Die Gletscher der Schweizer Alpen im Jahre 1987/88
der Schweizer Alpen im Jahr 1987/88
Auszug aus dem 109. Bericht der Gletscherkommission der Schweizerischen Akademie der Naturwissenschaften /'GK/SANW, vormals Schweizerische Naturforschende Gesellschaft GK/SNG ) Markus Aellen, GK/SANW und Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich ( VAW/ETHZ ) 191 Einleitung Die Erhebungen über die Veränderung der Gletscher in den Schweizer Alpen haben im Herbst 1988 zum 109. Mal stattgefunden. Die lückenlose Folge jährlich wiederholter Beobachtungen, die F. A. Forel im Jahre 1880 begonnen hat, wird seit 1893 durch die Gletscherkommission im Sinne einer Landesaufnahme weitergeführt. Mit Unterstützung durch die bisher beteiligten kantonalen Forstdienste, Bundesämter und -forschungsinsti-tute, Kraftwerkgesellschaften und Privatpersonen sind im Berichtsjahr in gewohntem Umfang Vermessungen ausgeführt und Beobachtungen vorgenommen worden, um die langfristigen Veränderungen der Schweizer Gletscher im Zusammenhang mit den Veränderungen ihrer Umwelt zu erfassen. Dazu dient in erster Linie ein Messnetz mit derzeit 120 Gletscherzungen, deren Längenänderung Jahr für Jahr bestimmt wird. Zusätzliche Daten über Fliessgeschwindigkeit, Dicken-, Flächen-, Vo-lumen- und Massenänderung werden an rund einem Dutzend Gletscher erhoben. Angaben über die Umwelt der Gletscher beruhen vorwiegend auf den Wetter- und Klimabeobach-tungen, Schnee- oder Abflussmessungen der zuständigen Landesdienste oder Forschungsinstitute.
Der vorliegende Bericht fasst die Hauptergebnisse des Beobachtungsjahrs 1987/88 zusammen. Er ergänzt die Reihe der vorangehenden Gletscherberichte in der Zeitschrift DIE ALPEN. Diese Berichte erscheinen seit 1970 in gekürzter Form, als Auszug des ausführlichen Gletscherberichts, den die Gletscherkommission zusammen mit der Abteilung Glaziologie der VAW/ETHZ als glaziologisches Jahrbuch herausgibt. Auf Wunsch mancher Leser hat die Redaktion der Zeitschrift mit dem Verfasser vereinbart, den Berichtsauszug für DIE ALPEN durch weitere Kürzungen zu raffen. Deshalb werden andere Leser in der vorliegenden Fassung des 109. Berichts einzelne Zahlentabellen, Witterungsgraphiken oder ausführliche Beschreibungen im Text vermissen. Beibehaltene Tabellen und Graphiken sind in der gleichen Art wie bisher ausgeführt. Es sind dies die Tabellen und graphischen Übersichten mit den Hauptergebnissen der jährlichen Erhebungen über die Längenänderung der Gletscher ( Tab. 1 und 2, Fig. 3 und 4 ), die Witterungsgraphik ( Fig. 1, teilweise weitergeführt ) und die Klimagraphik ( Fig. 2 ).
Abb.1 bis 5 Fieschergletscher: Dieser drittgrösste Gletscher der Alpen stösst endlich vor.
Witterung und Klima Der Witterungsverlauf hat sich im Berichtsjahr in mancher Hinsicht ähnlich abgespielt wie in den Vorjahren. Ungewöhnlich hohe Temperaturen und Schneemangel im Früh-und Hochwinter, kalte, zum Teil sehr niederschlagsreiche Perioden im Spätwinter und Frühjahr, lange, oft trockene Wärmeperioden und wenig Kälteeinbrüche im Hochsommer sind gemeinsame Kennzeichen der letzten Jahre. Der Witterungsverlauf des Berichtsjahrs ist veranschaulicht in den Beispielen der Figur 1 auf Seite 206, wo die Tagesmittel der Lufttemperatur auf Jungfraujoch ( 3580 m ü. M. ), die Tagesmengen des Niederschlags auf dem Säntis ( 2490 m ü. M. ) und die täglich ermittelte Meereshöhe der Nullgradisotherme über Payerne ( Radiosondierung um 13 Uhr ) graphisch dargestellt sind für die Zeit vom September 1987 bis Oktober 1988. Vorwiegend positive Abweichungen der aktuellen Ta- geswerte von den eingetragenen langjährigen Mittelwerten kennzeichnen das Berichtsjahr. Das Klima des Berichtsjahres ist im Alpengebiet - aus glaziologischer Sicht verallgemeinernd beschrieben - durch grossenteils normale, in den Föhngebieten geringe, in Süd-und Weststaulagen dagegen grosse bis sehr grosse Jahresmengen des Niederschlags und fast überall durch hohe bis sehr hohe Sommermittel der Lufttemperatur gekennzeichnet. Die Klimagrössen Jahresniederschlag und Sommertemperatur, die den Massenhaushalt der Gletscher weitgehend bestimmen, sind in Figur 2 dargestellt durch ihre Abweichung vom Normalwert. Die Abweichung vom Normalwert ist für rund 110 Stationen des Niederschlagsmessnetzes und für rund 60 Stationen des automatischen Temperaturmessnetzes der SMA berechnet als statistische Indexzahl. Aufgrund dieser Indexzahlen sind Zonen gleicher ( d.h. geringer, starker oder sehr starker ) Abweichung nach oben ( positiv ) oder nach unten ( negativ ) abgegrenzt und in vereinfachender Weise dargestellt.
Abb.1 und 2 Zungenende am 13.10.1986. Das Weisswasser entströmt zur Hauptsache dem schuttbedeckten Zungenlappen an der Ostseite ( Abb. 1 ), das Gletschertor mit verstürztem Eis führt verhältnismässig wenig Wasser ( Abb. 2 ).
