen wir die allerhöchste Spitze, welche sich zwar nicht viel über den Punkt, auf welchem wir uns befanden erhob, in nordwestlicher Richtung vor uns;, wir marschirten sorgfältig auf dem Firn weiter und nach kurzer Zeit erreichten wir endlich, etwas vor 9 Uhr, das lang ersehnte Ziel. Wir hatten, zwei kurze Raste mitgerechnet, 8Stunden von der Niedersurenenalp bis zur Spitze gebraucht.

Ein ganz eigenthümliches und nicht zu beschreibendes Gefühl beherrschte mich, als ich auf dieser Spitze anlangte, welche noch nie zuvor von einem Menschen betreten worden waren. Ohne ein Wort zu reden, drückte ich meinen Begleitern herzlich die Hand, und ganz besonders Furger, als Zeichen meiner Anerkennung für seine ausgezeichnete Leitung; er wusste wohl, was ich meinte, und wandte sich gerührt seitwärts.

Es vergingen einige Minuten, während welcher wir voll Bewunderung die uns umgebende grossartige Schöpfung betrachteten; endlich liess einer der Führer einen Jauchzer erschallen, dem wir Alle aus vollen Kräften beistimmten.

Die Aussicht vom kleinen Spannort ist grossartig, und vielleicht noch besonders interessant wegen des eigenthümlichen Baues des Berges selber; sie steht wahrscheinlich derjenigen vom grossen Spannort nicht nach, zumal weil letzteres mehr nach Norden zurückgeschoben ist; auch ist sie ungefähr die gleiche, wie die vom wenige Stunden entfernten Titlis, und da dieselbe schon öfters und besser beschrieben wurde, als ich es thun könnte, so unterlasse ich es, etwas Näheres darüber zu sagen.

Das kleine Spannort ist schauerlich zerklüftet und zerrissen, wie man es sich wohl denken kann, wenn man seinen ruinenartigen Bau von unten betrachtet. Es sind mehrere thurmartige Felskolosse aneinander gereiht, die jedenfalls früher ein Ganzes bildeten, aber durch Verwitterung im Laufe der Zeit die heutige Gestalt angenommen haben.

Die höchste Spitze ist ein längliches Plateau, circa 30 Fuss lang und halb so breit; in der Mitte befindet sich eine dachartige Schneeanhäufung, ungefähr 10 Fuss hoch, die aber nirgends bis an den Eand des Plateau's hinausreicht, so dass man sie umgehen kann. Der Boden ist übersäet mit losem Kalkschiefer.

Furger und ich bestiegen noch genannten Firn, und setzten uns einen Augenblick rittlings auf denselben nieder, das eine Bein gegen das grosse Spannort und das andere gegen den Titlis gerichtet.

Während wir uns hier oben befanden, war gleichzeitig eine Gesellschaft von 6 Personen, worunter auch ein Mitglied der Sektion Uto, Herr M. Rosenmund, auf dem grossen Spannort, mit welcher wir von Zeit zu Zeit Jauchzer austauschten.

Ich weiss nicht, ob die höchste Spitze des kleinen Spannort's jedes Jahr zu erreichen sei; wie es mir schien, ist das genannte Plateau nur durch eine Firn-anhäufung mit einem andern verbunden und zwischen beiden befindet sich eine enorme Kluft; wir gelangten auf nur ganz schmalem, dachartig abfallendem Schneegrate von dem der Felswand, über welche hinauf wir gekommen waren, näher gelegenen, und theils mit Firn bedeckten Felskopf auf den äussersten und höchsten Gipfel, und es könnte der Fall sein, dass in andern, nicht so schneereichen Jahren, keine Verbindung zwischen denselben existirt.

Wir bauten in aller Eile einen ziemlich hohen Steinmann, und steckten die mitgebrachte Fahnenstange hinein, an welcher wir ein rothes Taschentuch befestigten.

Die leider nur noch halb angefüllte Weinflasche, welche der Gemsjäger in einem kleinen Ränzchen auf seinem Rücken heraufgeschleppt hatte, war bald ausgetrunken und diente alsdann zur Aufnahme meiner Karte, auf welcher ich noch die Namen meiner 3 Begleiter, das Datum, und die zur Besteigung erforderte Zeit notirte, worauf wir sie im Steinmannli unterbrachten.

Nun hielten wir nochmals Rundschau, um alsdann, nach etwas mehr als halbstündigem Aufenthalte, von diesem grossartigen Gipfel Abschied zu nehmen, wahrscheinlich Alle von uns, und ich jedenfalls sicher, auf Nimmerwiedersehen!

Es war halb 10 Uhr.

