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Eine Biwaknacht unter dem Badilegipfel

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

VON HERM. KORNACHER, MÜNCHEN

1 Bild ( 91 ) Endlos langsam, wie die Tropfen eines unsichtbaren Wasserhahns, so fallen die Minuten, eine nach der andern, in das Becken der Zeit. Der Leuchtzeiger auf dem kaum daumennagelgrossen Zifferblatt meiner Armbanduhr, er kriecht langsamer als eine Schnecke. Und sonst hat er es doch immer so schrecklich eilig. Mit betonter, geradezu aufreizender Langeweile rückt er auf seinem vorgeschriebenen Weg vorwärts: halb 12 Uhr- 11.31, 32 - dreiviertel 12 Uhr- 12 Uhr!

Daheim auf der Kirschbaumkommode im Wohnzimmer schlägt jetzt die Uhr unter dem Glas ihren Westminsterschlag. Ganz genau habe ich den Akkord im Ohr. Bin ich denn daheim?

Ein unbarmherziger Windstoss zerrt an unserem notdürftig zusammengeknüpften Zeltsack. Er hebt einen Zipfel, der nicht fest genug fixiert war, er reisst ihn hoch und schüttet uns einen Schwall eiskalter Schneeluft, zusammen mit Eisnadeln und Treibschnee, mitten ins Gesicht. In aller Eile wird die gefährliche Lücke geschlossen. Aber für uns vier ist es eben doch nur ein Behelf. Die mühsam aufgeschichtete Schneemauer in unserem Rücken hält noch das meiste ab. Eifrig rinnt das Kondenswasser an der Innenseite der Kunststoffolie entlang, durchnässt Schulter und Ellenbogen. Aber was macht das schon aus! Wir sind sowieso alle vier durch und durch nass, seit Stunden schon. Und nun zittern wir um die Wette, als ob man dadurch trocken werden könnte! Wenigstens haben die Zähne dabei zu tun, nachdem sie sonst schon nichts mehr zum Beissen haben.

Seit drei Stunden sitzen wir so in der mit Schnee ausgefüllten Scharte zwischen dem Nordwestgipfel und dem eigentlichen Hauptgipfel des Piz Badile, in 3350 Meter Meereshöhe. Wir warten auf den Morgen, darauf, dass der Sturm nachlässt und das Schneetreiben, dass der Nebel abzieht und die Sonne uns wieder wärmt. Aber der Sturm will nicht nachlassen. Immer und immer wieder zerrt er an unserer dürftigen Schutzhülle, so dass wir stets alle Hände voll zu tun haben und nicht zur Ruhe kommen.

« Jetzt ein warmes Bett! Daheim, unter festem Dach! Aaaah - und sich wieder einmal so richtig ausstrecken können! » schwärmt Berti neben mir. Sie redet mit sich selber. Wir anderen sind zu abgestumpft, um ihr auch nur zuzustimmen. Doch dann lässt sich Ella vernehmen: « Oder ein faulen-zerisches Sonnenbad, drunten am Lago di Corno! » Aber auch diese Fata Morgana kann uns nicht mehr aus unserer Lethargie reissen.

Dabei haben wir ihn alle selber gesehen, gestern abend, kurz bevor wir völlig erschöpft und schier erfroren endlich den Vorgipfel erreicht hatten. Für Sekunden war da der Wolkenvorhang aufgerissen. Es war, als schöbe ihn eine unsichtbare Riesenhand mühelos beiseite. Und wir taten einen Blick, wie ihn einst Moses von seinem letzten Berge aus ins gelobte Land getan haben mag: Tief, tief drunten, Welten von uns entfernt, lagen grüne Matten im milden Abendlicht, darüber Kastanienwälder. Und da, der silbrig schimmernde, mit goldenen Rändern versehene Spiegel des Comer- sees! Nach all dem Vorangegangenen, nach dem verbissenen Herumraufen mit nassem, verschneitem, ja vereistem Fels war das ein unwirklicher Blick: zu schön, um wahr zu sein!

Aber unsere Freude war verfrüht. Die gleiche unsichtbare Hand liess nach wenigen Sekunden den undurchdringlichen Vorhang wieder fallen und schüttete erneut Schnee und Eisnadeln, Nebelfetzen und Sturmböen in die düstere Szenerie. Doch in diesen wenigen Sekunden hatten wir neue Hoffnung gefasst. Wenn alles gut ginge! Ja, wenn...

Vor zwanzig Stunden waren wir frohgemut eingestiegen, nachdem wir vier Tage zugewartet hatten. Zweimal hatten wir den Wecker umsonst gestellt, vergeblich die Kletterrucksäcke gepackt. Obwohl in der weiten Bondasca-Runde prächtige Berge mit Rang und Namen lockten, der Dentro, die Pioda, die Ago di Sciora, die beiden Gemelli und der grossmächtige Cengalo. Für uns gab es nur einen Berg weit und breit, für uns existierte nur der Badile. Und an diesem einen Berg nur eine einzige Kante, sozusagen die Kante aller Kanten: die Badile-Nordkante!

Und wirklich, diese Kante übertraf alle unsere Erwartungen. Zwar längst nicht so leicht, wie wir sie nach den überschwänglichen Berichten eingeschätzt hatten, war doch die Schönheit dieser luftigen Urgesteinskletterei kaum mehr zu überbieten. Aber was heisst da schön, wenn man vom Klettern im Fels spricht? Eisenfest der rauhe, teilweise von grünen Flechten überzogene Fels. Nie völlig glatt und griff los, aber oft senkrecht, ja überhängend. Herrliche Kletterstellen mit prächtigen Griffen, mit Rissen und scharfen Kanten, wechselten mit eleganten Passagen, in denen es für den Sohlenrand kaum daumenbreite Leistchen gibt und winzige Vertiefungen für die Fingerspitzen. Und dann: Reibung ist in diesem Gestein alles! Um wieviel schwerer mögen sich einst die Erstbegeher dieser Kante getan haben, wie auch alle ihre Nachfolger, die sie noch ohne die für diese Gesteinsart bestens geeignete Gummisohle am Bergschuh bewältigten.

Und auch dies hat die Nordkante für sich: Sie fordert unter normalen Verhältnissen niemals das Letzte von dem, der sie « begeht ». Auch wir hatten zunächst ganz diesen Eindruck von ihr gewonnen. Solange noch die Sonne schien und der blaue Himmel über uns nichts zu wünschen übrig liess. Wir stürmten zwar nicht wie junge Götter die himmelanschiessende Kante hinauf - wie ihr Erstbegeher, Fred Gaiser, einmal geschrieben hat, aber wir kamen doch recht flott vorwärts. Die beiden Frauen, jeweils die zweiten am Seil, hielten sich hervorragend. Wieselflink und sicher kamen sie nachgestiegen, zuverlässig sichernd und geduldig, wenn sie an schwierigeren Stellen etwas länger als sonst auf den ersehnten Ruf: « Nachkommen! » warten mussten. Immer, wenn das strahlende Gesicht der Seilgefährtin über einer Kante wieder auftauchte, nickte sie mir fröhlich zu, so als wollte sie mir sagen: « Nur so weiter, ich komm'dir schon nach! » Die Freude über diese ausgesprochene Genusskletterei und dass sie überhaupt hatte mitgehen dürfen, stand ihr nur zu deutlich im Gesicht geschrieben.

All dies und noch mehr geht mir in diesen unendlich langsam dahinschleichenden Biwakviertel-stunden durch den Sinn. Und während die andern drei ein Lied nach dem andern in die Sturmnacht hinaus singen, versuche ich, mir noch einmal alle die Einzelheiten dieser herrlichen Tausendmeter-kante ins Gedächtnis zurückzurufen. Nur wenige Kletterstellen sind es, die sich mir eingeprägt haben, so als sei nicht ich über sie hinweggeklettert, sondern als wären sie wie eine mit Schrift und Zeichen versehene Walze über mich hinweggerollt: Da ist die mächtige « Zürcherplatte », benannt nach einem der beiden Erstbegeher. An ihr war mit roher Kraft gar nichts zu machen, nur ausgefeilte Technik, peinlich genaue Gleichgewichts- und Massarbeit konnte hier weiterbringen. Und mit der kaum leichteren « Schwarzen Platte » war es dann nicht viel anders. Nur geringe Unebenheiten unterstützen hier das einzig mögliche Reibungsklettern. Noch war der rauhe Fels trocken, ja beinahe warm. So waren wir Stunden unterwegs, immer steigend, ohne Rast und Aufenthalt.

Allerdings hatten sich inzwischen die schon am Morgen verdächtigen Föhnfische bedenklich vermehrt. Sie waren breiter geworden und hatten sich da und dort in die Gipfel des gegenüberliegenden Bergzuges gehängt. Und dann hatte sich auch der Piz Badile eine an den Rändern ausgefranste Nebelhaube aufs Haupt gesetzt. Zwar zerrte der Wind heftig dran, aber die Haube blieb, sie wurde sogar grösser. Dann kamen erste Nebelfetzen auch in unsere Nähe.Von irgendwoher trieben Graupelschauer die schwarzdrohende Nordostwand entlang. Ein paar Minuten später war die plattige Gipfelwand des Piz Trubinasca zur Rechten in grauvioletten Wolkenballen verschwunden. Irgendwo grollte der Donner, zeitweise flackerten die Wolken wie Lokomotivendampf zwischen den Hochspannungsleitungen eines grossen Bahnhofs. Die Luft war sichtbar mit Elektrizität geladen.

