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Der Weiler Porthüsler. Ein Beitrag zur alpinen Siedelungsforschung

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Ein Beitrag zur alpinen Siedelungsforschung. Von Max Oechslin.

Vor Jahren hat die Schweizerische Gesellschaft für Volkskunde unter der Führung von Prof. Dr. H. Hassinger die Siedelungsforschung in der Schweiz in die Hand genommen, in der Absicht, die natürlichen und kulturellen Grundlagen der ländlichen Siedelungen zu erforschen, « die bäuerliche Siedlung, sei sie Dorf, Weiler, Einzelhof oder Alphütte, in ihrer Abhängigkeit von der Natur, in ihren Beziehungen zur Wirtschaft und zum Verkehr zu betrachten und ausser diesen Anpassungen an die Umwelt auch festzustellen, was in Orts- und Fluranlage Erbe alter rechtlicher und sozialer Verhältnisse ist. » Diese Forschungsergebnisse werden um so wertvoller, je mehr die Gegenwart Änderungen bringt. Sie werden dann gleichzeitig Heimat- und Geschichtsforschung und sind unsern Kindern ein wertvolles Erbe! Und da könnten wir Alpenclubisten sicherlich grosse Beiträge leisten, sollen doch die bisher eingegangenen Resultate der Aufnahmen nur von geringem Umfang sein. Und uns Bergsteigern ist es ja vergönnt, viel intimer mit den Begebenheiten und den Dingen der Alpentäler in Verbindung zu treten, zu halten und zu horchen, um da im Lauschen dem grossen Erzählen zu folgen. Die nachfolgende Skizze möge ein bescheidener Beitrag zu solcher Siedelungsforschung und gleichzeitig neue Anregung zur wackern Mitarbeit sein 1 ).

Noch vor einem halben Jahrhundert traf der Wanderer im Etzlitale dort, wo man aus dem engen Waldtal ins breite Alpgebiet hinaustritt, den Weiler Porthüsler, von dem heute nur noch einige wenige Zeugen übriggeblieben sind. 22 Firsten standen da zu einem eigentlichen Bergdörfchen zusammen, ein ausgesprochener « Berg », wie solche Weiler und Einzelhäuser mit den zugehörigen Ökonomiegebäuden in Uri heissen. Sie werden vielfach, aber irrtümlich, den Maiensässen des Wallis gleichgestellt, werden aber nicht nur vor und nach der Alpzeit als Vorweide und Nachweide bezogen, sondern im Frühjahr und dann besonders im Herbst und Winter, manchmal bis Ende Januar bewohnt, das heisst, bis das Gadenheu aufgebraucht ist und das Vieh zutal getrieben und ihm dort bis zur Öffnung der Frühjahrsweide das Bodenheu verfüttert wird. Viele solcher Berge sind aber das ganze Jahr bewohnt, so auch der frühere Weiler Porthüsler, der 1280 bis 1320 Meter über Meer lag 2 ).

Porthüsler lag am nördlichen Ende des Vorder-Etzliboden, einer noch heute bestossenen Alp, längs dem vom Läucherstock gegen Osten abfallenden Felsrücken ( in der Siegfriedkarte nicht eingezeichnet !), der gegen die westliche Läucherwaldlaui den nötigen Schutz bot. Auf der rechten Talseite des Etzlibaches wurde die Chrumzuglaui, die in den Felsköpfen des Rütteli-Etzliberggaden-Grates abbricht, durch den geschlossenen Bergfichtenwald nach Süden abgeleitet, so dass die Häuser nicht gefährdet waren. Der Rütteli-bach muss damals noch ein ruhiger Waldbach gewesen sein, denn er war der Wasserlieferant für die einstige Porthüslersäge und die Brennerei — eine Enzianbrenr.erei —, von denen Pater Placidus a Spescha in seinem Wanderbericht über den Krüzlipass noch zu berichten weiss. Der umliegende Hochgebirgswald, der mit einzelnen Horsten und Gruppen bis unter den Rossboden hinaufreicht »;, lieferte ein gutes Bau- und Bretterholz, das in der Porthüslersäge verarbeitet wurde, sei es für die Berg- und Alphütten, sei es für die Talschaft Bristen. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts, um 1810, wurde die Säge nach der etwas tiefer gelegenen Kreuzsteinrütti verlegt, wohl weil damals aus dem Selenerbachtobel grössere Holzmengen gebracht wurden. Aber schon um 1820 ging sie da ein, verfiel und musste das Tal ganz verlassen. Die « Maschinerie », wenn wir Welle, Radbock und Gatter so bezeichnen dürfen, kam dann in die Stössi im Maderanertal, wo im Bahnen-Schachen die Säge heute immer noch ihren guten Dienst tut.

