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Erinnern an den Winter - im August 1963

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VON PAUL PORTNER, UZWIL

Mit I Bild ( 140 ) Nachdem die MZA-Wetterfrösche über Beromünster für den 11. August Schlechtwetter weissagten, selbigentags aber vom frühen Morgen bis zum späten Abend die Sonne ihre Wärme schenkte, gab unser Tourenleiter acht Tage später nicht mehr viel auf derlei Prophezeiungen, und zuversichtlich starteten wir zur Piz Beverin-Tour.

Föhnblaue Wolkenfenster über dem Bündnerland konnten unserer schönen Fahrt das Rheintal hinauf keinen Dämpfer geben. Bis Sonntag abend hält das Wetter bestimmt, war die allgemeine Meinung.

Selbst die ersten Regentropfen, welche hinter Thusis, als wir das steile Strässchen hinauf nach Masein fuhren, an die Wagenscheiben klopften, nahm man humorvoll als « gutes Zeichen ». In Untertschappina liessen wir die Wagen zurück und guter Laune wurde der Glaspassweg unter die Füsse genommen. Doch unser Optimismus und die grobe Missachtung sämtlicher Schlechtwetter- zeichen sollte sich bitter rächen: stets zünftiger goss es auf die Regenschütze, und bald tappte männiglich leicht verschnupft im immer grauer und dichter werdenden Wolkenvorhang. Ich schrieb mir den Beverin längst heimlich ab und trottete gemächlich als letzter, leicht abgehängt, hinter der stummen Kolonne. Wie herrlich war nach langem Regenmarsch die warme Stube auf dem Glaspass!

Der Wirt schmunzelte vielsagend bei der Wetternachfrage. Er war der Ansicht, dass wir ruhig schlafen sollten und dann am Morgen entscheiden, was zu unternehmen sei. Für eine Beverin-besteigung hegte er schon einige Bedenken.

Trotzdem schliefen wir alle mit einer leisen Hoffnung auf einen strahlenden Sonntagmorgen friedlich ein. Bald sang nur noch der Bergwind seine alten Melodien...

Abnormal helles Morgenlicht weckte mich schon kurz nach 5 Uhr.

Ein azurblauer, wolkenloser Himmel zauberte Miriaden reinfunkelnder Diamanten in eine paradiesisch schöne Winterlandschaft!

Ergriffen stand ich stumm am Fenster: Als ziehe ein grosser Künstler seine letzten Schleier von einem Märchenwerk, krochen lautlos feine Nebelfahnen von den weissen Höhen in die noch dunklen Täler. Herrlich und doch abweisend reckte der tiefverschneite Piz Beverin seine stolzen Flanken in den immer noch blauer werdenden Äther. Uns blieb nur der Rückweg.

Was gestern öd und melancholisch den Weg säumte, gleisste in strahlendem Wintermorgenglanz in zauberhaften Szenerien. Und durch dieses knietiefe Weiss strebten die Rinder der Weide, verängstigt brüllend, zu den tiefern Wohnstätten.

Das war der Schönheit Schattenseite: in Ermangelung von Alphütten mit Futtervorrat mussten die Hirten von den Tälern frühmorgens in aller Eile mit allergattig geländegängigen Fahrzeugen zur Höhe fahren und das vom jähen Winter überraschte Vieh zusammentreiben.

Eifrig knipsend und immer wieder in das seltene Blau des Himmels staunend, stapften wir gemächlich talwärts... einem brodelnden Wolkenmeer entgegen. Wir liessen die Chauffeure mit leeren Wagen gen Thusis fahren. Diesen Winter mitten im August wollten wir unbedingt marschierend geniessen. Hin und wieder lagen, quer zum Pfad, von der Schneelast gefällte Tannen, oder irgendein übermütiger Sonnenkobold schüttete aus den Ästen glitzernden Pulverstaub in unsere heissen Nacken.

Weit hinten am stahlblauen Horizont leuchteten wintermärchenhaft die silberglänzenden Gipfel von Dreibündenstein, Stätzerhorn und Piz Scalottas. Sonst wogte bis auf eine Höhe von 1500 Metern ein einzigartiges Wolkenmeer, das sich ganz unwirklich vom tiefen Blau über uns abhob.

Aber was für uns Bergsteiger ein selten schönes, einmaliges Erlebnis war, bedeutete für die Bergbauern viel Kummer und Sorgen. Unterhalb Urmein lag das Korn fast verfault, das schöne saftige Heufutter konnte nicht gemäht werden, und das von den Alpen drängende Vieh hätte noch über drei Wochen in den oberen Regionen weiden sollen. Und doch sah man nirgends gehässige Leute. Als wir einem urchigen Älpler unser Bedauern aussprachen, meinte er: « B'hüetis, s'chönd au wieder besseri Zyte! » - Mählich mit dem Tieferkommen wurde der Schnee immer nasser, und bald war der Fussweg eher Bachbett; der Boden vermochte die rasch eintretende Schneeschmelze nicht zu schlucken. An einem aperen Sonnenbord ausserhalb Thusis genossen wir bei kurzer Mittagsrast noch einmal den herrlichen Anblick des weissglänzenden Piz Beverin, den aber schon Schlecht-wetterfahnen umbrandeten. Das wolkenverhangene Rheintal hinab bis zu unserem regenverwa-schenen Dorf schien uns das Erlebte wie ein Traum: Sonne, Schnee und blauer Himmel - Winter, mitten im August!

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