Winter 1987/88 Eine Westwindlage mit stürmischem Südföhn und anschliessendem Kälteeinbruch hat um den 10. Oktober die Schmelzperiode des Sommers 1987 und damit den Jahreszyklus 1986/87 im Massenhaushalt der Gletscher ziemlich abrupt beendet. Ergiebige und ausgedehnte Niederschläge mit Schneefall bis in die Alpentäler ergaben in diesen Tagen erste, gebietsweise verhältnismässig grosse Rücklagen für den Haushaltszyklus des Berichtsjahrs. Mildes Wetter mit Westwind und weiteren Niederschlägen in der zweiten Oktoberhälfte, sonniges und trockenes Wetter in der ersten Novemberdekade verminderten diese Rücklagen alsbald auf oder unter das normale Mass. Dieses wurde während der folgenden vier Monate mit vorwiegend zu warmen, häufig auch zu trockenen Perioden eher unter- als überschritten. Im unvergletscherten Gebiet schmolz die frühe Schneedecke bis in hohe Lagen weitgehend weg. In der zweiten Novemberdekade mit wechselhaftem, zeitweise Abb.3 Zungenende am 5.9.1987. Der Wasseraustritt an der Ostseite ist zurückversetzt ohne Tor, das alte Tor verschüttet.
stürmischem Wetter breitete sich die Schneedecke schubweise bis in die Niederungen aus, das Berggebiet wurde dabei grossenteils bis in Tallagen dauernd eingeschneit. Der Alpennordhang jedoch aperte in der zweiten Dezemberhälfte wie mancher sonnige Ort der übrigen Gebiete bis in mittlere Höhen wieder aus. Hier wie dort stellte sich die dauernde Schneedecke erst nach dem Jahreswechsel, in der ersten oder in der letzten Januarwoche ein. Dezember und Januar waren ausnehmend warm, der Dezember im allgemeinen auch sehr trocken. Besonders gross war der Wärmeüberschuss im Dezember in den Berggebieten ( bis 4,5 Grad ), im Januar in den Niederungen der Alpennordseite ( bis 6 Grad ). Wärmerekorde verzeichneten Säntis ( wärmster Dezember seit 105 Jahren ) und Basel ( wärmster Januar seit 150 Jahren ). In der letzten Fe-bruarwoche und in der ersten Märzhälfte ver- Abb. 4 und 5 Zungenende am 31.8.1988. Der Wasseraustritt an der Ostseite ist weiter zurückversetzt mit ausgeweitetem ursachten polare Nordwest- bis Nordwinde auf der Alpennordseite hochwinterliche Verhältnisse mit strenger Kälte ( zeitweise bis 6 Grad unter normal ) und Schnee bis in die Niederungen. Häufige und ergiebige Niederschläge in der zweiten Märzhälfte, verursacht durch milde, von stürmischen West- bis Nordwestwinden zugeführte Meeresluft, brachten dem Alpengebiet mit Ausnahme der Südseite überaus grossen Schneezuwachs und zahlreiche, zum Teil ungewöhnliche Lawinenabgänge mit Schadenfolgen ( u.a. Zerstörung der Cabane de Panossière ). Entsprechend der Niederschlagsverteilung wurde die grösste Schneehöhe des Winters in südlichen Gebieten und in tiefen Lagen der Westalpen Anfang oder Mitte März, sonst durchwegs Ende März oder Anfang April gemessen. Bei übernormal warmen Temperaturen war es im April allgemein sehr trocken, im Mai im Süden und Westen sehr nass. In den tiefen und mittleren La- niederem Torgewölbe ( Abb.4 ). Hingegen ist die steile Eiswand an der Westseite kräftig vorgerückt ( Abb. 5 ).
gen ging die Schneeschmelze rasch vonstatten. Mitte Mai waren nur hochgelegene Stationen noch nicht ausgeapert. Diese erhielten wie die Gletscherregionen anfangs Juni nochmals erheblichen Schneezuwachs. Um die Monatsmitte wurden Trübsee ( 1800 m ) und Gütsch ( 2287 m ) schneefrei. Auf Weissfluhjoch ( 2540 m ) hielt sich die Winterschneedecke bis am 11. Juli, auf dem Säntis ( 2500 m ) bis am 13. August.
Sommer 1988 Nach dem kalten und nassen Monatsanfang blieb der Juni mehrheitlich trocken und warm. Im Berichtsjahr ist er der einzige Sommermonat mit ( leicht ) unternormalem Temperaturmittel. Trotz Kälteeinbrüchen um Mitte Juli, Ende August, Anfang und Mitte September war es in allen diesen Monaten deutlich wärmer als normal. Vom 18. Juli bis 20. August lag die Nullgradisotherme fast dauernd auf 4000 m Meereshöhe, oft deutlich darüber. In dieser Zeit wie auch schon in der zweiten Hälfte Juni war die Gletscherschmelze über- mässig wirksam, nach Mitte August blieb sie bis Anfang Oktober in normalem Rahmen. Die Niederschlagsmengen wichen von Juni bis September in allen Monaten und in den meisten Gebieten wenig vom Normalwert ab. Ein Kälteeinbruch, erzeugt durch einfliessende Polarluft bei starker Westströmung mit zeitweise stürmischen Winden, brachte am 8. Oktober Schneefall bis in die Alpentäler. Damit ging die Schmelzperiode 1988 und ebenso das Haushaltsjahr 1987/88 im vergletscherten Gebiet unvermittelt und überall gleichzeitig zu Ende. Reichliche Niederschläge in der ersten Oktoberhälfte lieferten der Alpennordseite bereits die normale Monatsmenge und bildeten erste, zum Teil beträchtliche Rücklagen für das folgende Haushaltsjahr. In den trockenen Wärmeperioden der zweiten Oktober- und der ersten Novemberhälfte kam die Schmelze teilweise wieder in Gang. Das unvergletscherte Gebiet aperte wie in den Vorjahren grossen- teils nochmals aus, bevor sich von Mitte November an die Winterschneedecke ausbreitete.
