Der Zmuttgrat
Willy Ihfitetler. Zermall
Das Matterhorn ist ein packender Berg. Es ist so einzigartig in seinem gewaltigen Aufbau, so mächtig in seiner kühnen Gestalt und Eigenart, dass unsere Blicke immer wieder angezogen werden und die Kamera abermals und abermals in Schussstellung kommt. Kein Wunder, dass jährlich über tausend Bergfreunde seine Besteigung in ihr Tourenprogramm aufnehmen, vielfach als Glanzstück, als Krönung einer Karriere.
Dem Riesen wird in der Regel über den Hörnligrat zu Leibe gerückt. Diese Route, am 14.Juli 1865 vom Whymper zum erstenmal begangen, stellt keine ausserordentlichen bergsteigerischen Anforderungen, hat aber dennoch ihre Tücken, vergeht doch kaum ein Jahr ohne schwere Unfälle. Recht häufig erfolgt die Besteigung auch über den abwechslungsreichen Italienergrat, währenddem der schwierige Furgggrat nur ausserordentlichen Kletterern vorbehalten bleibt.
Die Begehung des grossartigen Zmuttgrates endlich bringt überwältigende Eindrücke. Während des Aufstieges, bei dem das Eis in recht pikanter Weise zu seinem Rechte kommt, schweift der Blick ständig über den zerschundenen Tiefmattengletscher hinüber zur Dent d' Hérens und zur Dent Blanche oder zurück in die furchterregende Nordwand. Die Erstbesteigung im Jahre 1879 ging als ein Wettstreit an Energie, Geschicklichkeit und Ausdauer in die Annalen des Alpinismus ein. Sie wird uns von Theodor Wundt in « Zermatt und seine Berge » wie folgt erzählt:
« Die Besteigung des Matterhorns von Westen her wurde von Penhall und Mummery an einem Tage auf verschiedenen Routen ausgeführt. Drei Jahre lang hatte Penhall den Gedanken, den Berg von dieser Seite aus zu besteigen, in sich getragen, bis er am 1. September 1879 an die Ausführung schreiten konnte. Um 2 Uhr 30 Minuten morgens 76 Bereits auf dem zustieg ins Basislager dominierte die prächtige, noch nicht erstiegene Lhotse-Südwand 77 Unermüdlich wehten die Gebetsfahnen im Basislager und trugen damit ihr Gebet zum Himmel. Das entzündete Rauchopfer auf dem Steinalter sollte die Götter des Khumbu besänftigen - diese Zeit dürfte zu beachten sein - brach er mit den Führern Ferdinand Imsengund Ludwig Zurbriggen von Zermatt auf. Seine Absicht war, zunächst einen Weg zu erkunden und möglichst hoch oben die Nacht zuzubringen, um am folgenden Tag die eigentliche Besteigung auszuführen. Das Wetter war nicht sehr günstig, aber es wurde trotzdem auf dem Zmuttgrat bis zu dem von Zermatt aus sichtbaren Felszacken angestiegen. Ein weiteres Vordringen war wegen der schlechten Beschaffenheit des von weichem Schnee durchsetzten Gerölls für heute nicht mehr möglich. Man ging also ein Stück weit zurück und richtete auf dem Grat ein Lager ein. Die Nacht war äusserst kalt und an Schlaf nicht zu denken. Am Morgen des 2.Septembers begann dann leichter Schnee zu fallen, und in der Erwartung eines Unwetters wurde der Rückmarsch angetreten, da der Gipfel des Berges sich inzwischen in dicke Wolken gehüllt hatte.
Auf dem Zmuttglctschcr traf Penhall mit Mummery zusammen, der in Begleitung von Alexander Burgener gekommen war, um die Besteigung mitanzusehen, sich jetzt aber entschloss, sie selbst zu versuchen, während Penhall, durch das schlechte Wetter entmutigt, den Rückmarsch nach Zermatt fortsetzte. Aber es litt ihn nicht lange dort. Sollte er so ohne weiteres einem andern den Sieg überlassen? Als dann auch Imseng den Vorschlag machte, wieder aufzubrechen, da das Wetter morgen sicher gut sein werde, so wurde um 22 Uhr von neuem abmarschiert. Jetzt war das Unternehmen freilich schwieriger geworden, denn da Mummery sich aufdem Zmutt-Grat befand, so musste eine neue Route ausfindig gemacht werden. Penhall wandte sich also mehr der Breitseite des Berges zu. Er stieg von dem Tief-mattengletschcr aus in die Felsen ein, überschritt das grosse Schneecouloir, das in der Mitte der Bergwand sich befindet und von ihm seinen Namen erhalten hat, etwa in halber Höhe und wandte sich dann direkt dem Gipfel zu. Um diese Zeit erblickte er den Rivalen aufdem Grat, an der höchsten Stelle, die er zwei Tage vorher erreicht 78 JVoch versperrte der gewaltige Eisbruch des Khumbu den Weg vom Basislager ( 5400 m ) hinauf auf 6000 m.
j Tage dauerte es, bis ein Weg gefunden und begehbar gemacht werden konnte 79 Das anschliessende « Tal des Schweigens », in dem ein weiteres Lager eingerichtet wurde, brachte uns an den eigentlichen Fuss des Berges, dessen steile Flanke sich jetzt vor uns erhob hatte. Er wusstejetzt, dass keine Minute zu verlieren war, wenn er als erster ankommen wollte. Aber bald kam an einem kleinen Band ein gebieterisches Halt! Ein senkrechter, glatter Fels erhob sich hier und schien jede Möglichkeit eines weiteren Anstieges in gerader Richtung auszuschliessen.
