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Der Piz Càvel oder Ramosa

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( 2944 Meter,«

Von

H. Zeller-Homer.

Die Wahl des Excursionsgebiets des S.A.C. für 1874 ermuthigte mich, den Alpenstock noch einmal zur Hand zu nehmen, um vorzugsweise die mir noch nicht bekannten Thäler von Lugnetz und Somvix zu durchwandern, sowie auch eine Ansicht der Medelsergruppe aufzunehmen. Bekanntlich wurde dieser mächtige Gebirgsstock schon im Jahr 1865 nebst dem Silvretta als Excursionsfeld für den S.A.C. bestimmt und von einigen der hervorragendsten Clubisten bereist, worüber ein Bericht von Prof. Theobald nebst Spezialkarte in Band III des Jahrbuchs enthalten ist, aus dem hervor- geht, dass damals nur der westliche Theil oder die eigentlichen Medelsergletscher berücksichtigt wurden. Um nun die wenig bekannten Gebirgsformen der östlichen Hälfte, nämlich die Gruppe Vial-Gaglianera mit dem Val Làvaz zur Anschauung zu bringen, glaubte ich den Piz Càvel 2944 m sowohl seiner Lage als Höhe nach am besten geeignet. Dass in dem Itinerarium für den S. À. C. dessen nicht erwähnt wird, obschon er der höchste Gipfel der Grenzkette zwischen Lugnetz nnd Somvix ist, hatte nur desto grössern Reiz für mich.

Der Piz Càvel ist sowohl vom Somvixerthal aus als auch von Lugnetz her zu ersteigen. Ich wählte den letztern Weg und verliess Ilanz in Begleitung meiner zwei jüngsten Söhne den 14. Juli gegen MittagT um womöglich auf den Abend noch bis Vrin, dem hintersten Dorfe des Lugnetzerthales. zu gelangen. Bei kühlerer Temperatur wäre der Gang auf der gut angelegten neuen Strasse bis Cumbels und Villa sehr angenehm gewesen, allein bei tropischer Hitze, von Schweiss triefend, waren wir froh, schon in Cumbels bei der Post auszuruhen und uns an gutem Ilanzer-bier erfrischen zu können. Unterwegs bemerkt man gerne, dass das Thor von Porclas, auch das Frauenthor genannt, obwohl es den ursprünglichen Zweck des Thalschlusses schon längst nicht mehr erfüllt, bei der neuen Strassenanlage als geschichtlich merkwürdiges Denkmal erhalten geblieben ist. Von Cumbels an, wo die Strasse links nach dem tief unten am Glenner liegenden Bad Peiden abzweigt, wird die Aussicht immer schöner. Rechts dehnt sich das eigentliche Lugnetz mit seinen herrlichen Alpweiden aus, dessen Dörfer Pleif, Villa, Lumbrein und Vrin auf freien sonnigen Terrassen liegen, während das Valserthal links hinter einer tiefen Schlucht vom Piz Aul verborgen wird. Dieser nahe prächtige Gebirgsstock mit seinem begletscherten Haupt, seinen felsigen Gräten und begrasten Vorstufen, worunter der schlanke Piz Regina sich auszeichnet, nimmt die Blicke vor allem in Anspruch und lockt sehr zur Besteigung, die zwar etwas schwierig aber durch eine grossartige Gebirgsaussicht sehr lohnend sein soll.

Noch mehr reizt aber den unternehmenden Clubisten eine scharfzugespitzte dunkle Pyramide im duftigen Hintergrund des Thales. Es ist der Piz Terri 3151 in, dem wir nun auf dem Wege nach Vrin immer näher rücken.

Ziemlich verspätet, aber in vergnügter Stimmung, wozu der treffliche Veltliner im gastfreundlichen Hause Demont nicht wenig beitrug, wanderten wir weiter thaleinwärts, überall von den fleissigen, mit heuen beschäftigten Einwohnern mit einem freundlichen « bona seira » begrüsst. Die neue Strasse geht einstweilen nur bis Villa, dann führt allmählig ein Reitweg, welcher von den Thalleuten aber auch mit kleinen Wagen befahren wird, inStunden nach Lumbrein, welche Wegstrecke wir zufällig in der angenehmen Gesellschaft von Fräulein a Marca zurücklegen konnten, in deren elterlichem Hause in Lumbrein wir einkehrten, in der Voraussetzung, dort im Falle ungünstiger Witterung besser aufgehoben zu sein als in Vrin, zumal es zu spät war, um noch dorthin zu gelangen. Wirklich befanden wir uns in der heimeligen Gaststube bei guter und freundlicher Bedienung und unterhaltenden Gesprächen ganz behaglich.