Gletscherveränderungen Gletscher sind räumliche, den Gesteinsformationen vergleichbare Gebilde, deren äussere Abmessungen bestimmt sind durch die klimatischen Gegebenheiten des Berichtsjahrs und der vorangegangenen Jahre bis Jahrzehnte und Jahrhunderte. Klimaveränderungen wirken sich im Rahmen der jahreszeitlichen Schwankungen unmittelbar und unverzüglich, im Rahmen der längerfristigen jährlichen bis säkularen Schwankungen mittelbar und mehr oder weniger verzögert auf Grösse und Form ( d.h. auf Länge, Breite, Dicke, Flä-chen-, Raum- und Masseninhalt, Gestalt und Gliederung ) der Gletscher aus. Die unmittelbaren Einflüsse werden auf einzelnen Glet- Tabelle 1 Längenänderung der Gletscher 1985/86 bis 1987/88 - Zusammenfassung Klassen Anzahl Gletscher und Prozentanteil der Klassen 1985/86 1986/87 Anzahl Prozent Anzahl Prozent 1987/88 Anzahl Prozent Beobachtungsnetz 120 120 120 nicht beobachtet 6 11 12'beobachtet 114 109 108 nicht klassiert 0 3 12 Stichprobe 114 100.0 106 100.0 107 100.0 im Vorstoss 42 36.8 35 33.0 27 3 25.2 stationär 9 7.9 13 12.3 64 5.6 im Rückzug 63 55.3 58 54.7 745 69.2 Durchschnittliche Längenänderung Mittelwert -2.7 m -6.4 m -5.1 m Anzahl Werte 102 94 896 Klassierung: Den Klassen sind im Berichtsjahr folgende, durch ihre Nummer aus der Tabelle 2 bezeichnete Gletscher zugeordnet:
1 23 33 46 71 72 74 82 110 112 113 115 116 2 118 3 2 4 11 13 15 17 18 19 22 25 28 30 41 42 45 49 53 55 58 70 73 94 96 104 105 108 109 4 10 20 38 56 69 78 5 1 3 5 6 7 8 9 12 14 16 21 24 26 27 29 31 32 34 35 36 37 39 40 43 44 47 48 50 51 52 54 57 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 75 76 77 79 80 81 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93 95 97 98 99 100 101 102 103 106 107 111 114 117 119 120 6 Für die Berechnung der mittleren Längenänderung sind die Ergebnisse von 18 Gletschern nicht berücksichtigt aus folgenden Gründen:
-Zahlenwert gilt für 2 Jahre: 34 36 75 99 100 102 103Einwirkung eines künstlichen Sees: 3 50; -keine Zahlenangabe: 29 30 49 55 58 106 107 108 114.
schern als Schnee- und Firnzuwachs, Firn-und Eisabtrag in der Regel jährlich, zum Teil halbjährlich erfasst. In der Haushaltsrechnung oder Massenbilanz werden sie gegeneinander aufgerechnet und ergeben die jährliche Massenänderung. Die Gletscherbewegung, zusammengesetzt aus Verformung ( Fliessen ) und Gleiten des Eises, führt die Überschüsse aus dem Nährgebiet ab und verteilt sie im Zehrgebiet. Bei diesem Vorgang überlagern sich die witterungsbedingten kurzfristigen Einflüsse und die klimabedingten, im Bewegungsablauf langfristig nachwirkenden Einflüsse in komplexer Weise, auf die hier nicht eingegangen wird. Das Zusammenspiel von Gletscherbewegung und Massenänderung bestimmt die geometrischen Abmessungen des Gletschers und deren Veränderungen. Eine betreffende Bilanz ergibt die Längen-, Breiten-oder Dickenänderung je nachdem, ob in Richtung der Längs-, Quer- oder Lotachse des Gletschers gemessen wird. Die nachstehen- den Ausführungen beschränken sich auf kurze Kommentare zum Massenhaushalt und zur Gletscherbewegung. Die geometrischen Veränderungen sind anhand der beobachteten Längenänderungen etwas ausführlicher behandelt, mit Zahlen belegt ( Tab. 1 und 2 ) und graphisch dargestellt ( Fig. 3 und 4 ).
Massenhaushalt Massgebend für den Massenhaushalt der Gletscher im Berichtsjahr sind im wesentlichen der Schneezuwachs im März, der späte Beginn der Schneeschmelze im Hochgebirge, die langen Wärmeperioden mit sehr intensiver Schmelzung im Hochsommer, die seltenen und kurzen Unterbrüche der Schmelzung durch Kälteperioden. Bei allen beobachteten Gletschern ist im Sommer 1988 mehr Masse abgetragen worden, als im vorangegangenen Winter zugelegt worden war. Entsprechend dem Verhältnis zwischen dem ungleichmässig verteilten überdurchschnittlichen Schneezuwachs und der allgemein überaus starken Abschmelzung sind im Süden grössere, im Norden kleinere Mengen älterer Rücklagen aufge- Tabelle 2 Längenänderung der Gletscher in den Schweizer Alpen 1987/88 Nr.
a ) Gletscher Kt. b ) Längenänderung in Metern 1986/87 1987/88 c ) c ) Höhe m ü. M.
1988 Messdatum Tag, Monat 1986 1987 1988 Einzugsgebiet der Rhone ( II ) 1 Rhone VS + 8.8 - 19 2123 13. 8.
19. 8.
16. 9.
2« Mutt VS 0.5 + 1.9 2582 13. 8.
19. 8.
17. 9.
3« Gries VS + 1.0 _ g 2384.5 23. 9.
1.10.
21. 9.
4« Fiescher VS - 10.8 + 16.6 1668.6 13.10.
5. 9.
31. 8.
5« Grosser Aletsch VS - 21.8 - 12.3 1546.7 12.10.
31.10.
5.11.
106« Mittelaletsch VS — X — X 2253.086 2.10.
7. 9.
5. 8.
6« Oberaletsch VS - 6.2 5.6 2141.9 12.10.
1.11.
6.11.
7« Kaltwasser VS - 32.3 - 3.8 2640 23. 9.
30. 9.
8. 9.
8« Tälliboden VS - 33.0 - 16.4 2629.7 3.10.
29. 9.
29. 9.
9« Ofental VS - 120.3 - 197.2 2666.8 3.10.
29. 9.
28. 9.
10« Schwarzberg VS - 0.8 0 2644.6 1.10.
29. 9.
1.10.
11« Allalin VS 8.4 + 21.7 2207.1 23. 9.
29. 9.
17.11.
12« Kessjen VS - 21.3 7.4 2868.4 1.10.
30. 9.
5.10.
13 Fee ( Nord ) VS + 80.8 2 4- 86.7 1930 23. 9.
4.11.
8.11.
14« Gorner VS - 33.8 2 - 19 208387 19.10.
3.11.
9.10.
15« Zmutt VS 3.0 + 10 2242 22. 7.
18. 8.
15. 9.
16« Findelen VS - 13.1 - 15.22 2483.9 19.10.
1.10.
12.11.
107« Bis VS — X — X - 11. 9.
1.10.
22. 9.
17« Ried VS + 0.4 + 4.6 2054.6 27. 9.
28. 9.
30. 9.
18« Lang VS + 9 + 31 2025 22.10.
1.10.
2.10.
