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Erste führerlose Besteigung des Zermatter Breithorns über den Younggrat

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

des Zermatter Breithorns über den Younggrat

Von E. J. Roelfsema ( Meppel-Holland, Sektion Piz Terri ).

Schon von Kindesbeinen an ist mir ein Eindruck vom Breithorn in Erinnerung geblieben, und zwar durch ein Panorama vom Gornergrat, das, in Farbendruck ausgeführt, geraume Zeit einen Ehrenplatz im elterlichen Haus einnahm. Was darauf der grosse dunkle Wurm, der unter der Nordseite vom Breithorn lag, bedeutete, blieb mir lange unbekannt. Er glich einem vorweltlichen Drachen, der da angsterregend still und drohend lag, diese « Leichenbretter », von denen ich erst viel später erfuhr, dass sie die alten Wände von dem jetzt sehr zusammengeschmolzenen Gornergletscher waren, die nun, glatt abgeschliffen, zum Vorschein kommen.

In späterer Zeit hatte ich das Breithorn immer mit einem leichten Achselzucken abgetan, « einen solchen Hügel muss man nicht besteigen ». Erst die Bekanntschaft und meine Gespräche mit Bernard Biner liessen einige Begeisterung für diesen Berg bei mir aufkommen, vor allem, als Biner meine Aufmerksamkeit auf die Nordwand lenkte, durch welche mehrere schöne Wege laufen. Diese haben alle den Vorteil, dass man nach der Be- Steigung auf sehr leichte und kurze Weise zum gebräuchlichsten Ausgangspunkt, der Gandegghütte, wieder zurückkommen kann. Der Weg über die grossen Schneeplateaus an der Südseite des Breithorns hat während des Abstieges bei günstigen Verhältnissen seinen besonderen Reiz, man hat nämlich eine ausgedehnte Fernsicht über Norditalien. Kommt man einmal auf den Theodulgletscher, dann liegt da das immer imposante Matterhorn, und ferner hat man eine ausgiebige Fernsicht über die Walliser Alpen.

Im allgemeinen wird diese Nordseite wenig begangen. Es ist eine Zeit gewesen, wo zum westlich gelegenen Gipfel verschiedene Varianten konstruiert wurden, doch läuft es schliesslich darauf hinaus, dass zum westlichen Gipfel nur zwei Wege führen, während der östliche vom Norden nur über den scharfen Younggrat zu bewältigen ist.

Eine niederländische Besteigung des westlichen Gipfels ist durch einige Mitglieder des L. M. S.A.C. ausgeführt worden, während der östliche Gipfel im Jahre 1939 von Frau Deelen-Jurgens unter sehr ungünstigen Verhältnissen mit ihren Führern erstiegen wurde. Es sei mir gestattet, diesen letzteren Weg wieder einmal in Erinnerung zu bringen und auf die elegante Weise aufmerksam zu machen, mit welcher man sich dem Breithorn nähern kann. Das Schönste wäre, die beiden Wege an einem Tage zu kombinieren, weil sie einen so vollkommenen Gegensatz bilden. Die Besteigung vom Younggrat geht via den sehr scharfen Kamm, der westliche Weg ist eine echte Wandroute. Beide haben für den Liebhaber ihre spezielle Anziehungskraft, doch können sie unter besonderen Umständen sehr schwierig werden.

Es war im Juli 1936. In Montanvers ist das Wetter miserabel, so dass Freund Bierman und ich beschliessen, unser Heil in Zermatt zu suchen. Auch hier glückt uns nur eine einzige Besteigung: der Lyskamm über das Nordwestbollwerk. Meine Schwester kam einige Tage später voll Tatendrang, und da Bierman nach Niederland abgereist war, beschlossen wir, die Lyskamm-besteigung über den gleichen Weg zu wiederholen. Die Verhältnisse waren diesmal besser, so dass wir eine Traverse machten und über den Ostgipfel und den Grenzgletscher zurückkehrten. Spät abends kamen wir in Zermatt an, erwartet von einem beunruhigten Ehepaar de Bruyn, das uns auf elterliche Weise klar machte, dass wir an diesem Tag über einen der als gefähr-lichst bekannten Kämme, den Lyskammostgrat, und über einen sehr verräterischen Gletscher, den Grenzgletscher, gegangen waren.