« Sollen wir nicht doch umkehren? » - Bange Frage, die keiner von uns auszusprechen wagte. Unschlüssig zuckende Schultern, zweifelnde Mienen waren die stumme Antwort. Über die Hälfte der Kante hatten wir ja schon unter uns. Und im Wettersturz war der Abstieg zurück bestimmt nicht leichter als der restliche Aufstieg zum Gipfel und der jenseitige Weg hinunter zur Gianettihütte. Der « restliche » Aufstieg! So rechneten wir - und rechneten völlig falsch. Aber das merkten wir erst, als es bereits zu spät war. Jedenfalls zu spät für eine Umkehr.

Ein überraschendes Aufreissen des Nebels über uns, das Aufhören der Graupelschauer gaben uns neue Zuversicht. Ein Blick hinunter und zurück ins sonnige Tal der Meira liess uns die Gefahr vergessen: Das liebliche Val Bregaglia lag unter uns ausgebreitet. Und dort, Soglio, « die Schwelle zum Paradies »! Der weisse Campanile leuchtete bis zu uns herauf. Mittag war längst vorüber, aber noch schien der schwebende Klang der Glocke in der klarsichtigen, aus sich selbst heraus leuchtenden Luft zu hängen.

Mitten in der stumpfen Verschneidung, von der man sagt, es sei die schwierigste Stelle an der ganzen Kante, überraschte uns der Regen. Noch waren wir durch das abschliessende Riesendach etwas geschützt. Doch dann, an der eigentlichen Kante droben, überfiel es uns. mit voller Wucht. Innerhalb weniger Minuten waren wir völlig durchnässt, die Seile steif und schwer. Auch die Felsen trieften bald vor Nässe. Sie wurden glitschig, und die jetzt dunkelgrünen Flechten wirkten wie Schmierseife. Immer wieder rutschten die Gummisohlen unserer Schuhe ab. Umkehr? Nein, jetzt nicht mehr!

Erich übernahm nun die Führung der Doppelseilschaft, nachdem wir beide Seile zusammengebunden hatten. Verbissen kämpfte er sich höher. Der sich immer mehr zum Sturm auswachsende Wind peitschte den Regen waagrecht über die Kante. Bald ging er in Schnee über, der sich überall und an allem, was Tritt oder Griff hätte sein können, festsetzte.Vereisung kam hinzu, die Seile wurden bocksteif, da das Wasser an ihnen entlanglief und sie ständig im Neuschnee schleiften. Für die aufgekletterten, durch Wasser und Schnee aufgeweichten Finger wurde die Seilbedienung zur schmerzhaften Tortur. Zitternd vor Kälte und Nässe lehnte ich am vereisten Fels, den Ersten zu sichern, stieg unter Aufbietung aller Kräfte zum nächsten Standplatz, um nach den paar Minuten eigener, wärmender Tätigkeit wiederum schlotternd und zähneklappernd die beiden Frauen nachzusichern.

Ein Verhauer in der Nordostflanke kostete uns beinahe eine ganze Stunde. Immer länger wurden die Zeiträume, die wir zu viert zur Bewältigung einer einzigen Seillänge benötigten. Dabei schien es, als ob Erich, unser Erster, die verkörperte Zuversicht sei. Und die beiden tapferen Frauen liessen sich auch immer wieder von ihm aufmuntern. Man hätte bei ihrem Anblick nicht glauben mögen, dass es in diesen entscheidenden Stunden um viel mehr ging als nur um die letzten Seillängen einer grossartigen Felskante. Aber der so nahgeglaubte Gipfel wollte und wollte einfach nicht in Sicht

Pyrenäen

Photos Dr. M. M. Blumenthal 72 Der Doppelgipfel des Pic d' Envalira, gesehen aus SW, Pic de Queils 73 Der Hauptgipfel des Pic d' Envalira; nächst dem Gipfel geht die senkrecht stehende Granitgrenze durch 74 Der Circ de Pessons vom Envalira-Gipfel aus gesehen; rechts der Bildmitte der Circ de Pessons; nach vorne, links anschliessend, der Circ de Queils; rechte Bildecke: Pic d' Ensagents, weiter links anschliessend der Pic de Pessons; insgesamt Granitlandschaft 84 Blick vom Pic Pia de l' Estanys auf den Kulminationsbezirk unter Andorras Bergen; hinterste Kulisse: Pie Alt de la Coma Pedrosa, 2946 m; mittlere Kulisse: Roca Enravesada, 2961 m; vordere Kulisse: Pics de Recofret, 2875 m 85 Hintergrund des Riu-Tales bei Canillo; die Kar-Hohlform des Talhintergrundes wird umsäumt vom Pic de l' Estanyò 86 Der Port ( Pass ) d' Envalira, mit der Kette des Pic d' Envalira; über die Passlücke, 2409 m, führt die internationale Strasse von Andorra in das Departement de l' Ariège 87 Fernblick auf die westliche Schiefer-Grenzkette; mit leichter Neuschneebedeckung die Kette des Pic de Serrera, davor, nach links, die Gruppe des Pic de l' Estanyò; allgemein gleiche Gipfelhöhen = Gipfelflur; Standplatz: Pic de Queils

Bergkristall

Photos Stefan Graeser, Mlneralogisch-petrographisches Institut der Universität Bern Links: Bergkristall aus dem Simplontunnel, km 5,730-5,788 ab Nordportal, natürliche Grosse:

12,4 cm hoch, 7,0 cm breit ( ohne angewachsenen Kristall ) 89 Unten: Gedrehter Bergkristall, sogenannte « Spitzensäge » mit Adular, vom Rhonegletscher, natürliche Grosse: 8,5 cm hoch, 7,8 cm breit 90 Rechts: Bergkristall aus dem Simplontunnel, km 5,730-5,788 ab Nordportal, natürliche Grosse: 13 cm hoch, 6,3 cm breit

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kommen. Und doch blieb uns nur die « Flucht nach vorn », wir mussten hinauf, koste es, was es wolle. Hier, direkt an der Kante, hilflos demjagenden Sturm ausgesetzt, mussten wir binnen kurzem zugrunde gehen!

Und wir kamen hinauf! Wenigstens auf den Vorgipfel. Lebendigen Eiszapfen gleich lehnten wir unterhalb des Gipfels in einer flachen Verschneidung und warteten auf Erich, der irgendwo in der « Gegend » einen halbwegs anständigen Biwakplatz auskundschaften wollte. Und wir wussten, er würde auch etwas finden. Bestimmt sogar! Und wir wussten auch: jetzt haben wir es geschafft, komme, was da wolle! Der Hauptgipfel? Nein, der kann uns jetzt gestohlen bleiben!

« Mensch - du schläfst ja schon wieder! » stösst mich da jemand unsanft an. Es ist Berti, an die ich mich schlafsüchtig und todmüde gelehnt hatte. « Da, iss lieber deine halbe Grapefruit! » Ich verschlinge diese saure Frucht mitsamt der bitteren Schale. Wann hatte ich das letztemal etwas Vernünftiges gegessenIch schaue wieder einmal auf die Armbanduhr: Was, halb 1 Uhr erstHerr-gott, wie lange soll denn diese Nacht noch dauern? Nimmt denn diese Qual gar kein Ende?

Erich döst brummend vor sich hin. Ella, seine kleine, tapfere Frau, zieht vorsichtig den rechten Fuss aus dem Rucksack, massiert die Zehen eine geraume Zeit lang und stopft dann ihren Fuss wieder zu den anderen drei Füssen in den Rucksack. « Mindestens fünf Stunden noch! » seufzt Berti und steckt mir das letzte, noch vom gestrigen « Abendessen » übriggebliebene Stück Schokolade in den Mund. « Wo sie das bloss wieder aufgetrieben hat? » sinniere ich und bin schon wieder am Hin-überdämmern. « Fünf Stunden noch », murmelt jetzt auch Erich, « oder sechs. Und dann, in der Gianettihütte drunten, da gibt's dann Pasta asciutta, viel, sehr viel Pasta asciutta! Mmh, und Chianti! » « Ja, und dann wird aber geschlafen, hörst du? » meldet sich seine Frau Ella. « Dann wird nur noch geschlafen! » « He, ihr da! » fährt Erich jäh empor: « Ihr sollt aber nicht einschlafen! » Er brüllt es laut und unbeherrscht. Draussen - aber was heisst hier draussenhat der Sturm nachgelassen. Unablässig fällt der Schnee...

Der Kaukasus, Alpinistik von heute

VON ALEXANDER VON WANDAU, WIEN Der Kaukasus war in der Zeit von 1930 bis zum zweiten Weltkrieg ein bevorzugtes Ziel vieler Schweizer Bergsteiger, die ausserhalb der Alpen « Erschliessungsarbeit » leisten wollten. Wer die Berichte von damals in der SAC-Zeitschrift oder auch die Abhandlung in der Alpenvereinszeitschrift 1953 über die neue Erschliessung des Kaukasus durch sowjetische Alpinisten liest, könnte meinen, dass es hier noch Expeditionen gibt, die eine Lastenkarawane erfordern und dass der Freizügigkeit der Planung nur Nachschubschwierigkeiten eine Grenze setzen. Dem ist jedoch nicht so!

Der Kaukasus steht seit 1958 den westlichen Bergsteigern wieder offen, und es dürfte eine kurze Schilderung der tatsächlichen Möglichkeiten bergsteigerischer Betätigung in diesem schönen Gebirge von allgemeinem Interesse sein.

