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Dreimal die Grasleitenspitze

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

die Grasleitenspitze

f Karl Springenschmid, A-Elsbethen bei Salzburg

Auf dem grünen Almboden im hintersten Tschamintal sitzt der Bibliothekar Doktor Friedrich Kloppke und neben ihm Bergführer Kröll aus Kastelruth.

« Das ist er », sagt der Kröll und deutet mit seinem Pfeifenröhrl völlig senkrecht in die Höhe.

« Wer - er? » fragt Kloppke, beugt das Haupt zurück und starrt nach oben.

« Er, der westliche Grasleitenspitz. » « Hm », meint Kloppke, « imposant! » Für so ein Wort ist der Stoffl Kröll nicht zu haben. Er räuspert sich umständlich, spuckt aus und beginnt dann die Beschreibung:

« I brauch halt für die Wand fünf Pfeifen. Wenn der Herr gut steigt, kommen wir mit vier Pfeifen aus. » « Können Sie mir das nicht in Stunden sagen, Kröll? » meint Friedrich Kloppke.

Der Kröll schüttelt verständnislos den Kopf: « Mit Pfeifen geht es besser. Also die erste Pfeifen -tut der Herr schauendie zünd i beim breiten Band an. Dann kimmt die Schlucht, die enge, pfeilgerade. Nachher - tut der Herr schauen! -nachher kimmt der Felsen, der schwarze, über den das Wasser rinnt, und dann das Geschröf. Dort ist die erste Pfeifen aus. Dann kann der Herr verschnaufen, daweil stopfi mir die zweite Pfeifen. Und jetzt müssen wir hinaus in die freie Wand - » « Sie glauben die senkrechte Wand, östlich jener kleinen Scharte - » « Akkurat die glaub i! Die Wand ist ein bissi unfein. Da darf der Herr keinen falschen Tritt machen. Schön nah beim Felsen bleiben — die Griffe sind gutund nit hinunterschauen. Nachher kimmt das lange Kamindl. Wenn wir aus dem Kamindl aussteigen, kann der Herr verschnau- fen, weil i mir dort die dritte Pfeifen stopfen muss. » « Wieviel Pfeifen sagten Sie? » « Fünfe, hab i gsagt. Es können auch sechse werden, je nach dem. Also bei der dritten Pfeifen bin i blieben. Das ist die heikelste Stelle. Lauter schlechte Tritt, und was man angreift, bleibt einem in der Hand, und von oben her kommt der Steinschlag... » Wie der Kröll mit seiner Beschreibung fertig ist, beginnt Friedrich Kloppke zu sprechen, kurz und bestimmt, wie es seine Art ist.

« Tarif? » « Tarif? » meint der Stoffl Kröll verwundert, « der westliche Grasleitenspitz hat keinen Tarif, Herr. Der geht bloss auf mündliche Vereinbarung! » « Und das wäre? » « I sag halt, Herr, der andere, i mein ', der mittlere Grasleitenspitz mit seinem Fünfzehn-Kro-nen-Tarif der ist gegen den westlichen ein Spaziergang. Da geh i lieber zweimal auf den mittleren als einmal auf den westlichen. » Friedrich Kloppke kann diese umständliche Art der Berechnung nicht leiden. « Das soll also heissen: Dreissig Kronen? » « Dreissig Kronen », nickt der Stoffl Kröll, « das ist für eine Fünfpfeifentour nicht zu wenig! » — Am Abend, wie die anderen Gäste im Speisesaal sitzen, ruft Kloppke über die Tische hinweg zur Küche hin, wo eben der Kröll aufgetaucht ist: « Also, lieber Kröll, es bleibt bei der Grasleitenspitze, aber bei der westlichen! » Da wird es plötzlich andächtig still im Räume.

Westliche Grasleitenspitze? Alles blickt erstaunt von den Tellern auf.

« Wa-as, Herr? » fragt der Stoffl Kröll dumm.