19« Turtmann ( West ) VS 2.6 + 1.7 2261 30. 9.
7.10.
13.10.
20« Brunegg ( Turtm. Ost ) VS + 3.6 + 0.4 2452 30. 9.
7.10.
13.10.
21« Bella Tola VS - 1.8 8.2 - 20. 9.
17. 9.
23. 9.
22 Zinal VS - 24.7 + 3.7 2030 3.10.
3.10.
20. 9.
23 Moming VS - 15.0 n 238087 3.10.
3.10.
n 24 Moiry VS - 1.5 - 7.2 239083 13.10.
19.10.
29.10.
25 Ferpècle VS + 4.2 + 5.6 209583 5.10.
27. 9.
15.10.
26« Mont Miné VS + 13.8 - 8.0 196383 5.10.
27. 9.
15.10.
27 Arolla ( Mt. Collon ) VS + 4.1 3.0 213583 5.10.
27. 9.
15.10.
28« Tsidjiore Nouve VS + 5 + 7.0 220583 5.10.
27. 9.
15.10.
29« Cheillon VS - 23.7 X5 263083 28. 9.
4.10.
9. 8.
30« En Darrey VS — X + X5 249083 29. 9.
3.10.
9. 8.
31 Grand Désert VS - 20.2 - 9.8 275583 12.10.
1.11.
24. 9.
32 Mont Fort ( Tortin ) VS - 21.5 - 11.7 269583 12.10.
1.11.
8.10.
33 Tsanfleuron VS - 5.2 n 241769 10.10.
19.10.
n 34« Otemma VS sn - 49.72 243083 1.10.
19.10.
21. 9.
35 "
Mont Durand VS 5 - 28 229083 30. 9.
19.10.
22. 9.
36« Breney VS sn - 10.22 257582 30. 9.
19.10.
21. 9.
37« Giétro VS 4.1 1.6 2480 ca.
11. 9.
29. 9.
22. 9.
38« Corbassière VS + 18 0 2169 10. 9.
12. 9.
12. 9.
39 Valsorey VS 0.0 - 1.0 2395 6.10.
9.10.
18.10.
40 Tseudet VS 0.0 - 1.0 2423 6.10.
9.10.
18.10.
41« Boveyre VS + 6.5 + 4.0 2595 5.10.
9.10.
18.10.
42 e Saleina VS + 5.0 + 5.0 1696 6.10.
20.10.
14.10.
108« Orny VS n + X6 — n n 27. 9.
43 "
Trient VS + 4 - 10 1751 2. 9.
14. 8.
16.10.
44 "
Paneyrosse VD + 5.0 - 3.6 — 1.10.
20.10.
26. 9.
45« Grand Plan Névé VD - 2.0 + 15.6 — 29. 9.
19. 9.
27. 9.
Nr. a ) Gletscher Kt. Längenänderun in Metern 1986/87 b ) c ) g 1987/88 c ) Höhe m ü M.
n n 47« Sex Rouge VD + 6.4 - 8.4 — 24. 9.
18.10.
27.10.
48 e Prapio VD + 10.5 - 12ca.
— 18.10.
25.10.
30.10.
49« Pierredar VD + X + X — 7. 8.
11. 9.
5. 8.
Einzugsgebiet der Aare ( la ) 50e Oberaar BE - 4.9 - 21.4 2299.9 5. 9.
29. 8.
21. 9.
51« Unteraar BE - 11.5 - 10.0 1912.6 5. 9.
29. 8.
21. 9.
52« Gauli BE + 8 - 6 2200 ca.
30. 9.
25.10.
29. 9.
53« Stein BE + 5 + 5.5 1934 23. 9.
27. 9.
21. 9.
54« Steinlimmi BE - 2 - 2 2092 23. 9.
27. 9.
21. 9.
55« Trift ( Gadmen ) BE + X + X 167080 15. 8.
7. 9.
5. 8.
56« Rosenlaui BE St St 1860 ca.
15. 8.
10. 9.
5. 8.
57« Oberer Grindelwald BE + 16 _ 2 1225 ca.
16.11.
12.11.
29.10.
58« Unterer Grindelwald BE + X + X 1090 ca.
28.10.
28.10.
26.10.
59« Eiger BE - 6.3 - 10.7 2115 25. 9.
17. 9.
20. 9.
60 e Tschingel BE + 5.6 - 1.5 2265 26. 9.
18. 9.
27. 9.
61 Gamchi BE + 1.9 - 3.5 1990 27. 9.
5.10.
28. 9.
109« Alpetli BE - 1.4 + 4.4 2250 8. 9.
19. 9.
21. 9.
110 Lötschberg BE n n — 23. 9.
n n 62« Schwarz VS - 38.0 - 7.5 222087 25. 9.
22. 9.
27. 9.
63« Lämmern VS - 0.3 - 4.7 2520 25. 9.
23. 9.
28. 9.
64« Blümlisalp BE + 2.1 - 2.3 2200 18. 9.
12. 9.
20. 9.
111« Ammerten BE - 3.5 - 1.9 2345 ca.
28. 9.
11.10.
17.10.
65« Rätzli BE - 16 - 34 2410 3.10.
20.10.
31.10.
112 Dungel BE n n — n n n 113 Gelten BE n n — n n n Einzugsgebiet der Reuss ( Ib ) 66« Tiefen UR - 3.7 - 6.4 2500 23. 9.
25. 9.
28. 9.
67 e Sankt Anna UR 0 - 1.9 256575 24. 9.
25. 9.
21. 9.
68« Kehlen UR + 9.5 - 2.0 2078 16. 9.
22. 9.
21. 9.
69« Rotfirn ( Nord ) UR - 3.5 - 0.8 2031 16. 9.
22. 9.
21. 9.
70 e Damma UR + 1.7 + 5.9 2044 M 23.10.
26. 9.
21. 9.
71« Wallenbur UR + 6 n — 15.10.
5.10.
n 72 Brunni UR n n — n n n 73« Hüfi UR - 23 + 24.5 1640 23. 9.
20.10.
22. 9.
74 e Griess UR + 11 n — 22. 9.
1.10.
n 75« Firnalpeli ( Ost ) OW + X - 10.02 2160 23. 9.
31. 8.
3.10.
76« Griessen OW 0 - 1.5 255087 9.10.
18.10.
5.10.
Einzugsgebiet der Linth/Limmat ( Ic ) 77« Biferten GL + 0.4 - 1.0 1900.8 16. 9.
