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Der älteste Weg am Verstanclahorn

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Aus dem Nachlaß des Herrn Sand-Frank † in St. Gallen.

Vorbemerkung.

Selbst die gründliche Monographie von Dr. W. Paulcke über das Verstanklahorn ( Bd. XXXIII des Jahrbuchs S.A.C. ) bringt nur sehr spärliche Mitteilungen über die beiden ersten Besteigungen dieses hervorragend schönen, echten Hochgebirgscharakter tragenden Berges. Es war mir längst bekannt, daß Herr Sand-Frank, der mit Herrn Cawood und den Führern Chr. Jann und J. Gort am 12. September 1867 die zweite Besteigung auf dem nämlichen Wege ausgeführt hatte, wie die Herren Jacot und Brosi mit Jann und Jegen am 7. September 1866 die Erstersteigung, einst in der Sektion St. Gallen hierüber einen Vortrag gehalten hatte; doch blieb meine vor Jahren unternommene Nachfrage nach dem Manuskript ergebnislos. Kürzlich nun stieß ich bei einem Durchgehen des schriftlichen touristischen Nachlasses von Herrn Sand-Frank sel ., dessen Familie mir die Durchsicht in verdankenswerter Weise gestattet hatte, zu meiner Freude auf den gesuchten Bericht, der gewiß für die Freunde des stolzen Gipfels von einigem Interesse ist. Der Redaktion des Jahrbuches sei für die bei schon vorgerücktem Termin gewährte Aufnahme der geziemende Dank ausgesprochen. Wir haben an der schlichten Erzählung unseres verstorbenen Ehrenmitgliedes Herrn Sand-Frank, der zu den Gründern des S.A.C. gehörte und bis zu seinem Tode an dem Gedeihen unseres mächtig aufblühenden vaterländischen Vereins stets den regsten Anteil nahm, keine Änderungen vorgenommen, von etlichen belanglosen Kleinigkeiten abgesehen, und es mag bei der Lektüre die freundliche, ehrwürdige Gestalt des Verfassers, das Urbild eines blühenden Greises, vor dem geistigen Auge manches ältern Clubgenossen wieder auferstehen.A. L. ( Sektion St. Gallen ).

