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Eiger - Mönch -Jungfrau

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Albert Schmidt-Schenk, Engi GL

Irgendwann einmal war der Wunsch da, das Verlangen, diese drei Gipfel zu überschreiten. Ich weiss nicht mehr, war es das grosse, aus ungewöhnlichem Blickwinkel aufgenommene Flugbild der Berner Alpen am besten Platz in meiner Stube, war es die herausfordernde Nähe und Wucht der Berge beim Skifahren auf der Kleinen Scheidegg oder war es das makellose Weiss der Berggruppe über den dunkelbewaldeten Ketten, wie es, nicht weniger verlockend, vom Beatenberg aus erscheint - kurz, der Wunsch war da, und er erwies sich als einer von jenen, die plötzlich vor die andern Pläne eines Bergsteigerherzens hintreten und mit Macht Erfüllung verlangen.

Eiger - Mönch - Jungfrau... in Namen und Aufbau eine Einheit, eine der berühmtesten Berggestalten der Alpen, ein Begriff für alle, vom Ferienreisenden bis zum Alpinisten. Was lag näher, als auch ihre Besteigung zu einer Einheit, einem Ganzen zusammenzufassen? Die Gipfel einzeln zu erklettern schien mir darum bedeutungslos; ebenso kamen für ein solches Unternehmen keine Normalrouten in Frage. Die wilden Fels- und Eisgrate jedoch, die über die hohen Joche die Gipfel verbinden und an denen der Wind Schneefahnen flattern lässt...

In einer ungeheuren Spannung schwingen sie sich durch den Raum, und ich wusste, ihre Überschreitung würde zu einem herrlichen Abenteuer werden.

Durch eine rohgezimmerte Tür verlassen wir fröstelnd die kühle, dunkle Galerie der Station Eismeer. Mit einem Schlag überfällt uns die blendende Lichtfülle des Mittags: vor uns die riesige Ausstrahlung des Eismeeres, oben die weissen Kämme und gegenüber die strahlende Pyramide der Fiescher Hörner. Nur die Felsfluchten des Schreck- und Lauteraarhorns bieten den Augen etwas Ruhe. Hochsommerliche Hitze flimmert im Gletscherkessel. Ebenso plötzlich stellt uns die Tour vor die erste Prüfung: Wie kommen wir vom Ausgang auf den zehn Meter senkrecht unter uns liegenden Schneehang hinunter? Abseilen? Ach, wegen der paar Meter! Linker Hand entdecken wir eine Kante mit einigen Griffen, klettern vorsichtig über dem halboffenen Schrund daran hinunter und tänzeln über eine ganz kleine Schneebrücke hinaus auf den Gletscher. Dann spuren wir in schwerem Schnee hinüber zu den Felsen des Mittellegigrates, einer geneigten Plattenzone, über der sich die Felsbastionen wild und unbeherrscht zum Eigergipfel auftürmen. Der Fels ist trocken, und wir finden ein leicht begehbares Band. Ein munteres Bächlein füllt unsere Feldflaschen. Schon nah grüssen von rechts oben, freundlich und einladend, das helle Holz und die blitzenden Fensterscheiben der Mittellegihütte. Über brüchiges Gestein, zuletzt über einen Schnee- und Eishang gelangen wir überraschend schnell an ihren verwegenen Standort.

Weit öffnet sich der Raum, der Blick fällt gleissenden Firnhängen entlang in eine dunstige, grüne Tiefe, und der Wind, der über den Grat weht, verstärkt noch das Gefühl der Ausgesetztheit. Wir schauen und staunen, aber schon wandern unsere Augen hinauf zum Grat. In ungestümen Aufschwüngen stösst er in die Höhe, gestützt durch die graue und gelbe Südwand und die eisige Nordostflanke, die seine Linie kühn vervollkommnen.

Wir brauen einen Tee und essen eine Kleinigkeit. Ich bin unruhig und kann mich mit dem Gedanken nicht befreunden, bei diesem herrlichen Wetter den ganzen Nachmittag in der Hütte zu vertrödeln. Diese Stunden könnten uns fehlen; ja, bei einbrechendem Schlechtwetter wäre dann die Überschreitung sogar in Frage gestellt. Die Idee, weiterzusteigen und irgendwo zu biwakieren, lässt mich nicht mehr los. Gegen Abend auf den Gipfel zu kommen und auf dem berühmten Eiger den Sonnenuntergang zu schauen, scheint mir das Abenteuer noch zu vergrössern. Sind es denn nicht die Gipfelstunden zu ungewöhnlicher Tageszeit, die in der Erinnerung den tiefsten Glanz ausstrahlen?