Auf einen Rasttag folgte eine Besteigung vom Dent d' Herens, und als das Wetter etwas beständiger schien, konnten wir noch eine einzige grosse Besteigung vollbringen. In unserer freien Zeit schwärmten wir im Dorf herum, und so geriet ich wieder auf den so oft besuchten Friedhof. Und da kam die Eingebung: Da steht in der Mauer eine Inschrift gemeisselt:

A la mémoire de Pierre le Bec, Pierre Langlois, Edouard de Gigord, Yves Guibert, Tués à l' ascension du Breithorn Par l' arrête de Klein Triftje.

Diese Inschrift als Motto zu verwenden, war ursprünglich meine Absicht, doch hätte dies wohl zu düster geklungen. Düster ist in der Tat der Weg, wo sie verunglückten, in Erinnerung geblieben, so dass nur wenige getrachtet haben, dem Klein Triftje oder Younggrat zu folgen: Hoch auf dem Grat sah man im Juli 1928 vom Gornergrat aus, dass die vier jugendlichen Leute, von denen zwei ausgezeichnete Bergsteiger waren, sich in Schwierigkeiten befanden. Sie blieben auf einem Platze und machten verzweifelte Versuche, um auf die eine oder die andere Weise durchzukommen. Es glückte ihnen nicht. Es kamen Wolken, und als sich diese wieder verzogen, waren sie nicht mehr zu sehen. Unten auf dem steilen Gletscher wurden sie den folgenden Tag gefunden und geborgen. Es war dies der erste Versuch, die Besteigung ohne Führer zu vollbringen; nachher passierten da noch einige Führerpartien, doch die Führerlosen wagten sich — wenigstens nach den Berichten der Zermatter Führer — nicht mehr heran.

Ein gewisses Gefühl von Bequemlichkeit hatte sich in den letzten Tagen meiner und meiner Schwester bemächtigt. Eines Mittags, als das Wetter sicher schien, bestiegen wir den letzten Zug zum Gornergrat mit der Absicht, im alten Hotel auf dem Riffelberg, das in der klassischen Zeit so oft der Ausgangspunkt von Besteigern des Monte Rosa und — bevor noch die Bétempshütte gebaut wurde — für Übergänge nach Italien gewesen ist, zu übernachten. Viele Generationen von Bergsteigern haben bereits hier geschlafen, und es schien uns ein idealer Ausgangspunkt, obwohl der Weg zum Fuss des Breithorns mit einer starken Gegensteigung — länger als von der Bétempshütte oder von der Gandegghütte aus — verbunden ist. Es sollte eine Nacht mit Vollmond werden, und darauf rechneten wir.

Meine Schwester kannte die Tragödie der vier jungen Bergsteiger, an die die Tafel am Zermatter Friedhof erinnert, nicht, und ich hielt es nicht für nötig, ihr das alles zu erzählen, doch ich selbst musste wiederholte Male daran denken.

Im Hotel Riffelberg sind wir die einzigen Gäste. Gegen Sonnenuntergang treten wir ein. Erhaben ist die Stimmung dieses Sonnenuntergangs. Das Matterhorn wirft lange Schatten, und einzelne weisse Wolken ziehen ruhig am Himmel dahin. Der Rauch aus dem Schornstein steigt ziemlich gerade nach oben, kein Laut ist zu hören, nur das Rauschen eines fernen Baches. Über das Riffelhorn blickt der Gipfel vom Breithorn mit seiner breiten Schneekuppe. Wir sitzen in der Veranda und rauchen eine Zigarette.Viel wird nicht gesprochen. Immer wieder geht unser Blick nach dem Matterhorn. Langsam wird es Nacht, eine schöne, klare Sternennacht. Wir gehen schlafen, denn es wird früh Tag.

Schon um 12 Uhr geht der Wecker. Das Aufstehen und Vorbereiten erfordert wenig Zeit. Der Portier sorgt für ein gutes Frühstück. Unser überflüssiges Gepäck wird er mit der Bahn nach Zermatt zurückschicken. Dann nehmen wir Abschied und machen uns auf den Weg über den ansteigenden Pfad zum Riffelboden. Hell wird der vor uns liegende Weg vom Vollmond beschienen, so dass wir vorläufig wie im Tageslicht gehen. Links vom Riffel- horn gibt es einen steilen Abstieg auf den Gornergletscher, über einen kaum sichtbaren schmalen Pfad. Hier spielen uns die grossen Schlagschatten ab und zu Streiche. Doch bald haben wir das harte Gletschereis erreicht und gehen zwischen unschuldigen und gut sichtbaren Spalten zur gegenüberliegenden Seite des Gletschers, bis wir unter die grossen Flächen der Leichenbretter kommen. Ein sekundärer Gletscher fällt hier vom Plateau unter dem Breithorn bis auf den Gornergletscher ab. Über diesen massig steilen, vereisten Anstieg gewinnen wir rasch an Höhe, doch gerade am steilsten Punkt wird es zu viel für unsere Nagelschuhe; wir sind gezwungen, die Steigeisen anzulegen. Dann geht es ununterbrochen weiter, denn wir haben, als wir haltmachten, auch gleichzeitig das Seil umgebunden. Langsam wird die Steigung geringer, und dann steigt hoch und breit die Nordwand des Breithorns vor uns auf, ein Zauberpalast, eine prachtvolle Burg von Schnee, Eis und steil aufragenden Felsen.