Am 12. September 5 Uhr morgens kochte Jann uns eine tüchtige Mehlsuppe, der wir noch anderes nachfolgen ließen, so daß es nach 6 Uhr wurde, bis wir aufbrachen. Der Morgen war herrlich, ziemlich frisch; einige Wölkchen zeigten sich am fernen Horizont. Wir überschritten gleich vor der Hütte den Bach, und indem wir über die Moräne hinaufstiegen, röteten die ersten Sonnenstrahlen eben die höchste Spitze des Tödi; nach und nach vergoldeten sie ein Schneefeld nach dem andern, wir aber blieben bis zur Höhe des Verstanklators im Schatten. Verstanklator wird nämlich der Einschnitt genannt, der sich zwischen dem Gletscherkamm und dem kleinen Verstanklahorn 1 ) einsenkt; durch diesen [den Einschnitt] gelangt man auch am kürzesten auf den Tiatschagletscher. Auf der großen Dufourkarte ist der Verstanklagletscher mit Wintertäligletscher bezeichnet; dieser wird durch die Krämerköpfe vom Silvrettagletscher getrennt, somit befinden sich diese nicht südlich, sondern nördlich vom Wintertäli oder richtiger Verstanklagletscher, was auf der großen Karte unrichtig angegeben ist. Wir mußten somit die Krämerköpfe überschreiten, um auf den Verstanklagletscher zu gelangen. Obwohl an manchen abschüssigen Stellen das nackte Eis zutage trat, wußte Jann uns doch so sicher zu pilotieren, daß keiner sich hinsetzte und wir rasch von dannen kamen, denn bis zum Tor gebrauchten wir gerade 2 Stunden. In ¾ Paßhöhe stießen wir auf eine Spalte, die sich in der ganzen Breite des Gletschers ausdehnte, so daß wir mit Mühe eine etwas zweifelhafte Brücke fanden, die uns hinüber half. Auf der Paßhöhe angelangt, wendeten wir uns rechts das steile Schneefeld hinauf, um über dessen Grat die Südseite zu gewinnen; wir befanden uns alsdann hoch über dem Tiatschagletscher, der ins Val Lavinuoz abstürzt und nur unter sehr kundiger Führung zu überschreiten sein soll. Unser Blick verfolgt das Tal in seiner ganzen Länge und begegnet mit jedem Schritt einer neuen Reihe von Bergen, die im Osten und jenseits des Inns aufmarschieren. Wir steuerten nun in genau westlicher Richtung, so daß wir die auf Müllers Panorama angegebenen zwei Felszacken ganz umgingen; namentlich im Aufsteigen hatten wir einige mißliche Schründe zu umgehen. Obschon der Schnee schon ziemlich weich, kamen wir doch ordentlich voran; abermals ging es etwa 100'steil meist über Firn hinauf, dann durchkreuzten wir in einer Einsattelung den großen felsigen, südlichen Ausläufer und befanden uns nach einem dreistündigen Marsch [von der Hütte an gerechnet] genau an der gleichen Stelle, wo Herr Jacot letztes Jahr auch seinen ersten Halt gemacht. Die Karte dünkt mich hier in ihrem Detail etwas zu gedrängt, die Felsmassen erscheinen weit großartiger, auch viel zerklüfteter; der ganze Grat des Verstanklahorns ist zu minutiös, das Schwarzhorn demselben zu nah gezeichnet, namentlich im Vergleich zu seiner Entfernung vom Linard. Es war so schön warm, daß wir hier außer etwas Proviant auch unsere Röcke zurückließen, um uns freier bewegen zu können. Jann war ungemein verwundert über das veränderte Bild des Gletschers, denn während bei der ersten Besteigung vor einem Jahr nur noch sehr wenig Schnee vorhanden war, zog er sich jetzt nicht nur ungemein weit hinauf, sondern der Gletscher zeigte sich terrassenartig von großen Spalten durchfurcht, so daß es gewagt gewesen wäre, ein Vordringen oben in der Höhe zu versuchen. Wir mußten daher niedersteigen, wobei uns die Fußeisen wegen der Abschüssigkeit gute Dienste leisteten; nach manchen Querzügen und durch ein Labyrinth schauerlicher Spalten gelangten wir an den Fuß des kleinen Verstanklahorns 1 ). Von oben hatten wir gesehen, daß wir dieses ziemlich hoch zu überschreiten haben, um nach dem mehr westlichen, höheren Kopf zu gelangen. Jann zeigte uns damals auch einige rötliche Felsen, unter welchen durch wir zu passieren haben, um den zweiten Kegel, dessen Spitze unser Ziel war, zu erreichen. In jener Entfernung schien die Passage, selbst durch mein Fernglas, etwas problematisch; jedenfalls mußte bis dann auch der kleinste Anflug von Schwindel überwunden sein. Wir betraten also den Felsen und ohne große Schwierigkeiten waren wir bald einige Haus hoch; immer fanden wir genügend Raum, um unsre Füße aufzusetzen, als es plötzlich damit zu Ende war. Ein Vorwärtskommen wurde unmöglich und zur Seite erhob sich eine zirka 18 bis 20'hohe und fast vertikale Felswand. Was tun, spricht Zeus? Jann konnte sich erst gar nicht orientieren, denn dieser Passage erinnerte er sich nicht mehr und doch zeigten sich über uns die früher erwähnten rötlichen Felsen; versetzt konnten die Berge doch auch nicht sein. Zuletzt kam ihm der Gedanke, es müssen sich Felsblöcke abgelöst haben, wodurch die Passage sich so verändert gestaltete. Mit Hülfe unserer Schultern und Stöcke war Jann jedoch bald über die Felswand hinauf und warf uns das Seil herunter; erst folgte Gort, um die sichernde Kraft zu verstärken, dann kam ich und den guten Schluß bildete Herr Cawood; er hatte Schuhe und Strümpfe ausgezogen, um besser klettern zu können, und ist auch wirklich ein großer Meister darin. Allein da wir öfter Schneeflecken zu überschreiten hatten, ließ er sein Fußzeug doch nicht lange unbenutzt. Ohne weiteren Aufenthalt, nur daß Jann hie und da vorausging, um sich erst zu orientieren, ob wir auf richtigem Wege seien, stiegen wir an schmalen Felsbändern entlang oder über wacklige Felsköpfe oder auch ein steiles Kamin hinauf, bis wir hoch genug waren, um in einer engen Runse einzumünden, die uns nach einer Schneekehle hinunterführte, welche uns noch von dem großen Verstanklahorn trennte. Diese läuft auf den Lavinergletscher aus, allein derselbe ist gegen den Felsen hin furchtbar zerklüftet, so daß ein Auf- oder Niedergang in der besagten Runse, die ohnehin ungemein steil, eine Unmöglichkeit ist. Herr Landammann Brosi von Klosters, der letztes Jahr die Besteigung mit Herrn Jacot unternahm und als verwegener Bergsteiger renommiert ist, versuchte damals einen Rückweg durch diese Schneerunse, allein nachdem er einige 100'tief gestiegen, überzeugte er sich von der Unmöglichkeit der Durchführung seines Vorhabens. Wäre da eine Passage möglich, so würde damit ein großer Umweg abgeschnitten, denn wir brauchten über zwei Stunden von der Haltestelle bis zu dieser Schneekehle. Wir hatten nun diese zu überschreiten, wobei wir uns der Vorsicht wegen am Seil festbanden. Jann hatte nämlich jenseits Posto gefaßt und lotste einen nach dem andern hinüber. Nach wenigen Schritten auf dem Felsen befanden wir uns bald auf den Platten, die durchs Fernrohr einen etwas bedenklichen Anblick dargeboten. Allein obgleich diese allerdings meist sehr glatt und auch schroff abfallen, findet man mit etwas Aufmerksamkeit in den Kanten, wo sie aufeinanderstoßen, immer genügenden Anhaltspunkt. Ein einziger Fehltritt jedoch würde wahrscheinlich einen rettungslosen Sturz zur Folge haben, allein wer nicht gerade arg vom Schwindel geplagt und etwas Ausdauer besitzt, wird sich nicht stark daran stoßen. Nachdem die Platten zu Ende, wendeten wir uns mehr nach Westen, kamen aber auch wieder auf verwitterten Felsen; selbst Blöcke von mehreren Kubikfuß wichen oft unter dem leichtesten Druck der Hand oder eines Fußes, so daß wir möglichst beisammen blieben. Nachdem wir zu einer zweiten Schneekehle gekommen, die aber auf die Westseite des Berges abfällt, sahen wir bald über uns den Gipfel; noch hatten wir einige kleinere, aber schwierige Kletterpartien auf der eigentlichen Kante des Berges und sahen dann vergnügt das Steinmännchen uns entgegen winken; auf losem Geröll erreichten wir denn auch unser Ziel in wenigen Schritten.