Hans, mein Seilgefährte, ist mit meinem Vorschlag einverstanden. Die Gründe sind offenbar derart überzeugend, dass sich auch die zwei welschen JO-Kameraden, die mit uns zur Hütte aufgestiegen sind, entschliessen weiterzugehen. Nur eine Gefahr droht unserm Vorhaben: ein Gewitter! Am Gipfel in ein Gewitter zu geraten dürfte sehr ungemütlich sein... In den letzten Tagen haben sie sich meist um 4 Uhr nachmittags zusammengebraut und ungestüm entladen. Und heute?

Es ist jetzt 2 Uhr; wir treten aus der Hütte. Strahlendblauer Himmel und einige duftige Wolken auf den Voralpen. Wir wollen es wagen! Mit Elan ziehen die Jurassier los, wir hintendrein. Auf dem ersten Turm wühlt einer im Rucksack, fördert einen Taschenradio zutage und befestigt ihn unter dem Deckel.

So klettern wir mit Musikbegleitung, fröhlich und in heiterer Stimmung über den Grat, hinauf gegen die Sonne, deren Strahlen sich an den Felstürmen brechen. Leise fächelt der Wind; bald lauter, bald leiser klingt die Musik aus den Felsen über uns. Unten wallen Nebel um die Bergflanken; gedämpft hören wir manchmal einen Zug auf Alpiglen, einen hellen Ruf, einen Hund, der auf der Alp bellt.

Die Verhältnisse sind prächtig, der Fels ist warm, kaum etwas Schnee oder Eis. Auf einem Gratturm setzen wir uns einen Moment hin. Senkrecht unter uns rasten zwei Seilschaften in der Lauper-Route seit einer Stunde auf einem Felskopf. Wir haben sie schon von der Hütte aus entdeckt, und wir beneiden sie nicht, denn sie mühen sich in dem weichen, nassen Firn gewaltig ab. Hans will die unbekannten Kletterer aufmuntern. Er zieht ein Geissenglöckchen aus dem Sack, schüttelt es sanft und lässt einen prächtigen Naturjodel in die Wand erschallen. Und wirklich, als wir wieder klettern, rüsten sich auch die vier für den Weiteraufstieg.

Bald haben wir die Scharte vor dem grossen Aufschwung erreicht. Warm brennt die Sonne. Die Seile enden oben an der Gratkante, und luftig setzt sich die Kletterei fort über einem gewaltigen Abgrund. Langsam nimmt die Steilheit ab, und am Beginn des Firngrates rasten wir nochmals.

Graue Nebelschwaden quellen in wildem Gebrodel aus der Tiefe der Nord wand; weiter draussen türmen sich riesige Wolkenburgen auf, und plötzlich sind die Täler mit schwarzem Gewölk erfüllt. Wir übernehmen die Spitze und eilen dem Gipfel zu. Nun ist die ganze Nordseite des Eigers eine düstere Nebelmasse, und über Grindelwald, dem Männlichen, der Kleinen Scheidegg tobt ein Gewitter. Noch sind wir über allem, aber unheimlich umgibt uns die elektrische Spannung. Unsichtbare Fäden scheinen sich über das Gesicht zu ziehen. Jetzt knistern der Pickel und unser Kopf prickelnd und hörbar.

Wir rennen durch eine Gratkerbe kurz vor der höchsten Spitze. Da überfallen uns ein Blitz und das Krachen eines betäubenden Donnerschlages. Wir werfen Pickel und Eisen in die nächstbeste Felsspalte und hasten in die brüchige Südflanke hinaus. Nach zehn Metern hält uns ein bodenloser Abgrund auf. Notdürftig hocken wir uns hin. Die Atmosphäre ist zum Zerreissen gespannt. Eine Seillänge weiter hinten kauern die beiden Kameraden. Hält einer den Kopf oder eine Hand über die Gratkante, so knistert und knackt es erschreckend. Aber nichts mehr geschieht...

Endlich hat sich das Gewitter unter uns etwas beruhigt. Sofort sind wir auf dem Gipfel. Es ist abends 7 Uhr. Erleichtertes Händeschütteln. Grau und unheimlich ist der Tag geworden. Ein Kletterer in einer roten Daunenjacke ist eben aus den Ausstiegsrissen der Nordwand aufgetaucht. Wir rufen. Überschwenglich winkt er uns zu. Da nähert sich das Gewitter zum zweitenmal. Donner rollen in unsichtbaren Tälern. Fluchtartig verlassen wir die Spitze wieder und sausen über den Südgrat hinunter. Plötzlich hält uns ein senkrechter Abbruch auf, doch eine Gratabzweigung hilft uns schnell weiter. An ihrem untern Ende bildet sie mit einem Seitenast eine schuttige Mulde. Hier wollen wir biwakieren, vorerst aber die notwendigen Vorbereitungen treffen, um den bestimmt bald einsetzenden Regen gelassen erwarten zu können.