Von dieser Seite ist das Breithorn kein Hügel, über den man mit einem Achselzucken spricht: steile Eisflanken, ein schmaler Grat, ungünstig abgestufte Felsen, kleine Hängegletscher bilden zusammen diese mächtige Wand. Am Fuss hievon liegt das grosse Gletscherplateau, über welches wir nun zur Basis des Younggrates weitergehen. Wir gehen parallel zur mächtigen Flanke, die sich da in voller Steilheit 500 bis 900 m hoch erhebt. Das Profil von unserem Grat verläuft als ein feiner, schöner weisser Faden, der sich gegen die dahinterliegenden schwarzen Felswände scharf abzeichnet und in der Höhe ganz in diese Wände verschwindet: da liegt das Problem des heutigen Tages. Da verläuft der Grat tot in die Wand, so dass man sich durch die Wand einen Ausweg bahnen muss, über einen sehr steilen Eisabhang, der ohne Unterbrechung nach unten schiesst bis zum Plateau, wo wir nun über harten Schnee weitergehen.

Einzelne grosse Spalten zwingen uns zu einem kurzen Umweg. Langsam beginnt es Tag zu werden, und als wir uns am Fusse des Younggrats niedersetzen, um ein kleines Frühstück zu nehmen, ist es bereits 5 y2 Uhr. Wie schnell vergeht in so einer Umgebung die Zeit! Fünf Stunden sind verstrichen, seit wir von Riffelberg aufbrachen, und wir haben keinen Augenblick an die Zeit gedacht. Die Spannung über das, was kommen soll, und das Geniessen der schönen Mondnacht waren eine Ablenkung, die die Zeit kurz erscheinen liess.

Als wir nach dieser Frühstücksrast aufbrechen, kommen die ersten Strahlen der Sonne über den Monte Rosa zu uns herüber. Gradaus geht es nun auf das Ziel los: der scharfe Schneegrat, der hoch oben ein wenig nach rechts abbiegt. Das wenige Gepäck, das wir bei uns haben, wiegt nicht schwer, wir sind gut trainiert und kommen schnell vorwärts. Schon zu Beginn muss man balancieren, ausser man zieht es vor, kleine Stufen in den Schnee zu schlagen; das letztere scheint mir überflüssig. Vorwärts also. Einzelne Felsen unterbrechen den Schnee. Sie liegen unter Eis und Pulverschnee. Wieder kommt der Schneegrat, nur noch viel steiler und äusserst schmal, so dass wir unsere Füsse quer stellen müssen, um einen guten Halt mit unseren Steigeisen zu gewinnen; dann kommen wieder einige Felsen, und das wiederholt sich so einige Male, wobei Steilheit und Schärfe ständig zunehmen.

Stets bescheint die Ostsonne unseren Weg, was uns nur angenehm ist. Plötzlich stehen wir vor einer kurzen Felskletterei, doch legen wir mit Rücksicht auf schnelles Vorwärtskommen die Steigeisen nicht ab. Und dann stehen wir am markantesten Punkt des Grats: hier ist eine Unterbrechung der Steilheit, wir gehen horizontal über tief beschneite Felsen weiter, bis wir auf einer Art Bastion stehen, die sich vor der Wand ausbreitet.

Von hier führt ein kurzer Abstieg über bröckelige Felsen, auf denen weicher Schnee liegt, bis zur eigentlichen Wand. Vor uns liegt eine schmale Scharte, in der sich eine grosse Wächte gebildet hat. Diese wird entfernt, der Schnee saust an beiden Seiten in die Tiefe. Dann geht es über das schmale Gratstück zur gegenüberliegenden Seite. Rechts von uns schiesst die steile Nordwand in die Tiefe; glatte Eisabhänge, die sich ohne Unterbrechung bis zu jenem breiten Gletscherplateau hinziehen, wo wir diesen Morgen im ersten Tageslicht gingen. Zur linken Seite verschwindet eine Schlucht, die durch Felsen unterbrochen wird und deren unteres Ende durch eine leichte Kurve unserer Sicht entzogen ist.