Der Gipfel selbst ist ziemlich genau eine Pyramide von Gneis, die nach Nord, Ost und Süd senkrecht abfällt; nur nach Westen zeigt sich ein kleiner Ausläufer, auf dem ein halbes Dutzend Personen Platz haben, aber nirgends darf man sich weit hinauswagen, denn die ganze Spitze ist schrecklich verwittert, so daß bei Errichtung des Steinmännchens durch Herrn Jacot die ganze Spitze mit den Leuten angeblich zu wanken begann.

Die Flasche in der Pyramide sagte uns, daß Herr Jacot und Landammami Brosi die erste Besteigung am 7. September 1866 mit den Führern Jann und Jegen unternommen hatten. Die Temperatur war uns ebenso günstig wie ihnen, denn wir befanden uns in bloßen Hemdärmeln sehr behaglich; bezüglich der Aussicht jedoch waren sie bevorzugter, da Herr Jacot über den Furkapaß die Fletschhörner oder die Monterosagruppe zu erkennen glaubte. So weit drangen unsere Blicke nicht, namentlich nicht in dieser Richtung, denn Nebel verschleierten schon die Bernerspitzen und nur auf einzelne Augenblicke guckte der eine oder andere jener Matadoren durch.

Nach Süden ist der Eindruck der Aussicht am imposantesten. Eine Welt von Bergen lag vor uns, Tausende wilder Zacken, kühner Spitzen, gewaltiger Felsmassen mit scharf ausgeprägten Kronen, steil abstürzender Eiskämme; immer weitere Ketten, neue Gruppen tauchen gegen Osten auf, die alle zu ermitteln, zu benennen eine Unmöglichkeit wäre, und da uns hierzu auch die Zeit fehlt, begnügen wir uns mit dem ergreifenden Genuß dieses erhabenen Anblicks. Weder das Inn- noch das Lavinertal ist sichtbar 1der Vordergrund in dieser Richtung fehlt, da die Spitze allzusehr nach Norden liegt und ein Felskamm davor liegt. Hingegen haben wir das Vcrnelatal und das Prätigau zu unsern Füßen, erblicken auch Klosters und die Clubhütte 1 majestätisch dehnt sich der Silvrettagletscher in seinen riesigen Eiswellen aus. Schauerlich ist der Blick auf den Verstanklagletscher und noch lange dröhnen und kollern die durch einen einzigen Stein losgelassenen, in wilde Flucht versetzten Geröllmassen. Die Fernsicht nach Norden ist ungefähr die gleiche, wie die von der Rotfluh.