Als bekannt darf vorausgeschickt werden, dass der 1215 km lange Kaukasus ( russisch Kawkas ) anlagemässig ein Kettengebirge ist, aber viel schmäler und geschlossener als die Alpen. Er ist im Zuge der Himalaya-Alpen-Faltung in einer vorgelagerten schmalen Geosynklinale gebildet worden. Besonders von Süden gesehen gleicht das Gebirge einer Mauer; auch nordseitig fehlen Längs- 11 Die Alpen - 1961 - Les Alpes161 täler. Die vielen Quertäler der Nordseite zeigen oft einen schluchtartigen Verlauf ( da in der Eiszeit die Vergletscherung nicht bis ins Vorland reichte ), und erst in der Nähe des Hauptkammes gehen sie in Trogtäler über. Bei der Erstellung eines Fahrtenprogrammes wird demnach das Fehlen von Querverbindungen einen Standortwechsel als zeitraubend und die im Vergleich zu den Alpen geringere Gletscherentwicklung einen Grossteil des Gebirges von vornherein als alpinistisch minder interessant erscheinen lassen. Das gilt - auch vom Blickpunkt der russischen Alpinisten - zunächst für den ganzen Ostkaukasus. Zum Ostkaukasus zählt das ganze Gebirge ab dem tiefen Einschnitt des Kreuzpasses, 2388 m ( hier die wichtigste Diagonalstrasse ). Aber schon von der etwas westlich gelegenen Region des Vulkankegels Kasbek ( 5043 m ) angefangen, handelt es sich um ein wüstenartiges Gebirge mit vorherrschenden Tonschiefern, wohin der Ostwind aus den Wüsten Mittelasiens trockenheisse Luft bringt. Im Winter dagegen werden auf der einsamen Eiskalotte des Kasbek enorm tiefe Temperaturen gemessen, und auch das ganze nördliche Vorland des Kawkas ist winterkalte Steppe. Im Zentral- und Westkaukasus steigt die Durchschnittstemperatur im Juli in 1800 m Höhe auf 10 Grad. Es ist also wesentlich wärmer als in den Alpen. Die Waldgrenze liegt bei 2100 m. Die grossen Gletscher finden sich daher bei günstiger Talfiguration hauptsächlich nordseitig. An der Südseite ist der eingangs erwähnte Steilabfall - obgleich hier die Niederschläge wesentlich grösser sind - für eine Gletscherbildung ungünstig. Im übrigen hat der nordwestliche Kaukasus, dem Schwarzen Meer zugewandt, Mittelmeerklima mit niederschlagsreichen milden Wintern und trockenwarmen Sommern. Diese klimatischen Eigentümlichkeiten dürften für die jetzige touristische Bevorzugung bestimmter Regionen des Kawkas, so insbesondere auch bei der Errichtung von Alpinistenunterkünften ( russisch: « Alpinistski lager » ), mitbestimmend sein.

Die sowjetische Alpinistik ist bemüht, möglichst grosse Massen zu erfassen. Dies geschieht folgendermassen: Wer « Alpinismus » betreiben will, sucht bei seiner Gewerkschaft oder direkt bei der Leitung der Alpinistenlager um Bewilligung eines vierwöchigen Kurses in einem Lager an, was nach sportärztlicher Untersuchung und Erlag einer sehr geringen Gebühr bewilligt wird. In dieser Gebühr ist die leihweise Überlassung einer vollständigen Bergsteigerausrüstung, bestehend aus genagelten Schuhen, Steigeisen, Pickel, Sturmanzug, Rucksack usw., inbegriffen. Die Burschen und Mädchen werden unter Leitung erfahrener Alpinisten in Gruppen, meist Vierergruppen, zusammengefasst und dürfen nur in diesem Verband und ihrem Können entsprechend bergsteigen. Jede zu begehende Route ist nach ihrer Schwierigkeitsstufe von 1 a bis 5 b genau katalogisiert, und es gilt als Regel, dass man mindestens zwei Touren der nächstniedrigeren Stufe gemacht haben muss, ehe man sich an eine schwierigere wagen darf. Der Antritt jeder Exkursion wird vorher vom verantwortlichen Leiter gemeldet, der damit zunächst den « Papierkrieg » eröffnet, d.h. verschiedene Formulare an die Lagerleitung ausfüllen muss und als Siegespreis u.a. ein « Marschroutenheft » ( gedruckte Führer gibt es nicht ) mit sorgfältiger Routenbeschreibung und handschriftlichen Anstiegszeichnungen erhält. Im Kaukasus gibt es - von Elbrus und Kasbek abgesehen - kein Schutzhaus oder Bivacco fisso. Man muss daher in Anbetracht der Länge der Touren immer auf einem der üblichen Biwakplätze, wohin meist ein deutlicher Pfad führt, im mitgenommenen Zelt übernachten. Der sehr reichliche Tourenproviant wird von der Lagerverwaltung kostenlos mitgegeben. Wenn man die sportliche Breitenentwicklung bedenkt — im Tagesdurchschnitt sind im Sommer 300 Personen auf schwierigen Hochgipfeln -, so lässt sich leicht ausrechnen, dass für eine Erschliessungsarbeit durch ausländische Alpinisten kaum etwas übrig ist.

Entscheidend ist aber, dass von der in den Alpen gewohnten Freizügigkeit des Bergsteigens nicht sehr die Rede sein kann. Die sowjetischen Behörden, bestrebt, den Ausländern nur das Beste zu bieten, haben gegen den Besuch mancher Gebirgstäler einiges einzuwenden: Da wird zuerst einmal eine Strasse gebaut, dort ist die Bevölkerung während des Krieges evakuiert worden und noch nicht zurückgekehrt usw. Davon abgesehen, ist man wegen der Möglichkeit alpiner Unfälle sehr besorgt. Diese auf ein Minimum herabgedrückt zu haben ( nur 20 Ausrückungen der « Rettung » im Jahres-durchschnittist u.a. ein Verdienst des Grazers Ferdinand Kropf, nunmehrigen Leiters des Rettungsdienstes im Westkaukasus. Dies geht aber auf Kosten der uns gewohnten Freizügigkeit. Wie vorhin angedeutet: Nur in Gesellschaft von mindestens 4 Bergsteigern, die 2 Zweierseilschaften bilden, darf eine Tour unternommen werden, und in abgelegenen Gebieten, wo es keine Lager gibt, müssen es sogar 12 Personen sein. Nicht nur, dass der Antritt einer Tour gemeldet wird, ist auch Vorsorge getroffen, dass die Alpinisten vom Tal aus beobachtet werden können, worauf in der Regel die erwähnte Marschroutenbeschreibung Bedacht nimmt. Ausländische « Delegationen », um deren Wohlergehen man besonders besorgt ist, bekommen einen « Instruktor » mit. Dessen Instruk-tionstätigkeit mag allerdings recht fragwürdig sein. Ist der Instruktor gar ein Mädchen, so wird sich seine Tätigkeit bei schwierigen Touren auf die Mitnahme eines Kurzwellenapparates beschränken, mit welchem zu bestimmten Stunden mit dem Lager gesprochen werden kann. Die russischen Bergsteiger verhalten sich Ausländern gegenüber kameradschaftlich.

Aus dem Vorstehenden geht wohl mit aller Deutlichkeit hervor, dass Bergsport im Kaukasus für Ausländer nur unter der Kontrolle eines Alpinistenlagers möglich ist. Man muss also zunächst Klarheit gewinnen, wo die einzelnen Lager liegen und welche Tourenmöglichkeiten sie bieten. Vorausgeschickt sei, dass in Russland zwischen Touristen und Alpinisten unterschieden wird. Bergfreunde, welche in einer Touristen- ( nicht Alpinisten- ) basis untergebracht sind, dürfen nur leichte Berg- und Passwanderungen ausführen. Die meisten Lager für Alpinisten - ursprünglich von verschiedenen Organisationen errichtet - stehen jetzt unter Oberleitung der TEU ( zentralnoe turistsko-ekskursionnoe uprawlenie ) in Moskau, wodurch die Einreise ausländischer Alpinisten sehr erleichtert ist. Denn die TEU-Zentrale fördert auch das Ausland-Bergsteigen der eigenen Leute, was aber derzeit nur im Austauschwege möglich ist; wenn also eine entsprechende Anzahl Ausländer die Verpfiegungsgebühren in harter Währung beglichen hat. Die TEU übernimmt dann aber auch die Sorge für die klaglose Zufahrt bis in den Kaukasus und gewährt Unterkunft in Städten von allgemeinem Interesse. Der Besuch von Moskau und Kiew beispielsweise lässt sich mit einer Kaukasusreise im Rahmen der TEU leicht verbinden.

Die Alpinistenlager ( einfach, aber praktisch eingerichtete Holzhäuser mit Duschgelegenheit ) sind im allgemeinen im Talschluss der nördlich verlaufenden Quertäler der Nordabdachung angelegt. Auf der Südseite befindet sich an alpinistisch guter Stelle, nämlich im Nakratal ( Uschba-Gebiet ), ein Lager, das aber als Touristenbasis gedacht ist. Dasselbe gilt vom Lager im Kljitschtal am Wege zum Kluchorpass.

Am weitesten östlich in den Zentralkaukasus vorgeschoben ist das Alpinistenlager im Zejtal. Zufahrt auf der Mamisson-Paßstrasse. Photos zeigen eine Zeltstadt unweit eines ausgedehnten Gletscherséracs, Station für die Berge der Adai-Choch-Gruppe, die aus einem Gletscherplateau bis 4600 m ansteigen und angeblich nur bei Eisspezialisten besonderen Ruf geniessen. Leider soll auch das Wort zej ( « nass » ) für die dort herrschende Witterung kennzeichnend sein. Dafür ist aber das so genannte Tal das einzige mit üppigem Pflanzenwuchs in dieser dem sterilen Ostkaukasus benachbarten Gegend, dessen Charakteristika sich bereits bei einer Eskursion auf den glockenförmigen, schwierigen Gimarai-Choch ( 4778 m, jenseits der Paßstrasse ) erkennen lassen.

