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Der Eyjafjallajökul

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Von Prof. Dr. Fera. Vetter ( Section Bern ).

Der Eyjafjallajökul Die Gletscherwelt Islands ist noch wenig bekannt. Die Entfernung des Landes, die oftmals stürmische Ueberfahrt, die Unwirthlichkeit des Innern der Insel haben die Bergfreunde wenigstens des europäischen Festlandes bisher von häufigem Besuchen abgehalten.

Aeltere Quellen zur Berg- und Gletscherkunde mangeln gänzlich. Die Sagenliteratur zeigt keine oder eine nur sehr allgemeine Kenntniß der unbebauten Gegenden des Landes. Die wissenschaftliche Erforschung der Insel überhaupt beginnt erst mit den Reisen der beiden Isländer Eggert'Olafsson und Bjarni Pdlsson 1750—1757, bezw. mit ihrem Werke „ Rejse igjennem Island ", Sorö 1772, in deutscher Uebersetzung Kopenhagen 1774. Ihnen folgten, außer einer Anzahl englischer und nordischer Gelehrter ( u. A. Mackenzie 1811, Henderson 1818, Paijkul 1866 ), auch verschiedene deutsche Geologen: W. Sartorius von Waltershausen ( Physisch-geogr. Skizze, von Island, Gott. 1847; Geolog. Atlas von Island, Gott. 1853 u. A. ), F. Zirkel ( De geognostica Mandi » constitutione observv., Bonnse 1861; Preyer und Zirkel, Reise nach Island, Lpz. 1862 ), G. G. Winkler ( Island, München 1863 ), K. Keilhack ( Reisebilder aus Island, Gera 1885; Zschr. d. D. Geolog. Geselïsch. 38, 376 ff., mit geologischer Karte von Island ). Das treffliche Werk von P. E. K. Kaalund „ Bidrag til en historisk-topograflsk Beskrivelse af Island ", Kjöbenhavn 1877—1882, sammelt auch die Nachrichten über Berge und Gletscher aufs Sorgfältigste. Insbesondere aber hat in neuester Zeit der eingeborne Gelehrte Thorvaldur Thoroddseti zu Reykjavik durch eine Reihe von Einzelarbeiten die Kenntniß der geologischen, vulcanischen und glacialen Verhältnisse seiner heimatlichen Insel im Auslande, und durch entsprechende populäre Aufsätze auch bei seinen Landsleuten, mächtig gefordert. Seine Reisen und Forschungen im Innern, im Osten, im Südwesten und Nordwesten der Insel hat er in dem isländischen Jahrbuch „ Andvari " und sodann in dänischen ( „ Geografisk Tidskrift " ), schwedischen ( Geolog, fören. i Stockholm ) und deutschen Zeitschriften ( Petermann's Mittheilungen 31 u. ö. ) beschrieben und außerdem zusammenfassende geographische und geologische Arbeiten über Island in isländischer und dänischer Sprache veröffentlicht ( Losing Islands, Kaupmannahöfn 1881; Oversigt over de islandske Vul-kaners Historie, Kjöbenh. 1882, mit vorzüglicher Literaturübersicht ).

Eigentliche Berg- und Gletscherfahrten in Island haben bis heute fast nur die Engländer unternommen. Verschiedene Besteigungen sind theils beschrieben, theils empfohlen im Alpine Journal 5, 38—40; 7, 50—5S und 179—191 ( Watts: Myrdalsjökul und Kötlugja ). Die größte That dieser Art war die Ueberschreitung des ungefähr 150 Quadratmeilen ( 3000 engl. □ Meilen ) großen Vatnajökuls durch W. L. Watts im Jahr 1875 ( vgl. W, L. Watts, Across the Vatn-Jökull, London 1876; von demselben: Snjoland or Iceland, its Jokulls and Fjalls, Lond. 1875 ).

Die Gletscher Islands sind, abgesehen von denen des nahen Grönland, die größten Bildungen ihrer Art in der bekannten Welt. Sie sind nicht so hoch wie diejenigen unserer Alpen, ihre Umgebungen nicht so grün und malerisch wie die der schweizerischen oder norwegischen; mit diesen letztern stehen sie auch hinter unserm Hochgebirge zurück in Bezug auf die mannigfaltigen und kühnen Formen der Erhebung. Aber wer die Gletscherwelt in ihrer massigsten Entfaltung sehen will; wer Ansichten von großartiger Einförmigkeit und stimmungsvoller Oede liebt, welche durch die Verbindung von vulcanischen und Gletschererscheinungen noch mehr Reiz für die Phantasie erhält, der muß nach Island gehen.