28729.9 3.10.
78« Limmern GL - 1.4 St — 1. 9.
14. 9.
28. 9.
114« Plattalva GL + X - X — 29. 9.
14. 9.
28. 9.
79« Sulz GL - 3.8 - 3.2 1785 13.10.
6.11.
29.10.
80« Glärnisch GL 0.0 - 4.0 2293.5 22. 9.
20. 8.
15.10.
81e Pizol SG + 13.5 - 16.7 2600 18. 9.
22. 9.
5.10.
Nr. a ) Gletscher Kt b ) Längenänderung in Metern 1986/87 1987/88 e ) e ) Höhe m ü. M.
1988 Messdatum Tag, Monat 1986 1987 1988 Einzugsgebiet des Rheins/Bodensees ( Id ) 82 Lavaz GR - 53.2 n 1.10.
8. 9.
n 83« Punteglias GR - 9 - 23 2350 24.10.
23.10.
27.10.
84« Lenta GR - 24.3 - 11.2 2310 22. 9.
2.10.
24.10.
85« Vorab GR - 3.2 - 13.4 — 13. 9.
21. 9.
21. 9.
86« Paradies GR - 8.5 - 20.6 2398 16. 9.
10. 9.
26. 9.
87 e Suretta GR - 77.6 - 33.2 2210.5 12. 9.
16. 9.
11. 9.
115 Scaletta GR n n — n n n 88« Porchabella GR - 6.8 - 7.2 2638.6 15.10.
21.10.
17.10.
89« Verstankla GR - 0.5 - 5.5 2390 3. 9.
3. 9.
1. 9.
90« Suvretta GR - 2.8 - 7.8 2437.9 10. 9.
17. 9.
27. 9.
91« Sardona SG + 4.4 - 5.4 2500 13. 9.
18. 9.
27. 9.
Einzugsgebiet des Inns ( V ) 92e Roseg GR - 13 - 9.2 2160 16.10.
4.10.
18.10.
93 e Tschierva GR + 0.8 - 20.8 2140 16.10.
4.10.
18.10.
94« Morteratsch GR - 9 + 2.4 2000 16./17.10. 6.10.
16.10.
95« Calderas GR - 11 - 10.1 2720 22.10.
4.10.
17.10.
96« Tiatscha GR - 2 + 4 2500 28. 9.
17.10.
2.10.
97 e Sesvenna GR - 6.4 - 5.7 2750 25. 9.
18. 9.
25. 9.
98 e Lischana GR - 7.8 - 6.2 2745 7. 9.
29. 9.
29. 9.
Einzugsgebiet der Adda ( IV ) 99e Cambrena GR ?st - 14.52 2519 11.10.
1.11.
1.10.
100« Palü GR n - 6.82 — 30.10.
n 18.11.
101e Paradisino ( Campo ) GR - 14 - 12 2825 4.10.
27. 9.
9.10.
102e Forno GR n - 55.82 2240 15.10.
n 26.10.
116 Albigna GR n n — n n n Einzugsgebiet des Tessins ( III ) 120e Corno TI + 2.3 - 1.5 2570 11. 9.
15. 9.
6. 9.
117 Valleggia TI - 2.0 - 3.4 2420 8. 9.
16. 9.
28. 9.
118e Val Torta TI - 3.6 sn 252087 8. 9.
16. 9.
28. 9.
103e Bresciana TI n - 18.82 2720 22. 9.
n 29. 9.
119e Cavagnoli TI - 10 - 15.4 2560 18. 9.
24. 9.
21. 9.
104« Basòdino TI - 7.3 + 3.0 2520 5.10.
24. 9.
20. 9.
105e Rossboden VS + 7.3 + 16.0 1950 1.10.
19.10.
6.10.
Abkürzungen + im Vorstoss st stationär — im Rückzug Allgemeine Bemerkungen a In Tabelle 1 und Figur 3 des vorliegenden Berichts sind die Gletscher mit ihrer Nummer aus dieser Tabelle bezeichnet.
b Liegt ein Gletscher auf Gebiet mehr als eines Kantons, ist der Kanton angegeben, in dem sich das beobachtete Zungenende befindet.
c Gilt die Angabe für eine mehrjährige Zeitspanne, ist die Zahl der Jahre folgenderweise angezeigt: — 13.42 = Schwund um 13.4 Meter in 2 Jahren.
d Ist die Höhenkote des Zungenendes oder des Gletschertors nicht im Berichtsjahr gemessen, ist das Jahr der Messung folgenderweise angezeigt: 2253.086 = Meereshöhe 2253.0 Meter, gemessen im Jahr 1986.
e Eine Bemerkung mit der Nummer dieses Gletschers wird im vollständigen 109. Bericht der Gletscherkommission veröffentlicht.
ca. ungefährer Wert x Betrag nicht bestimmt sn eingeschneit unsichere Angabe nicht eingeschneit Abb.6 und 7 Grosser Aletschgletscher: Dieser grösste Gletscher der Alpen stösst noch nicht vor. Das Zungenende am 5.11.1988. Die schuttbedeckte Eiszunge endet rund 100 m hinter den Wasserfällen am Eingang der Massaschlucht ( Abb. 7 ). Schwach ausgeprägte Schuttwälle ( Wintermoränen ) im flachen Vorgelände deuten an, wie der Schwund seit 1986 von Jahr zu Jahr nachgelassen hat. Abge-senkte Lamellen aus massivem ( nicht ver-stürztem ) Eis versperren das hausförmige Gletschertor ( Abb. 6 ); Grössenmass: mannshoher Personenschatten.