Nach einem 1½stündigen Aufenthalt zeigte die Uhr 2, so daß an den Aufbruch gedacht werden mußte. Noch gesellten wir unsere Karten zu denjenigen von Herrn Jacots Partie und traten dann den Rückweg an. Jann hoffte, über den Kamm jenseits der ersten Schneekehle einen Niedergang nach dem Lavinergletscher zu finden, und gleich einem Grattier erreichte er auf einem uns ganz unpassierbar erscheinenden Felsband den Kamm. Allein trotz des besten Willens und sowohl zu unserer, als seiner großen Enttäuschung, kam er nach einer halben Stunde zurück, die Unmöglichkeit aussprechend, eine direkte Passage nach dem Laviner- oder auch nach dem Vernelatal zu finden. Aus letzterem hätten wir dann freilich noch einen guten Marsch nach der Clubhütte gehabt, allein aus Interesse für den Weg, sowie um die abermalige Kletterpartie zu umgehen, hätten wir selbst mit Zurücklassung unserer Röcke und des einzigen Proviantes, auch diese Route eingeschlagen, allein nolens volens mußten wir uns zu dem gleichen Rückweg bequemen. Obgleich die Vorsicht keine Eile erlaubte, so kamen wir abwärts doch rascher voran denn aufwärts. Die Schneekehle betraten wir weiter oben und wurden vom Führer erst am Seil, auf der abgeschmolzenen Kante gegen den Felsen hin, rittlings hinuntergelassen, bis zur Stelle, wo wir des Morgens die Schneekehle durchschnitten. Die Sonne hatte mittlerweile ihre Kraft an dem Schnee bewährt, denn die Stufen vom Morgen zeigten sich fast abgeschmolzen und boten keinen sicheren Stand mehr. Das Seil kam uns somit wieder gut zustatten, um den unfreiwillig Entweichenden festzuhalten. Nachdem wir drei wieder festen Fußes auf den Felsen uns befanden, kam Jann nach, aber auch er hielt das eine Ende des Seiles fest in der Hand, um sicher zu sein. Das Kamin hinauf, durch welches wir des Morgens hinuntergestiegen, machte uns nun ein kleiner Bach, der oben in einem Schneeflecken Nahrung gefunden, die Passage streitig, allein wir wurden nur ein wenig naß, sonst kamen wir gut hinauf, um jenseits abermals hinunterzusteigen. Über den Felsabsturz wurde einer nach dem andern am Seil hinuntergelassen. Jann, als letztem, leisteten wir von unten Hülfe und dann erreichten wir bald wieder den Gletscher. Jann fand es richtiger, ganz in die Talmulde hinunterzusteigen, um den zerklüfteten Gletscher zu umgehen. Bei dessen Abschüssigkeit im oberen Teile konnten wir nur je eine Seillänge operieren, indem, nachdem der erste so weit vorgedrungen, derselbe Posto faßte, bis die andern zu ihm gestoßen, und dann ging 's auf gleiche Weise wieder eine Distanz weiter. Mit Mühe fanden wir schließlich eine Brücke über die letzte Spalte und fuhren dann flott den Rest des Schneefeldes hinunter. Zum Lobe von Jann muß ich noch erwähnen, daß er das Seil, obwohl wir es einfach für stark genug hielten, der größeren Vorsicht wegen, immer nur doppelt benutzte, wodurch wir an solchen Passagen natürlich weniger rasch vorwärts kamen. Man ist mit Jann überhaupt in jeder Hinsicht vollkommen versehen und ist ein unbedingtes Vertrauen in ihn gewiß gerechtfertigt. Während er nun den Weg oben nach der Stelle einschlug, wo unsere zurückgelassenen Effekten lagen, steuerten wir mit Gort um den Ausläufer des kleinen Verstanklahorns herum, und uns nach Osten wendend, gelangten wir auf die Köpfe, von welchen aus der Übergang auf den Tiatschagletscher möglich, mithin auch das Lavinertal zu erreichen ist.