Westwärts schreitend begegnen wir dagegen den prächtigen Tälern der Sugan-Gruppe. Das Fehlen von Touristenunterkünften hier dürfte mit Strassenbeschädigung ( lies: Evakuierung aufsässiger Bergvölker ) im Zusammenhang stehen.

Das nächste bedeutende Quertal ist das des Urwan-Flusses, welcher nach Einmündung in den Tscherek dem Kaspi-See tributar ist und durch den gewaltigen Besengi- und Mischirgi-Gletscher gespeist wird. Hier, auf einer nunmehr begrünten Moräne, unweit der ehemaligen Vereinigungsstelle der beiden vorgenannten, alljährlich etwas zurückweichenden Gletscher, ist das « Besengi-Lager », vorläufig nur aus Zelten bestehend - in ca. 2100 m Höhe. Es liegt also am Weg zu der in der Kaukasusliteratur berühmten, aber nicht mehr existierenden Misses-Kosch-Alp und ist der einzige Stützpunkt für die Touren im Bereich der vornehmsten Fünftausender des Gebirges. Vom Lager selbst sieht man das glänzende Gipfel-Tetraeder des Koschtantau ( 5145 m ) und die ebenso weisse Gistola ( 4860 m ) am Westende der gewaltigen, 12 km langen und bereits an den Himalaya erinnernden Eisbastion « Besengi-Wand ». Dieser haben die westlichen Bergsteiger vor dem zweiten Weltkrieg besonderes Augenmerk zugewandt, vielleicht auch bedingt durch ihr höhergelegenes Standlager am Besengi-Gletscher. Gegenwärtig sind die zwei Fünftausender der südlichen Parallelkette, Koschtantau und Dychtau ( « spitzer Berg », 5198 m ), grosse Mode. Die vielen Begehungen waren sogar Anlass, die Schwierigkeitsbewertung von 5 auf 4 a herabzusetzen. Felstechnisch sind unter günstigen Verhältnissen die Schwierigkeiten nicht höher als 3; aber man muss die absolute Höhe und die Länge der Tour berücksichtigen, die leicht fünf Tage beanspruchen kann.

Der normale Dychtau-Nordanstieg - nicht zu verwechseln mit der schwierigeren Route Mummerys ( Erstersteiger im Jahre 1888 ) über die Südwestseite - verlangt zeitiges Erreichen der Biwakplätze: vom ersten, dem sogenannten Russenbiwak in 3200 m Höhe über den « Sattel » 4200 m zur « Schulter » 4800 m ( zweites, sogenanntes Schneepolsterbiwak ), am dritten Tag zum Gipfel und zurück zum Sattel. Die Nordroute ist nämlich, wie tödliche Unfälle gelehrt haben, lawinengefährdet. Man muss von den Biwakplätzen am Morgen aufbrechen; tut man dies nicht, so ist der ganze Tag verloren. Am Koschtantau hingegen ist man in dieser Hinsicht vom Wetter unabhängiger. Am ersten Tag geht man nach Überwindung des Eisbruches am Mischirgi-Gletscher von der zum Kun-dium-Mischirgi-Pass ( 4250 m ) führenden Route, rechts abzweigend, um rechts vom Gendarm des « falschen » Mischirgi-Passes in 4000 m Höhe zu biwakieren. Am zweiten Tag erreicht man den Biwakplatz rechts vom « Vogelgendarm » ( 4500 m ), von wo man am nächsten Tag in fünf Stunden -guter Firn vorausgesetzt - am Gipfel sein kann. Schwierigkeiten im Fels bieten lediglich drei 20-30 m hohe Steilstufen aus herrlichem Granit. Die Besteigung des Koschtantau auf dieser Route vermag stärkste Eindrücke zu vermitteln. Man steigt in der riesigen, abwechslungsreich geformten Eisflanke der Dychtau-Koschtantau-Kette hoch, die im mittleren Teil wohl niedriger, aber viel steiler ist als die eher einförmige Besengi-Mauer, die nur in der Gistola einen optisch fasslich ausgeprägten Gipfel und im Nordostblick auf die Schkhara ( 5201 m, der zweithöchste Kaukasusgipfel ) eine richtige Bergmajestät von überalpinen Massen enthüllt. Die Aussicht vom Koschtantau profitiert von der im Vergleich zu den anderen Fünftausendern isolierten Lage des Berges.

Die vorhin erwähnte Gistola ( 4860 m ) ist der leichteste von den hohen Bergen. Die feine, gegen den Ljalwer ( 4350 m ) zugekehrte Firnschneide wird nur mit 3 a bewertet. Bis man aber hinkommt und den Ljalwer ( Stufe 2 a ) überschritten hat, ist man bereits im Genuss eines ausgiebigen « Schnee-hatschers » gewesen. Alle anderen Routen auf die Besengi-Wand sind viel schwieriger, z.B. Schkhara-Nordostgrat 4a, Nordwestgrat 5 a.

Das ganze Gebiet steht im Ruf, nur für ganz erprobte Alpinisten geschaffen zu sein. Doch ist auch für Alpinisten « zweiter Klasse » einiges zu finden. Zunächst einmal zwei leicht ersteigbare Aussichtspunkte ersten Ranges: der 4300 m hohe Tiu-tiu-Baschi ( « rauschender Kopf » ) in der den unteren Besengi-Gletscher links ( westlich ) begleitenden Korgaschili-Kette, wohin man fast direkt vom Lager, wenn auch ziemlich mühsam, über steiles Geröll aufsteigen kann, und der 4452 m hohe Bascha-auz-Baschi im Verbindungskamm zwischen Dychtau ( Mischirgitau, 4920 m ) und Schkhara: Man geht im wesentlichen den 19 km langen, recht gemütlichen Besengi-Gletscher hinauf bis an sein nach Westen umgebogenes Ende und hat dann einen bratschigen Kamm zu erklimmen, von wo man einen Überblick über die felsige Südseite des langen Dychtau—Koschtantau-Zuges und Einblick in den weiten Dychsu-Kessel mit der vornehmen Pyramide des Ailama ( 4525 m ) hat ( markanter eisgepanzerter Berg von grosser relativer Höhe ).

Überschreitet man den Besengi-Gletscher 5 km vor seiner Zunge in Richtung zum Zanner-Pass, dann kann man den schon 1888 erstiegenen Salynantau ( 4348 m ) der Korgaschili-Kette besteigen. Diese Tour ( Stufe 2 b ) ist interessanter als der Tiu-tiu-Baschi, leidet aber teilweise auch unter den brüchigen Tonschiefern. Vom Gipfel sieht man bereits in das grüne Swanetien.

Eine Art Hüttenberg ist der nächstgelegene Viertausender unter den fremdartigen Bergen an der Westseite des Mischirgi-Tales ( Stufe 2a ). Es ist immerhin beachtlich, dass auch dieser « Hüttenberg » 2000 m relative Höhe aufweist. In derselben Kette liegt der sehr stolze Ullu-auz-Baschi ( 4679 m ). Beim Anblick desselben ist man überrascht, zu hören, dass der Anstieg über den Kundium-Mischirgi-Pass in steilem Eis und Fels nur mit 3 b bewertet wird. Von oben umfassende Aussicht, obwohl der nördlich aufragende Koschtantau - selbst aber einen prächtigen Anblick bietend -einiges verdeckt. Der dem letztgenannten östlich benachbarte Chrumkol-Basch ( 4676 m ), mit seiner furchtbaren Eiswand auf der Nordseite ( 1941 durchstiegen !), bietet auf der felsigen Südseite nur einige Kletterstellen der unteren 3. Stufe und nach Erreichung eines 4450 m hohen Sattels einen Firngrat nach Art des Lyskammes.

Bei einer Fahrt in den Kaukasus wird man, wenn man « überalpine » Landschaften sehen will, wohl zunächst das Besengi-Lager in Erwägung ziehen. Es soll in nächster Zeit besser ausgestattet werden und eine Zufahrtsstrasse bekommen. Derzeit - solange die projektierte Strasse nicht fertig ist - kann man beim Anmarsch noch so etwas wie « Romantik des wilden Kaukasus » erleben: Der Tscherek-Fluss bildet, bevor er in die Vorberge eintritt, eine tief eingeschnittene, lange Schlucht, die zur Zeit der von Leo Tolstoi in seinen kaukasischen Novellen geschilderten Kämpfe der Russen mit den Bergvölkern nur auf schlechten Fusspfaden umgangen werden konnte.Vom gut geleiteten TEU-Pjatigorsk hatten wir, eine vierköpfige österreichische « Delegation », ein Auto zur Verfügung, das aber noch vor der Schlucht wegen Unpassierbarkeit der Strasse nach Hochwasser umkehren musste. ( Die Gesamtentfernung bis zum Lager beträgt etwa 200 km. ) Wir schulterten also die Rucksäcke und kamen in eine kleine Siedlung, deren Hütten an bosnische Bauweise erinnerten. Dort hockten ein paar schwarz gekleidete einheimische Frauen an der Strasse. Da sie offenbar auf eine Fahrgelegenheit warteten, setzten wir uns auch dazu. Richtig erschien nach einigen Stunden ein LKW-Jeep und brauste mit uns durch die Schlucht, dass uns Hören und Sehen verging, denn ein « Verreissen des LKW » um einen Meter hätte genügt, um uns in den Abgrund zu werfen. Übrigens nahm die Fahrt bald ein Ende, denn der Chauffeur erklärte, nicht genug Benzin zu haben. Er fuhr zurück, die Frauen gingen zu Fuss weiter - wahrscheinlich in das neuerbaute Dorf Beserîgi; wir dagegen beschlossen zu biwakieren. Das Tal war hier etwas breiter. Wir sahen Dolomitberge mit riesigen Wänden, die oben aber eine Grünfläche trugen. Wald war nur an schattseitigen, schwerer zugänglichen Stellen. Taleinwärts war vor Gneisbergen eine Basalt-Lava-Zone erkennbar. Dazwischen ehemalige Befestigungsanlagen der Balkarci. Auf der anderen Seite des Flusses ein ruinenhaftes Dorf, das völlig verlassen schien. Am nächsten Tag hätten wir nun gerne einen richtigen Balkarjec gesehen. Wir gingen über eine morsche Brücke in das Dorf mit teilweise in die Erde gegrabenen Behausungen. Dort fanden wir wirklich einen alten, übrigens sehr freundlichen Balkarjec, der, ohne ein Wort Russisch zu verstehen, uns gleich bewirten wollte. Gegen Mittag erschien dann auf der bis dahin völlig menschenleeren « Strasse » ein mit Propangas beladenes Auto und liess uns aufsitzen. Die Propangasflaschen wurden bald kräftigst durcheinandergeschüttelt, so dass wir schon eine Explosion befürchteten, denn die Fahrt ging abwechselnd durch Morast, Steinhalden und Wildbäche. Die Fahrt endete unweit vor einem schlimmen Wildbach. Von hier führt rechterhand ein relativ bequemer Übergang zu dem gleich zu besprechenden Lager im obersten Tschegem-Tal, während man geradeaus mittels Eseltransportes in drei Stunden zum hochgelegenen Besengi-Lager gelangt.