Beim Abstieg war die Reihenfolge die gleiche wie beim Aufstieg; zuerst kam Furger, dann meine Wenigkeit, diessmal von Cattani am Seil gehalten, und schliesslich der Gemsjäger.

Der Firn war bald passirt und nun befanden wir uns wieder an der Wand, ein Jeder im Ungewissen, wie es uns gehen würde. Furger fand bald die Stelle, an welcher wir hinaufgekommen waren, und indem er uns nochmals die äusserste Vorsicht anempfahl, fing er an, rückwärts hinunter zu klettern. Nun forderte er mich auf, ihm nachzufolgen, und indem ich mich an den hervorragenden Steinen, so gut es eben ging, mit den Händen anklammerte, kletterte ich ebenfalls an der Wand hinunter, unten von Furger bewacht, für den Fall ich ausgleiten sollte. Das Gleiche that er in den meisten Fällen auch bei Cattani und dieser alsdann wieder bei Hess.

Als die Partine nach und nach schlimmer wurde, so setzte Furger, wo es thunlich war, einem Jeden von uns je auf Kommando den rechten oder linken Fuss auf vorher erprobte Vorspränge. Das Unangenehmste war wiederum das Warten auf den Fluhbändern und das Herunterschaffen der Beile.

Immer rückwärts, und mit der grössten Sorgfalt, und wenn Steine herunterfielen, den Vordermann warnend, stiegen wir wider Erwarten rasch hinunter. Bisweilen schien es mir, auf schmalem Bande stehend,, als wäre es rein unmöglich, auch nur einen Schritt weiter zu thun, ohne ins Bodenlose zu stürzen, und. mehr wie einmal konnte ich absolut nicht begreifen, wie wir überhaupt an jener Stelle hinaufgekommen Spannort.Ill waren, aber Furger lehrte mich b'ald anders, indem er mit einer merkwürdigen Fertigkeit an der Wand hinunterstieg.

Nach einer mühsamen und aufregenden Kletterei erreichten wir endlich glücklich den Fuss der Felsen in " ji Stunden; es war die Sache weniger Minuten,, den steilen Schneehang zu passiren, und wieder zu unsern zurückgelassenen Effekten zu gelangen.

Erst jetzt konnten wir den Sieg als vollendet betrachten, denn so lange wir oben waren, wussten wir noch nicht, wie es uns beim Abstieg gehen würde; wir gratulirten uns denn auch gegenseitig mit warmem Händedruck. Die Freude über das glückliche Gelingen war enorm gross; wir jauchzten, dass die Felsen wiederhallten, und die Gesellschaft auf dem grossen Spannort uns hörte.

Schnell wurde das letzte Bischen Proviant vom hungrigen Magen verzehrt, die letzte unserer 3 Flaschen Wein aufgemacht, und nachdem ich auf das Wohl des Schweizer Alpenclub getrunken hatte, liess ich noch meine Führer hochleben.

In raschem Schritte marschirten wir nun der Schloss-berg-Lücke entgegen: von hier ging es wiederum äusserst schnell, meist über steile Schneehalden hinunterrutschend, dem Thale zu, aber diessmal nicht über den Geissrücken, sondern mehr rechts davon, über den Spitzgrassen, eine ebenfalls steile, aber weniger gefährliche Partine.

Um 1 Uhr 45 Minuten langten wir wohl behalten auf der Niedersurenenalp an, woselbst uns Hess einen ausgezeichneten Rahm servirte. Nach einiger Zeit wurde wieder aufgebrochen, und nach Engelberg marschirt, woselbst wir gegen 5 Uhr Abends nicht gerade in salonfähigem Zustande ankamen. Der Abstieg von der Spitze des Spannorts bis nach Engelberg hatte, exclusive Halt, 5l/-i Stunden, meist sehr raschen Gehens, in Anspruch genommen.

Wir hatten noch am gleichen Abend das Vergnügen, vermittelst eines Fernrohrs das Steinmannli mit der darüber flatternden Fahne auf dem kleinen Spannort zu sehen.

Furger verabschiedete sich noch an jenem Abend von mir; er ging Tags darauf über die Surenen nach Hause retour, während ich nach Zürich zurückkehrte.

Ich habe seither oft an diese Besteigung gedacht und mich dabei immer gefreut, dass sie in jeder Beziehung so glücklich abgelaufen ist.

Das Verdienst derselben gehört ganz Furger, ohne welchen wir niemals hinaufgelangt wären; er ist ein ausgezeichneter, und überaus vorsichtiger und zuverlässiger Führer.

Die Tour selber gehört jedenfalls zu den schwierigeren, und da die Aussicht vom kleinen Spannort diejenige vom nahe gelegenen « Grossen » und vom Titlis nicht übertrifft, so ist eine Besteigung in Anbetracht der Gefahren kaum anzuempfehlen.

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