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Die Dent Blanche

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

Von R. Giroud

Mit 1 Bild ( 71Lausanne ) Wir kommen von der Bertolhütte, traversieren den Miné- und Ferpèclegletscher, um auf diesem Wege die Cabane Rossier zu erreichen. Die Besteigung der Aiguille de la Tsa sollte unserm Tourenleiter Gelegenheit geben, seine Leute auf ihre Fähigkeiten zu prüfen und dadurch festzustellen, wer für die Dent Blanche in Frage kommen könne. Und alle Teilnehmer bestanden die Probe, und so zieht nun die Karawane über Gletscher und Firn. Heiss brennt die Sonne auf die unendlich scheinende Schneefläche. Still geht jeder fürbass; jeder hat genug mit seinen eigenen Gedanken zu tun; nur hin und wieder werden einige Worte mit dem Vorder- oder Hintermann gewechselt. Vor uns erhebt sich die Dent Blanche in ihrer ganzen Schönheit und Majestät. Ich denke 40 Jahre zurück: in der Schulklasse sitze ich, inmitten meiner Klassenkameraden. Dr. Andreas Fischer, ein zu jener Zeit ebenso bekannter wie begeisterter Alpinist der alten Garde, gibt uns die Geographiestunde. Wenn es sich um seine geliebten Schweizer Berge handelt, so ist er in seinem Element: mit seinen lebendigen Schilderungen über ausgeführte Bergfahrten wusste er uns immer wieder hinzureissen. Aber wehe demjenigen, den er bei einer Unaufmerksamkeit oder bei einer Zerstreutheit erwischte. Sein ganzes Temperament kam zum Durchbruch: sein sehnig gestählter Körper schnellte empor, die Finger strichen durch den blonden Schnurrbart und ein Donnern und Wettern hub anIch denke an die Geographiestunde, in der ich, versteckt hinter dem Rücken meines Schulkameraden in der Vorderbank, vergessene Hausaufgaben für die nachfolgende Algebrastunde nachholen will. Fischer hat meine « geistige Abwesenheit » bemerkt. Er steht neben mir: « Wo liegt die Dent Blanche? » schreckt er mich auf! Ich bin noch mitten in meiner algebraischen Formel und sehe nur das Blitzen in den Augen meines Lehrers. Es bleibt mir keine Zeit zur Überlegung. « Im Berner Oberland » kommt 's hastig stotternd heraus. Die Augen Fischers lassen mich keinen Moment darüber im Zweifel, dass ich mit meiner Antwort gehörig daneben gehauen habe. Er sieht mich mit durchdringenden Blicken an. Schuldbewusst senke ich die Augen. Gewitterstimmung lastet auf der ganzen Klasse; auch meine Schulkameraden wagen sich kaum zu rühren. Endlich versuche ich, wiederum aufzuschauen, um eine Entschuldigung zu stammeln. Da gewahre ich, dass das Feuer aus den Augen Fischers verschwunden ist, um einem mitleidigen Lächeln Platz zu machen. Lange und tief sieht er mich an, die Arme über der Brust gekreuzt. « Nein, die Dent Blanche ist im Kanton Wallis, im Val d' Hérens », höre ich ihn mit weicher Stimme sagen. Er wendet sich von mir ab und geht langsamen Schrittes zum Pult zurück, wo er einige Zeit tief in sich versunken stehen bleibt. Mit meiner Zerstreutheit und mehr noch mit meiner geographischen Unwissenheit hatte ich meinen Lehrer tief gekränkt, das wusste ich, ihn, der sich jederzeit so unbeschreibliche Mühe gab, die Schönheiten der Heimat und insbesondere der Bergwelt uns so lebendig vor Augen zu führen...

DIE DENT BLANCHE'vi Und nun bin ich heute in greifbarer Nähe der Dent Blanche!

Es ist 3 Uhr. Ich weiss, dass ich heute mit dem Aufstieg zur Dent Blanche gleichfalls meinem Lehrer Andreas Fischer Abbitte tun will. Ich will diesen Berg besteigen, es sei sein Berg! Als sehe er zu, wie sein Schüler die Höhe gewinnt. Als empfinde er, wie ich an ihn zurückdenke, ehrfürchtig, still!

