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Erstbesteigung in der Cordillera Bianca in Peru

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Mit 2 Bildern ( 40, 41 ) und 1 Kartenskizzey £arj Schmid

( Laupheim ) Huascaran Nordgipfel, 6655 m Seit Monaten sind wir mit unserer kleinen Tropa durch die « Weissen Berge » gezogen. Wir, das sind ein Dutzend Mulas, ebenso viele Maultiertreiber und Träger und sechs Gringos. Ausländer und Einheimische bekamen im Laufe der Zeit mehr und mehr dasselbe Aussehen und rochen gleiehermassen nach Mulas. Ich fühlte mich dabei, offen gestanden, klassisch-kannibalisch wohl.

1 Es handelt sich um Besteigungen der Teilnehmer der Anden-Expedition 1939 des Deutschen Alpenvereins.

Also haben wir Gletscher vermessen, fotogrammetriert und Berge bestiegen. Schön ist das Leben des Menschen in freier Wildbahn! Und unsere Träger? Da war zum Beispiel Rodesindo. Er besass Hütte und Hof, Mais und Schafe und hatte eine fleissige CompaneraFrau minus Trauspesen ). Das Land ernährte seinen Mann. Aber trotzdem wollte er mit uns ziehen und steckte sogar noch eine Mula in das Unternehmen hinein. Was konnte ihn, den freien Serrano, dazu bewegen, das unstete Leben der Expedition, Arbeit und Mühe für eine fremde Sache auf sich zu nehmen? Nachdem er lange seinen Strohhut zwischen den Fingern gedreht und mehrmals durch seine blauschwarzen Haare, die ihm über das Gesicht hereinfielen, geblinzelt hatte, meinte er etwas verlegen: « Mistah, ich habe ein unruhiges Blut, und ich bin ein wenig Aven-turera. Ich möchte mein Land kennen lernen mitsamt den Bergen, welche die Indios fürchten. » Solche Burschen konnten wir gebrauchen.

Ausserdem konnten sie sich alle in diesem Sommer mit einem frommen Augenaufschlag von der Feldarbeit drücken, indem sie die entsagungsvolle Arbeit im wilden Eisgebirge auf sich nahmen, diese kleinen MärtyrerUnter uns gesagt, so abstinent ging es doch nicht zuDazu klangen die Silbersoles, und auf anstrengende Tage folgten grenzenlos faule, an denen man im sonnenbeschienenen Punagras lag und nichts anderes zu tun brauchte als zu rauchen, Coca zu kauen und den segelnden Wolken nachzuträumen. Tage und Nächte in der Sierra, in denen man überhaupt und allezeit fröhliche Gefährten zum Ratschen um sich hatte.

Doch zu ihrem Ruhme sei gesagt, dass unsere Peones in den fernsten und hintersten Talwinkeln auf endlosen Moränenhatschen, in Blockfeldern und auf steilen Gletscherhängen nie verzagt noch gemurrt, sondern allezeit ihre ganze Kraft zur Erreichung unserer Ziele eingesetzt haben, gerade so, als hätten sie alle vor dem Start den Kant studiert! Sicher, sie waren Menschenkinder wie andere, hatten ihre kleinen Leidenschaften und waren ständig den Versuchungen ausgesetzt. Man denke, selbst die Indios sind noch eitel!

Jedenfalls kam die grosse Genugtuung über sie an dem Tage, da wir uns den Huascaran zum Ziele nahmen. Dieses gewaltige Bergmassiv ist aus dem Cordillerenhauptkamm herausgelöst und gegen das dicht besiedelte Santatal vorgeschoben. Unmittelbar über den Dächern des kleinen Sierrastädtchens Yungay wächst der doppelgipflige Eisdom frei und unwahrscheinlich hoch in den peruanischen Himmel hinein, eine unvergessliche Bergpersönlichkeit, wie etwa das Matterhorn über Zermatt. Zwar weist der Huascaran nicht die Verwegenheit des Hornes auf. Dafür ist er von imposanter Wucht und Höhe, Perus höchster Berggipfel. Einmalig, vielleicht in der ganzen Welt, ist das Erlebnis, welches das betrachtende Auge vermittelt; mit einem einzigen Blick umfasst es blühende Apfelsinenbäume und Zuckerrohrfelder im Talgrund, kahlen Fels und ewiges Eis in den Gipfelhöhen, dazwischen die gesegneten Fluren der Indios — 4200 Meter Höhenunterschied auf 15 Kilometer Abstand.