Am 15. Juli war der Himmel schon früh mit drohenden Gewitterwolken überzogen, so dass wir uns bewogen fanden, noch bis Nachmittag zu verweilen. Lumbrein ist der grösste Ort des Thales mit zwei Kirchen auf freier Terrasse am Abhang der Mundaun- kette erbaut.

Die Wohnungen, meist mit einem Gärtchen versehen, sind von Holz; die weit vorspringenden Dächer mit Schieferstücken gedeckt. Von den meisten Kammerfeiistern winkt das helle Grün des beliebten iNelkenstrauchs. Ausser den beiden Kirchen ist da& einzige steinerne Gebäude, welches ich bemerkte, ein uralter Thurm, Ueberrest von der Burg der Familie von Lombris oder Lumarin, vor Zeiten berühmt in der Bündnergeschiehte.

Mau ist erstaunt bei Lumbrein trotz der hohen Lage von 1410 m ü. M. noch ziemlich viel Getreidebau zu sehen. Die Thalrichtung ist wie in Davos von SW. nach NO. und unter dem Schutz der nahen Gebirge ist das Klima verhältnissmässig milde. Wenn einst die neue Strasse bis hieher fertig ist, kann dieser Ort bedeutend gewinnen und dürfte eine Station zu längerm Aufenthalte werden, zumal die Aussicht besonders gegen den Hintergrund des Thals sehr anziehend ist und von hier aus interessante Excursionen gemacht werden können.

Von Lumbrein nach Vrin, dessen Kirche von weitem sichtbar ist, könnte man in gerader Linie in einer starken halben Stunde gelangen, aber das Tobel des. Càvelbaches am Ausgange des Val Miedra verursacht einen bedeutenden Umweg. In Vrin sind die Häuser noch einfacher in der Bauart als in Lumbrein, so das » das Ganze den Eindruck eines grossen Alphüttendorfes macht. In frühern Jahren logirte man beim Pfarrer, jetzt findet man bei Wittwe Casanova gutes Unterkommen; wir waren zum Glück die einzigen Gäste, sonst wäre empfindlicher Mangel an Platz eingetreten,

denn das Haus war zum Behuf eines neuen Anbaues zur Hälfte abgerissen. So aber konnten wir die einzige Stube gemüthlich allein in Beschlag nehmen und mussten gar nicht lange auf das Abendessen warten, welches uns die wackere Frau reichlich und gut in den landesüblichen Milch- und Mehlspeisen, trefflichem gedörrtem Fleisch und gutem Wein auftischte, wobei sie sich mit etwas Deutsch verständlich machen konnte.

Nachher war das wichtigste Geschäft, einen Führer auf den Piz Cavel zu finden, was aber schwer hielt, denn in diesen Thälern sind die Männer während der ganzen Sommerszeit vollauf mit Mähen der ungeheuer ausgedehnten Wiesen beschäftigt. Casanova, welcher im Jahr 1872 Führer von Dr. Calberla auf den Piz Terri war, hatte entschieden keine Zeit und konnte mir bloss mit dem Rath an die Hand gehen, den Weg über die Alp Ramosa zu nehmen. Auf den Càvel möge es gegen sechs Stunden erfordern. Zuletzt zeigte sich der Bruder von Frau Casanova, Namens Placidus Soleer, bereit, uns zu begleiten, wobei er aber sagte, dass er nie auf diesem Berge selbst gewesen sei, jedoch den Weg über die Alpen nach Somvix kenne.

Dieser junge Mann hatte bis zum letzten Kriege in einem Hotel in Paris gedient und spricht geläufig französisch, was mir sehr erwünscht war, weil ich nur wenige Worte der romanischen Landessprache verstehen konnte. Deutsch versteht hier fast Niemand, wohl aber italienisch, was sich aus dem Verkehr mit dem benachbarten Tessin und aus der häufigen Auswanderung der Männer leicht erklären lässt.