Die Schwierigkeiten für den Bergsteiger bestehen in Island im Ganzen mehr darin, zu den Bergen hin zu gelangen, als auf sie hinauf. Die Ausgangspunkte für verschiedene Besteigungen, wie diejenige des Snse-fells- und des Vatnajökuls, sind, ohne unverhältnißmäßigen Zeitverlust, nur zur See zu erreichen; andere Gletscher liegen tief im Lande, von Sand- und Lava-flächen umgeben, auf denen die zurückgelassenen Reitthiere lediglich auf das mitgebrachte Futter angewiesen wären. Und doch ist gerade im Innern des Landes wegen der Sandfelder, Sümpfe und Flüsse und wegen des Mangels an eigentlichen Wegen das Reiten die einzig mögliche Art, zu reisen. Der einzelne Fremde ist genöthigt, durchschnittlich 6 Pferde zu kaufen oder zu miethen: je zwei für sich und den Führer oder Treiber, und zwei für das Gepäck. Einfache Unterkunft und Beköstigung ( wobei man freilich auf Fleisch und Wein muß verzichten können ) findet man gegen mäßige Bezahlung in den Bauern- und Pfarrhäusern, soweit die Gegend überhaupt bewohnt ist; für ungewöhnlichere Wege muß Zelt und Zehrung mitgenommen werden. Das Hülfsmittel einer guten Karte muß man auf Island entbehren; die beste vorhandene, diejenige von O. N.'Olsen in vier Blättern, die übrigens durch die kleinere Ausgabe in 1 Blatt, in Verbindung mit den Einzelkarten der Bezirke in Kaalunds Ortsbeschreibung, vollkommen ersetzt wird, ist für die Bedürfnisse des Bergsteigers sehr ungenügend. Neben Kaalundkann als eigentlicher Reiseführer für touristische und sportmännische Zwecke der kleine „ Guide to Iceland " von W. G. Lock dienen.

Meine clubistischen Thaten beschränken sich auf wenige gelegentliche Gipfel- und Paßbesteigungen im Süden und Nordwesten von Island, wie sie mir gerade am Wege sich boten. Von Gipfeln habe ich die Hekla, den Thrihyrningur und den Ostgipfel der Esja ( Moskardhshnükur~ ) be- und den Eyjafjallajökul versucht, alle im Südlande gelegen. Ich wähle zur Beschreibung diesen letztern Versuch, als die einzige eigentliche Gletscherfahrt, die ich auf Island gemacht habe.

Ganz im Süden der großen Insel, deren Flächeninhalt demjenigen von Süddeutschland ( Baiern, Württemberg und Baden ) beinahe gleichkommt, denjenigen von Irland um fast ein Viertel übertrifft, liegt eine ganze Gruppe von vergletscherten Bergen, welche die Dänen unter dem gemeinsamen Namen des Osterjökels ( Ostgletschers ) zusammenfassen. Man sieht sie, von Südosten heranfahrend, weither über das Meer hinglänzen; ältere Seekarten nennen den höchsten Punkt, den Eyjafjallajökul, auch wohl *Kap Hekla*, was auf einer Verwechslung mit dem nur 5 Meilen weiter in gleicher Richtung liegenden bekannteren Vulcan beruht. Der Name des Gipfels, zu deutsch „ Inselberggletscher ", soll von dem schwarzen Felsgrat herkommen, der sich aus dem weißen Rücken des Gebirges erhebtichLock a. a. O.

15 riVVQm möchte ihn eher auf die eyjar ( Inseln ) zu seinen Füßen beziehen: die Landeyjar, Austur-Landeyjar und' Utlandeyjar im Delta des Markarfljót und die Vestmannaeyjar draußen im Meere. Daneben heißt er auch Hdjökul1 ), der „ hohe Gletscherberg ", von seiner für Island sehr bedeutenden Höhe, 17O6 m ( 5432').2} Seine geographische Lage ist nach Thoroddsen Q3° 37'n. Br. und 32° 16'18 " w. L. von Kopenhagen ( d.h. ungefähr 2° 10'w. von Ferro ). Westlich vom Eyjafjall, auf der andern Seite des Flußthaies, das offenbar die Stelle eines alten Fjords einnimmt, erhebt sich der Tindfjallajökul ( Zahnberggletscher ), der einzige Eisberg von etwas kühnern zackigen Formen, den ich gesehen habe, und den Hintergrund des Thales bilden die breiten weißen Massen des Godhalands-, des Merkur- ( spr. Merkur ) und des Torfajökuls. Oestlich an den Eyjafjall schließt sich der Mfrdalsjökul mit dem Krater Katla ( Kötlugjä ) an; diese beiden Gebirge mit dem Godhalands- und Merkurgletscher bilden allein eine zusammenhangende Masse von etwa 25 Quadratmeilen ( 1320 □ km).3 ) Das ganze Gebirge ist vulcanischen Ursprungs und besteht, soweit es frei liegt, aus Tuffen und ähnlichen vulcanischen Gesteinen, während der viel größere nördliche Theil der Insel eine große Basalttafel bildet.

Von den Abflüssen dieses Ungeheuern Gletschercircus genährt, bricht zwischen dem Inselberg und dem Zahnberg der mächtige Strom Markarfljót ( Mark-fluß ) hervor, füllt die breite Sohle eines vier Stunden langen Thales mit grauem Eiswasser und schwarzem Geschiebe und bildet sodann, sich in mehrere Arme theilend, jenes gewaltige Delta von wohl sechs geographischen Meilen Grundlinie, welches diesem Theil der Insel seinen Charakter gibt. Der westlichste der vier Hauptarme, durch welchen dieses Delta mit demjenigen eines andern großen Stromes, der Thjórsà, zusammenhängt, war noch im vorigen Jahrhundert ein selbständiger Fluß; erst die wiederholten Ueberschwemmungen des Markarfljót haben sein Rinnsal nach oben verlängert und ihn dem Hauptstrom dienstbar gemacht.