Die Plaza de Armas, der viereckige Hauptplatz von Mancos ( einige Kilometer südlich von Yungay ), war heute mit einer stattlichen Zuschauer- zahl erfüllt. Sie wohnte unserem Aufbruchsmanöver bei. Im Laufe der Zeit hatten wir in den alltäglichen Packwirrwar etwas Ordnung gebracht, so dass sich der Aufbruch allmählich mit einem erträglichen Zeitverschleiss und einem Zehntel des sonst üblichen Palavers abspielte. Doch heute ging wieder ein wildes Gestikulieren durch die malerische Schar unserer Muchachos.

Heute waren sie nicht die armen Serranos und Indios, die ohne jede Neuigkeit durch das Städtchen trotten. Heute hatten sie den Inhalt eines ganzen Warenhauses auf der Plaza ausgebreitet, und bei offenen Cocamäulern standen ihre amigos und compadres mit tausend Fragen davor. Äusserlich sich langweilend, innerlich aber prickelnd vor Sensation gaben die Muchachos ihre Erklärungen über Dinge ab, die selbst den reichen Stadtbewohnern eine fremde Welt waren, ihnen selbst jedoch so selbstverständlich geworden waren, dass sie sich wundern mussten, wenn andere nach solchen Banalitäten fragen.

So sehr wir unseren Gefährten diesen einmaligen Triumph gönnten und auch mithalfen, ihn so nachhaltig wie möglich zu gestalten, einmal mussten wir ja doch aufbrechen. So setzte Hans den Abmarsch auf 11 Uhr fest, und nachdem wir noch von alt und jung mit einer Reihe guter Ratschläge bedacht worden waren, setzte sich mit viel Radau, Mula- und Anda-Carajo die kleine Kavalkade in Bewegung. Am liebsten wären die Burschen noch ein Stück mit Seil und Steigeisen über das Kopfpflaster der Strasse gegangen. Doch das war zu lästig. So fielen sie en passant in die rotbewimpelten Häuser am Ortsausgange ein, nahmen in kräftigen Zügen die dargereichte Chicha zur Brust, um schliesslich mit einiger Schlagseite, ein Opfer ihrer heutigen Popularität, wieder aufzukreuzen. Doch dann umgab uns bald wieder die grosse Stille, und die kampferprobte Tropa stiemte in ihrem eigenen Muladunst durch agavenbestandene Hohlwege bergan.

Zunächst führte der schmale, steinige Pfad das kleine Seitental des Rio Mancos aufwärts. Indios lehnten vor ihren aus Stein- und Grassoden erbauten Rundhütten. Indiofrauen begegneten uns, einen Säugling auf dem Rücken, dessen kleines filzhutbewehrtes Köpfchen bei jedem Schritt der Mutter von einer Seite zur andern baumelte. Unentwegt wie ein Perpetuimi mobile wirbelte die Spindel in der Hand der India. In der Rechten zwirnte sie den Faden und hatte noch Zeit, mit der Linken den Strohhut bei unserer Begegnung ein ganz klein wenig zu lüften.

In etwa 3000 Meter Höhe verliessen wir das liebliche Tal des Rio Mancos und rückten in einem weiten Bogen über sanfte, bebaute Hänge nach Norden vor, durchquerten ein kleines Indionest, wo ein Rudel nackter Hunde unnötige Unruhe in unsere fromme Mulaschar brachte.Von Musho aus, so hiess das Pueblo, zickzackten wir sodann über steile dickichtbestandene Hänge zu einer kleinen, verödeten Mine empor. Höhe 3700 Meter. Hier gewannen wir einen guten Einblick in den Anstiegweg der kommenden Tage. Mulafutter fand sich ausreichend für zwei bis drei Tage. So lasteten wir ab und schlugen auf dem schmalen Bergrücken das Mulalager auf.

