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Gunong Kinabalu

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der Viertausender von Borneo

Von Eduard Wenk Mit 4 Bildern ( 223—226Basel )

Gunong1 Kinabalu, der höchste Berg im Malaiischen Archipel, liegt im Nordwesten des Staates Nordborneo ( Britisches Protektorat ). Der 4100 m hohe Gipfel ist knapp 40 km von der Küste entfernt und bildet dank seiner exzentrischen Lage das von der China- und der Sulusee weither erkennbare Wahrzeichen Borneos. Bei Sonnenaufgang ist die markante Gestalt des Kinabalu vom Meer aus schon auf über 300 km Entfernung sichtbar. Jeder Reisende nach Britisch Nordborneo erhält so, schon lange bevor er das Land betritt, einen in der Erinnerung haftenden, prächtigen ersten Eindruck von 1 Gunong ( malaiischBerg.

diesem wilden und naturschönen Bergland. Aber auch vom Innern Borneos aus gesehen steht Gunong Kinabalu in den frühen Morgenstunden und an klaren, auf Gewitterregen folgenden Abenden oft auf riesige Distanzen als scharfe, imponierende Silhouette am Horizont.

Gunong Kinabalu spielt in der Mythologie der in seinem Sichtkreis lebenden Eingeborenenstämme ( Dusun und Murut ) eine wichtige Rolle. Er bildet nach ihrem Glauben die heilige Ruhestätte der Toten. Diesem Umstand muss jede Expedition zum Kinabalu Rechnung tragen, die einheimische Führer und Träger verwendet. Wenn nicht die überlieferten Riten beachtet und die verlangten Opferungen dargebracht werden, ist die Expedition zum vornherein zum Scheitern verurteilt.

Der Berg ist im Jahre 1851 von Sir Hugh Low erstmals bestiegen worden. Seither sind mehrere Partien auf der gleichen Route zum Gipfel gelangt. Von den in Borneo niedergelassenen Europäern hat selten einmal einer den Kinabalu bestiegen. Dafür haben verschiedene, von weither gereiste Touristen und hauptsächlich Naturforscher den Berg besucht. Denn Gunong Kinabalu ist dank seiner ganz einzigartigen Fauna und Flora eine Art Mekka der Zoologen und Botaniker.

In den Jahren 1936-1939 bin ich in Nordborneo als Expeditionsgeologe im Dienste einer ölgesellschaft tätig gewesen und habe dabei dieses wilde, wenig entwickelte und sehr dünn bevölkerte Urwaldland durchkreuzt und durchquert. Auf diesen Reisen hatte ich vielfach Gelegenheit, den Kinabalu von allen Seiten her zu bewundern, konnte aber nie einen Abstecher dorthin beruflich motivieren; denn Ölfelder liegen bekanntlich nie im Hochgebirge. Jedesmal aber, wenn Gunong Kinabalu in Sicht kam, hegte ich den jedem Schweizer verständlichen Wunsch, den prächtigen Berg bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit näher kennen zu lernen. Diese Gelegenheit bot sich anlässlich meiner dreiwöchigen Ferien im Juli/August 1937.

Um Mitternacht vom 19. zum 20. Juli, als in Sandakan, der Hauptstadt von Nordborneo, der Kursdampfer nach Jesselton, dem Ausgangspunkt für jede Kinabaluexpedition, die Falltreppe aufzog, begannen meine Tropen-ferien. Als einer der wenigen Passagiere genoss ich das befreiende Gefühl, nun sowohl dem Alltag des Urwaldes wie dem Papierkrieg der Hauptstadt entronnen zu sein und jetzt als einfacher Privatmann auf eine Bergtour zu reisen.

Es war eine prächtige Tropennacht, als wir langsam aus dem Naturhafen der Bucht von Sandakan hinausfuhren, der kühlen Seebrise entgegen. Ganz grossartig war in dieser Nacht das in den Tropen nicht allzu häufige Meeres-leuchten. Die Brandung der Sulusee erschien wie ein leuchtender Streifen. Bis tief in die Nacht hinein standen die paar Passagiere auf der Brücke und sahen, bald plaudernd bald schweigend, dem Spiel der silbern aufleuchtenden Bugwellen des Dampfers zu.

