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Eine Woche Ferien in der Etzlihütte

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

VON ESTHER KISSLING, WALLISELLEN

Mit 1 Bild ( 70 ) Seit unser Jüngster 4jährig ist, unternehmen wir grössere Fusstouren in die Berge. So verbrachten wir letztes Jahr ein herrliches Wochenende in der Etzlihütte. Unsern vier Kindern gefiel das Hüttenleben dermassen gut, dass sie uns mit Bitten bestürmten, wir möchten doch dieses Jahr eine ganze Woche bleiben! Ein Blick auf meinen Mann überzeugte mich, dass er nur zu gerne ja sagte: Allzu lange hatte er seinen Bergdrang zurückstellen müssen! Die Kinder können den Tag der Abreise kaum erwarten, mir selbst vergeht die Zeit wie im Flug, habe ich doch alle Hände voll zu tun, bis ich unsere Ausrüstung beisammen habe. Gutes Schuhwerk, Sporthemden und Hosen, Socken und Reservekleider sind unerlässlich. Auch das Menu muss sorgfältig zusammengestellt sein, schliesslich dürfen unsere Rucksäcke nicht allzu schwer werden. Der 10jährige Ueli, der 9jährige Edi und sogar das 7jährige Estherli anerbieten sich spontan, einen angemessenen Teil unseres Gepäckes zu tragen, nur unser Jüngster, der 5jährige Martin, geht noch leer aus. Und endlich, endlich ist es soweit! Nach einer von Vorfreude teils schlaflosen Nacht verpacken wir die Rucksäcke ins Auto und steuern dem Ausgangspunkt unserer Tour, Sedrun, zu. Wir kaufen noch drei grosse Brotlaibe und binden sie oben auf unsere bereits kugelrund gefüllten Säcke.

Jedes schwingt jetzt den Rucksack auf den Rücken und langsam bewegt sich unser Züglein das Val Strem hinauf. Es ist der 1.August, und um den Geburtstag unserer Heimat zu feiern, hat sich jedes der Kinder noch eine Fahne auf den Rucksack gesteckt. So flattert auf Edis Rucksack der Uristier, Esthers Schweizerkreuz leuchtet froh aus dem roten Feld, und Uelis Zürcherfahne ragt über seinen Kopf hinaus. Martin, unser Jüngster, führt den Zug an, und wir können ein Lächeln nicht unterdrücken, ob unserer bergtüchtigen Schar. Mich selbst beschleicht zwar nach den ersten Schritten ein etwas banges Gefühl beim Gedanken an den schweren Rucksack und die Länge unseres Weges, rechnen wir doch mit mindestens 5 Stunden Marschzeit! Aber es geht viel besser als erwartet. Wir schalten eben öfters einen Halt ein und gewöhnen uns langsam an Gewicht und Hitze. Denn die Sonne brennt - einen schöneren, windstilleren, prachtvolleren 1. August habe ich noch kaum erlebt. Die Kinder allein scheinen nicht viel davon zu spüren, sie steigen eifrig fürbass, und wie wir das nächste Mal am klaren Bach halten, sind sie schon bald ins Wasserspiel vertieft. Wir haben fast Mühe, sie zum Essen heranzulocken, aber wie wir mit der Feldflasche winken, kommen alle herangerannt. Mit geniesserischen kleinen Schlückchen schlürfen wir den herrlichen Tee. Die Kinder würden am liebsten noch länger am kühlen Wasser spielen, aber bereitwillig hisst bald wieder jedes den Rucksack auf den Rücken.