Man wandte sich also nach rechts, aber auch hier wuchsen die Schwierigkeiten Schritt für Schritt, und nach dreiviertel Stunden war jedes weitere Vorwärtskommen völlig unmöglich. Also zurück. « Endlich », so schreibt er, « befanden wir uns wieder aufdem Band, das wir leider verlassen hatten, sehr viel mehr ermüdet, mit bedeutend weniger Fleisch an den Fingerspitzen und zwei verlorenen Stunden. » Der gerade Anstieg wurde nun um jeden Preis versucht, und es ging, obgleich die Felsen schlimm vereist und ausserordentlich schwierig waren. Schon befand man sich nahezu auf dem Gipfel, als ein Ruf von der Schulter ( Hörnligrat ) her zu erkennen gab, dass Mummery denselben erreicht und den Abstieg angetreten hatte. Das Rennen war verloren.
Mummery war um 4 Uhr 15 Minuten morgens von seinem Biwak in den Felsen des Zmutt-Grates aufgebrochen. Er war bis zu jenem Punkt des Grates gekommen, wo die senkrechten Felsen des Gipfelblocks sich in die Höhe erheben. Ein weiter Abgrund trennte ihn hier von demselben, und Burgener hatte dreiviertel Stunden lang vergeblich versucht, da hinüberzukommen. Schon begann man zu zweifeln, ob es gelingen werde, als ein entferntes Jodeln die Aufmerksamkeit hinab nach der Bergwand zur Rechten lenkte, wo drei Punkte zu erkennen waren. Das konnte nur Penhall sein! Jetzt war keine Zeit zu verlieren und Burgener setzte seine letzten Kräfte ein. « Plötzlich verfangt sich sein Rock an einem Felszacken, und ein Schrei sagt uns, dass seine Pfeife, der treue Gefährte in so mancher Kletterei, das Geschenk seines liebsten Herrn, ihm aus der Tasche hinab auf den Matterhornglctscher gefallen sei. Noch ein verzweifelter Versuch, und der Rest des Weges lag offen vor uns. Nach einem kurzen, angstvollen 80 Lager III liegt auf 7350 m in der Lhotse-Flanke. Der Blick hinunter gibt das « Tal des Schweigens » und die Pyramide des Pumori frei 81Über steile Blankeiszonen zieht die Route von Lager III nach Lager IV. Deutlich ist im oberen Teil die « Schildkröte », der Platz des obersten Lagers, sichtbar. Darüber türmen sich die Felsen der Gipfelregion Photos Ruth Steinmann, Zürich 82 Blick vom Iztaccihuatl auf den Popocatepetl Blick ergriff Burgener meine Hand und sagte mit siegesbewusster Miene:«Die Pfeife ist gerächt, wir sind auf dem Gipfel. »Dieser wurde um 13 Uhr 45 erreicht.
Penhall kam um 15 Uhr an und gelangte, auf dem Hörnligrat absteigend, um 21 Uhr 45 nach Zermatt. Er war 67 Stunden unterwegs gewesen. Die Besteigung bedeutete für ihn eine Niederlage und einen Sieg, beide gleich ehrenvoll. Die Schwierigkeiten seiner Route sind nicht nur an sich ungewöhnlich gross, sondern sie werden auch noch durch die Gefahr beständigen Steinschlags erhöht.
Die Besteigung des Matterhorns über den Zmuttgrat erfolgte früher von Stafelalp oder Schönbiel aus. Durch das starke Absinken des Zmuttgletschers ist dieser Weg aber bedeutend länger geworden und in einem Tage kaum noch zu bewältigen. Man geht den Grat heute meistens von der Hörnlihütte aus an, indem man den Matterhorngletscher direkt unter der Nordwand überquert. Dies ist eine ganz besonders interessante Route, bei der aber der Steinschlag eine bedenkliche Rolle spielen kann. Zudem gibt es zu vorgerückter Tageszeit, bei Wetterumschlag oder Unfall, kein Zurück zum Hörnli. Der Abstieg nach Schönbiel aber ist für Ortsunkundige voller Tücken und nicht ungefährlich.
Ein festes Biwak unter dem Zmutt-Firn, auf 3000 m, könnte die Begehung des Zmuttgrates in hohem Masse erleichtern und dieser Tour, sicher eine der schönsten in den Alpen, neuen Auftrieb geben.
83 Das Photo, das die amerikanische Gruppe von uns machte, bevor sie umkehrte 84 Am Iztaccihuatl — Aufstieg über den Arista de la Luz ( schmäler GratPhotos Anita Slrehlow Astor. Mexiko 85 Bizarre Abschmelzformen am « Thron des Menehk », gesehen vom Kraterboden. Hinten ist eine gewaltige Eiswand umgestürzt Photo vom Kilimanjaro Mountain Club