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Der Tödi

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

Von Max Korthals

Mit 1 Bild ( 19Zürich ) « Aber ich sage euch: Der Tödi ist ein ernsthafter Berg... » So hatte mein Vater mich und meinen Freund gewarnt. « Darum erst recht », war unsere mehr gedachte als ausgesprochene Antwort gewesen!...

So sah denn ein später Samstagnachmittag zwei unternehmungslustige halbwüchsige Zürcher von Linthal nach dem Tierfehd tippeln und später schwitzend aber fröhlich zur Sandalp hinaufsteigen. Mit dem Urteil meines Vaters gingen wir noch keineswegs einig: weder finster noch abweisend, sondern eher recht gemütlich hockte der brave Klotz des Tödi hoch über der Hintersandalp. In einer Hinsicht glich er sogar fast einem der riesigen Sennen- kessi in den Hütten der Alp: wie in diesem schien auch in ihm eine zünftige Nidlete über Feuer zu sein. Von Zeit zu Zeit quoll sie sogar wacker über den Rand hinaus und leckte dann zähflüssig und milchig den Tödiwänden entlang abwärts. Freilich, der alte Senn schien an dieser Nidelsuppe, die da so schleimig auf dem Tödi oben brodelte, weniger Freude zu haben als wir. Er brummte vom « Fööh » und vom Wetter, das vielleicht « umghye » könnte; dem schlierenförmigen Nebelgebilde da oben billigte er nicht einmal das edle Rild vom Nidel zu, sondern sprach respektlos von « Chleischter ». Nun, wir vertrauten auf den blauen Himmel und stapften munter in die werdende Nacht hinein. Das Wetter ist dann « umgheit », und wie! Eine Stunde später schon! In den Märenplanggen oben überfiel uns urplötzlich der Sturm, einem wütenden Geier gleich, oder, um ein geographisch näherliegendes Bild zu brauchen, wie jene Hexe, die weiland auf einer mächtigen Laui vom Biferten herunterbrauste, um die reiche Selbsanft-Alp samt ihren hartherzigen Sennen in eine Eiswüste zu verwandeln. Wir mussten ordentlich nach Luft schnappen und uns geduckt zur Fridolinshütte vorwärtsarbeiten. Der Föhnsturm brüllte die ganze Nacht hindurch. Gegen 3 Uhr Hess er nach und räumte einer grossen Schar von Hühnern das Feld, welche nichts Gescheiteres zu tun wussten, als in einschläfernder Monotonie aufs Hüttendach zu picken... Sie pickten auch um 6 Uhr, um 10 Uhr noch fleissig, und schliesslich mussten wir froh sein, dass wir überhaupt den Abstieg leidlich trocken bewerkstelligen konnten. Feucht und missmutig kehrten wir dem Tödi den Rücken. Mochte er sich hinter dem grauen Wolkenvorhang ins steinerne Fäustchen lachen — wir kommen wieder!

Und wir kamen wieder! Schon zwei Jahre später. ( Es sei verraten: es war ein Jahr vor der Rekrutenschule. ) Diesmal hatte der Tödi nicht ein verdächtiges Tellerkäppchen auf dem harten Schädel, sondern eine verwegene, aber mollige und dicke Pelzmütze. Ringsum segelten weisse Wattebäuschchen, wie Hodler sie malte, durch die blaue Luft. Jetzt schien es zu gelingen. Gutes Wetter! Also: zeitig unter die Decken und früh auf!