An der Gegenseite des kurzen horizontalen Kammes sind einige Felspartien, auf denen weicher Schnee liegt. Hier kommen wir nur mühsam weiter, da hier und dort unter dem Schnee bereits Eis auftaucht. Wir haben aber genügenden Halt mit unseren Steigeisen und kommen verhältnismässig schnell höher. Sobald aber die Sonne hinter der Wand vom östlichen Breithorn verschwindet, wird der Schnee wieder hart, und das Steigen fällt leichter. Die Steigung wird steiler, es ist schwierig, die Knie höher zu bekommen. Und als wir über uns blicken, sehen wir die Schlusswand, die mehr oder weniger überhängend ist und welche uns den direkten Zugang zum Gipfel versperrt: es sind dunkle Granitfelsen, die nicht viel Aussicht auf Erfolg versprechen.

Ungefähr 35 Meter vor dem Punkt, wo unser Grat auf die Wand stösst, machen wir halt. Zwecks Sicherung wird ein tiefer Standplatz in dem hartgefrorenen Schnee ausgepickelt, und einen der Pickel verankere ich tief und fest. Das ist die Stelle, wo die unglücklichen Franzosen vergebens nach einem Ausweg suchten...

Mit einem Seil von 60 Meter Länge ist hier viel zu machen. Nur fürchte ich, dass seine Last zu schwer sein wird, bis es vollständig abgelaufen ist. Doch wird sich bis dahin wohl noch eine sichere Stelle finden lassen. Vorwärts denn!

Horizontale Traverse in sehr hartem Schnee, der hie und da Eis ähnlich sieht. Die Stelle hier ist so steil, dass es unmöglich ist, einen Fuss vor den anderen zu setzen, ich kehre mich also mit dem Gesicht der Wand zu. Tief und breit werden die Stufen gemacht. Die Kunst liegt darin, hier wirklich horizontal zu bleiben, da in der Höhe, bei den Felsen, die Steigung noch zunimmt. Nach 30 Meter Traverse kann man durch einen schmalen Kamin, dessen Boden ganz vereist ist, nach oben steigen. Und wirklich ist hier das blanke Eis, das hartnäckiges Stufenschlagen nötig macht. Das Gewicht des Seils beginnt nun auch eine Rolle zu spielen, aber die Felsen an der rechten Seite des Kamins sind nun nahe. Sie sind total vereist, und darum heisst es auch hier noch aufpassen. Noch etwa 10 Meter habe ich im Felsen zu klettern, bevor eine Stelle kommt, wo man sich ganz sicher aufstellen kann.

Hier kann man gut sichern, und meine Schwester folgt dann ohne viel Mühe. Es folgen noch einige Felsen, die ganz mit Eis bedeckt sind, denn wir sitzen hier in einer Nordwand, dann noch eine Schneesteigung, und plötzlich stehen wir in den Strahlen der grellen Morgensonne auf dem grossen Kamm vom Breithorn. Die Traverse, die grosse Schwierigkeit der Besteigung, hat im ganzen eine Stunde in Anspruch genommen.

Wir sind an unserem Ziele. Behaglich strecken wir unsere erstarrten Glieder aus und geniessen in der warmen Sonne eine Stunde lang eine wohltuende Rast. Der eigentliche östliche Breithorngipfel interessiert uns nicht mehr. Es ist eine Kletterpartie von ungefähr 50 Meter.

Um 11% Uhr brechen wir zur langen, warmen Wanderung über das Breithornplateau auf. Noch einen letzten Blick werfen wir in die Tiefe der Nordwand und auf den Gornergletscher, und fort geht es zur Gandegghütte, die wir anderthalb Stunden später erreichen. Dann steigen wir in ruhigem Tempo nach Zermatt hinab.

Prachtvoll ist es, von unserem letzten Rastpunkt aus noch einmal den Younggrat im Profil zu betrachten, mit der feinen, eleganten Linie gegen den dunklen Hintergrund der Nordwand.

Zur Teezeit sind wir wieder in Zermatt. Die erste führerlose Besteigung des Younggrates war damit zur Tatsache geworden.

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