In Vrin verengert sich das Thal bedeutend, so dass der Zeichner wenig Stoff mehr findet, denn das gewaltige Fussgestell des Piz Aul und die Vorberge des P. tgietschen, P. Càvel und P. Terri sind so nahe gerückt und so hoch, dass dadurch diese Gipfel selbst dem Auge entzogen werden, nur durch die waldreiche Schlucht von Vanescha zeigt sich zu hinterst im Thal der P. Scharboden, 3124™, mit dem beschneiten Grat, über den man nach der Lampertschalp im Valserthal gelangen kann.

Gegen Lumbrein ist die Aussicht frei und findet in duftiger Ferne mit dem Gebirgsstock der Calanda ihren Abschluss.

Am 16. Juli mahnte uns ein schöner Morgen zu zeitiger Trennung von den behaglichen breiten Betten. Die dienstfertige Frau Casanova hatte bereits ein tüchtiges Frühstück aufgetragen, so dass wir bald nach vier Uhr aufbrechen konnten, nachdem zu gutem Schluss die sehr bescheidene Rechnung bezahlt war. Eine Viertelstunde von Vrin, unweit dem Weiler St. Giusepp theilt sich das Thal in zwei Aeste. Der Hauptzweig zieht sich einem Arm des Vrinerbachs oder schwarzen Rhein's entlang, nach dem Thalkessel der Alpen Vanescha und Scharboden, der andere steigt westlich nach dem Diesrutpass, welch'letztern Weg wir bis zum Hof Buratsch verfolgten und dann rechts durch ein Bachtobel hinan nach der Alp Ramosa abschwenkten, auf deren oberm Staffel, 2195 m, wir nach \*f* Stunden anlangten, gerade früh genug, um uns unter freiem Himmel mit frischgemolkener Milch erlaben zu können, wofür ich dem stämmigen Meistersennen nur mit Mühe eine Bezahlung aufdringen konnte. Diese Alp ist wohl die schönste und grösste im Vrinergebiet,

300 Kühe weiden hier an den sanft ansteigenden Gehängen bis auf den Grat gegen Val Miedra und bis an die Schutthalden des P. Càvel und tgietschen, wo dann die Schafweide sich noch höher hinaufzieht. Oestlich ist die Alp von. der senkrecht aufsteigenden Felswand des Piz de Vrin, 2565 m, begrenzt, welche sich mit merkwürdiger Regelmässigkeit von diesem Gipfel bis fast zur Thalsohle hinab erstreckt. Einzig gegen SO. und S. öffnet sich die Aussicht auf den hohen Grenzkamm zwischen Vrin und Vais mit dem Piz Aul, 3124 m, welcher hier seine unersteigliche Seite bietet, hart an dessen Wand aber der niedrigste Pass nach Vais, die Fuorcla de Patnaul, 2777 m. vorbeigeht. Ferner das Faltschonhorn 3024 m, Schwarz-horn2945 m und Frunthorn 3034 m. Begierig forschte ich an letzterm nach der zerklüfteten Spitze, 2936 m, welche ich anno 1867 erklettert hatte. Der Name Ramosa deutet wohl auf ehemalige Bewaldung, wovon jetzt allerdings keine Spur mehr vorhanden ist.

Nun sahen wir den P. Càvel, auch Piz Ramosa genannt, sowie seinen südlichen Nachbarn, den P. tgietschen, in trügerischer Nähe vor uns: ersterer seine Breitseite mit mehreren Abstufungen weisend, letzterer als kegelförmige Spitze von gelbröthlichem Gestein, woher auch sein Name, auf deutsch « rothe Spitze », rührt.

Ich bemerkte auf den ersten Blick, dass wir zuerst über eine mit Schnee gefüllte Runse die Einsattlung zwischen beiden Gipfeln gewinnen mussten, um dann vermuthlich den Càvel mit Leichtigkeit ersteigen zu'können, was ich auch aus dem Gespräch der Hirten mit dem Führer zu verstehen glaubte.