Diesem Arm, der sogenannten Thverà ( Querfluß ), entlang reitet man, von Westen kommend, über die gastliche Pfarre von Breidhabólstadhur und den sagen-berühmten Hof Hlidharendi in ein Thal von völlig alpenhaftem Charakter ein. Grüne Weiden, mehr oder weniger steil, bilden die Thalwände, durch Wasserfälle und auf der Sonnenseite durch einige Hofe belebt; darüber und dahinter schimmern in breiten Massen die weißen und bläulichen Gletscher, einzelne Zungen bis gegen den Thalgrund niedersendend. Aber diesen selbst füllt nicht ein freundlicher See, wie wir 's bei uns gewohnt sind, oder üppiges, flußgetränktes Wiesengelände: noch schaltet der Strom als uneingeschränkter Herrscher über einen Boden, den er sich selbst geschaffen und den er, meist unbenutzt, als Tummelplatz seiner übermüthigen Launen sich eifersüchtig vorbehält.

Fast zuhinterst an der linken sonnigen Thalwand, der sogenannten Fljotshlidh ( Flußhalde ), gerade gegenüber dem Doppelgipfel des eisgepanzerten Eyjafjall, liegt, grün in Grün, der stattliche Hof Barkarstadhir. Eine isländische Bae ( spr. Bei = Hof ) sieht von Weitem, und namentlich von der Seite betrachtet, ganz aus wie eine Anzahl grüner Erdhügel, da die niedrigen Firstdächer der einzelnen Gebäude durchweg mit Rasen gedeckt sind; in der Front stellt sie sich dar als eine zusammenhangende Reihe von 5-12 einzelnen einstöckigen Hütten aus rohen Steinen und Rasen mit spitzem, bretterverkleidetem Dachschild, in der Form an eine nach dem Barackensystem gebaute Fabrik erinnernd. Jede dieser Baracken, welche hinten durch einen finstern Gang verbunden und nur so zugänglich sind, enthält in der Regel nur einen Raum und dient irgend einem der mannigfaltigen Bedürfnisse des ländlichen Haushaltes; in dem Hauptgebäude befindet sich außer der für Besuche bestimmten guten Stube, die in keinem wohlhabenderen Hause fehlt, meist eine Treppe hoch im Dachraum, das gemeinsame Schlafgemach der ganzen Familie, die sogenannte Badh-sto fa. Zu einem Hofe gehört der sogenannte Tun „ Zaun ", ein von Rasenmauern umhegter Bezirk, worin Heu gewonnen und auch meist etwas Gemüse gezogen wird. Man reitet durch einen schmalen Durchlaß der Mauer hinein, welche sich meist noch zu beiden Seiten des Weges durch den Tun hindurch bis zum Hause fortsetzt, um auch die Reitthiere von dem zum Heuen bestimmten Graslande abzuhalten.

280Ferä. Vetter.

Ich kam im Nachmittag des 9. August dieses Jahres in Barkarstadhir an mit meiner Karawane, bestehend aus sechs Pferden, dem Führer Johannes und dem Hunde Basi ( Bausi ). Der Hof, nach dem hier begrabenen Kämpen Börkur benannt, wird heute von dem alten kranken Sigurdhur Isleifsson und seiner Familie bewohnt. Die Hausmutter, Frau Ingibjörg, empfing mich freundlich, wies mir ein kleines Zimmerchen neben der Gaststube an und bereitete uns ein gutes Abendmahl, wobei es eine süße Suppe ( grautur ) und große Auswahl von kalten Fleischspeisen gab: hängikjöt ( Rauchfleisch ), runnumavi ( einen eingesalzenen Fisch, von seiner rundlichen Gestalt so benannt ) u. s. w., dazu den eigenthümlichen braunen. weichen Käse ( ostiir ), für welchen Barkarstadhir bekannt ist, und verhältnißmäßig gutes isländisches Brod: sehr dünne fette Fladen aus Roggenmehl ( natürlich eingeführtem ), die mit Butter gar nicht übel schmecken; endlich Reiskopf mit Rosinen ( hrisgrjóna ) als Nachtisch. Auch die Bibliothek war wohl bestellt: neben Erbauungsbüchern fehlten die Neudrucke verschiedener Sagas nicht; von neuern isländischen Schriftstellern waren Matthias Jochumsson, früher Pfarrer im nahen Oddi, jetzt zu Akureyri am Eismeer, mit einer Sammlung seiner Gedichte, und Jon Thórdharson Thoroddsen, der Vater unsers Geologen, durch die mustergültige isländische Novelle „ Piltur og stulka " ( Jüngling und Mädchen ) vertreten. Als Führer für die Ueberschreitung des Markarfljót, welche nöthig war, um in 's Gebirge einzudringen, stellte sich der Sohn des Hauses, Thomas Sigurdharson, vor, ein kräftiger und intelligenter Bauer von 35 Jahren, der mit den Eltern in unabge-theilter Haushaltung lebt.