Kurz sei noch der anderen bekannten Übergänge gedacht. Unter den leichteren ist der Dychni-ausch ( « ausch » heisst Pass, 3870 m ) zwischen Besengi- und Dychsu-Gletscher der landschaftlich grossartigste im Kawkas. Der Weiterweg nach Süden ist aber über den breiten, wenig überfirnten Schar-ewzek-Pass derzeit aus eingangs angedeuteten Gründen wenig praktisch. Der in der alpinistischen Literatur viel genannte Zanner-Pass ( 3950 m, vom Besengi-Gletscher direkt in das legendenumwobene Swanetien führend ) ist unpassierbar geworden. Derzeit quert man vom Zanner-Pass westlich zum Sjemi-Pass ( 3850 m ) und steigt über den zerrissenen Kitlod-Gletscher ins Mul-chara-Ingur-Tal ab. Man gelangt so in anderthalb Tagen nach Schabesch, einem richtigen swanetischen Ort, mit aus dem Mittelalter stammenden Häusern von einmaliger Bauart: Das aus Quadern gefügte Haus des festungsartigen Hofes wird flankiert von einem gut fünf Stockwerke hohen, fensterlosen Turm mit innen absperrbarer Treppe. Im Mittelalter soll zwischen den einzelnen Dörfern häufig Blutrache geherrscht haben. Im Notfall verzogen sich die Leute in den Turm und brachen die Treppe ab.

In Schabesch gibt es ein Geschäft, in welchem man Proviant kaufen könnte. Unser Dolmetsch konnte aber nicht herausbringen, wann eigentlich ein Verkauf stattfindet. Auch einen Esel, geschweige denn ein Fahrzeug aufzutreiben, wäre unmöglich gewesen. Dies sei aber nur vermerkt für jene, die ausserhalb einer Lagerregion auf Grund der alpinen Literatur Hochtouren machen wollen. Die Besengi-Fünftausender aus dem Ingur-Tal anzugehen, dürfte also derzeit schwerfallen. Auch sollen die Hochgipfel südseitig noch mehr im Nebel stecken als nordseitig, wo es sich meist zu Mittag einzunebeln beginnt. Im Sommer 1959 beispielsweise waren im Besengi-Lager nur 3 wirklich sonnige Nachmittage zu beobachten.

Von Schabesch kann man über den altbekannten Twiber-Pass ( 3600 m ), der so wie der Semji-Pass ( aber mit mehr Recht !) auch von « Touristen » begangen wird, jenseits zum Alpinistenlager Tschegem gelangen. Der normale Zugang zu diesem Lager erfolgt von den grossen nordkaukasischen Kurorten Pjatigorsk und Naltschik aus durch das mit Jeep befahrbare Tschegem-Tal. Das Lager ist besser eingerichtet als das in gleicher Seehöhe gelegene Besengi-Lager und wirkt wegen des noch vorhandenen reichen Waldbestandes viel freundlicher. Auch die umliegenden Berge sind anziehend. Der höchste, der sehr schwierige Tychtengen ( 4612 m, vgl. ÖAZ 1936 ), erinnert an den Rücken eines Riesensauriers. Die aussichtsreichen Berge der vorhin erwähnten Korgaschili-Kette sind vcfrn Tschegem-Lager bequemer zu ersteigen als von der Besengi-Seite. Auch die über 4500 m hohen Gipfel der an das Baksan-Tal grenzenden Dschailik-Gruppe im Nordwesten sind zum Teil nicht allzu schwierig.

Besonders interessant ist der Badebetrieb der Einheimischen, wo an der Zufahrtsstrasse heisse Thermalquellen entspringen, deren Heilwirkung den Gasteiner Quellen angeblich gleichkommt. Es ist schade, dass die ausländischen Alpinisten von diesem schönen Gebiet keine Notiz nehmen und, wie im Jahre 1959, ihr ganzes Augenmerk dem benachbarten Baksan-Tal zuwenden.

Dieses ist das nächste grosse Paralleltal im Westen. In seinem Oberlauf bildet es einen Kessel von 35 km Durchmesser, dessen Wände vielfach die 4000-m-Grenze übersteigen. Durch die Täler der beiden ersten Nebenflüsse gibt es seit alters her benützte Pässe nach Swanetien. Teilweise hotelmässige Alpinistenlager für viele hundert Personen befinden sich in den beiden nächsten Seitentälern zum Zentralkamm. Das eine, Adylsu genannt, gewährt schon nach 4 km bei einer Gabelung einen prächtigen Blick auf die Schchelda. Das andere, vom Adyrsu durchflössen, ist länger und anfänglich klammartig, um in einem grossen Gletscherzirkus zu enden.

Das ganze Gebiet ist klimatisch sehr begünstigt, und die Nähe des Elbrus - mit 5633 m der höchste Berg Europas - tut ein übriges, um die Bergsteiger vorerst hierher zu locken. Die Extremen unter ihnen versuchen sich in den Nordanstiegen auf die bizarren Türme des Schcheldi ( 4320 m ), Uschba ( « Wetterhorn », 4710 m ) oder in der kilometerlangen, horizontal endenden Wand des Ullu-Tau-Tschana ( 4303 m ). Aber auch die Anfänger können sowohl vom Adylsu- wie Adyrsu-Lager aus vieles unternehmen. Ein so hervorragender Aussichtspunkt wie der Kurmytschi ( 4058 m ) lässt sich fast ohne Seilsicherung ersteigen - auch der ausgezeichnete Sullukol-Baschi ( 4260 m ) ist leicht -, und etwas Vorgeschrittenen stehen schon hohe Gipfel wie der Tjutjun-Baschi ( 4420 m ), Bscheduch-Tau ( 4271 m ) und Dongus-Orun ( « Schweine-Alpe », 4432 m ) offen.

Der Elbrus selbst - er führt einen persischen Namen, der auch im nordpersischen Elbrus-Gebirge ( 5670 m ) auftritt - gilt bei manchen sowjetischen Alpinisten nicht als « Berg ». Der riesige Andesit-Vulkan mag auch in den Bauplan des Kaukasus'nicht ganz hineinpassen. Das in 4200 m Höhe befindliche Hotel-Schutzhaus ( für 200 Personen ) bekommt demnächst eine Seilbahn vom Baksan-Tal aus, übrigens die erste im Kaukasus. Es darf aber nicht verschwiegen werden, dass der Weitermarsch über die riesigen und zuletzt steilen Firnflächen bis zu einem der beiden Gipfel ( ehemaliger Kraterrand ) des Elbrus namentlich bei Wind und Kälte eine höchst anstrengende Angelegenheit ist. Man muss im guten Training sein, um die Besteigung als Tagestour zu bewältigen.

Am Dongus-Orun endet das Zentralmassiv. Der westlich anschliessende Abchasische-Kaukasus, der aber in der Hauptkette ebenfalls aus Gneis und Granit besteht, ist an absoluter Höhe niedriger: Gipfelflur bei ca. 3700 m. Nur ein Berg kommt auf über 4000 m, der Dombai-Ulgen. Dieser Umstand mag schuld sein, dass dieses Gebiet von westlichen Bergsteigern bisher fast völlig vernachlässigt wurde. Um so bedeutender hingegen ist die russischerseits durchgeführte Erschliessertätigkeit, die ihren Niederschlag in der Errichtung zahlreicher Lager gefunden hat. Mittelpunkt ist das hotelartige Belala-Kaja-Lager ( 1630 m ) im Talschluss der Teberda, eines Seitenflusses des Kuban. Man gelangt von Pjatigorsk nach ca. 220 km Fahrt hierher: Durch die Steppe zunächst an den Kubanfluss heran, wo man mangels eines Eiszeitgletschers keine « Alpenseen » erwarten darf. Im Südwesten jenseits von Tscherkessen-Siedlungen Blick auf Karstberge. Dann 60 km im eigentlichen Teberda-Tal durch die bewaldeten, langsam höher werdenden Vorberge, die enger zusammenrücken, um beim letzten Taldurchbruch ( « Amanaus-Schlucht » ) den Blick auf die Hauptkette mit der Belala-Kaja, dem kaukasischen Matterhorn, freizugeben. Davor das Dombai-Feld mit den Lagern. Hier befinden wir uns in der ungefähren Mitte eines fast 20 km langen, durch Gletschererosion zustande gekommenen Trogtales, in das von West und Ost die beiden Quellflüsse der Teberda einströmen.