An stahlblauen Schrunden vorbei ging es in lauer Morgenfrühe rüstig empor. Schneerunse und Übergang vom Frühstückplatz auf den Gletscher machten uns keine Schwierigkeiten. In den Oberen Böden gerieten wir in den Bereich der Nebelkappe, die seit gestern unverwandt und massig auf dem Tödi ruhte. Insgeheim hatten wir gehofft, sie würde sich, uns zum Grusse, nach Sonnenaufgang lüften. Aber nein: tückischer, weisser Brei umfing uns, der sich eiskalt bis auf die Knochen in den Körper hineinbohrte. Dazu pfiff und orgelte ein entsetzlich kalter Sturmwind, der Eisnadeln ins Gesicht peitschte und die Luft aus den Lungen sog. Niemals wären wir so über den Grat zum Gipfel gelangt. « Zurück! » schrie ich meinem Freund zu, der mich aber weder hören noch im fürchterlichen Schneetreiben sehen konnte. Fünf Minuten tiefer unten lastete brütende Hitze über dem Gletscherkessel und kein Lüftlein ging. Es war ein meteorologisches Phänomen sondergleichen. Resigniert warteten wir noch eine Stunde, doch wollte die Gipfelkappe, in der wohl fünf Grade unter Null geherrscht haben mochten, nicht weichen. Schliesslich verjagte uns die sengende Sonne aus diesem Backofen. Rückzug! Es war grausam. Am Felsenriff, auf dem die Grünhornhütte steht, nickten feine Berganemonen im warmen Sommerwind und lachten in einen blauen Tag hinein. War das Erlebnis am Gipfel ein Traum gewesen? Zum zweiten Male abgeblitztDas komme halt am Tödi oft vor, erklärte ein älterer Tourist uns Grünschnäbeln; das sei wie am Matterhorn: ein exponierter, einsamer Gipfel zeige immer unberechenbare Wetterverhältnisse, er ziehe das Wetter gewissermassen an.

Das war uns eine Erklärung, aber kein Trost.

Die dritte Niederlage ist weniger schnell erzählt: Ein paar Urlaubstage im Militärdienst reizten zu einer Unternehmung. Die blauen Berge lockten, die Arven und die Gletscher. Bei verschleiertem Himmel und einem welken Mond stiegen wir in einem Anlauf vom Tierfehd bis zur Grünhornhütte. Kaum eingenickt, hörten wir Tritte vor der Hütte. « Es sind Schneehühner », beschwichtigte ich den Freund und döste weiter. Doch dann schritt ein ganzes Bataillon Bergsteiger am Hüttchen vorbei gegen den Tödi hinan, und wir glaubten nicht mehr an Schneehühner. Ein Blick hinaus — kein Mensch weit und breit! Nur unten im Gletscher rollte ein Stein hallend in eine unheimliche Tiefe. Es verstrich geraume Zeit, bis wir merkten, dass uns unser eigenes Tripp-Trapp genarrt hatte, das sich während des stumpfsinnigen Aufstiegs derart ins Gehör geprägt hatte, dass es, sobald der Körper erschlafft war, vom Gehirn wieder zurückgestrahlt wurde! Noch eine Stunde ruhelosen Schlafs und dann — Regen! Der Wettersturz hatte schon Stunden vorher seltsam bedrückt. Beim gelben Wändchen oben ging der Regen in Graupeln über und in den Oberen Böden schneite es. Schliesslich, wohl um die Musterkarte alpiner Witterungserscheinungen voll zu machen, nebelte es uns ein, sodann wurde es finster « wie in einer Kuh », und ganz am Ende krachte der Donner vom Biferten her. Ein Frühgewitter! Zurück! Bald klatschte der Regen nieder und schwefelgelbe Blitze zuckten. Heissa, wie die zwei Menschlein da rannten! Wie sie die Schneerunse hinabhasteten, den kalten Schrecken im Leibe! Kurzweilig war es, das muss man sagen: hundert Schritte rennen, an einen Felsblock gepresst unterstehen und keuchend Schnauf holen, dann wieder rennen, hopp-hopp über Spalten hüpfen, längelang aufs rauhe Eis fliegen; so bis zur Grünhornhütte. Hier wurde es erst recht lustig: auf dem Pickel summte und sauste es und die Haare kribbelten und knisterten. Der Blitz war nahe! Er zielte aber schlecht und knallte hoch oben ins Grünhorn. Dafür bescherte man uns von dort her einige Steine, die als melodisches Sssss... an uns vorbeiflitzten und sich zischend in den Schnee einbohrten.

Kleinlaut gingen die Tödibezwinger zu Tal, nur in ihren Schuhen gluckste und quietschte fröhlich das Wasser.