Dann ist es auf einmal sehr still. Weisser Nebel hüllt uns ein. Die Kocher summen leise, und einige Takte Musik zum Abendessen heben unsere Moral wieder. Mit der einbrechenden Nacht fallen wir in einen leichten Schlaf...

Um Mitternacht wache ich auf. Es ist merklich kälter geworden. Einige Sterne blinken. Eine Helligkeit über dem Mönch kämpft mit dunkel zerfetzten Wolkenmassen; sie lösen sich rasch auf, und dann liegen alle Gletscher und Gipfel klar da im fahlen Licht des Vollmondes. Unter mir stürzt der Eigergletscher in die Tiefe, darüber wuchtet in schattigem Blau der Mönch, breit und behäbig, während sich der Trugberg links neben ihm zu einer eleganten Pyramide aufreckt. Unendlich weit und gross leitet das Ewigschneefeld den Blick hinab ins Wallis, die schmalen Felsrippen der Grünhörner verflachen und gleichen sich seinem Lauf an.

Schweigend und frostig ruht das Hochgebirge im matten Glanz seiner Firne. In ebenso bleichem Licht hängt die Mondscheibe am Himmel, und zwischen beiden, Bergen und Mond, scheint eine seltsame Beziehung zu bestehen. Sehr weiss ist der Mond, und ein Gedanke fasziniert mich: Wie, wenn der Mond, den jetzt die Menschen erobern, eine Kugel aus Schnee wäre, nur aus Schnee, Firnen, Eis...?

Nun sind auch die Kameraden hellwach, und ihre handfeste Auseinandersetzung wegen der Unbequemlichkeit und Kälte des Biwaks bringt mich zurück in die Wirklichkeit. Herrlich wärmt ein heisser Kaffee. Später dösen wir weiter. Wie ich um 3 Uhr wieder aufwache, scheint mir, der Mond sei eine Spur gelber geworden. Oder täusche ich mich? Ich beobachte seinen Lauf über die anmutige Doppelspitze der Jungfrau hinweg: Tatsächlich, er wird immer dunkler, gelb wie ein Butterballen, taucht dann langsam in eine ferne Dunstschicht, wird orange und geht schliesslich tiefrot im Westen unter. Immer aufdringlicher kriecht die Kälte aus dem Gestein in unsere Körper; die Lufttemperatur wird um o Grad sein. Langsam, ganz allmählich aber geht die Dunkelheit in Dämmerung über.

Im Kocher siedet schon das Wasser. Nach einem kargen Frühstück packen wir die Rucksäcke wieder, verlassen um 5 Uhr unser kühles Lager, um zum Südgrat zurückzuqueren. Schnell sind wir im nördlichen Eigerjoch und entdecken hier einen grossartig hergerichteten Biwakplatz. Unerwartet flammt ein roter Schein am Gipfel des Mönchs auf, und schnell breitet sich das rote, aber seltsam kalte und ruhige Licht über seinen mächtigen Eisschild aus. Eine glühende Kugel schiebt sich hinter Wolkenstreifen über den Wetterhörnern in den Himmel hinauf, und dann treffen auch uns die ersten Strahlen. Das bisschen Wärme taut Körper und Seele auf, und begeistert marschieren wir los gegen den Verbindungsgrat zum südlichen Eigerjoch.

Harter, blitzender Firn in blendendem Weiss und blockiger Fels in warmem Braun. In einer wunderbaren Verbundenheit mit dem Berg klettern wir in der Morgensonne, hoch über blauen Schattenseen, hinein in den jungen Tag, der sich in klarer Frische über diese Welt aus Schnee und Eis ausbreitet. Schnell wird es warm, und gemütlicher steigen wir über Firnhänge hinauf zum Nordostgrat des Mönchs. Vor dem Bergschrund rasten wir und schnallen die Steigeisen an. Nach einem blanken Eishang und brüchigen Felsen stehen wir oben am scharfen Firngrat. Steil und ausgesetzt geht es hinauf. Vor uns glitzern im Gegenlicht die Eisnadeln der spitzen Kante, in wunderbarem Kontrast zur schattigen, zerfurchten Nordwand und ihrem gewaltigen Absturz rechter Hand. Hinter uns öffnet tief unten der Eigergletscher seine dunklen Schrunde - ein Aufstieg in vollkommener Schönheit und Grosse.