1 ) A. L. D. h. die alte, nur noch in Ruinen vorhandene Hütte, die etwas höher lag als die heutige.

Jann war von oben herab wieder zu uns gestoßen; mit besonderem Behagen teilten wir uns in die mitgebrachte Flasche Wein; es war aber schon 6 Uhr. Die Sonne hatte sich längst empfohlen und die Dämmerung drang mächtig auf uns ein; somit durften wir nicht lange säumen. Wir hätten von hier wieder den Schneerücken ersteigen können, den wir des Morgens vom Verstanklator her erreichten, allein auf der Südseite war er weit überhängend und dann bot die schmale Schneebrücke über die große Gletscherspalte bei der Dunkelheit eine mißliche Passage. Wir blieben daher auf der Kante und schlugen so ziemlich den Weg ein, der auf der Exkursionskarte als vom Tiatschagletscher nach dem Verstanklator führend angegeben ist; nur mußten wir, um einige Spalten zu umgehen, tiefer in die Gletschermulde hinuntersteigen, welche vom Plan Rai, dem kleinen Buin, dem Gletscherkamm und dem kleinen Verstanklahorn umschlossen ist. Etwas langsam ging 's gegen das Verstanklator hinauf; denn, unter uns gesagt, die erste Frische war bereits etwas abgekühlt. Desto vergnügter ging 's dann jenseits den Gletscher hinunter. Derselbe war zwar noch ziemlich weich, das Seil benutzten wir aber nicht; doch blieben wir hübsch beisammen und traten fest in des Vordermanns Fußstapfen. Bald erblickten wir in der Richtung der Clubhütte ein Licht, was uns um so mehr auffiel, als diese vom Verstanklagletscher aus gar nicht zu sehen ist. Die Führer jauchzten; in der größten Spannung erwarteten wir einen Gegengruß, doch antwortete uns niemand. Ein zweiter Jodel ertönte, doch ohne besseren Erfolg. Jetzt sahen wir aber deutlich, daß das Licht sich bewegte, und auf den dritten Gruß erschallte ein anderer Jodel. Wie wir gegen die Krämerköpfe hinaufstiegen, präsentierte sich der Vollmond bezaubernd in der Mitte des Verstanklatores, wie wir an gleicher Stelle des Morgens die Sonne begrüßten. Dieser silberweiße Schein des Gletschers, die ganz eigentümlich magische Beleuchtung der Umgegend machte einen seltsam imponierenden Eindruck auf uns, dem uns lange hinzugeben Jann uns aber keine Zeit ließ. Vermittelst einiger kleinen Rutschpartien gelangten wir bald auf den Silvrettagletscher und begrüßten in dem Laternenträger den Führer Jegen, der in der Hütte keine Ruhe mehr gehabt und sich nach uns umsehen wollte; sobald er den ersten Jauchzer gehört, sei ihm ordentlich wohl geworden. Für die kleinen Übergänge auf dem Gletscher und die Moräne hinunter kam uns die Laterne wohl zustatten, denn der Mond hatte sich hinter Wolken versteckt. Um 8¼ Uhr betraten wir wieder die Hütte; den Weg vom Verstanklator hatten wir gerade in 5/4 Stunden zurückgelegt. Herr Terrisse 1 ) freute sich, alle vier wieder gesund und vergnügt zu begrüßen, und nun ließen wir uns das Abendessen wohl schmecken und plauderten bis tief in die Nacht hinein. Die Gesellschaft hatte sich durch zwei Gemsjäger von Lavin vermehrt, die sich aber zeitig aufs Ohr legten.

Zu einer weiteren größeren Tour für den folgenden Tag waren wir nicht mehr aufgelegt, zumal das Wetter Miene machte umzuschlagen und auf Beständigkeit nicht mehr zu rechnen war. Sonst hätten wir gerne noch mit so einer Bergjungfer angebunden, deren es in diesem Exkursionsgebiet noch ganz anständige gibt, z.B. die beiden Seehörner, der Kleine Litzner und Klein Buin, das vordere Plattenhorn u.a. m. Wir beabsichtigten, unsern Rückweg übers Montafun einzuschlagen, um das Tal, von dem wir schon so viel Anziehendes gehört, zu durchwandern.

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