An einem prächtigen wolkenlosen Augusttag erreichten wir zwei endlich das ersehnte Ziel: von der Planurahütte aus erklommen wir über die Westwand fast mühelos den Tödigipfel. Kein fallender Stein, kein unfreundlicher Schnee im Fels und kein Eis hatten uns belästigt. Es war, so orakelten wir, fast verdächtig leicht gegangen. Und dann die unendliche Schau vom Gipfel! Zum Greifen nah schien die Umgebung in der föhnklaren Luft, gestochen scharf lag Zürich in der Ferne. Zwei selige Gipfelstunden! Grauer Tabakrauch stieg unbewegt in einen enzianblauen Himmel. Wir waren mit unserem Tödi versöhnt! Für den Abstieg waren wir zu dritt am Seil — ein älterer, sehr rüstiger Klubkamerad hatte sich uns angeschlossen. Der Schnee war mit steigender Sonne faul geworden und sackte bei jedem Schritt mit dumpfem Geräusch zusammen. Der Föhn drückte! Aber unbeschwert und glücklich wanderten wir zu Tal. Im unteren Teil der Schneerunse erblickten wir schon von weitem die gemütliche Grünhornhütte. Hoch über uns, in schwindelnder Höhe, reckten sich die eleganten Spitzen einiger grünglitzernder Seraks ins Firmament. Und dann...

Bis ans Ende meiner Tage werde ich dieses Geräusch nicht vergessen: dieses böse, bitterböse, harte Poltern der ersten vereinzelten Eisblöcke in der schmalen Rinne über uns, dann dieses krachende Getrümmer der Hauptmasse des Eisschlages und schliesslich dieses trockene Kollern, Hüpfen und endliche Zerbersten der einzelnen Nachzügler. Es ist seltsam, wie sich kleine Einzelheiten des Ereignisses messerscharf ins Gedächtnis einkerbten, während der grosse Zusammenhang schon Sekunden nachher vergessen war: vom instinktiven Sprung an die Randfelsen des Couloirs weiss ich nichts mehr; noch sehe ich aber den Daumennagel meiner rechten Hand dicht vor dem rechten Auge, als ich mich, kaum zur Hälfte in Deckung, an den Felsen klammerte. Noch sehe ich rechts unter mir einen Eisblock stürzen, der den genauen Umriss einer Zipfelmütze hatte; noch höre ich ein eigenes, ganz kurzes Ächzen, als ein Block halb meine linke Schulter, halb den Rucksack traf. Auch spüre ich heute noch den unheimlichen Ruck am Seil, der mir sagte, dass ein Kamerad mitgerissen worden sei. Ich weiss auch noch genau, dass ihm viele Sekunden des Denkens galten und dass ich ihn einen Moment lang verloren glaubte. Kaum war der Lärm der Eislawine zu Ende, als wir, wiederum mehr instinktiv als überlegt, abwärts rutschten und unter der Felsnase in Deckung krochen. Unser Begleiter war es gewesen, der von einem Block aus dem Stand gerissen worden war und wehrlos in der Rinne pendelte, jedoch erst, als die Lawine fast zu Ende war. Geschlagen waren wir alle drei. Eine halbe Stunde lang liessen wir unsere Nerven entspannen, dann schritten wir wortlos und verbissen bergab, so gut es die Verletzungen zuliessen. Eigentümlich — ich suchte plötzlich vergebens nach dem Namen unseres Kameraden; ich studierte und überlegte — ich hatte ihn vergessen! Erschrocken zählte ich geschwind im Geiste alle Kantonshauptorte auf und multiplizierte dann 17x26. Es ging, Gott sei Dank, und wie hergezaubert war eine Viertelstunde später auch der Name des Kameraden wieder da! Erleichtert stellte ich fest, dass der Schock ohne Folgen gewesen war. Äusserlich allerdings — denn die Bilanz zog erst der Arzt im Tal unten: Schürfungen, zwei Rippen- bruche, ein Lungenriss, eine beschädigte Schulter usw. Und ganz ungleich waren die Schäden unter uns dreien verteilt...

Das ist die Geschichte, wie mich der Tödi, wie mich die Berge Respekt lehrten.

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