10 Ueber Rasen und Geröll sehr gemächlich ansteigend, betraten wir die Schneeschlucht erst hoch oben, wo sich schon von weitem Spuren von Fusstritten entdecken liessen.

Der Abhang war aber so steil, dass man sehr auf der Hut sein musste, um nicht eine Fahrt in die Tiefe zu machen, was zwar nicht lebensgefährlich gewesen wäre, aber grossen Zeitverlust zur Folge gehabt hätte. Immerhin war es eine gute Uebung für meine jungen Leute. Bald erreichten wir die schneefreie Einsattlung, 2650 m, welche ich Fuorcla de Ramosa nennen will, wo sich mit einem Mal der ersehnte Anblick des Val Làvaz, die hinterste Verzweigung des Somvixerthales mit seinen wilden Gebirgen darbot. Besonders imponirte in unmittelbarer Nähe der Piz Vial, 3166 m, von blendenden Gletschern behangen. Ueberrascht sahen wir aber in dieser einsamen Wildniss ein menschliches Wesen auf uns zuschreiten, nämlich einen jungen Somvixer Schafhirten, welcher über unsere fremdartige Invasion in sein Gebiet wohl ebenso erstaunt war und sich mit dem Führer in eine mir unverständliche Unterhaltung einliess.

Doch ich mahnte vorwärts, denn es lag noch ein schönes Stück Arbeit von beinahe 3000 m Höhe vor uns. Wäre es auf den Führer angekommen, so hätte er vermuthlich lieber die nähere Spitze des Tgietschen, 2858 m, bestiegen, wo ein Steinmannli einladend hinaufwinkte. Warum dieser Gipfel unter den umliegenden Bergen vorzugsweise von den Leuten in Vrin zur Besteigung empfohlen wird, kann ich mir nur dadurch erklären, dass derselbe bei Vrin in Sicht ist und seiner Lage nach für die Thalansicht, welche bekanntlich den Bergbewohnern mehr gilt, als der Anblick auf Felsen und Gletschergebiete, etwas vortheilhafter sein mag als der 86 m höhere Càvel, welcher weiter gegen Nord verborgen ist und kaum dem Namen nach bekannt zu sein scheint.

Auch der eidgenössische Ingenieur Es c h in a n n, welcher im Jahr 1835 die ersten Vermessungen jener Gegend machte, wählte den P. tgietschen als Operationspunkt und verweilte mit einem Gehülfen im September drei Tage und Nächte in einem Zelte auf der Spitze.

Von der Fuorcla de Ramosa ist der Weg auf die Spitze des P. Càvel nicht mehr zu verfehlen, wenn man nur den Grat verfolgt. Bald ist der letzte spärliche Graswuchs hinter uns, über Trümmer und Felsstufen geht es zwar steil doch ohne Schwierigkeiten aufwärts, nur wird die Geduld des Steigers stark erprobt, denn wenn man endlich den Gipfel besiegt glaubt, steht noch ein höherer vor uns. Nach Umgehung eines kolossalen Felsblockes, welcher in merkwürdiger Isolirung auf dem Grat liegt und den ich von unten für ein Steinmannli hielt, scheint endlich das Ziel ganz nahe. Einige Schritte zurückgeblieben, sehe ich wie Soleer sich des Gepäcks entledigt und höre seinen Ausruf: « C' est fini, je ne peux pas monter plus haut! »

Es war 10 Uhr 20 Minuten. Wie Casanova es vorausgesagt, hatten wir von Vrin aus sechs Stunden gebraucht, nämlich bis zu den Hütten Ramosa l1/2 Stunden, Fuorcla de Ramosa 2j/2, Gipfel ll/a und. Ruhepausen 1/2 Stunde. Schnell war alle Anstrengung vergessen und nach einiger Stärkung suchte ich mir sofort ein Plätzchen zum Zeichnen. Zu meinem Er- staunen war auch keine Spur von einem Steinmannli zu sehen, woraus ich schloss, dass seit der Gründung des S.A.C. noch- kein Clubist diesen Gipfel betreten hat.