Das letzte Stück der Talstrasse ist noch nicht ausgebaut und die geplante Fertigstellung wegen des zu erwartenden Motorenlärms zu bedauern, der hier besonders stilwidrig ist, da es sich um eines der wertvollsten Naturschutzgebiete Europas handelt. Naturschutz bedeutet hier u.a. Fernhalten von Weidevieh, meterhohes Gras auf den blumenreichen Alpen, ausgedehnte dunkle Wälder; dunkel nicht nur wegen des « Gigantismus » der Kiefern, Buchen und Ahornbäume, sondern auch wegen des Unterholzes mit mannshohen Stauden und Farnen, durch die man sich abseits begangener Pfade kaum durchschlagen kann. Erst bei Betreten der relativ kühlen Zone, zwischen 2000 und 2600 m, wird der Pflanzenwuchs rasch wieder normal und gleicht den Kleinformen unserer Alpenwiesen. Die Gletscher, die in dieser Umgebung bis 2200 m herabsteigen, wirken durchaus alpin. Ähnlich den Dauphiné-Alpen ( Oisans ) weist das Gebiet durchgehend individuelle Gipfelgestalten auf und unterscheidet sich dadurch vorteilhaft von dem Zentralmassiv. Bei den sowjetischen Bergsteigern erfreut es sich neben dem Adylsu-Gebiet der grössten Beliebtheit als « Schule des Mutes » und dient auch dem Wintersport.

Die Hauptkette bildet hier einen 25 km langen Bogen, von dessen Gipfeln man auf das nur 50 km entfernte Schwarze Meer sieht.

Im Westen wird das Tal beherrscht durch den Dombai-Ulgen ( « Der grosse Auerochs », 4040 m ). Bis in die Waldlichtung vor dem Dombai-Hotel blickt seine von düsteren Schluchten durchrissene breite Stirne. Man benötigt einen Tag bis zum Biwakplatz am Fuss des Berges und dann einen zehnstündigen gefährlichen Aufstieg der Stufe 3 b. ( Wir würden sagen: 3 obere Grenze. ) Somit ein grösseres Unternehmen! Wer dem nicht gewachsen ist, muss sich mit dem nördlich vorgelagerten Kleinen Dombai-Ulgen ( 3800 m ) begnügen, der aber als Aussichtsberg nicht zu verachten ist und auf der Südseite - immer im Angesicht des Grossen - in sechs Stunden zu erklettern ist ( 2. Schwierigkeitsstufe ). Der Nordanstieg ( Stufe 4 a ) ist von sportlichem Interesse. Dies gilt in hohem Mass auch von dem im Hauptkamm westlich eines nur 3000 m hohen Passes aufragenden Ptysch ( 3520 m ). Vom Pass ( zugleich Biwakplatz ) eine ideale fünfstündige Gratkletterei ( 3 b ).

Das nächste grosse Massiv, dem mehrere spitze Gipfel entragen, führt den merkwürdigen Namen Dschuguturljutschat ( 3921 m ). Es wird verteidigt von abschreckenden Hängegletschern. Die Aufstiege sind demnach der Stufe 3 und 4 zuzuweisen; doch ist der Südgrat der einen Hauptspitze - vom « Biwak Kropf » aus - überraschenderweise leichter ( 2 b ). Dieser nur 8 km vom Lager entfernte Berg muss also besonderes Interesse beanspruchen. Ein architektonischer Widerleger des nördlichen Hängegletschers, der Pik Injé ( 3400 m ), hat Ähnlichkeit mit der Aiguille Noire des Mont Blanc ( Tagestour 2 b ). Westseits zwängt sich - im Hintergrund die eisgepanzerten Amanausspitzen - der Amanaus-Gletscher in seinem engen Tal. Hier zweigt links ein viel begangener Touristensteig, mit kleinen Kletterstellen zwischen Erlengebüsch, zu den Biwakplätzen am Hang oberhalb der Séracs des Sofrudschu-Gletschers ab. Von den Biwakplätzen kann man den wundervollen Aussichtsberg Sofrudschu ( « Die Schöne », 3785 m ), der einen markanten Felszahn ( « Zub » ) vorstellt, als relativ leichte Gletscherwanderung ( 1 b ), weiter die Zadnjaja Belala-Kaja ( 3740 m ) als leichte und die eigentliche Belala-Kaja ( « Die Begürtelte », 3852 m ) als schwierige Klettertour ( 3-4 ) unternehmen, wobei man über den Ostgrat auf- und über den leichteren Südgrat absteigt, um so zum Biwakplatz zurückzukehren. Hier sind häufig die grossgehörnten Steinböcke zu treffen. Der Berg ist, wie gesagt, das Wahrzeichen des Dombai-Tales und hat seinen Namen von der mehrfarbigen Gesteinsbänderung an der Ostseite bekommen.

Die nächsten Touren führen in den Bereich des gewaltigen, einen ganzen Talkessel auskleidenden Alibek-Gletschers: Alibek-Baschi ( 3600 m ), Erzog ( 3867 m ) und Dschaloftschat ( 3870 m ), ( mit den zugehörigen Schwierigkeitsstufen 3, 2-4, 1 b ). Die geringe Bewertung des Dschaloftschat mit 1 b maskiert einen endlosen und teilweise recht steilen Gletscheranstieg. 6 km Waldweg von Dombai her kann man sich ersparen, wenn man in dem schön gelegenen und auch mit einem Schwimmbassin ausgestatteten « Alibek »-Alpinistenlager übernachtet. Dieses Zeltlager dient zugleich für die zwei unvergletscherten Berge, welche das Dombai-Tal im Nordwesten abschliessen: den Sulachat ( 3400 m, Kletterei 2a über Kopf, Brüste und Bauch der « Schlafenden Frau » ) und den leichteren Semjonow-Baschi ( 3630 m ). Von beiden Bergen aus sieht man die Hauptkette schön aufgeschlossen. Kara-Kaja ( « Schwarzer Berg », 3893 m, an die Aiguille Verte erinnernd ) und Aksaut ( 3910 m, ein schwarzer Zwillingsbruder zur Fünffingerspitze der Dolomiten ) werden, obwohl jenseits der Wasserscheide des Dombai-Tales gelegen, von hier aus besucht. Es sind Touren der 4. oder 5. Stufe. Man kann aber auf einem « 2er » absteigen.

Ähnliches gilt von den grosszügigen Kletterfahrten auf die Tschotscha ( 3638 m ), Gran Bu-Ulgen ( 3915 m ) und Dottach-Kaja ( 3800 m ). Um diese Touren auszuführen, muss man von Dombai aus die Amanaus-Schlucht hinaus und rechts ( östlich ) in den Talschluss des Kluchor hineinfahren. Es gibt hier eine alte Militärstrasse, die jetzt als vielbegangener Übergang über den Kluchor-Pass ( 2816 m ) zum Schwarzen Meer ( Bad Suchumi ) dient. Auf dieser « Marschrut » hat es mehrere « Turistski-basi ». Herrschendem Schönwetter darf hier nicht vertraut werden, Schlechtwetter kann oft plötzlich von Süden hereinbrechen, hält aber in den Nordtälern im Juli und August meist nicht lange an. Das Belala-Kaja-Lager im Dombai ist eines der besteingerichteten. Seit 1960 gibt es hier sogar gedruckte Routenbeschreibungen!

Das Kammstück im eigentlichen Quellgebiet des Kuban mit der Gwandra ( 3983 m ) dürfte ( vergleiche das Bilderbuch « Der schöne Kaukasus » von A. Kurella ) landschaftlich etwas weniger bieten, und was das Gebiet westlich des Aksaut betrifft, nimmt hier die Vergletscherung rasch ab. ( Nordseitig an der Sofia, 3838 m, bedeutend. ) In dieser Gegend von Archys ist eine hotelmässige Erschliessung im Zuge. Urgestein und alpiner Charakter zeichnen den abchasischen Hauptkamm noch bis ca. 90 km weiter westlich aus, wo er bereits nahe ans Meer streift.

Für die Zufahrt in den Kawkas, die bei bester Organisation mindestens vier Tage von Zürich aus erfordert, sei, zumindestens für die innerrussische Strecke, das Flugzeug empfohlen. Die notwendigen Rubel bekommt man in der Grenzstation ein- und zurückgewechselt. Flugstation für den Kawkas ist Mineralnyje Wody ( bequeme Verbindung mit der « Turbasa » Pjatigorsk !) und Mestia, die Hauptstadt Swanetiens, die aber nur von Kutaissi aus angeflogen wird.

Als Kartenmaterial bekommt man in Russland nur die verschiedenen Blätter der « Turistskaja marschrutnaja karta » 1: 250 000. Die alte Mörzbacher Karte 1: 140 000 ( Zentralkaukasus in 3 Blättern ), die zu Anfang des Jahrhunderts vom bayrischen Generalstab aus touristischen Motiven ediert wurde, ist also noch immer aktuell. Hingegen ist der in München 1912/1914 erschienene, bis jetzt wohl einzige kaukasische « Gipfel»-Führer ( von Afanasieff ) völlig veraltet. Eine sehr sorgfältige Beschreibung der Hochpässe des Zentralkaukasus'enthält ein bebildertes Buch von Lewin ( Moskau 1935 ). Nirgends in den Auslagen der Buchhandlungen sah ich bergkundliche Literatur über den Kawkas. Vielleicht ist diese wegen der vorwiegend sportlichen Einstellung der russischen Bergsteiger weniger gefragt.