Den ersten Tag benutzte ich zu einem Ausflug nach der Tiefe des Gletscherzirkus, welche den Namen Thorsmörk ( die Mark des Gottes Thor, Donnersmark ) führt.Der Einblick in die gewaltige Fels- und Eiswelt, der sich hier bot, weckte nebst dem schönen Wetter in mir den Wunsch, wenigstens einem der riesigen Wächter dieser Einöde etwas näher zu rücken. Der Eyjafjall war hiefür, abgesehen von seiner Lage unmittelbar über dem Meere, am verlockendsten, als der nächste und zugleich der höchste von allen und einer der höchsten Islands üherhaupt. Er hat zwar kaum die absolute Höhe unserer Rigi; aber da man in Fljotshlidh fast nur in Meereshöhe sich befindet und die Gletscher in Island diese stellenweise fast erreichen, so ist der Charakter des Berges ein völlig, hochgebirghafter. Burton und nach ihm Lock 2 ) prophezeiten, daß dieser Berg und seine Genossen dem ersten wohlorganisirten Angriff erliegen würden: ein Versuch war also zu wagen! Ich wußte damals nicht, daß ihn schon vor bald 100 Jahren der isländische Forscher Sveinn Pdlsson mit Erfolg gewagt hatte.Dazu zog die vulcanische Natur des Berges mächtig an. Man kennt zwei Ausbrüche desselben, 1612 und 1821. Wir kamen auf dem Wege nach und von Thorsmörk an den tiefen Löchern vorbei, welche vor bald 80 Jahren die bei dem Ausbruche heruntergestürzten Eisblöcke zurückgelassen haben. Denn damals spie der Eyjafjallajökul — Wasser und Eis; an der Seite des Berges, nordöstlich vom höchsten Punkte, öffnete sich im Gletscher eine Spalte, 1000 Faden ( 2 km .) lang und an der schmälsten Stelle 30 Faden ( 50 m ) breit; Kauch stieg an verschiedenen Stellen des Abhangs auf; der schmelzende Gletscher stürzte sich ins Thal und verwandelte es in einen See.Vollends i. J. 1612 soll Wasser und Eis bis nach dem Meer hinaus getrieben worden sein. Der höchste Punkt des Gebirgs ist ein halbeingestürzter Vulcankrater. Verheerungen durch Lava, Asche oder Sand scheint der Eyjafjall in geschichtlicher Zeit nicht angerichtet zu haben, wie dieß sein Nachbar, die Eatla, gethan; dagegen ist die Anlage des Flußthaies, eines ehemaligen Fjords, und des Küstenvorlandes, der sog. Eyjafjalla-sveit, wohl auf seine Thätigkeit zurückzuführen.

Der Heimweg von Thorsmörk führte uns lange Zeit an den Gletscherabstürzen des merkwürdigen Berges hin und sodann zurück durch den breiten und reißenden Markarfljót, von welchem in einstündigem Eitte drei große und ungezählte kleinere Arme zu kreuzen waren. Ich war vom Hinweg das eigenartige und nicht ganz ungefährliche Abenteuer eines isländischen Flußübergangs schon gewohnt, und hatte während des langsamen Kittes Zeit, in öfterer Rückwendung den Weg auf den Eyjafjall auszukundschaften und zugleich mit meinen Fahrtgenossen die erforderliche Verschwörung anzuzetteln. Ich stieß zuerst lediglich auf lächelnden Unglauben; doch war Thomas, den ich als den resoluteren Charakter zuerst ins Geheimniß zog, unschwer zu überreden, und Johannes ließ sich durch die Aussicht auf einen Ruhetag für die Pferde bestechen, welcher ja gewonnen war, auch wenn wir beim ersten Gletscher umkehren mußten. Denn daß man auf solche Eisberge nicht hinauf könne, oder daß wenigstens eine solche Besteigung der bare Unsinn sei, das stund ihm in seiner Schulmeisternatur von vornherein fest.

Zu Hause waren nun aber noch einige maßgebende Persönlichkeiten zu gewinnen, deren moralischer Beistand für die Verfassung meiner Reisegefährten und für die Beschaffung einer ordentlichen Ausrüstung sehr bestimmend war. Die Mutter sagte nicht viel dazu; sie lächelte halb verlegen, halb bedenklich; der alte Sigurdhur erzählte uns eine schauerliche Mär, wie vor vielen Jahren ein Nachbar mit einem Eng-lending auch dort hinaufgestiegen; auf halbem Wege sei ihm das Blut aus Mund und Nase gebrochen und sie hätten halbtodt vor Erschöpfung umkehren müssen. Johannes ward kleinlaut bei dieser Kunde; aber Thomas blieb standhaft und versprach für Seil und Beil zu sorgen; ich stöberte in einem Speicher ein paar derbe Stöcke mit Eisenspitzen auf, die als Wäsche- und Kleidergestell dienten, und erparlamen-tirte mir sogar von Frau Ingibjörg einige Stücke Schleiertuch zum Schütze der Augen auf dem Gletscher. Mit Schuhwerk war ich gut versehen und für die Andern verließ ich mich auf die guten Reitstiefel, welche Thomas für den Flußlibergang mitnahm, und auf meine eigenen, die ich Johannes abzutreten gedachte; denn eine Begleiterschaft mit gewöhnlichem isländischem Schuhwerk erschien mir für Eis und Schnee von zweifelhaftem Werthe.