Dass hingegen Prof. Theobald in frühern Jahren oben gewesen ist, geht aus einer Stelle in seiner Schrift: « Das Bündnerland », pag. 165, hervor. Ich empfahl nun dem Führer zum Zeitvertreib die Errichtung eines Signals, während meine Söhne sich in der Aussicht zu orientiren suchten.

Da der Piz Càvel sich ungefähr in der Mitte des diessjährigen Excursionsgebiets befindet, so gewährte er die Uebersicht desselben ziemlich vollständig, namentlich über die Gebiete von Lugnetz und Somvix. In überwältigender Grosse erheben sich aus dem Val Làvaz die östlichen Hörner der Medelsergruppe, nämlich zuvörderst der P. Yial 3166 m, dann P. Gaglianera 3122 m, P. Medel 3203 m und der breite Fillung 3082 m. Zwar nicht in Frontansicht, aber desto malerischer in entschiedener Pyramidalform reihen sich diese Gipfel coulissenartig hinter einander und senden zwischen kolossalen Felsrippeu drei Gletscher gegen das Val Làvaz hinab, von denen jedoch nur der grösste, der Glitsché de Làvaz, die Thalsohle erreicht. Bei den beiden andern, besonders dem nähern Sutglatsché, kann man aus den quer über die Grundlage laufenden Absätzen die succesiven Perioden des Zurückweichens entnehmen, wie diess z.B. auch beim Gletscher des Glöernisch zu sehen ist. Der vierte sichtbare Gletscher fällt gegen SO. nach der Hochebene La Greina hinab. Die Beschaffenheit des Val Làvaz, welches in ganzer Ausdehnung zu Fussen liegt, hat Aehnlichkeit mit der Schlucht von Zapport bei den Quellen des Hinterrheins.

Auch hier ist der Gletscherbach stellenweise vermuthlich das ganze Jahr von Lawinenschnee gedeckt.

Höchst überraschend war mir über die Fuorcla de Làvaz hinweg am feinen Horizonte der Anblick des Finsteraarhorns, Schreckhorns und Galenstocks bis zur Dammagruppe; doch nur auf kurze Zeit, denn vom Crispait her verhüllte dunkles Gewölk nach und nach diese hehren Gestalten. Die Glanzpartie der Aussicht ist aber die Gruppe des Tödi, deren Aufbau und kolossale Erhebung kaum von einem andern Standpunkte besser in 's Auge fallen dürfte, weil man sich gerade gegenüber befindet und daher die äussere Gliederung durch ungehinderten Blick in die Einschnitte von Rusein und Puntaiglas beurtheilen kann. Doch auch der Oberalpstock stellt sich mit seinem gewaltigen Firn als würdiger Nebenbuhler dar und überhaupt ist die lange und hohe Kette vom Crispait bis zum Calanda mit ihrem jähen Abfall in 's Vorderrheinthal von irgend einem Gipfel des Bündneroberlandes aus betrachtet, eines der frappantesten Schauspiele im Alpengebirge.

Weniger günstig, aber von höchst wildem Charakter, ist die Aussicht nach S. und SO., wo der durchschnittlich über 3000 m hohe Grat vom P. Scharboden bis zum P. Aul die fernere Gebirgsansicht beeinträchtigt; doch entdeckte ich trotz ziemlich umwölktem Horizont die mächtig hervortretende Silvrettagruppe und den P. Linard, sowie näher auch das Tambohorn. Weit überragend zeigen sich aber die blendend weissen Gestalten der Adulagruppe, namentlich das Rheinwaldhorn und das Güferhorn, zwischen welchen beiden sich der nahe P. Terri ganz eigenthümlich gruppirt, jedoch nicht mehr als scharfe Spitze, sondern als breitabge-rundete Kuppe erscheint.

Mit wahrem Vergnügen sah ich dort drüben auch meine alten Bekannten, das Bärenhörn und Kirchalphorn.

Unter den Gipfeln, welche über die auffallende Gebirgsniederung zwischen der Adulagruppe und dem Medelserstock in blauer Ferne sichtbar sind und dem Tessin angehören, sind der P. Campo Tencca und P. Forno unverkennbar. Aber was ist dort jene grüne Fläche, welche mitten in diesem Chaos von Schnee und Felsen das Auge erfreut? Es ist die merkwürdige Hochebene la Greina, von welcher die Gewässer der Gaglianera- und Coroigletscher, einerseits der Nordsee, anderseits dem Mittelmeer zufliessen. Oefter begangene aber rauhe Pfade führen daselbst vom Bündner-

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Oberland nach dem Tessin hinüber.