Fletschhorn, 3996 m, Nordwand

3. Begehung, 1. Begehung der Wienerroute VON ERICH VANIS, WIEN Mit 2 Bildern ( 92-93 ) Tausende von Menschen fahren alljährlich über die Simplonstrasse. Tausende blicken alljährlich von der Passhöhe zu der gleissenden Mauer aus Fels, Schnee und Eis empor, die sich scheinbar direkt aus den Arvenwäldern erhebt. Die einen voll Schauder, die anderen voll Bewunderung. Trotz- dem diese Wand vor den Augen der Menge ausgebreitet liegt wie kaum eine zweite, sind ihren Lockungen bisher nur ganz wenige gefolgt.

Am 25. Juli 1928 wurde die Fletschhorn-Nordwand von E. R. Blanchet und seinen Bergführern Oskar Supersaxo und Kaspar Mooser erstmals durchstiegen. Nur fünfeinhalb Stunden benötigten sie damals für die 800 m hohe Wand, jedoch weitere sechs Stunden für den Zustieg von Simplon Dorf. Die zweite Begehung erfolgte erst am 21. Juli 1948 durch Dr. Hans Oertli mit Bergführer Alexander Taugwalder. Wieder gingen sie von Simplon Dorf aus und nahmen den Zustieg in einem grossen Bogen über die Rossbodenalm, den P. 2669 m, den Griesserengletscher und über die Scharte 3012 m zur grossen Firnterrasse des Rossbodengletschers. In der Wand hielten sie im allgemeinen die Originalroute ein. Nur im Mittelstück wählten sie einmal eine Felsrippe rechts vom Itinerar Blanchets. Die Erstbegeher waren dort in einer objektiv ziemlich gefährlichen Rinne angestiegen. Sieben Stunden dauerte die zweite Durchsteigung und zwanzig Stunden die gesamte Tour mit dem Abstieg über den Breitlaubgrat bis Simplon Dorf zurück. Die dritten, die sich der Wand näherten, aber waren wir, eine 7 Mann starke Seilschaft der Bergsteigergruppe des ÖTK Wien.

Die Ursache für die grossen Zeiträume zwischen den einzelnen Durchsteigungen ist vor allem in der Länge der Tour zu suchen. Man muss praktisch aus der Waldregion in einem Zuge bis nahe an die Viertausendergrenze ansteigen. Keine Schutzhütte bietet einem dazwischen Unterschlupf für die Nacht an. Andrerseits aber ist das Fletschhorn auch kein Viertausender mehr. Nach der Neuvermessung des « Pierre du Niton », jenem Felsblock in der Bucht von Genf, auf dem die gesamte Schweizer Vermessung basiert, von 376,86 m auf 373,60, wurden alle Schweizer Gipfelkoten um 3,26 m herabgesetzt. Dies hatte zur Folge, dass der Piz Zupó ( 4002 m ) und das Fletschhorn ( 4001 m ), die gerade an der Grenze lagen, zu Dreitausendern degradiert wurden. Nach der neuen Schweizer Landeskarte wird die Höhe des Fletschhorns sogar mit: nur 3996 m angegeben. Ganze 4 m fehlen unserem Berg jetzt zu einem Viertausender, und dennoch ist er für viele damit zu einem Gipfel zweiter Ordnung geworden. Ob sich das Fletschhorn allerdings sehr darüber kränkt?

Als wir vom Süden, vom Comersee kommend, die Simplonstrasse hinauffuhren, tat sich die Frage auf, von wo wir die Fletschhorn-Nordwand belagern sollten: vom Hotel in Simplon Dorf, von Eggen oder von der Rossbodenalm? Wir entschieden uns für letztere. Erstens um der alten Berg-vagabunden-Tradition gerecht zu werden, zweitens aus budgetären Erwägungen und drittens, und das gab den eigentlichen Ausschlag, weil wir auf der Alm dem Einstieg wenigstens um eine knappe Stunde näher waren. Dort lagen wir dann im Obergeschoss eines Stalles im Heu und lauschten auf das Prasseln des Regens. Doch nicht nur von oben, auch von unten drangen Geräusche zu uns. Gegen das Läuten der Kuhschellen konnten wir uns noch zur Wehr setzen, indem wir die Glocken mit Papier ausstopften, gegen die anderen typischen Stallgeräusche aber waren wir machtlos. Gemeinsam mit den damit verbundenen Wohlgerüchen drangen sie durch die Fugen des Bretterbodens zu uns. Was aber war das alles gegen die Ziegen. Frech drängten sie sich in unser Logis und waren nur mit Mühe davon abzuhalten, das Heu unter unseren Schlafsäcken wegzufressen. Drei Tage dauerte dieses Idyll. Eine Milchorgie jagte die andere, und dazwischen beobachteten wir mit langen Gesichtern, wie sich die Alm langsam in ein Sumpfgelände verwandelte.

In der Nacht vom 16. zum 17. Juli klarte es allmählich auf. Bereits um 1.30 Uhr marschierten wir los, waren wir doch von den vorangegangenen Tagen mehr als nur ausgeschlafen, und die Tour versprach sehr lang zu werden. Ausserdem trauten wir auch dem Wetter nicht auf Dauer, zu unvermittelt, zu rasch war die Besserung gekommen.

Eine Stirnlampe und eine Kerzenlaterne erhellten den Pfad, ziemlich wenig für eine 7 Mann starke Gruppe. Dennoch gewannen wir rasch an Höhe, und bereits um 4 Uhr standen wir am Sattel, 3012 m.

Die ersten Sonnenstrahlen färbten unsere Wand purpurn, als wir unsere Anstiegsroute festlegten, Blanchets Weg, der im linken Wandteil emporstrebt und sich oben nach rechts zum Gipfel wendet, führt durch eine längere Felszone. Das Gestein war über und über mit Pulverschnee bedeckt, so dass wir uns für eine neue Route im rechten Wandteil entschlossen, die ganz im Eis emporführt.

Die Neigung in den ersten 300 m war ziemlich sanft und die Schneeverhältnisse so günstig, dass wir schon beinahe enttäuscht waren. Nicht einmal ganz eine Stunde benötigten Karli Mach und seine Leute, die hier gespurt hatten, für dieses Wegstück. Dann bogen sie scharf nach rechts ab. Eine Felsinsel drängte sich förmlich für eine Frühstücksrast auf. Wie ein Schiffsbug ragte sie mehrere Meter aus der Firnflanke heraus, oben mit einer vollkommen ebenen Fläche, die zum Sitzen einlud. Auch wir schwenkten hinüber. Es war ein richtiger « Lug-ins-Land ». 1500 m tiefer erblickten wir die Rossbodenalm. Die Gedanken zogen zu den Sennen hinunter, die uns so gastfreundlich aufgenommen hatten, und zu dem ach so zutraulichen Almvieh. Wir hatten übrigens ein Souvenir mit, das uns noch oft an diese Tage denken liess: Wir rochen allesamt nach Ziegen. Unsere Ausrüstung, unsere Kleidung und auch wir selbst hatten dieses ländliche Odeur anhaften. Noch tiefer unten erspähten wir die Simplonstrasse. Gelegentlich blinkten im Sonnenlicht Chromteile oder Scheiben von Autos bis zu uns herauf, mischte sich in das Almgeläute das Horn eines Postautobusses. Wir verfolgten ihre Fahrt bis zur Passhöhe, dann versanken sie aus unserem Blickfeld. Sie tauchten hinab in die Dunstschicht des Rhonetales. Und auf der anderen Talseite grüsste das Berner Oberland. Eine scharf abgegrenzte horizontale Linie zeigte die tiefe Neuschneelage des vergangenen Schlechtwetters an. Für unsere Kameras war Grosskampftag. Die Verschlüsse knatterten wie Maschinengewehre. Es war einer jener Sonnentage, wie sich ihn die internationale Filmindustrie wünscht.

Hoch oben in der Wand, nur viel weiter links, lockte abermals eine Felsinsel. In Anbetracht der gemütlich verbrachten Rast wählten wir sie als weiteren Richtungspunkt. Hofften wir doch, dort noch so eine Oase inmitten der Steilflanke zu finden. Dr. Heinz Regele und ich gingen nun voran. Anfangs war der Schnee noch immer tief. Doch allmählich steilte sich der Hang auf, die Firnschicht wurde dünn und dünner, und dann war der Moment gekommen, wo wir zum Stufenschlagen und zu Eishakensicherung übergehen mussten. Zuerst waren es nur wenige Kerben innerhalb einer Seillänge, dazwischen fanden sich noch spärliche Firnflecken, die reines Steigeisengehen erlaubten. 100 m höher aber kam der Pickel endgültig zu seinem angestammten Recht. Wie besessen schlug ich auf die spröde, glasige Eisfläche ein. « 4-5 Seillängen höher bei den Felsen löst mich ja Egbert in der Führung ab. » Ohne mit den Kräften hauszuhalten, schwang ich den Pickel. 100, 50, 30, noch 10 Stufen, dann stand ich bei dem Steinblock, der aber bestenfalls zwei Leuten Platz bot.

Als ich Egbert an mir vorbei an die Spitze lassen wollte, gestand er mir bleich und hohlwangig, dass er sich nicht wohl fühle und seit Stunden Magenkrämpfe habe. Ich blickte empor, der hier an und für sich schon sehr steile Hang wird oben noch von einem Wulst durchzogen. Wenn mich hier einer hätte ablösen können, so wäre es Egbert Eidher, mein Musterschüler, gewesen, wenn nicht, so musste ich eben selbst die Führung beibehalten. Eggi aber war tatsächlich weit von seiner gewohnten Form entfernt und ersuchte sogar, sich an unsere Seilschaft anhängen zu dürfen.