braucht worden. Am Griesgletscher z.B. ist Anfang Juni ein Schneezuwachs von 3,6 m Schichtdicke ( Wasserwert 185 cm ) gemessen worden, rund 60 Prozent mehr als im Durchschnitt der 27 Winter seit 1961. Die Jahresbilanz über ( Netto ) Zuwachs im Nährgebiet und ( Netto ) Abtrag im Zehrgebiet vom Herbst 1987 zum Herbst 1988 ergibt einen Massenschwund um rund 8 Mio. m3 Eis, oder - umgerechnet - eine durchschnittliche Dickenabnahme um rund 1,2 m Schichtdicke ( Wasserwert 109 cm ). Der mittlere jährliche Schwund seit 1961 entspricht einer Dickenabnahme um rund 0,21 m/Jahr ( Wasserwert 19 cm/Jahr ). In dieser Messreihe sind nur drei Jahre mit ähnlich starkem Schwund zu finden ( 1971: 104 cm, 1973: 106 cm und 1976: 102 cm Wasserwert ). Bei den Haushaltsgletschern des nördlichen Alpengebiets ( Aletsch, Limmern, Plattalva, Silvretta ) ergab die Jahresbilanz durchwegs Massenverluste wesentlich geringeren Ausmasses ( 20-30 cm Wasserwert ). Aus Berechnungen über den täglichen Wasserhaushalt im Einzugsgebiet der Massa, dessen Fläche zu rund zwei Dritteln durch die Aletschgletscher belegt ist, geht hervor, dass die Dauer der winterlichen Zuwachsperiode ( 245 Tage ) wie die der sommerlichen Schwundperiode ( 119 Tage ) und die des Haushaltsjahrs ( 364 Tage ) von den Normalwerten der Periode 1931/87 wenig abweicht. Die zugehörigen Termine ( 10. Oktober 1987, 11. Juni und 8. Oktober 1988 ) sind mehr oder weniger verspätet: 5 Tage im Herbst 1987, 10 Tage im Frühling und 3 Tage im Herbst 1988. Eine Besonderheit des Berichtsjahrs, abgesehen vom allgemein sehr grossen, durch übernormalen Zuwachs im Winter und weit übernormalen Schwund im Sommer bewirkten Massenumsatz, ist bei einzelnen Gletschern das Auftreten ungewöhnlicher Schneeumlagerungen durch die Lawinen im Frühjahr.
Gletscherbewegung Die Fliessgeschwindigkeit des Eises ist innerhalb eines Gletschers von Ort zu Ort verschieden. Auf dem Grossen Aletschgletscher z.B. nimmt sie von 30 m/Jahr im Firnbecken unterhalb Jungfraujoch zu auf 200 m/Jahr am Ausfluss des Konkordiaplatzes. Von dort an sinkt sie talwärts allmählich ab auf etwa 60 m/ Jahr beim Silbersand und 10-20 m/Jahr am Zungenende. Den örtlichen Geschwindigkeitsschwankungen überlagert sind die witterungs- bedingten stündlichen bis jahreszeitlichen und die klimabedingten jährlichen bis mehrjährlichen Schwankungen. Wiederholte Geschwindigkeitsmessungen an stets derselben Stelle bringen diese zeitlichen Schwankungen zum Vorschein. Die jährlich wiederholten Messungen an zahlreichen Stellen auf verschiedenen Gletschern zeigen, dass während der letzten Vorstossperiode meistenorts und mehr oder weniger gleichzeitig ( d.h. innerhalb von 2-3 Jahren ) zwei Beschleunigungsphasen von mehrjähriger Dauer aufgetreten sind. In der ersten, meist weniger markanten von 1965 bis 1970 haben die Geschwindigkeiten um rund 10 Prozent, in der zweiten, meist wesentlich stärker ausgeprägten von 1977 bis 1981 um 40-50 Prozent, in einzelnen Fällen ( z.B. Corbassière und Giétro ) bis 75 Prozent zugenommen. Seither hat sich die Bewegung durchwegs von Jahr zu Jahr mehr oder weniger regelmässig verlangsamt. Im Berichtsjahr sind meistenorts ähnlich kleine Geschwindigkeiten gemessen worden wie die Minimalwerte vor oder zwischen den Beschleunigungsphasen.
Längenänderung Die Änderung der Länge eines Gletschers ist zumeist mit einfacheren und weniger aufwendigen Messmethoden erfassbar als die Veränderung der übrigen Abmessungen. Da sie gewöhnlich wesentlich grösser ist als etwa die Dickenänderung, erfordert ihre Bestimmung auch eine weniger hohe Messgenauigkeit. Schwierigkeiten ergeben sich - wie jeder Beobachter weiss - dennoch in vielfacher Weise, wie etwa bei schnee- oder schuttbe-decktem Gletscherrand, durch Steinschlag, Eisstürze und andere Gefahren oder mancherlei weitere Mühseligkeiten, die sich dem Beobachter im Gelände, dem Berichterstatter in der Schreibstube in den Weg stellen. Es ist das Verdienst ungezählter und grossenteils ungenannter Mitarbeiter aus allen Sprachregionen, dass in der Schweiz seit über hundert Jahren Beobachtungsdaten über die Längenänderung der Gletscher an einem Messnetz systematisch und in genügender Menge erhoben werden, um sie als Richtmass für die Gletscherveränderungen im allgemeinen ausgeben zu dürfen. Gegenwärtig umfasst das Messnetz 120 Gletscher, deren Längenänderung meistenfalls jährlich, in 7 Fällen mehrjährlich ermittelt wird. Im Herbst 1988 sind 108 Netzgletscher erfasst worden, die mit einer Ausnahme ein statistisch verwertbares Ergebnis geliefert haben. Die Ergebnisse des 109. Beobachtungsjahrs sind in Tabelle 1 zusam- Abb. 8 und 10 Schlauchwinde mit Motorantrieb ( Abb. 8 ) und automatisch, durch Messung der Auslenkkraft am Bohrschlauch geregelter Bremse ( Abb. 10 ). Sie gewährleistet beim Bohren mit Heisswasser-strahl einen gleichmässigen Lochdurchmesser und optimale Schnelligkeit ( bis 250 m/Stunde in den obersten 100 m, dann mit zunehmender Tiefe exponentiell abnehmend ); dies bei einem Bohrlochdurchmesser von 11-12 cm.
Abb. 9 Gartenschwimmbecken in seltsamer Umgebung: bei Tiefbohrungen als Wasserspeicher und zum Schneeschmelzen zweckentfremdet mengefasst und mit den Ergebnissen der beiden vorangehenden Jahre verglichen, in Tabelle 2 zusammen mit dem Vorjahresergebnis für alle Netzgletscher einzeln aufgeführt. Figur 3 gibt als Ergänzung zu Tabelle 2 eine geographische Übersicht für das Berichtsjahr. In Figur 4 sind die Hauptergebnisse aus Tabelle 1 eingefügt in die Reihe der 98 Jahresstatistiken seit 1891.