Weniger befriedigend als ich es von diesem Standpunkte aus erwartet hatte, ist die Thalaussicht. Wohl ruht das Auge gerne auf dem grünen Teppiche der Lugnetzer- und Somvixeralpen, sucht aber ausser den Ortschaften des untern Lugnetz und den wenigen Wohnungen im Somvixerthal, unter denen das Tenigerbad sich bemerkbar macht, vergeblich nach andern bekannten Dörfern. Der Gebirgsrücken vom Mundaun bis zum Piz Nadeis verhindert nämlich den Blick in die Thalsohle des Vorderrheins, wo ich einzig das Dorf Somvix erblickte.

Drohende Gewitterwolken in der Richtung von Medels und vom Tödi her zwangen mich nach 27 diger Arbeit die Sitzung aufzuheben und meine Gefährten zu wecken, welche auf dem heissen Steinlager der Ruhe pflegten.

Aber ein schönes solides Steinmannli von Mannshöhe hatte Soleer zu Stande gebracht, wo nun eine Flasche mit Namen und Datum versteckt ist.

Der Gipfel des P. Càvel besteht aus Gneis ( wovon ich ein Stück mitgebracht habe ) und ist nebst dem nahen P. Miezdi der äusserste Vorposten der krystallinischen Gesteine des St. Gotthard, durch welche Gebirgsart auch die pyramidale Gestalt des Berges bedingt wird, die sich am besten von Norden her darstellt. Auf der Excursionskarte tritt der Càvel zu wenig hervor, hauptsächlich sollten die Felssätze gegen Osten besser markirt sein und die Spitze steiler abfallen; besonders auf der Nordseite beginnt der Absturz ganz nahe am obersten Punkt. Sowohl gegen Ost als Nord ist der Gipfel mit Schnee umgürtet; eine Gletscherbildung scheint aber wegen der isolirten Lage des Berges nicht Statt finden zu können. An der Nordseite ist diess nahezu der Fall, wenigstens sind wir dort über beeiste Stellen gekommen. Das einzige Pflänzchen, welches ich auf dem Gipfel bemerkte, war die niedliche Aretia glacialis.

Gemäss meinem Programm galt es nun in 's Som- vixerbad hinabzugelangen, zu welchem Ende der Führer, ohne lange zu fragen, den kürzesten und steilsten Weg auf der Nordseite einschlug, statt den weitern aber bessern über die Alp Carpet zu nehmen. Auf ersterer Seite erstreckt sich ein jähes Schneefeld vom Gipfel bis nahe an 's Càveljoch hinab. Einer abgelösten gewaltigen Steinplatte, welche sausend hinabfuhr, zu folgen, schien nicht rathsam, wir mussten daher über die abgebrochenen Schichtenköpfe und Schutt-riimen des Grates hinabklettern, was aber bei dem brüchigen Gestein Vorsicht erforderte.

Erst weit unten wurde der Schnee betreten, wobei aber meine Söhne doch noch das Lehrgeld bezahlten, indem sie auf einem zu Tage tretenden Eisabhang eine unfreiwillige Rutschfahrt machten, welche zum Glück durch rasches Bei-springen des Führers ohne erhebliche Beschädigung ablief, aber in lebhafter Erinnerung bleiben wird. Zwei Stunden erforderte die Zurücldegung von 400 m Höhe bis zur Fuorcla de Càvel 2536 m. Von dort gelangten wir über Trümmerhalden und Schafweiden in einen Pfad, welcher nach der Alp Cugn und durch die unendlich lange " Waldregion hinab in den Thalweg zu den Hütten II Run, 1295 m, führte. Auf diesem ganzen Wege bietet der Piz Vial mit seinen Gletschern und dem hohen Fall Bova de Làvaz ein grossartiges Bild.