« Es bleibt bei der westlichen! » wiederholt Kloppke, entzückt über die Einfalt seines Bergführers.

Es ist eine sehr sympathische junge, blonde Dame aus Wien da, es sind Leute aus aller Herren Ländern hier, aber nur Leute, die vom Kesselkogel sprechen, vom Schiern, allenfalls von dermittleren Grasleitenspitze. Aber von der westlichen - meine Damespricht nur einer: Friedrich Kloppke.

So herrlich ist das Wetter, dass der Stoffl seinen Herrn schon um 2 Uhr morgens weckt.

Friedrich Kloppke, tief in Polster und Tuchent vergraben, steckt bloss den Kopf hervor und sagt: « Kröll, nun passen Sie mal obacht - » « Es ist sternhell — », beginnt der Kröll.

« Gut », unterbricht ihn Kloppke, « alles in Ordnung. Aber... » « Und nit ein bissi ein Wind geht », setzt der Kröll fort.

« Schon gut », nickt Kloppke, « aber hören Sie! Ich habe mir gestern abends bei dieser dummen Stiege den Fuss verstaucht. » Er reckt einen dünnen, blassen Fuss aus dem Bett. « Sehen Sie, Kröll, hier, gerade hier am Knöchel! Westliche Grasleitenspitze — unmöglich! » Der Stoffl Kröll nimmt den Fuss in beide Hände.

« I find da nix! » sagt er ärgerlich, « ein verstauchter Fuss ist bei uns in Tirol allmal geschwollen. Der da aber... » « Bei uns ist es eben anders », erwidert Kloppke unwirsch. « Ich kann einfach nicht auftreten, Schluss. Aber hören Sie, Kröll, Sie sollen Ihren Tarif trotzdem erhalten. Sie klettern einfach allein durch die Wand, verstehen Sie? und... » « Wieso? » fragt der Kröll mit dummem Gesicht.

« ...und tragen Sie mich in das Gipfelbuch ein. Schreiben Sie bloss: Dr. Friedrich Kloppke, verstehen Sie? » « Das geht nit, Herr! » sagt der Stoffl Kröll nach langem Besinnen.

« Warum soll das nicht gehen? » fährt Kloppke auf. « Hier sehen Sie meine Unterschrift, ganz einfach also. Sie schreiben mich in das Gipfelbuch ein und erhalten dafür den vollen Tarif Ist das etwa nicht generös? » « Na, Herr », meint der Kröll, « das geht nit! » « Ach, diese beschränkten Menschen hier in Tirol! » denkt Friedrich Kloppke und klopft sich an die Stirne. « Verstehen Sie denn nicht, Kröll, die Dame aus Wien ist Hochalpinistin und will auch die Westliche machen. Ich muss also unbedingt vor ihr im Gipfelbuch eingeschrieben sein; denn diese Dame... doch das gehört nicht zur Sache. Aber mein verfluchter Knöchel... » « Tut der Herr warme Umschläge machen. » « Schluss damit! Sie gehen allein, Kröll, schreiben mich in das Gipfelbuch ein und holen sich dann ihre dreissig Kronen bei mir. » « Herr, ich sag nochmals, dass das nit geht! » « Es muss gehen !» Da tritt sich der Kröll mit dem linken Fuss auf den rechten, wie er immer tut, wenn er heftig nachdenken muss, pfeift durch die Zähne, überlegt eine Weile und sagt dann:

« Ja, wenn es gehen muss, Herr, das ist was anders. Aber i hab dem Herrn gsagt, dass es so nit geht, wieder Herr gsagt hat... » « Los! » schreit Kloppke.

Da steigt der Stoffl Kröll mit dem linken Fuss vom rechten herunter, dreht sich um und geht.

Friedrich Kloppke aber verkriecht sich wieder ins warme Bett und schläft.

Er schläft in den hellen Morgen hinein, bis endlich der Kröll wieder auftaucht.

« Gemacht? » fragt Kloppke und streicht sich die Rasierseife um das Kinn.