Um 4 Uhr stehen wir angeseilt vor der Hütte, und es beginnt das Steigen im frischen Morgen. Wir überwinden einen felsigen Aufstieg, gelangen auf eine Schneekuppe mit daran anschliessendem langgestrecktem Schneefeld, stossen auf Fußspuren, die von der Schönbühlhütte heraufkommen. Die Wandfluh, dank vorzüglicher Fels- und Schneeverhältnisse, macht uns nicht allzuviel Schwierigkeiten. Bei Punkt « 3912 » gibt es einen ersten kurzen Halt. Dann geht es weiter, vorerst einen steil abfallenden, vereisten Schneehang traversierend und hinauf zum Grat. Unter steter Seilsicherung rücken wir verhältnismässig rasch aufwärts: scharfkantige Stellen werden rittlings überquert; in Steilwänden geht ein Mann nach dem andern vorsichtig vorwärts, wobei der erste Mann der Seilschaft vom nachfolgenden Kameraden gut gesichert die passenden, oft unsichtbaren Griffe sucht. Manchmal verschwindet er hinter einem Felsen, und sein Zuruf zeigt uns an, wenn wir nachrücken können. Nur ein einziges Mal, dafür aber ziemlich lange, werden wir von absteigenden Seilschaften aufgehalten. Auf einem überhängenden Felsen können wir notdürftig ausweichen und müssen dort warten, denn die Passage lässt ein Nebeneinandervorbeigehen nur schwer zu. Vor uns erhebt sich der « Grand Gendarme », wuchtig in den blauen Himmel ragend. Wir lassen ihn rechts liegen und begehen das Couloir, das uns mit Hilfe eines von unserm Führer angebrachten Doppelseils rasch auf den Grat hinaufbringt. Nach einem kurzen Stück über Fels und Eis stehen wir nach fünf Stunden harter Arbeit auf dem Gipfel!

Welch herrlicher Ausblick! Kein Wölklein am Himmel;... kein Windzug, der uns stören oder zur raschen Umkehr nötigen könnte. Tief unter uns die Cabane de Mountet sichtbar. Gross erheben sich die imposanten Riesen: Weisshorn, Zinalrothorn, Trifthorn, Obergabelhorn. Auf dem Col Durand zieht sich deutlich eine Fußspur zur Schönbühlhütte hinüber, und gross und stolz erheben sich Matterhorn und Monte-Rosa-Gruppe.Von der Dent d' Hérens löst sich eine Lawine und stürzt mit lautem Getöse die steile Eiswand hinab. Schweigend schauen wir dem schaurig-schönen Schauspiel zu und gedenken tief bewegt der drei Klubkameraden, die vor zwei Jahren an dieser Stelle abgestürzt und erst nach langem Suchen von einer Militärpatrouille in einer Gletscherspalte aufgefunden worden waren.

Volle anderthalb Stunden hat unsere Gipfelrast gedauert. Wir seilen uns wieder an, und in umgekehrter Reihenfolge geht es nun hüttenwärts. Erst beim Absteigen gewahren wir so recht die beidseits steil abfallenden Wände. Aber der Fels ist vorzüglich und erlaubt uns ein rasches Vorwärtskommen, wozu die gute Zusammenarbeit unserer Seilschaft viel beiträgt. Dank der guten Führung geht es ohne nennenswerte Schwierigkeiten abwärts; das beim Aufstieg angebrachte Doppelseil im Couloir leistet uns abermals vorzügliche Dienste. Nach dem Ausstieg aus diesem Couloir und unter- - halb des « Grand Gendarme » beschleunigt die erste Seilschaft, der auch ich angehöre, die Schritte, um rascher in die Hütte zurückzukehren und das Essen zu bereiten. Eine Stunde nach unserer Ankunft ist die ganze Karawane wiederum versammelt, bei dampfender Suppe, durststillendem Tee und herrlich duftendem Griessmus mit Früchten.

Ich habe mich zu einem Schläfchen auf die Pritsche gelegt. Eine kurze Weile, und schon träume ich wieder von früherer Zeit: Wiederum sitze ich unter meinen Klassenkameraden; vor mir steht Andreas Fischer, wie damals vor vierzig Jahren, mit über der Brust gekreuzten Armen. Dieses Mal hat er aber nicht ein mitleidvolles Lächeln in seinen Gesichtszügen. Nein, es ist vielmehr ein Stolz darin: einer seiner Schüler, der seinerzeit nicht einmal wusste, wo die Dent Blanche war, hat nun diese nicht nur an den richtigen Ort placiert, nein, er hat sie auch noch bestiegen und die wunderbare Aussicht mit eigenen Augen sehen und in vollen Zügen geniessen können.

« Siehst du », sagte er mir, « wie schön und gross dieser Berg ist, die Dent Blanche. Und glaube es mir, dem Ruf der Berge zu folgen, ist schön. » Jahrzehnte sind seither vorüber, den Ruf der Berge habe ich vernommen. Ich danke es dir heute, dir, Lehrer Andreas Fischer!

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