Da weitet sich der Blick, und wir stehen auf dem kleinen Gipfelplateau. Die vielen Seilschaften vom Joch steigen schon wieder über den Wächtengrat zurück. Wir haben den Gipfel für uns und geniessen eine ruhige Zeit an der war- SMönch, Unteres Mönchjoch, Eiger mit Mittellegigrat und Eismeer Photo W. Weck, Ostermundigen 2Tief blick vom Mittellegigrat Photo A. Schmidt, Engi GL men Sonne. Weit reicht die Sicht; unbeschränkt möchten wir die Gipfelrast ausdehnen. Aber nach einer Stunde machen wir uns bereit für den unbekannten Abstieg.

Ein steiler Schneehang dem Westgrat entlang bringt uns hinunter zum Beginn der Felsen, die wir hinabklettern bis zu einer luftigen Ecke. Neben uns schiesst der mächtige Hang abwärts zum Eisnollen. Enttäuscht über die folgende brüchige Flanke, steigen wir tiefer; da kommt uns eine Führerpartie von unten entgegen. Wir wollen warten, bis sie hier oben sind - eine willkommene Gelegenheit, uns faul ins Geröll zu hocken. Schläfrig schauen wir hinein in die zerklüftete Westwand, hinab aufs Jungfraujoch, wo sich die Sphinx kühn über wilde Eisabbrüche erhebt und ringsum Hunderte von ameisenhaf-ten Menschen wimmeln.

Gegenüber reckt sich in grossartigen Aufschwüngen der Nordostgrat der Jungfrau in die Höhe. Wir erhalten einen guten Einblick in ihn, aber noch behält er viele Geheimnisse für sich. Endlich laden wir unsere Rucksäcke wieder auf.

Unten wird der Grat schmaler und zusehends fester. Immer neue Türme tauchen auf, und prächtige Kletterstellen lösen einander ab; braun und gelb ist der Fels und griffig. Der Grat narrt uns in seiner Länge, aber es eilt uns nicht. Auf einmal biegen wir doch um den letzten dunklen Turm. Mit einem weiten Sprung über den Bergschrund landen wir neben den Säcken auf dem Jungfraufirn. Es ist heiss in dem blendenden Gletscherbecken, und kein Lüftchen regt sich. So verschwinden wir schnell im Stollenloch, durstlöschender Stätte entgegen...

Wieder beginnt ein Tag in unvergleichlicher Pracht. Es ist kurz vor Sonnenaufgang, und wir sind im Aufstieg am Nordostgrat der Jungfrau. Hier oben ist es schon hell; die weiten Gletscherströme auf der Südseite tauchen aus einer zwielichtigen Dämmerung, die Täler im Nor- den liegen noch in sattem Dunkel. Auf der Kleinen Scheidegg schweben zarte Dunstschleier, und die Hotels werden schwach sichtbar. Jetzt leuchtet der wuchtige Grat über uns rot auf, dann steigt in unserm Rücken die Sonne über die Bergketten. Die welschen Kameraden wandern unten auf dem Firn als kleine Punkte hinunter ins Wallis.

Bald darauf lassen wir den scharfen Eis- und Felsgrat hinter uns und kriechen durchs Geländer auf die Plattform der Richtstrahl- und Eurovisionsstation. Laut hallen unsere Schritte auf dem Gitter. Unmittelbar vor uns erheben sich das grosse Gebäude, die riesigen Radar-schirme; ungewöhnlich und fremd wirkt das technische Werk mitten in dieser Hochgebirgs-kulisse - und wir merken, dass uns der Bau recht deutlich den Weg versperrt. Schliesslich steige ich südseitig über das Geländer, krabble über steinharten Firn aufs Schindeldach und erreiche einen starken Eisenpflock, an dem ich Hans nachsichere. Während er auf dem schmalen, ausgesetzten Grat weiterklettert, erscheinen unten vor dem Haus zwei Gestalten im Morgenrock, schauen erst schweigend zu, rufen uns dann aber doch « gute Fahrt » zu.