Der Kröll sagt nichts, greift bloss in seine Rocktasche und zieht ein schmieriges, verwittertes Büchi heraus.

« Das ist es », sagt er unschuldig.

Da führt Kloppke, den Rasierpinsel in der erhobenen Rechten, empört herum.

« Wa-a-as? » « Das ist das Gipfelbuch vom westlichen Grasleitenspitz, falls sich der Herr jetzt einschreiben möcht! » « Wa-a-as? Einschreiben? » Der Seifenschaum zittert um das Kinn.

Der Stoffl Kröll reicht dem Herrn das Buch hin.

« Zum Teufel mit dieser Beschränktheit! Warum haben Sie denn nicht einfach oben auf dem Gipfel meinen Namen eingeschrieben? » « Herr, das Schriftliche macht bei mir allmal mein Weib. I hab eh gsagt, dass das nit geht. Dreimal hab i es gsagt. Aber der Herr hat gsagt, es muss gehen. I kann aber doch mein Weib nit für das Schriftliche auf den westlichen Grasleitenspitz mitnehmen. » Friedrich Kloppke hat sich bereits damit abgefunden, dass die menschliche Intelligenz anscheinend mit der Höhe abnimmt. Kurz entschlossen schreibt er in das Gipfelbuch: « Doktor Friedrich Kloppke aus Treuenbritzen mit Führer Christof Kröll aus Kastelruth! » Dann zählt er dem Kröll dreissig Kronen auf den Tisch und sagt kurz und bestimmt: « In Ordnung! » Der Stoffl zählt sorgfältig die dreissig Kronen nach und streicht sie ein. Dann sagt er: « Gott vergelt's Herr! » und geht.

« Hallo, Kröll », ruft ihm Kloppke nach, « Sie vergessen das Gipfelbuch. » « Das vergiss i nit », sagt der Kröll ruhig.

« Mensch! Kröll !» schreit Kloppke heftig, « das Gipfelbuch gehört doch auf den Gipfel! Verstehen Sie denn das nicht? » Aber der Kröll stapft schon die Stiege hinab.

Mit einem Satz springt ihm Kloppke nach.

« Kröll, bringen Sie doch das Gipfelbuch wieder hinauf! » « Gar so schlecht ist der Fuss nit, Herr! » meint der Kröll und bleibt im Hausgang stehen.

« Hören Sie, Kröll! Hier ist das Buch. Sie müssen... » « Müssen? » fragt der Kröll mit lauter Stimme.

« Nicht so laut, Kröll, ich beschwöre Sie! » ruft Kloppke und zieht den Bergführer wieder über die Stiege empor. « Ich bitte Sie, bringen Sie sofort das Gipfelbuch wieder hinauf! » Die Dame aus Wien könnte... » « Das sind halt wieder fünf Pfeifen, Herr! » meint der Kröll gelassen.

Friedrich Kloppke begreift. Mit einem abgrundtiefen Seufzer zieht er die Brieftasche aus dem Rock und zählt dem Bergführer nochmals dreissig Kronen hin.

Der Kröll zählt sorgfältig nach und streicht sie ein.

« Gott vergelt 's, Herr! » sagt er, nimmt das Gipfelbuch und geht...

Friedrich Kloppke rasiert sich fertig. Aber zwischendurch wirft er einen Blick durchs Fenster.

Da sieht er gerade den Stoffl Kröll, wie er den Weg zur Grasleitenspitze einschlägt und neben ihm -die junge sympathische Dame aus Wien!

« Sechzig und dreissig macht neunzig! »rechnet der Kloppke und reibt sich unwillkürlich die Stirne; denn allmählich beginnt er zu zweifeln, ob seine Ansicht richtig sei, dass die menschliche Intelligenz mit der zunehmenden Höhe über dem Meeresspiegel abnehme. Jedenfalls schien Treuenbritzen ungünstiger zu liegen als Kastelruth.

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