Neben der alten Sägerei zu Porthüsler stand das Wohn- und Brennerhaus, mit dem auch eine Art Bergwirtshaus verbunden war. Wir dürfen nie vergessen, dass der Krüzlipass in früheren Jahrhunderten weit wichtiger und mehr begangen war als heute. Ich neige sogar zur Ansicht, dass er vor der Eröffnung des Gotthardsaumweges, also vor dem 12. Jahrhundert, überhaupt den Übergang von Norden nach dem Süden bildete. Die Schöllenen war ohne künstliche Weganlagen und Brücken ein völlig unüberwindbares Hindernis, das während Jahrhunderten noch seinen Einfluss auf die wirtschaftliche Abhängigkeit Urserens vom Kloster Disentis brachte. Urseren hatte den bedeutend bequemeren Verkehr mit dem bündnerischen Oberrheintal und blieb mit diesem bis in die Gegenwart eigentlich mehr verbunden als mit Uri; denn nur unter Beachtung dieses Zustandes ist es begreiflich, dass Urseren auch nach der Öffnung des Gotthardsaumweges zu Uri nur untergeordneter Kantonsteil blieb und erst mit der Mediationsverfassung von 1803 gleichgestellt wurde. Übrigens hielten sich die Wanderer des Mittelalters, Rompilger und Kriegsherren, an jene Alpenübergänge, wo am Bergfuss und auf der Berghöhe eine Unterkunft zu treffen war. Da bot der Krüzlipass weitaus das Bessere als der heutige Gotthardpass, dessen Hospiz mit dem Kirchlein ja erst um 1300 erstellt wurde, sehr wahrscheinlich eine Stiftung der Benediktinerabtei Disentis, erstmals 1331 urkundlich erwähnt und nach dem aus Süd-Bayern stammenden Bischof St. Gotthard von Hildesheim benannt, der 1038 gestorben ist und 1132 heilig gesprochen wurde. Die Gründung der Abtei Disentis geht dagegen schon auf das Jahr 614 zurück. Der Rom-wanderer kam bis an den « Bergfuss » bei Silenen, dessen Kirche zu « Silonen » 858 erstmals erwähnt ist, brachte hier die Zeit zu, bis günstiges Wetter die « Bergfahrt » erlaubte, um dann in erstem, verhältnismässig leichtem Tagesmarsch nach Disentis zu gelangen, wo auf der « Berghöhe » im Kloster die gute Unterkunft erhältlich war. Der Weiterweg führte über den Lukmanier, wo in Santa Maria ebenfalls von den Disentiser Benediktinern frühzeitig — um 900 — das Hospiz erbaut wurde, so dass ein Zwischenhalt gemacht werden konnte und in dritter Tagereise Biasca-Bellinzona leicht erreichbar waren.

Der Weg über Krüzli-Lukmanier war bedeutend kürzer als der Gotthardweg, leichter begehbar und führte zudem rascher in das « südliche Land ». Dass der Verkehr Uris mit Bünden ein reger gewesen sein muss, zeigt sich auch in der Abstammung der Geschlechter. So sollen die Loretz, die gerade im Maderanertal am zahlreichsten vertreten sind, aus Bünden stammen. Noch bis um die Mitte des verflossenen Jahrhunderts war der Krüzlipass ein vielbegangener Weg für den Viehtrieb von Bünden nach Uri und umgekehrt. Die alten Urner erzählen noch heute von den grauen, kleinen « Bindnerchie », die von Disentis übers Etzli kamen. So ist der Weiler Porthüsler sicherlich nicht nur ein einfacher Bergweiler gewesen, sondern hat jahrhundertelang als Zwischenstation auf dem Krüzlipassweg seine Rolle gespielt.

Auf dem rechten Etzlibachufer standen noch zwei Wohnhäuser, zwei Ställe und zwei Speicher, auf deren Grundmauern noch heute entsprechende Gebäulichkeiten stehen.