Die Sonne steht hoch im Zenith, die Berge heben sich herrlich vom tiefblauen Himmel ab. Bald windet sich das Weglein mit vielen Zickzackkehren die eine Bergseite hinan, hinauf zum Krüzlipass. Wir kommen an der Stelle vorbei, wo wir letztes Jahr den prächtigen Kristall gefunden haben, der jetzt, in eine Brosche verwandelt, mein Sonntagskleid ziert. Heute aber steht uns der Sinn nicht nach Kristallen - im Rückweg vielleicht, wenn wir leichter haben! Ueli und Edi, unsere Grossen, lassen wir jetzt voraus bis zur Passhöhe; schon lange haben sie auf dieses Zeichen gewartet. Sie kennen den Weg vom letzten Jahr und springen wie Gemsen den Berg hinan. Wie wir, der Schwanz unserer Sechserpartie, endlich oben anlangen, sind auf dem Steinmannli auf 2350 m ü.M. bereits die Fahnen gehisst. Von einem Ehepaar, übrigens den einzigen zwei Personen, die wir an diesem Tag unterwegs antreffen, werden wir damit begrüsst: « Aha, da kommt er ja, dieser 5jährige !» Wir haben wohl ziemlich dumm dreingeschaut, denn sie erklären uns lachend, sie hätten die zwei Buben bewundert, die vor uns alleine heraufgekommen seien, aber die hätten grossartig erklärt: Ah, das sei noch gar nichts, da hinten käme dann noch ein 5jähriger! Unserem Jüngsten hat dies das Rückgrat gewaltig gestärkt und ihm den nötigen Eifer für das letzte Stück gegeben!

Den grossen Höhenunterschied haben wir jetzt hinter uns. Wir kühlen uns an einem Bergwässer-lein Gesicht und Ohrläppchen und lassen das kühle Nass durch unsere Finger rieseln. Unser Weg führt uns jetzt sicher bergab, bis er plötzlich vor mächtigen Steinblöcken, die ein riesengrosses Geröllfeld bilden, aufhört. Die Markierungen lassen uns aber auch weiterhin nicht im Stich, und von einem Stein zum andern springend finden wir leicht den Weg aus der Steinwüste hinaus.

« Hier haben wir die Heidelbeeren gefunden, letztes Jahr », ruft eines, und jubelnd, bücken sich alle zu den kleinen Stauden. Aber für Heidelbeeren, auf 2000 m Höhe sind wir diesen August eben noch zu früh, erst winzigkleine grüne Kügelchen lassen die späteren süssen Beeren ahnen.

Zu unseren Füssen aber sehen wir das Brücklein über den Etzlibach und drüben auf gleicher Höhe wie wir, die Etzlihütte SAC, unser Reiseziel.

Dies gibt unsern müden Füssen und Rücken neue Kraft. Jetzt schnell noch das kurze Stück hinab, das Brücklein passieren, und schon starten unsere Buben zu einem Wettlauf die letzte kurze Steigung zur Hütte hinan. Uns tragen die Füsse nicht mehr so schnell. Wie wir oben anlangen, sitzen die zwei schon bei einem Sirup am Steintisch vor dem Haus, mit strahlenden Gesichtern und baumelnden Füssen. Herr Epp, der Hüttenwart, ist am Holzspalten, seine Frau kommt zur Begrüssung unter die Hüttentüre, und uns wird ganz warm ums Herz ob so viel Häuslichkeit und Herzlichkeit.

Vor uns sind bereits andere Gäste angelangt. Unsere Jüngsten sind gerade dabei, sich mit ihnen anzufreunden und von ihnen bewundern zu lassen. Wir Eltern aber liegen für den Rest des Tages auf dem Mäuerchen, in die Sonne blinzelnd und unserer Schuhe ledig. Die Sonne sinkt langsam im Westen hinter dem Sunnig Wichel hinunter und färbt Himmel und Bergspitzen rot, der letzte Sonnenstrahl verschwindet vom Platz vor der Hütte, und der plötzliche Wechsel in den Schatten lässt uns leicht frösteln. Zudem stellt sich der Hunger ein. Beim Gedanken an die geschwellten Kartoffeln im Rucksack für unsere Rösti am ersten Abend läuft mir das Wasser im Mund zusammen. Nachdem ich aufs sorgfältigste unsere jetzt so kostbaren Kartoffeln geschält und geschnitten habe, brät Frau Epp uns eine wundervolle Rösti. Dazu trinken wir aus grossen Tassen schäumende Ziegenmilch. Herrlich, beim Petroleumlicht um den Tisch zu sitzen und beide Hände am Kaffeekacheli zu wärmen!