Die Bergscheu der Isländer ist nicht Feigheit, wie neuere Reisende sie wohl dargestellt haben; Leute, die solche Wege reiten, durch solche Flüsse setzen, sind keine Feiglinge; es ist vielmehr der praktische und vielleicht auch etwas abergläubische Sinn des Landmanns, für welchen die Welt da aufhört, wo es Nichts mehr zu ernten, zu weiden oder zu jagen gibt; auch unsere Hochgebirgsbauern, soweit sie nicht etwa Gemsjäger oder Krystallsucher sind, haben bis vor Kurzem so gedacht und denken vielfach noch so. Bei den Isländern kommt die ausschließliche Gewohnheit des Reisens zu Pferde dazu, die ihnen die Zumuthung einer längern Fußwanderung geradezu als eine Ungereimtheit erscheinen läßt.

Die Sonne ging, wie man bei uns sagt, in einen Sack unter; doch war, als ich des Morgens um 4 Uhr erwachte, das Wetter noch schön. Scharf zeichnete sich im Frühlicht der langgezogene Grat unseres Jökuls am blauen Himmel ab; klar schauten vom fernen Meere her die Drdngar, die thurmgleichen Vorposten der Westmännerinseln, durchs breite Thal herein. Johannes, der auf halb fünf Uhr konsignirt war, erschien nicht, und als ich ihn endlich zur Stelle gebracht und überzeugt hatte, daß ich wirklich und in allem Ernst auf den Berg wolle, betrieb er die Vorbereitungen mit einer Langsamkeit, welche den geduldigsten Menschen ( der ich bekanntlich bin ) hätte können aus der Haut fahren machen. Auch Thomas zeigte sich schwankend und zweifelnd, und ich hatte mit dem passiven Widerstand des ganzen Hauses zu kämpfen. Meine ruhige Entschiedenheit schlug endlich durch; wir erhielten ein gutes Frühstück von Kaffee und Sk£r ( der beliebten isländischen Milch-speiseein Beil und ein ordentliches Heuseil fanden sich auch. Da ich mein Fernglas nicht bei mir hatte, ward der kleine'Isleifur noch schnell nach Fljótsdal gesandt, wo ein solches zu haben sein sollte, und kam in unglaublich kurzer Zeit wieder angesprengt mit einem Geschütz größten Kalibers. Mit müden Augen und kopfschüttelnd sah uns vom obern Stübchen der alte Sigurdhur nach, als wir endlich nach 7 Uhr die Stöcke schulterten und zwischen den Rasenzäunen den Hügel hinabtrabten, dem Markarfljót zu, den wir heute nochmals hin und zurück zu kreuzen hatten, um zum Eyjafjall und wieder nach Hause zu gelangen.

Ich hatte für den Aufstieg zum Gletscher einen stark rechts von unserer eigentlichen Richtung emporsteigenden Strebepfeiler des felsigen Untergestells in Aussicht genommen. Ziemlich genau unserm Quartier quer gegenüber stürzt in halber Höhe des Felsabhangs zwischen Klippen und schmalen Grasflächen ein Wasserfall herunter; rechts davon mußte leicht hinaufzukommen sein. Der Gletscher oberhalb schien wenig zerklüftet; über den höchsten Grat zog sich eine lange niedrige Felskette hin; diese mußte ohne Mühe zum westlichen Gipfel führen, welchem der Godha- oder Gudhnastein, der Rest des alten Kraterrandes, gerade östlich gegenüberstund, beide anscheinend gleich hoch. Kaalund schätzt jenen, als den höchsten Punkt, auf etwa 5500 Fudie Gunnlaugs-son'sche Karte gibt dem ganzen Gebirge 5432.

Wir durchritten den Markarfljót in dreiviertel Stunden und ließen jenseits am Fuße der Felswand auf einer schönen grünen Matte das entbehrliche Gepäck und unsere drei abgesattelten und abgezäumten Rößlein zurück; mit Stricken aus Pferdehaar, die mit einem Schafsknochen verstätet werden, fesselt man ihnen die Vorderfüße zusammen, so daß sie sich nur mühsam hüpfend fortbewegen können. Ich zog meine Bergschuhe an; aber weder Thomas noch Johannes waren zu bewegen, das Stück Pferdeleder, das ihnen als Schuh diente, mit einer ordentlichen schützenden und widerstandsfähigen Fußbekleidung zu vertauschen: die Stiefel blieben zurück in der kleinen Wagenburg, die wir aus unsern Sätteln errichteten und mit den Schaffell-schabracken deckten, eine Nachgiebigkeit, die ich später bereuen sollte.