Durch fortgesetzte und übermässige Holznutzung im ober liegenden Wald, besonders zur Schindelholzgewinnung, da der « Sonnseitenwald » das fein-jährigere, gleichmässiger gewachsene Holz als der Schattseitwald auf dem gegenüberliegenden Hang liefert, wurde aber aus dem stillen Waldbach bei Unwettern ein eigentlicher Wildbach, so dass die letzten Reste von Säge und Brennerhaus verschüttet wurden, und zwar soll dies im Notjahr 1834 geschehen sein, das ja in ganz Uri die grossen Wildwasserverheerungen brachte. Kleinere Lawinen zweigten von der Chrumzuglaui ab und durchschlugen den Altwald, was noch heute am dichten Jungwuchs in diesen frühern Lawinenzügen erkenntlich ist. Einzig die noch stehenden Gebäulichkeiten hatten durch Felsvorsprünge und Erdwellen, sowie besonders durch Baumhorste genügenden Schutz. An einem der beiden Speicher sind heute drei Kreuze sichtbar, die davon erzählen, dass um die Mitte des verflossenen Jahrhunderts drei Krüzlipasswanderer in der Lawine den Tod fanden.

Der Hauptteil des Weilers Porthüsler lag auf dem linken Bachufer, längs der Felswand und zum Teil auf dieser selbst. Der Wald unter der Läuchern muss nach den noch vorhandenen Wurzelstocküberresten fast geschlossen gewesen sein, so dass die Häuser und Ställe wohl geborgen waren. Aus zwei guten Quellen floss reichlich Trinkwasser für Mensch und Vieh. Nach den erhaltenen Mitteilungen von Ortskundigen waren hier noch bis in die 80er Jahre des letzten Jahrhunderts hinein 14 Firsten zu treffen, nämlich 4 Wohnhäuser, 6 Ställe und 4 Kässpeicher. Schon im Lawinenjahr 1868 durchschlug um Mitte Februar eine hoch oben am Bristenstock abbrechende Lawine, die grosse Klüserlaui, den Wald und brachte viel Schutt. In den Frühjahren 1887 und 1896 ging dann die Läucherwaldlaui ungehindert und so gross nieder, dass 11 Firsten vernichtet wurden, alle vier Wohnhäuser, vier Ställe und drei Speicher. Nur die beiden Ställe ob der Felswand und der unterste Speicher blieben erhalten. Das umliegende Gebiet wurde zum Teil so verschüttet, dass das Bergwasser keinen Abfluss mehr fand und die frühere Weide versumpfte, trotz weitgehender Räumung, welche die Älpler in mühsamer Fronarbeit durchführten. Welche Menge von Schutt die Lawinen bringen können, zeigte gerade der Lawinenniedergang vom 15. Februar 1928. Die grosse Klüsertallaui ging nass und schwer nieder, so dass sie das Bachtobel unter der Klüserstockalp fast völlig ausräumte und selbst den Schuttkegel des in den Kriegsjahren 1914/15 betriebenen Asbeststeinbruches oberhalb dem Etzliboden mitriss. Die Etzlibodenalp wurde dermassen überschüttet, dass gegen 3 Hektaren früheres Weideland verlassen werden mussten.

Die Wohnhäuser zu Porthüsler waren wie die Ställe und Speicher ganz aus behauenem Balkenholz gezimmert. Die Grundmauern bestanden aus Trockenmauerwerk mit etwelchem Kalkverputz in den Ecken. Die Dächer besassen Schindeldeckung. Talwärts enthielten die Wohnhäuser die Stube und Nebenstube, erstere als Wohn- und Essraum, letztere als Schlafraum verwendet, soweit nicht schon in der Stube eine einfache Bettstatt Aufstellung fand. Hinter Stube und Nebenstubli befand sich die einfache Küche mit Rauchgiebel, ebener Erde, ganz schlicht eingerichtet, wie dies allgemein in solchen Häusern noch heute der Fall ist. Die Wirtschaftsgebäude waren vom Wohnhaus völlig getrennt, wie dies in Uri allgemein landesüblich ist. Die Ställe entsprachen dem einfachen, fensterlosen Stallsystem, in denen das Vieh in den Stand gebunden wird. Die Futterlegung in den Krippen erfolgte vom Mittelgang her. Eine Düngerwirtschaft war nicht zu treffen, der Mist wurde allgemein kurzweg aus dem Stall gestossen und mit dem nahen Läucherwaldbachwasser dem Etzlibach übergeben, trotzdem gerade die naheliegende Weide eine Düngung äusserst gut ertragen hätte und die korporative « Düngerordnung » schon damals bestand! Grund und Boden sind stets Eigentum der Korporation Uri gewesen, die alles nicht private Gebiet zwischen Seelisberg und der Schöllenen besitzt. Die Privaten erwarben durch die Korporationsgemeinde ein Baurecht und der von den Gebäuden überstellte Boden blieb Eigentum, solange die Firste bestanden. Mit dem Verfall der Gebäude gingen die Baurechte verloren.