Vom Felsblock führte eine sanft ausgeprägte Route gerade hinauf. Zu viert stiegen wir etwa 50 m daran empor. In der ersten Seillänge waren noch einige gewagte Steigeisenschritte zwischen den Stufen möglich, in der zweiten waren diese Schritte dann zu gewagt. Zweimal nacheinander rutschten die Steigeisenzacken an der glasigen Oberfläche ab. Zweimal hing ich für Sekunden mit den Händen am Pickel und an einem Hohlschliff haken, deren Spitzen auch nur wenige Millimeter ins Eis eingedrungen waren. Für Sekunden erstarrte jedesmal das Blut in den Adern und rutschte da; Herz in den Hosenboden, dann hatten sich die vorderen Zacken der Steigeisen wieder ins Eis verkrallt. In verkrampfter Haltung hackte ich die nächste Kerbe, ein rascher Schritt, dann erst konnte ich erleichtert aufatmen. Von nun an liess ich mich auf keine Kunststücke mehr ein und hackte brav Stufe um Stufe.

Als wir uns dem Wulst bis auf zwei Seillängen genähert hatten, sahen wir, dass er im geraden Anstieg nur unter ausgiebiger Eishaken- und Trittschlingenverwendung zu ersteigen ist. Nur eine Z-förmige Schleife versprach ein Höherkommen mit konservativen Mitteln. Über einen Bergschrund hinweg hielten wir schräg nach links in eine steile Firnbucht hinein. Diese Firnbucht war von einer weit vorspringenden Séracbank überdacht. Mein Plan war, bis knapp unter die Séracs anzusteigen, um von dort über eine steile Rampe nach rechts zurückzuqueren, wo die Eisüberhänge allmählich aufhören. Diese Rampe befindet sich bereits oberhalb des Eiswulstes zur Rechten und führt zu dem schon sanfter geneigten Gipfelhang. Es sollte eine raffinierte Umgehung der Schlüsselstelle sein, ein Überlisten. In Wirklichkeit wurden es einige ganz heikle Seillängen. Zuerst 50°, und dann 60° mochte die Steilheit ab der halben Wand betragen haben. Sie sollte sich noch bis zu 70° steigern. 70° ist im Fels schon sehr steil, im Eis erscheinen sie einem bereits als senkrecht. Nun genügten auch die Stufen allein nicht mehr. Der Körper wurde zu weit abgedrängt, so dass ich auch Griffkerben für die Hände schlagen musste.

Die Rechtsquerung in der Rampe war unheimlich in ihrer Ausgesetztheit. Wir nannten sie den « Nervenquergang ». Knapp unter mir brachen Séracs senkrecht ab, und erst viel tiefer erblickte ich Günther Godai, den Schlussmann. Er stand als letzter noch in der Geschossbahn meiner Eisschollen. Jedesmal, wenn ihn ein Brocken traf, jaulte er auf wie ein misshandeltes Tier, und jedesmal tröstete ihn sein Seilgefährte Karli Mach mit seinem trockenen Allheilspruch: « A Indianer kennt kan Schmerz! » Allmählich drohten meine Arme ihren Dienst zu versagen. Ich schlug einen Zwischenhaken, um mich etwas zu erholen. Heinz konnte währenddessen Egbert nachsichern. Doch viel zu rasch war Egbert seine 30 m nachgefolgt, für mein Ruhebedürfnis zumindest. Wieder taten die Arme mechanisch ihren Dienst, Stufe - Griffkerbe - Stufe - Griffkerbe usw. Nun zählte ich sie nicht mehr in Zehnerzahlen, nun zählte ich sie einzeln. Endlich war das Seil aus. Ich pflanzte meinen Standhaken ins Eis, hing eine Selbstsicherung mit dem Karabiner daran, und Heinz konnte nachkommen. Auch Wilfried konnte gleichzeitig zu Egbert hinauf, der ganze lange Wurm unserer 7-Mann-Kolonne kam in Bewegung. Ich war vor allem froh, dass Günther, unser 18jähriger Benjamin, nun aus der Geschossbahn der Eisbrocken kam. Gerade unser Schlussmann hatte als einziger keinen Steinschlaghelm, sein « Topferl » liegt irgendwo in der Bernina. Nach der letzten Tour, der Roseg-NO-Wand, hatte es Selbständigkeitsbestrebungen bekommen und war abgestürzt.

Mit langen Spreizschritten turnte Heinz zu meinem Standplatz herüber. Wie alle meine bisherigen Gefährten, einschliesslich den mich fast um einen Kopf überragenden Eggi, protestierte auch er gegen die weit auseinanderliegenden Stufen. Doch wer die Stufen schlagen muss, lernt sich zu strecken, denn jede ersparte Kerbe ist auch ersparte Zeit und vor allem Kraft. Auf meinem luftigen Standplatz angelangt, wechselte Heinz umständlich seine Leicaobjektive und schoss mit der grössten Ruhe Serienphotos. Ich befürchtete, dass neben Eisbrocken nun auch bald Teleobjektive die Wand hinabkollerten.

Während Heinz noch seinen photographischen Balanceakt vollführte, nahm ich den Kampf mit der glasigen Oberfläche wieder auf. Noch eine Seillänge, noch einmal Stufe - Griffkerbe - Stufe... Dazwischen liess ich schon oft die Arme ermattet herabhängen. Wie hatte mir ein Freund vor dem Sommer gesagt: « Gib doch das extreme Bergsteigen schon schön langsam auf! » Vor 10 Jahren hatte ich mit ihm selbst noch eine Reihe Walliser Eiswände durchstiegen. In der Zwischenzeit aber machten sich auch bei ihm schon die Auswirkungen unseres kleinen österreichischen Wirtschafts-wunders bemerkbar. Neben einem gut florierenden Geschäft und einem schnellen Wagen hatte er sich auch ein kleines « Bäucherl » zugelegt, das ihm nun nur mehr bescheidenere Touren erlaubt, und jetzt meinte er, dass es auch für mich, wo ich doch mit 32 Jahren sogar etwas älter bin als er, Zeit zum Schlussmachen wäre. Er sprach etwas von übertriebenem Ehrgeiz und fragte, ob ich nicht manchmal merke, dass ich dadurch die Jungen, die 18-25jährigen, behindere. Schade, dass er nicht mehr versteht, dass es mich ganz einfach freut, viel Luft unter den Beinen zu spüren, dass man manchmal diesen Kampf bis zum Umfallen braucht und dass man nicht so einfach Schluss machen kann, wenn man wirklich Bergsteiger ist. Nicht wir sind es, die mit den Bergen Schluss machen, sondern die Berge mit uns. Sie sind es, die uns unmissverständlich merken lassen, wann wir auf eine zahmere Art des Bergsteigens zurückschalten müssen. Können wir es den Laien verargen, dass sie uns Bergsteiger für potentielle Selbstmörder halten, wenn sogar einer, der selbst noch vor wenigen Jahren in Trittschlingen hing, heute erhaben darüber lächelt. « Zur Last fallen will ich meinen jungen Freunden jedenfalls nicht! » Wild liess ich den Pickel auf das Eis niedersausen. Stufen -Griff kerben - Stufen... Diese Seillänge brachte ich rascher hinter mich, ich hatte meinen Ast, meinen Müdigkeitsanfall überwunden.

Der Ausstieg erfolgte über die sanfter geneigte Gipfelwand. Sanft geneigt war sie uns von unten erschienen, in Wirklichkeit war sie noch immer etwa 50° steil. Dafür aber war die Gipfelwand wider Erwarten kurz, nur knapp drei Seillängen. Auch fand sich eine Firnrippe auf dem Eis. Stellenweise war sie zwar dünn und faul, doch die kurzen Rutsche von vorhin waren bereits wieder vergessen, so dass wir mit raschen Steigeisenschritten darüber hinwegtänzelten. Punkt 13.30 Uhr durchstiess ich die 1 m vorspringende Wächte, ein Klimmzug, und ich fiel schnaubend vornüber in den Schnee. Erst nach einer Minute rappelte ich mich auf. Unser Wächtendurchstich war etwa 30 m unterhalb des höchsten Punktes, am Firnplateau westlich des Gipfels, erfolgt.

Von Enttäuschung, weil die Wand zu flach, zu leicht war, keine Spur mehr. Im Gegenteil, technisch war sie eine meiner schwierigsten Eistouren, jedoch ziemlich frei von objektiven Gefahren. Wir hatten damit einen Weg eröffnen dürfen, von dem zu hoffen ist, dass er noch viele Wiederholer findet.

Eine Viertelstunde später sassen wir im Südosten, im Windschatten des Gipfels, und warteten auf die am Schluss gehende Dreierseilschaft. Heinz hatte, wie bei jeder Rast, den Benzinkocher auf seinen Knien aufgebaut und braute Nescafe. Nach dem zweiten Topf wurden wir ungeduldig. « Ist den Freunden am Ende noch in den letzten Seillängen etwas zugestossen? » Ich machte mir Vorwürfe, dass ich in der Gipfelwand keine Stufen schlug. Schliesslich stiegen Eggi und ich nochmals zum Gipfel auf, um Nachschau zu halten. Gerade am Scheitelpunkt stiessen wir mit den Dreien zusammen. Unsere Sorgen waren unnötig gewesen, nur müde und abgekämpft sahen sie aus. Es schien, als hätte die Eisflanke Karli, Günther und auch den bärenstarken Paul Pernitsch, der schon halb Europa mit dem Fahrrad abgetrampelt hat, mehr zugesetzt als mir « altem Herrn ». Ich hatte das Gefühl, die Jungen zumindest diesmal noch nicht aufgehalten und behindert zu haben, der Moment zum Schlussmachen war damit wieder einmal ein wenig hinausgezögert.

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