Verschiedene Anzeichen sprechen dafür, dass die jüngste Wachstums- und Vorstossperiode der Gletscher in den Schweizer Alpen mit dem Berichtsjahr zu Ende gegangen ist. Seit 1984 ist der Anteil der wachsenden Gletscher von Jahr zu Jahr geringer, der Anteil der schwindenden entsprechend grösser geworden. Im Berichtsjahr ist der Anteil der wachsenden auf rund 25 Prozent gesunken, der Anteil der schwindenden auf rund 70 Prozent gestiegen, d.h. auf Werte, die seit 1976 stets deutlich übertroffen bzw. unterschritten worden sind. Einzelne Gletscher, die während der letzten zwei bis drei Jahrzehnte dauernd vorrückten, sind 1988 erstmals wieder kürzer geworden ( z.B. Trient, Oberer Grindelwald, Eiger, Kehlen, Tschierva ). Dabei hat sich - wie auch an weiteren Gletschern - die aufgewölbte Zungenstirn abgeflacht und am Bachaustritt ein Gletschertor geöffnet. Im Gegensatz dazu sind mehrere grosse Gletscher trotz der starken Schmelzung vorgestossen. Dazu gehört neben anderen, die bisher nur in einem einzelnen Jahr vorgerückt waren oder erst seit wenigen Jahren vorstossen ( z.B. Oberaletsch, Abb. 11 und 12 Jakobshavn Gletscher ( Westgrönland ): Von zahlreichen Schmelzwasserbächen durchflossenes spalten-freies Gebiet ( Abb. 12 Vogelschau, Abb. 11 Ansicht ) in Gletschermitte, 45 km hinter der Kalbungsfront. Dort hat eine Glaziologengruppe im Sommer 1988 ( ebenso 1989 ) im Rahmen eines gemeinsamen Forschungsprojekts der VAW/ETHZ mit der University of Alaska Bohrlöcher abgetieft, um Aufschluss zu erhalten über Fliessverhalten und Temperaturen des Eises im Innern des Gletschers und über die Bedingungen am Gletscherbett. Die tiefste Bohrung der Kampagne 1988 hat in 13 Stunden 1300 m erreicht.
Echolotungen mittels seismischer, durch Sprengungen in 2-3 m tiefen Bohrlöchern künstlich erzeugter Erschütterungen ergaben, dass das Eis in Gletschermitte etwa 2500 m dick ist, rund 1000 m dicker als erwartet. Im Sommer 1989 ist das Gletscherbett am Rand des subglazialen Tal-trogs in Tiefen zwischen 1500 und 1630 m erbohrt worden.
Zmutt, Ried, Zinal, Unterer Grindelwald, Morteratsch ), auch der Fiescher als drittgrösster Alpengletscher.
Bei der Interpretation der dargestellten Zeitreihe der Längenänderungen ( Fig.4 ) ist stets zu bedenken, dass diese Statistik auf den rein qualitativen Merkmalen ( Zuwachs - keine Änderung - Schwund ) beruht. Sie bringt die langfristige, seit der Mitte des letzten Jahrhunderts andauernde Schwundtendenz der Gletscher nur mittelbar zum Ausdruck. Zählt man jedoch die jährlich bestimmten Zahlenwerte zusammen, seien dies die Jahreswerte der einzelnen Gletscher oder der Jahresdurchschnitt der Stichprobe, zeigt sich in jedem Fall, dass der Längenzuwachs in der jüngsten Vorstossperiode die Längeneinbusse in der vorangehenden Schwundperiode nur teilweise ausgeglichen hat, bestenfalls zu rund zwei Dritteln ( Trient ), in den meisten Fällen weit weniger als zur Hälfte. Ähnliches gilt für die früheren Vorstösse, die um 1890 und 1920 stattgefunden haben. Wie jene hat der jüngste, eben zu Ende gegangene Vorstoss den langfristigen Gletscherschwund keineswegs beendet, sondern lediglich unterbrochen. Im Durchschnitt der letzten 100 Jahre sind die gemessenen Gletscher um rund 7,5 m/Jahr kürzer geworden. In den beiden letzten Jahren ist dieser Durchschnittswert nahezu wieder erreicht worden ( vgl. Tab. 1 ), nachdem seit 1977 in den meisten Jahren ein durchschnittlicher Zuwachs, in den übrigen lediglich geringer Schwund zu verzeichnen war.
Zusammenfassung Im Herbst 1988 ist im Rahmen der jährlichen Erhebungen über die Veränderungen der Gletscher in den Schweizer Alpen die Längenänderung an 107 Gletscherzungen bestimmt worden. Davon sind 27 vorgerückt, 74 zurückgeschmolzen, 6 stationär geblieben. Mit diesem Ergebnis erweist sich das Berichtsjahr als ausgesprochenes Schwundjahr. Untersuchungen über den Massenhaushalt einzelner Glet- Figur 1 Witterung 1987/88 an einigen Stationen der SMA a ) Jungfraujoch ( ANETZ ) 3580 m ü.M. Lufttemperatur-Tagesmittel ( in °C ) -30 b ) Säntis ( ANETZ ) 2490 m ü. M.
Niederschlag Tagesmenge ( in mir i
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c ) Payerne ( Radiosonde ) 490 m ü.M.
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Nov. | Dez. | Jan. Feb. März April' Mai'Juni Juli Aug.
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100 50 5000 4000 3000 2000 1000 491 0 Figur 2 Abweichung der Jahresniederschläge 1987/88 und der Sommertemperaturen vom Zentralwert der Bezugsperiode 1901-60 a ) Jahresniederschläge 1987/88 Summe der Niederschläge vom I. Oktober 1987 bis 30. September 1988 N10-9 1987/88, J46* NWertung der Klassen:
KlasseJahresniederschlag + 2sehr gross +1gross 0normal — 1klein -2sehr klein Figur 3 Die Gletscher der Schweizer Alpen Lageänderung der Zungenenden 1988 Legende:
Vorstoss ® stationär 1988 b ) Sommertemperaturen 1988 Durchschnittliche Lufttemperatur vom I. Mai bis 30. September 1988 Wertung der Klassen:
KlasseSommertemperatur + 2sehr warm + 1warm 0normal -1kalt -2sehr kalt @ nicht beobachtet © Rückzug © unbestimmt Figur 4 Längenänderung der Gletscher in den Schweizer Alpen 1890/91 bis 1987/88 a ) Prozentanteile der wachsenden und der schwindenden Gletscher 100 b ) Anzahl beobachtete Gletschero o o O OM o co
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CD 1890/ 1899/ 1909/ 1919/ 1929/ 1939/ 1949/ 1959/ 1969 1979 1989 150i 100 I,
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Abb. 13 Glacier de Corbassière: Tiefensondierungen. Echolotungen mittels Radar, ausgeführt im Mai 1988 durch Glaziologen der vaw/ethz im Auftrag der Kraftwerke Mauvoisin, zeigten an, dass der Gletscher im Bereich der Panossière-hütte ein 200-250 m tiefes Trogtal und weiter unten ( nicht mehr im Bild ) bei Tsessette ein fast ebenso tiefes Kerbtal durchfliesst.