An diesem Abend bleiben wir etwas länger auf, als an den folgenden Tagen, wo wir « mit den Hühnern », d.h. in diesem speziellen Fall « mit den Ziegen », zu Bett gehen. Wie es dunkle Nacht geworden ist, treten wir alle vors Haus. Ein herrlicher Sternenhimmel wölbt sich über uns, viel klarer, als wir es vom Tiefland gewohnt sind. Der Hüttenwart hat sogar ein Augustfeuer vorbereitet: Das alte Stroh aus den Schlafräumen vom letzten Jahr soll seinen letzten Dienst versehen! Die Flammen lodern züngelnd ins Dunkel empor, und bald sehen wir talsauswärts ein anderes und ein drittes Licht. Von unserer hohen Warte aus fühlen wir uns eng verbunden mit unsern Mitbürgern im Vaterland.

Unsere Kinder staunen und können fast nicht warten, bis die Raketen an die Reihe kommen. Die Grossmutter hat sie ihnen, in einen Sack verpackt, geschenkt, und die Kinder haben es sich nicht nehmen lassen, diese auch noch mitzutragen! Die erste Rakete schiesst zischend ins Dunkel, die zweite steigt pfeilgerade zum Himmel und schüttet hoch oben ihre farbigen Sterne aus. Plötzlich sehen wir auf der Alp unter uns ein Fünklein glimmen und lautlos steigt eine Feuergarbe empor. Eine zweite folgt und ist auf uns zu gerichtet: Das ist das Signal zu einem fröhlichen Wettstreit zwischen dem Senn und unsDas Feuer ist, als richtiges Strohfeuer, bald in sich zusammengesunken und verlöscht. Die letzte Rakete hat ihr Licht verschwendet. Wir begeben uns zur Ruhe. Der Bergbach singt uns mit seinem Rauschen das Wiegenlied.

Das Schlafen auf den Pritschen bedeutet für die Kinder ein ganz besonderes Vergnügen. Es ist ein herrliches, beruhigendes Gefühl, beim Einschlafen und Erwachen Eltern und Geschwister gleich neben sich zu wissen. Mir selbst steigt es beim Betrachten der im gelösten Schlaf rosigen Kindergesichter warm in die Kehle: Ich bin restlos glücklich!

Am Morgen hebt ein Fragen an: Was tun wir heute? Am Bach spielen oder Kristalle hämmern? Aber bald sind sich die Kinder einig, dass sie zuerst einen Besuch abstatten wollen. Hinter dem Hüttenwart her klappern sie in Holzschuhen bald darauf zum Ziegenstall hinauf. Esther hält Edi einen Augenblick zurück und zeigt ihm verstohlen die Hand: Ein kleines weisses Häufchen Salz! « Fürs Flöckli und s'Bruni », raunt es seinem Bruder zu.

Nach dem Melken bringt Meister Epp die Milch in die Küche herein, immer die Kinder im Schlepptau. Diese übersprudeln nur so vom Geschauten und Erlebten: Sie haben die Ziegen gestreichelt, das Flöckli hat das Salz aus der Hand geleckt; das Braune hat zuerst nicht stillhalten wollen; die Milch im Kessel hat richtig geschäumt, und alle vier wissen jetzt, wie man Ziegen melkt!

Die Tage verbringen wir meist abseits der Hütte. Wir steigen ein Stück bergan, der Pörtlilücke entgegen, und suchen uns einen Lagerplatz in der Nähe eines Bächleins. Esther und Martin sind bald ins Wasserspiel vertieft, sie bauen eine Brücke aus Steinen über das Wasser, die wir später einweihen müssen. Steine und Felsen hat es überall, und Ueli und Edi schwingen den mitgebrachten Hammer und gehen auf die Suche nach Kristallen. Wir Eltern suchen uns ein weiches Grasplätzchen und liegen auf dem Rücken und träumen in das wolkenlose Blau des Himmels. Eine herrliche Ruhe ringsum, bis auf das Plätschern des Bächleins und vereinzelte entzückte Rufe und Jauchzer unserer Kinder beim Spiel oder beim Finden eines besonders schönen Steines.