Wir durchschritten nun den schäumenden Bach, den Abfluß des Wasserfalls, der hoch oben in der Schlucht hing, und gelangten, eine steile Schafweide hinan, wo Johannes bereits zu jammern anfing, auf den schmalen Rücken des erwählten felsigen Strebepfeilers hinauf. Bald oben auf dem First, bald rechts oder links unter Flühen und vereinzelten Felsköpfen -durch, wo noch hie und da Fußspuren von Schafen uns den besten Weg wiesen, stiegen wir ziemlich rasch und ohne eigentliche Schwierigkeit zu einer Stelle empor, wo sich rechts ein zweiter Seitengrat mit dem unsrigen vereinte und ein kleiner Bach sich zwischen beiden in die Tiefe stürzte. Nach einem kurzen Frühstückshalt, den ich Johannes'wegen noch vor dem Gletscher ansetzte, gelangten wir über einen steinigen Abhang und ein fast ebenes Moränen-Block-feld auf die sanft geneigte Eishalde des Jökuls, die wir um 10 Uhr ziemlich nahe ihrem südwestlichen Ende betraten. Links von uns zog sie sich in steilerer Senkung, aber unzerklüftet, nach dem Wasserfall hinunter; aufwärts, in östlicher Richtung, war sie rechts und links von niedrigen Felszügen begleitet; nur an einer Stelle links hub sich ein einzelner Kopf ganz rothen Gesteins nachdrücklicher heraus; man kennt ihn drunten im Thal unter dem Namen'Hddegis-hnûkur, Mittaghorn, da von Fljótsdal aus gesehen die Sonne zu Mittag gerade darüber steht. Der Himmel war nunmehr leicht bewölkt, doch dabei die Luft ruhig und angenehm. Wir trafen den Gletscher, dank der hiefttr günstigen Jahreszeit, hier vollständig aper; man ging auf dem lautern, körnigen, wenig gefurchten Eise und brauchte von verschneiten Spalten Nichts zu besorgen. Erst nach und nach, da sich der Eisrücken stärker wölbte, erschien er da und dort zer-schrunden und streckenweise noch mit einer Schneeschicht bedeckt. Wie staunten meine Leute die erste blaue Gletscherspalte an und alle die heimlichen lautlosen Wunder der Firnwelt, hinter denen nun auch das Vogelschaubild des flachern Landes und des Meeres mit seinen Inseln immer gewaltiger emporwuchs! Wir rückten zwischen zwei in der Längsrichtung verlaufenden, wenig steilen, schneefreien Absturzstufen ziemlich rasch empor, wobei ich die beschneiten Stellen möglichst umging, um die wachsende Zuversicht meiner Begleiter nicht zu erschüttern. Als der Schnee nicht länger zu vermeiden war, verordnete ich ihnen%das Seil, das sie Anfangs belächelten, aber bald sehr nützlich fanden.

Schon lag links der Hadegishnükur hinter und unter uns; eine gewaltige Aussicht eröffnete sich über den Felswall hinüber auf die Gebirge im Norden und auf das Stromland und das Meer im Westen. Wir zogen uns nun — voraus ich, dann Johannes und zuletzt Thomas — mehr gegen den Felsenkamm rechts hinauf, welcher fast ebenen Fußes zum Gipfel führen mußte; denn gerade so: eine wenig ansteigende Kette ziemlich gleich hoher Felsen über einem reinen weißen Gletscherabhang, sah der Grat des Eyja-fjallajökuls vom Thale her aus. Nach diesem Rückgrat hinauf streicht von links quer über den Gletscher eine starke Rippe ebenfalls nackten senkrechten Felsens; zwischen beiden steigt der hier nun ganz beschneite Eisstrom etwas steiler als bisher empor und scheint stellenweise über den Grat hinüber mit dem jenseitigen Eisabfall zusammenzuhängen, wo nach Allem der stärkere Abfluß stattfindet als auf unserer Seite, welche von ihren gewaltigen Gletscherhängen gegenwärtig nur wenige mäßige Bäche entsendet. Den einen oder den andern dieser Pelsenzüge mußten wir zu gewinnen suchen, um auf, sicherstem und leichtestem Wege zum Gipfel zu gelangen.

Aber hier begannen die Schwierigkeiten. Der Abhang zeigte plötzlich eine Zerklüftung, wie ich sie bei so geringer Neigung in unsern Bergen noch nirgends getroffen habe; die Plaine morte am Wildstrubel, auch ein fast ruhender Gletscher, ist dagegen der reine Tanzboden. Der Grund muß die ungeheure Mächtigkeit der Eismassen sein, deren eigenes Gewicht sie in Schichten und Spalten auseinanderreißt. Wir konnten Anfangs einige Eisklüfte umgehen; aber immer länger dehnten sie sich, immer tiefer gähnten sie hinab; immer unzureichender wurden die vereinzelten Eis- und Schneebrücken, welche über die blauen Schrunde hinüberführten. Meine Begleiter stellten sich nicht ungeschickt an; aber hier in Schnee und Eis, besonders als an der höhern obern Wand einer Spalte ein paar Stufen gehauen werden mußten, zeigte sich nun recht, wie ungenügend ihr Schuhwerk für solchen Boden war. Auf der Eisstufe bot es nicht den nöthigen Halt; in der Schneespur war der Fuß mit dem am Rist offenliegenden Strumpf sofort ganz durchnäßt. Ihre Sicherheit und ihr Selbstvertrauen war dahin, da es für die wachsenden Schwierigkeiten nun erst recht nöthig gewesen wäre. Thomas sah bedenklich drein; Johannes fing an zu murren und endlich zu schimpfen. Noch brachte ich sie glücklich über ein paar Schneebrücken — theilweise bereits durchlöcherte — hinüber, wo immer für Einen, meistens aber für Zwei, auf festem Eisufer sicherer Stand war; durch die größte Vorsicht, durch sorgfältigste Prüfung jeder Schneefläche mit dem schweren Stock, suchte ich ihnen wieder Vertrauen einzuflößen. Aber als nun die Schrunde brückenlos immer weiterhin sich zogen; als die Schneedecke ihrer Ränder sich als überhangend erwies; als wir Viertelstunde verloren mit Suchen nach einem Uebergang, bald nach rechts, bald nach links da brach der lange hintangehaltene Streik offen aus. Johannes erklärte plötzlich, nicht weiter gehen zu wollen; er warf sogar etwas hin von der „ Verrücktheit, auf solche Berge zu gehen "; ja er fing an, das Seil vor der Brust loszuknüpfen. Da machte ich ihm nun freilich den Standpunkt klar; ich erinnerte ihn an die Solidarität zwischen Weg- und Seilgenossen, die nicht so ohne Weiteres zu kündigen sei, sowie an mein Versprechen, bei der ersten wirklichen Gefahr umzukehren. Aber ich fand doch für gut, nachdem wieder eine Spalte überschritten war und bereits eine neue sich zeigte, den Bogen nicht weiter zu spannen. Eben kam auch ein Nebelvorposten über den Bergkamm herübergesegelt und erleichterte mir meinen Entschluß. Ich warf einen wehmüthigen Blick hinauf und hinüber nach den beiden Felsgräten, welche jeder nur wenige hundert Schritte noch von uns entfernt waren, dachte sehnsüchtig an unsere guten Schweizer Führer, aber auch ziemlich ernsthaft an das Schicksal unseres Strubel am Lauteraargletscher, und — blies zum Rückzug! Johannes athmete auf; Thomas, obwohl er nie widerredet hatte, war es ebenfalls zufrieden, und ein Blick auf sein Schuhwerk zeigte allerdings, daß ich ihm auch nicht mehr zu-, muthen durfte. Es war halb ein Uhr Nachmittags.