13 scher bestätigen und ergänzen diesen Befund: In den südlichen Regionen ist die Gletschermasse viel mehr als normal, in den nördlichen Regionen mässig, etwa gleich viel wie im langjährigen Durchschnitt, vermindert worden. Der Schwund ist zurückzuführen auf ausserordentlich intensive Schmelzung, die während langer Wärmeperioden im Hochsommer auch in den höchstgelegenen Teilen der Gletscher sehr wirksam war. Überdurchschnittlich grosser Schneezuwachs im März und Anfang Juni verzögerte den Beginn der Schmelzperiode und verhinderte noch grössere Massenverluste, wie sie nach dem milden und zeitweise schneearmen Winter zu erwarten waren.
Schlussfolgerungen Mehrere aufeinanderfolgende Jahre mit mildem Winter, schneereichem Frühjahr und langen Wärmeperioden im Sommer haben dem Gletscherwachstum, das in den kühlen, niederschlagsreichen Jahren von 1965 bis 1970 nach einer langjährigen Schwundperiode einsetzte, in den extrem niederschlagsreichen Jahren von 1977 bis 1981 nach einer kurzen Schwundperiode zunahm und zu einem allgemeinen Gletschervorstoss führte, ein Ende gesetzt. In vergleichbarem mehrjährigem Rhythmus hat sich die Gletscherbewegung in den Wachstumsperioden beschleunigt auf Maximalgeschwindigkeiten um 1970 und um 1980, in den Schwundperioden verlangsamt auf Minimalgeschwindigkeiten um 1977 und 1988. Nachlassender Eiszufluss zu den Gletscherzungen und verstärkte Abschmelzung in den letzten Jahren haben das Längenwachstum der Gletscher vielfach zum Stillstand gebracht, zum Teil bereits wieder rückgängig gemacht. Dies gilt vor allem für kleine bis mittelgrosse und steile Gletscher, die rascher auf Klimaveränderungen reagieren als grosse und flache. Bei solchen hat - im Sinne der längeren Reaktionszeit — das Längenwachstum in einigen Fällen erst in jüngster Zeit stattgefunden. Bei den grössten steht es - möglicherweise - noch bevor. Der allgemeine Gletschervorstoss jedoch ist vorbei, der allgemeine langfristige Schwund setzt sich nach einem ähnlichen Unterbruch wie letztmals um 1920 weiter fort. Die Stirnmoränen, von denen sich manche Gletscherenden bereits deutlich abgesetzt haben, bleiben als Zeitmarke des jüngsten Gletschervorstosses im Gletschervorfeld hinterlassen.
Verdankungen Die Gletscherkommission ist für die Durchführung ihrer jährlichen Erhebungen angewiesen auf die tatkräftige Unterstützung, die ihr von vielen Seiten regelmässig seit vielen Jahren und Jahrzehnten zuteil wird. Wie alle Jahre ist sie auch im Berichtsjahr vielfältig zu Dank verpflichtet, den sie gerne abstattet, insbesondere für Mitarbeit bei den Feldaufnahmen: dem Forstpersonal der Kantone Bern, Glarus, Graubünden, Obwalden, Sankt Gallen, Uri, Tessin, Waadt und Wallis, dem Personal der Kraftwerke Ägina, Mattmark, Mauvoisin und Oberhasli, den Feldglaziologen der VAW und den privaten Mitarbeitern Y. Biner, J. L. Blanc, H. Boss sen., H. Boss jun., A. Godenzi, Zahl der Jahre mit Längenzuwachs zwischen 1965 und 1988:
Zuwachs-Jahre Anzc ihl Gletscher Gletscher Nr.
0 11 ( 1 ) 5 14 29 34 35 36 51 84 88 95 102 ( 116 ) 1-5 28 ( 11 ) 3 4 6 7 9 12 15 17 22 24 30 31 32 33 50 55 62 63 65 72 74 83 86 92 94 97 103 52 ( 46 101 106 ( 111 112 113 ( 117 119 ) 108 110 ) 115 ) 6-10 26 ( 5 ) 1 8 16 18 19 20 21 23 40 44 45 47 48 49 58 66 78 80 81 82 85 87 90 98 105 54 ( 107 109 114 ( 120 ) 118 ) 11-15 13 10 26 38 39 56 60 67 71 76 89 91 93 96 16-20 20 ( 1 ) 2 11 25 27 28 37 41 53 57 59 61 68 69 70 75 77 79 100 104 73 ( 64 ) 21-23 4 13 42 43 99.
E. Hodel, G. Kappenberger, P. Mercier, W. Wild und R. Zimmermann; Durchführung zahlreicher Vermessungsflüge: dem Bundesamt für Landestopographie und der Eidgenössischen Vermessungsdirektion; Ergebnisse von Forschungsaufträgen: der Leitung der auftraggebenden vorgenannten Kraftwerkgesellschaften und den beauftragten Vermessungsbüros A. Flotron und H. Leupin wie auch den Sachbearbeitern der VAW; Klima-, Schnee-, Abflussdaten: der Schweiz. Meteorologischen Anstalt und ihrem früheren Mitarbeiter G. Gensler, dem Eidg. Institut für Schnee- und Lawinenforschung, namentlich H. Gliott, und der Abteilung Hydrologie am Geographischen Institut der ETHZ, namentlich P. Eugster, der Landeshydrologie und -geologìe; Bearbeitung der Beobachtungsreihe : H. Müller und G. Kappenberger; Betreuung, Bearbeitung und Veröffentlichung der Gletscherbeobachtungen: der Direktion und zahlreichen Mitarbeitern der VAW/ETHZ.
Abb. 14 Glacier de Corbassière: Der Felsriegel am Zungenende wird vom Eis in enger Schlucht durchquert ( rechts im Bild ) oder seitlich überflössen.