So verbringen wir die Tage mit Ausruhen bis auf zwei Mal, da uns Erwachsene die Berge locken. Wir möchten einmal den Bristenstock, ein anderes Mal den Piz Nair besteigen. Die Kinder dürfen wir getrost Frau Epp überlassen. Zu früher Stunde steigen wir hinter Herrn Epp, unserem Bergführer, bergan. Es ist noch wirklich frisch, die Sonne ist noch nicht aufgegangen und unser Atem verliert sich als weisser Dampf in der Luft.

Der Fussweg führt bergan, über Schutt und Geröll. Inmitten dieser Steinwüste fristen anspruchslose Pflänzchen ihr Dasein und erfreuen den Berggänger mit ihrem Blühen. Gelbleuchtender Gems- wurz säumt stellenweise den Weg. Hier sitzen ein paar « alti Manne » eng zusammen, als müssten sie sich gegenseitig Mut und Schutz geben, dort tanzen rotblühende Stengelenzianen einen Ringelreihen, und drüben lädt ein rotes Moospölsterchen zum Verweilen ein.

Wir nähern uns bald dem Schnee. Ein paar braune Flecken mittendrin lassen uns den Schritt anhalten. Doch zu spät: Die Gemsen haben uns schon erspäht. Sie setzen zu riesigen Sprüngen an, traversieren gar eilig das Schneefeld und jagen drüben die Felsen hinan, mit unerhörter Leichtigkeit von Felsband zu Felsband springend. Kämen wir so leicht voran !-Beeindruckt setzen wir unsern Aufstieg fort. Höher oben stehen wir in der Sonne. Geblendet von so viel Licht auf dem Schnee müssen wir blinzeln. Bei den nächsten Steinen machen wir halt, lassen uns den Rücken an der Sonne wärmen und stärken uns für das letzte Stück. Jetzt beginnt die Kletterei. Unser Führer sichert uns am Seil. Beim Gedanken an diesen Augenblick spürte ich während der letzten Tage immer ein leichtes Kribbeln im Magen. Denn dies ist meine erste rechte Bergtour am Seil. Aber alles geht gut. Gemächlich, jeden Schritt und Griff abwägend, steigen wir auf. Selbst dort, wo ich meine, für Füsse und Hände keinen Halt zu finden, macht mich Epp auf einen Riss, eine kleine Spalte aufmerksam, und ohne allzu grosse Anstrengung kommen wir hinauf.

Herrlich, die Aussicht rundum! Die nächsten Gipfel haben wir als Felsriesen eindrücklich nah, die weiter entfernten halb hinter andern versteckt, die fernsten als winzige Zacken den Horizont begrenzend. Das gleiche grossartige Bild, wie wir uns auch drehen und wenden! In der Tiefe sehen wir wie Spielzeuge die Häuser, auf der Passstrasse winzige Autos, die sich eines hinter dem andern den Berg hinanmühen... Anderthalb Stunden sitzen wir oben und geniessen den mitgebrachten Znüni nicht weniger als die herrliche Rundsicht. Dann führt uns Epp wieder sicher durch die Felsen hinunter, und unsere Bergtour findet den Abschluss in einer lustigen Rutschpartie auf dem Schnee.

Die Kinder halten vor der Hütte nach uns Ausschau und kommen uns entgegengesprungen. Ihnen ist der Tag unterdessen nicht lang geworden. Sie haben uns viel zu erzählen: Von einem Murmeli, das sie beobachtet haben, von Blumen und Steinen, die sie gefunden, von einem Vogel, der lange über ihnen gekreist hat...

So dünken uns die Stunden, die Woche lang, und doch naht der Tag, an dem wir Abschied nehmen müssen von der Hütte und ihren Bewohnern, die uns so lieb geworden sind. Die Stunde kommt, zu der wir mit zwar merklich leichteren Rucksäcken, aber mit wesentlich schwererem Herzen Hüttenwart Epp und seiner Frau die Hand schütteln. Zu unserem Trost dürfen wir sagen: « Uf Widerluege ».

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