16 So kenne ich nun den obersten Gipfel des Eyja-fjallajökuls nur aus der Beschreibung von Sveinn Pâlsson vom 16. August 1793. Nach ihm ist der Hauptkrater, der diesen Gipfel bildet, eingestürzt und mit Eis angefüllt, während 3 oder 4 Tuffklippen, an denen das Eis nicht hat haften können, wie Hörner über diesen ungeheuren vulcanischen Becher auf-ragen.Der Rückweg über den Gletscher bot nichts Neues, als daß wir jetzt Zeit hatten, uns die Aussicht anzusehen, die freilich droben auf dem nahen Grat oder dem gewiß auch nicht mehr sehr fernen Gipfel noch viel großartiger gewesen sein müßte. Ueber die nähern Berge: den Thrihyrning, die Hekla, den Torfa-jökul hinüber sah man jetzt die fernen Gletscher schimmern, an denen die Hvitâ und die Thjorsâ entspringen, vor allen den gewaltigen Langjökul, vor dessen langgestreckter weißer Mauer die blauen Jarlhettur in Reih und Glied Wache stunden. Näher glänzten in dem matten Strahle eines leichtbewölkten Himmels einige helle Seespiegel: einer davon mußte der Apa-vatn sein oder gar der See von Thingvellir; eine nähere Bestimmung war unmöglich bei der Beschaffenheit der Luft und bei der Entfernung '; es wäre ungefähr dasselbe, wenn man von der Eigi aus bei düsterem Wetter den Bieler- und den Neuenburger See unterscheiden-^ sollte. Zu unsern Füßen dehnte sich das gewaltige Delta, welches vom Markarfljót gebildet wird und westwärts, die beiden Ràngà auf- nehmend, sich mit demjenigen der Thjórsà vereinigt. Dazwischen die flachen, sandigen „ Land-Inseln " und darüber hinaus das unendliche Meer.

Ueber den Grat hinüber kamen indessen immer dichtere Nebelmassen gezogen; ich mahnte zur Eile und rächte mich mit Thomas ein wenig an Johannes, den wir trotz seines Gezeters an dem noch umgebundenen Seile mit uns über das Eis hinunterspringen ließen, bis ich, müde des grausamen Spiels, mich losband und mit Thomas im Laufschritt das Ende des Gletschers gewann.

Nach dem einfachen Mittagsmahl, wofür wir nicht ohne Mühe das kalte Gletscherwasser zu kaffeetaug-licher Hitze erwärmten, schlugen wir wieder den Felsenpfad von heute Morgen ein. Ich ließ mich im Verlauf desselben bestimmen, dem andern, westlichem Seitengrat zu folgen, welcher unten weniger rauh zu verlaufen schien. Diese Nachgiebigkeit verschaffte uns keinen bessern Weg und hatte bloß den Erfolg, unsere Disziplin bedenklich zu lockern. Wir mußten auf den alten Pfad zurück, den wir einzeln auf drei verschiedenen Kletterirrwegen erreichten. Glücklicherweise hielt sich das Wetter noch; wir fanden unsere Pferde wohlbehalten beisammen, kreuzten in einstündigem Ritte den wiederum gewaltig angewachsenen Strom und waren nach 5 Uhr wieder im Quartier, wo es nun viel zu erzählen gab.