Das mächtige, doppelgipflige Eismassiv des Huascaran lag nun zum Greifen nahe. Seit Monaten hatten wir auf unseren Fahrten durch die Cordillère den Berg umkreist und seine Flanken auf Besteigungsmöglichkeiten hin ERSTBESTEIGUNG IN DER CORDILLERA BLANDA IN PERU untersucht. Wenige Tage vorher hatte ich noch die Gelegenheit, vom Flugzeug aus in sechseinhalbtausend Meter Höhe einen Einblick in die gewaltige Westflanke des Massivs zu gewinnen. Ohne Zweifel, der günstigste Angriff konnte von dieser Seite aus erfolgen. Der schwierigste Teil war jedenfalls der gewaltige Eisabbruch, der unterhalb der « Garganta » den Zugang zum Sattel und damit zu den Gipfeln verwehrte. Immerhin war uns bekannt — und das ist nicht A/ao Hujndoy unwesentlich —, dass dieser Eisbruch schon zweimal in der Geschichte des Andinismus bezwungen wurde. Einmal durch die Nordamerikanerin Miss Peck und ihre beiden Schweizer Führer Taugwalder und Zumtaugwald, die allerdings den Gipfel nicht erreichten ( vgl. Ph. Borchers, Die Weisse Kordillere, Verlag Scherl, Berlin, Anmerkung S. 78 ), sowie deutsche und österreichische Bergsteiger, die 1932 die Erstbesteigung des Südgipfels durchführten. Das war auch der Grund, warum wir uns dem Nordgipfel, dem nunmehr höchsten unerstiegenen Berg Perus, zuwandten.

Am kommenden Morgen, 9. April 1939, war reger Betrieb im Mulalager, bis die notwendige Ausrüstung richtig verteilt und in den Trägerrucksäcken verstaut war. Gegen 10 Uhr zogen wir los, so kriegsstark wie noch nie, fünf i-kaL.'ìi; Bergsteiger1 und fünf einheimische Träger. Der grosse Augenblick war gekommen.

Nach einem steilen Abstieg von rund hundert Meter zum rauschenden Gletscherbach drangen wir in diesem durch ein dichtes Quenuawäldchen voran. Als die immer steiler werdenden Wasserabstürze nicht mehr zu bewältigen waren, stiegen wir nach Norden aus dem Unterholz aus und gelangten in wildem Anstieg über steile felsendurchsetzte Grashänge und mächtige, alte Moränen höher.

Gegen 14 Uhr erreichten wir in Mont-Blanc-Höhe die Eisgrenze. Jetzt wurde es ernst. Noch fast zweitausend Höhenmeter bis zum Gipfel, der sich eben einzunebeln begann und uns zur Begrüssung einige Schneeschauer entgegenschickte. Da stossen wir am Gletscherrand auf verrostete Blechdosen. Ohne Zweifel, hier befand sich im Jahre 1932 das Eisrandlager unserer Kameraden. Unsere alten Träger, die während der letzten Stunden ziemlich still geworden waren, zeigten plötzlich wieder neues Leben, erinnerten sich an Einzelheiten, wie zweckmässig und geschickt damals gerade dieses Lager angelegt worden sei und dass man es diesmal einfach wieder genau so machen müsste.

Wir waren anderer Meinung, denn unser Plan war auf Schnelligkeit aufgebaut. Sollten wir abgeschlagen werden, so wollten wir lieber ganz ins Mulalager zurückkehren, als uns hier mit Gepäck und Trägermassen langsam und hartnäckig höher zu biwakieren. Das konnte man den Trägern schon beibringen, und einige Dextro-Ernergen-Tabletten und die Aussicht, dass der Gletscher zunächst noch flach war und wenig zerrissen, gaben den Burschen neuen Auftrieb. Dazu kam ein psychologisches Moment. Angesichts der beiden Neulingsträger im Eis, Ernesto und Emilio, hatte die alte Elite einen besondern Ehrgeiz und ging unter den staunenden Augen dieser beiden mit solcher Eleganz mit Steigeisen und Reepschnur um, als ob sie die Dinge täglich in ihrem Maisacker gebrauchen würden. Und dementsprechend legten sie ein Tempo vor. Uns konnte es ja nur recht sein. Trotz der einsetzenden Schneefälle, die die Stimmung dämpften, lockten wir sie immer höher hinauf. Bei einbrechender Dämmerung hatten wir einigermassen unser Tagesziel erreicht und schlugen in einer windgeschützten Gletschermulde in etwa 5350 Meter das erste Eislager auf.

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