O ja, den Wunsch können wir brauchen! Im Berner Führer steht, dass der klotzige Felsturm da oben, P. 3809, durch einen Abbruch unbegehbar geworden und eine Querung in die Nordflanke unumgänglich sei. Schon die erste Seillänge rückt uns schlagartig die Gefahr ins Bewusstsein; die Sicherheit, die wir am Grat empfunden haben, ist verschwunden. Die ganze Flanke ist brüchig, zerbröckelt, sandig; kein Stein sitzt absolut fest, und die Sicherung wird problematisch. Wir queren langsam und äusserst vorsichtig, Seillänge um Seillänge. Unter uns fällt die Flanke in einem kühnen Schuss auf den Kühlauenengletscher ab. Wir verlieren kein Wort darüber, aber jeder weiss, dass unsere einzige Sicherheit vom exakten, gewissenhaften Gehen abhängt. So streben wir, zuletzt an frischgebrochenen Blöcken, der Rippe zu, die 1 3Am Mönch-Ostgrat; Blick zum Eigergletscher 4Aufstieg zur Wengen-Jungfrau Photos A. Schmidt, Engi GL vom Schneehorn heraufzieht und deren aufstrebende Linie Halt und Ziel verheisst. Ich stosse auf einen alten, verrosteten Haken und erreiche endlich die Rippe. Aber auch sie besteht nur aus losem Gestein. Ungeduldig steigen wir ihr entlang. Als Erlösung empfinden wir das Betreten der Turmspitze; herrlich ist die freie Luft und Weite um uns. Hier am Grat ist der Fels fest, und schnell sind wir drüben an der andern Ecke.

Unten aus der Scharte lacht uns fröhlich und bunt eine Thermosflasche entgegen! Ihren Inhalt, süssen Tee, bietet sie uns freigebig an als Trost für den schauderhaften Aufstieg zu ihrer einsamen Warte... Hans erfreut sich noch des unerwarteten Durstlöschens, während ich mich bereits mit dem nächsten Gratzacken beschäftige. Nur nicht mehr in die Nordflanke! Unnahbar stellt sich der Fels auf; doch siehe da, hart an der Kante lässt er sich überlisten. Begeistert vertiefen wir uns nun in die abwechslungsreiche Kletterei. Einen überhängenden Turm meistern wir mit Hilfe eines alten, gekrümmten Hakens und einer modernen Nylonschlinge. Dann führt uns eine herrliche Seillänge auf halbe Höhe des grossen Gendarmen. Oben setzen wir uns zu einer verdienten Rast hin.

Der Ausblick ist von grossartiger Schönheit; wir sitzen an der Grenze zweier gegensätzlicher Landschaften, des weissen Hochgebirges und der grünen Voralpen - ein Gegensatz, der die ganze Überschreitung kennzeichnet und ihr einen ganz besonderen. Reiz verleiht.

Gespannt traversieren wir dann die folgende ausgesetzte und spitze Firnkante, die uns auf und ab und über Felsköpfe zur letzten Graterhebung leitet. Ein trotziger Felsklotz verteidigt den Zugang zum ersten Gendarmen. In der Mitte steckt ein Haken, und abdrängend ersteigen wir die Spitze. Der zweite Gendarm erwartet uns kühn wie ein geschwungener Säbel. Seine scharfe Kante entpuppt sich als herrliche Seillänge. Exponiert über der gewaltigen Nord-4 wand, klettern wir hinunter in die letzte Scharte und weiter in festem, griffigem Fels über prächtige Kletterstellen hinauf zur Wen-gen-Jungfrau. Entlang einem steilen Schneekamm gelangen wir schnell auf den höchsten Punkt. Im Sattel unten, auf dem einsamen Hochfirn, ruhen wir uns aus und steigen dann zügig hinüber zum Nordwestgrat, der uns glücklich zum Gipfel der Jungfrau leitet. Wir sind am Ziel und Höhepunkt eines Bergabenteuers.

Eine mächtige Freude erfasst uns. Wieder sind wir allein, wieder besteht die Welt um uns nur aus Bergen. Erregend ihre Nähe. Wie Kristalle aus der Tiefe einer Höhle glänzen unten die Nordwände aus dem Rottalkessel herauf, kühn, steil und verlockend. Das Tiefland ist verborgen unter grauem Gewölk; sonnenbeschienene Wolkentürme bauen sich darüber auf, wallen durcheinander, unaufhaltsam, geheimnisvollen Gesetzen folgend. Die Bergketten breiten sich aus in Licht und Schatten; da leuchtet ein hoher Grat weiss auf, Nebel drängen über einen Pass; dort liegt ein weiter Gletscher in weichem Licht, ein Berg versinkt in dunkles Geheimnis. Der Wind weht über die Spitzen, und sein kühler Atem ist uns königliche Freiheit...

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