Ich verbrachte den Rest des Tages meist im Gespräch mit den beiden alten Leuten. Den lahmen Sigurdhur hatte die Begier, von unserer Fahrt zu hören, aus seinem Zimmerchen heruntergelockt. Dann wollte er noch gar Vieles wissen von jenseits des Meeres: von der Schweiz, die er als ein allsherjarriki oder lydhstjórnarriki ( Republik ) kannte und verehrte, von Kaiser Wilhelm, von Bismarck, von Konrad Maurer, von dem berühmten Landsmanne Gudhbrandur Vigfusson in Oxford u. s. w. Der Letztere hatte ihm mündlich einmal von der Einrichtung der Schweizer Kuhställe gesprochen, wo zwischen zwei Reihen von Kühen, die sich die Köpfe zukehren, ein Gang zum Füttern hin-laufe, während in Island die zwei Reihen Hintertheil gegen Hintertheil stehen; der Alte, der jedenfalls einst ein tüchtiger Bauer gewesen ist, war vorurtheilslos genug, der erstem Anordnung den Vorzug zu geben. Er besitzt 20 Pferde, 10 Kühe, 90 oer ( Mutterschafe ), 50 saudhar ( Widder ) und 27 gemlingar ( junge Schafe ), und macht jährlich 120 Pferdelasten oder 240 pakkar ( Bündel ) Heu. Sie brauchen hier für das weibliche Schaf noch denselben alt-indo-germanischen Namen des Schafes überhaupt, den auch noch das Schweizerdeutsche und das Englische in derselben eingeschränkten Bedeutung haben ( die Au, das Aueli, the ewe, = griechisch-lateinisch ovis ) und der sonst, gleich dem isländischen Wort für „ Widder " ( saudhur ), auf germanischem Gebiete nur mehr im Gothischen begegnet. Gemlingur oder gembill ( männlich ) und gemla ( weiblich ) ist eigentlich wohl eine Ellipse aus veturgemlingur, winteralter, d.h. einjähriger, Bock u. s. w. Von den Ausdrücken für „ Pferd " hat das ursprünglich nur den „ Hengst " bezeichnende hestur umfassendere Bedeutung angenommen ( Pferd überhaupt ), wie in allen skandinavischen Sprachen ( das Dänische hat allerdings daneben noch hingst in engerer Bedeutungder Geschlechtsunterschied wird durch die Worte gradhestur und mere ausgedrückt; daneben gilt foli — vorzugsweise als Kosename — für Hengst und Wallach, nie für Stute; ein wirkliches Fohlen wird durch folald oder durch Zufügung einer Altersangabe zu fo H bezeichnet: vehirgamall, tvœvetur foli ( einwinteriges, zweiwinteriges Rillen ) u. s. w. Auch das alte Wort hross, unser „ Roß ", ist im Gebrauch, aber blos als Kollectivum. Die Namen der Reitpferde ließ ich mir von Thomas aufschreiben: an den Eponymos des Ortes erinnert der Name Börkur; Vergleichungen aus dem Thierreiche stecken in Sfcw-mur ( Möwe ) und Haukur ( Habicht ), solche aus dem Pflanzenreiche wohl in Regnir ( ein Baumname ) und Skafti ( Schaftauf die Farbe und Zeichnung beziehen sich Bleikur ( der Fahle ), Jarpur ( der Braune ), Blesi ( Blaß ) nebst Grdblesi und Brünblesi. Eine Stute hatte gerade heute ein Junges geworfen; wir hielten das Thierchen in den Armen wie einen Hund, so klein war es. Es sollte Spordhur heißen, wegen einiger weißer Flecke auf dem struppigen fahlen Fell; ich erbat ihm den Namen Fdlki nach dem berühmten Rosse Thidreks von Bern.

Ganz in die alte Heldenzeit zurück führen die Namen der zehn Kinder des Hauses. Nur unser Thomas trägt einen christlichen Kalendernamen nach einem Mutterbruder, dem Verfasser eines Erbauungs-buehes, das mir der Alte mit Stolz vorwies; die Ubri- gen Söhne heißen: Sigurdhur ,'Isleifur, Sœmundur, Ögmundur, Högni; die Töchter: Ingibjörg, Helga, Gudhbjörg ,'Olöf.

Als ich Tags darauf, nach der Hekla aufbrechend, von der freundlichen Familie Abschied nahm und meine Karte an den Spiegel steckte zwischen diejenigen des Dr. Schweitzer aus Jena und des Dr. Henri Labonne ( desselben, der bei Gelegenheit seines Geysirbesuchs das böse Wort geschrieben hat: die Isländer würden bei fortgesetztem Fremdenbesuch bald Schweizer werden ), da war ich mit den Leuten von Barkarstadhir von Herzen gut Freund geworden. Und wenn mir auch die Bezwingung ihres stolzen Nachbars, des Eis- und Feuerberges am Markarfljót, nicht völlig gelungen ist, so habe ich doch nun von der Gletscher -weit Islands und dazu von ihren gastlichen und herzlichen Bewohnern einen Eindruck davongetragen, so eigenartig und doch zugleich wieder so heimelig durch nahe Verwandtschaft mit heimischer Natur und Sitte, daß mir jetzt in stiller Winternacht ist, als könnte Barkarstadhir mit seinen Gletschern und Heu-triften droben am Fuße der Blümlisalp liegen statt in den Schatten der Polarnacht und im Scheine des Nordlichtes, oder als müßte wenigstens das freudige Erinnern, das mich mit diesen einfachen Menschen in einfachen Verhältnissen verbindet, zu ihnen hinüber-dringen und sie des fernen Sommergastes freundlich gedenken machen.

IL Abhandlungen.

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