Die Speicher dienen zum Lagern der Alpprodukte: Käse, Butter und Zieger. Die Käse werden aus der Sennhütte in den Speicher gebracht und da gesalzt und nach dem Erhärten aus dem Järb ( Käsreif ) genommen und bis zur Alpabfahrt und Kästeilung gelagert. Die Speichereinrichtung besteht aus Wandgestellen, auf denen die Käse Platz finden, einem Salztisch, meistens ein Wandbrett mit Einbein, und einem Salzfass oder auch bloss einer Salzkiste. Der Speicherboden ist aus Holz und allgemein auf Steinen über dem Erdboden erhöht, so dass der Luftzug unter ihm durchstreichen kann. Ausser kleinen Lüftungslöchern hat der Speicher keine Fenster, damit der Innenraum kühl und feucht bleibt. Die Grundfläche beträgt meistens 3—5 Meter im Quadrat.

Neben den Wohnhäusern scheinen drei kleine Kartoffelgärten bestanden zu haben, wenigstens lassen Erdanhäufungen und Mäuerchen noch darauf schliessen. Ob auch Hanf und Flachs, eventuell Gerste gepflanzt wurden, ist nicht bestimmt, wäre aber möglich, da diese Kulturpflanzen vor der Eröffnung der Gotthardstrasse ( 1830 ) und der Gotthardbahn vor allem ( 1883 ) in Uri allgemein zu treffen waren, bis 1720 m über Meer. Auch die Gärten waren Allmendgebiet, kraft dem Allmendnutzungsreglement den Genössigen zugeteilt. Die gute Gartenerde muss im Rückenkorb zusammengetragen worden sein.

Die obern Gebäulichkeiten, Nr. 1—5, waren alle mehr oder weniger in den flachen Hang hineingebaut und mit Erdanschüttungen und kleinen Steinwällen vor der Läucherwaldlaui geschützt. Die Gebäude Nr. 19—22 besitzen heute dieselben Schutzvorrichtungen. Alle übrigen Hütten waren oder sind noch frei gestellt.

Die Grundmauern der bis 1896 zerstörten Häuser, Ställe und Speicher wurden im Sommer 1928 abgerissen, und das Steinmaterial wurde für Sickerdohlen bei der Entwässerung des Vorder-Etzlibodens verwendet.

Der einstige Weiler Porthüsler ist so bis auf wenige Überreste ( 2 Wohnhäuser, 2 Ställe und 2 Speicher auf dem rechten und 2 Ställe und 1 Speicher auf dem linken Bachufer ) verschwunden!

Die Einwohner des Weilers waren vorab Bewohner von Bristen und Am-steg-Silenen, aus den Familien Walker, Loretz, Jauch, Gnos und Tresch. Unter den Tresch war bei den Alpenclubisten der Felli-Tresch wohl der bekannteste. J. J. Tresch hat in seinen letzten Lebensjahrzehnten fast weltvergessen und allein im benachbarten Fellital gehaust und dort die Fellihütte gebaut. Er hat eine grosse Zahl von wohl ersten Gipfelbesteigungen im Felli-und Bristengebiet durchgeführt und verunglückte um 1902 am Bristenstock. Als der Weiler Porthüsler um die Mitte des verflossenen Jahrhunderts noch in seiner vollen Geltungstand, da mochte er im Herbst an die 45 Einwohner zählen. Heute ist der Ort still und verlassen, und nur noch das Erzählen der Alten weiss von ihm zu berichten.

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