Eine Viertelstunde herwärts dem Bad ist eine malerische Stelle, wo eine Brücke über den durch eine Felsenenge wüthenden Gletscherbach auf 's linke Ufer führt. Um sechs Uhr langten wir sehr ermüdet und durstig im Bade an, nach 43/4stündigem Gange, vom Gipfel an gerechnet, eine Strecke, die von starken Gängern auch in 3 Stunden zurückgelegt werden könnte.

Die Benennung Tenigerbad rührt vermuthlich von der weiter im Thal hinten befindlichen Kapelle St. Antonius ( Tenji ) her, kommt aber nur in Büchern und Karten vor; beim Volke heisst es Somvixerbad, Bagn Sumvitg, gewöhnlich aber nur il Bagn. Die kurzen

Schilderungen desselben sind nicht übertrieben. Das grosse hölzerne, auf zerrissenen Grundmauern stehende Gebäude ist etwa 200 Jahre alt und enthält eine grosse Gaststube und geräumige Kammern, deren bauliche Beschaffenheit aber der Art ist, dass z.B. Boden und Diele der mir angewiesenen Schlafkammer auf ca. 20 Fuss Länge eine Senkung von 1 Fuss zeigten, von dem Zustand einer gewissen Lokalität gar nicht zu reden. Im Erdgeschoss ist das Badlokal, wo wenigstens die frühern ausgehöhlten Baumstämme durch sechs neben einander im Fussboden versenkte hölzerne Badkasten ersetzt worden sind, die Leitung des heissen und kalten Wassers aber wirklich in primitivster Einfachheit durch offene hölzerne Rängel bewerkstelligt wird. Diess schreckte uns jedoch nicht ab, sofort ein Bad zu nehmen, welches uns sehr erquickte; nur muss man die richtige Temperatur treffen, sonst riskirt man hülflos halb gesotten zu werden, wie uns dies am folgenden Tage begegnete. Neben dem Hause steht eine Kapelle am Fusse eines Hügels, aus welchem die reichliche Quelle entspringt, deren Wasser von -j- 11° E. hauptsächlich eisenhaltig aber ohne besonderen Geschmack ist und von den Landleuten als wirksam gerühmt wird.

Der jetzige Eigenthümer, Herr J. P. Wieland in Somvix hat die sehr zeitgemässe Absicht, künftiges Jahr ein neues Gebäude aufführen zu lassen. Wenn dieses nebst der projektirten neuen Strasse zu Stande kommt, so würde dieses Bad, vermöge seines milden Klima's und seiner grossartigen waldreichen Umgebung auch von fremden Gästen besucht werden. Es liegt 1273 m 164 Zeller-Horner.

IHz Càvel oder Bamosa.

ü. M. in sehr geschützter Lage. Die Leute thaten ihr Möglichstes, uns recht zu bedienen und auch mit den Betten hatten wir Ursache zufrieden zu sein.

Unser braver Führer Placidus Soleer, den ich als bescheidenen und vorsichtigen Mann kennen gelernt hatte, machte sich am folgenden Morgen früh wieder auf den Rückweg nach Vrin, uns aber vereitelten Nebel und Regen den Plan, über die Fuorcla de Stavelatsch und das Làvazjoch nach Piatta im Medelserthal zu gelangen, wozu ich einen gerade anwesenden jungen Gemsjäger, Namens Sigisbert Fry von Somvix als Führer genommen hätte. Dessen noch lebender Vater soll vor 25 Jahren den letzten Bären im Thale geschossen haben. Am Ende wären wir wenigstens über die Alp Soliva nach Curaglia gegangen, allein auch für diese sonst sehr leichte und aussichtsreiche Tour war das Wetter am zweiten Tage nicht günstig genug, so dass uns nichts anderes übrig blieb, als den Umweg über Surrhein und Disentis zu machen, wo uns dann der Anblick der bewunderungswürdigen neuen Strasse von Disentis bis Piatta mit i Tunnels in hohem Grade interessirte.

So kann ich leider von keinen weitern Erfolgen im Excursionsgebiet mehr berichten. weil auch die Besteigung des Scopi, welche mir vor fünf Jahren schon einmal misslang, durch Nebel vereitelt wurde. Einige Entschädigung dafür fanden wir auf dem Wege von St. Maria durch das reizende Alpenthal Piora nach Airolo.

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