Bei Tagesanbruch begann die Zickzackfahrt durch den Irrgarten von Koralleninseln und Riffen zwischen Sandakan und Kudat. Es ist dies eine der interessantesten und naturschönsten Seefahrten im Malaiischen Archipel. Das Wasser über dem hellen Sand- und Korallengrund ist unglaublich klar, und die reichen Kokospalmenbestände auf den Inseln geben dem ganzen Bild den richtigen Südseezauber. In der Abenddämmerung passierten wir die Meerenge von Borneo und Balambangan, fuhren aus der Sulu- in die Chinasee hinaus und dann in der Nacht der Westküste Borneos entlang nach Süden.

Am frühen Morgen des 21. Juli erreichten wir Jesselton, das Zentrum der Gummiproduktion Nordborneos. Es regnete in Strömen, was in Nordborneo am frühen Morgen sehr selten der Fall ist.

Der erste offizielle Gang führte mich zum Chef des Topographischen Dienstes von Nordborneo. Ich konnte hier erfahren, dass ich die schlechteste Jahreszeit für meine Expedition ausgesucht hatte und dass an einen Erfolg gar nicht zu denken sei, da die Kulis die Nässe und Kälte nicht aushielten. Er meinte, das beste sei, mit dem gleichen Boot nach Singapur weiterzufahren und mich dort zu amüsieren. Da ich die Gastfreundschaft dieses jovialen Offiziers geniessen durfte, konnte ich nicht viel widersprechen, sondern äusserte nur, es sei Schweizerart, bei Regenwetter zu grossen Fahrten zu starten, um dann auf dem Gipfel Prachtswetter zu erwischen. Er aber meinte in seiner derb-ehrlichen Neuseeländerart, es sei offenbar Schweizer-brauch, seinen Kopf durchzusetzen, und hatte ja nicht ganz unrecht damit.

Den zweiten Besuch stattete ich dem Residenten ab, einem guten Kenner des Kinabalu. Es wurde hier nicht vom Wetter gesprochen, dafür erhielt ich wertvolle Auskunft über den Reiseweg und tatkräftige Hilfe beim Engagieren von ortskundigen Führern. Zwei Rasttage im schönen Jesselton gingen rasch vorbei mit letzten Vorbereitungen und Besuchen bei Freunden.

Nachdem sich in der Nacht ein wahrer Wolkenbruch ergossen hatte, fuhren wir am 23. Juli bei strahlendem Wetter um 6 Uhr morgens im Taxi durch die Küstenebene nach Nordosten zum 25 km entfernten Dorf Tuaran, wo wir die bestellten sechs Dusunkulis trafen und die sechstätige Fussreise zum Kinabalu antraten. Die gewählte Reiseroute führt in direkter Linie über Berg und Tal zum Fuss des Kinabalu. Zuerst ging 's noch durchs Flachland mit seinen bewässerten Reisfeldern und Gummiplantagen, dann wieder durch Streifen von jungem sekundärem Wald und wiederum über Reisfelder, bis der Rand der Küstenebene erreicht war. Mit der ersten Steigung begann auch der Urwald und eine mühsame Bergreise. In den folgenden 14 Tagen querten wir kein Stück ebenes Land mehr. Wegen des vorangegangenen Unwetters hatten wir an diesem Tag einige Mühe beim Traversieren der Bäche; denn Brücken gibt 's in Borneo keine. Wir mussten oft hüfttief durchs Wasser waten. Die erste Nacht verbrachten wir in Togob, einem säubern und hübschen Bergdorf, das von einem Adventistenmissionar christia-nisiert worden war. Am folgenden Morgen erreichten wir nach dreistündiger Gratwanderung durch Urwald und über trockene Reisfelder den höchsten Punkt der bisherigen Reise ( 950 m ) und hatten dabei mehrmals kurze Ausblicke auf den Kinabalu. Dann folgte der steile, lange Abstieg in das Tal des Mantaranau, dem wir bachaufwärts folgten bis in die Gegend von Bongol, wo Dysenterie herrschte. Nach einigem Suchen fanden wir einen guten Zeltplatz an einem Seitenbach mit waldigem Einzugsgebiet, wo wir nicht-infiziertes Wasser erwarten durften. Meine Togobkulis wollten sofort umkehren und weigerten sich, zuerst noch ins Dorf Bongol zu gehen, um dort für ihre „ La

Flanke des Gunong Kinabalu Der Weg führt längs der von rechts unten gelegenen Platte nach der in der Mitte links ansteigenden Aufstiegsroute. In den Wolken der östliche Teil des Massivs. Die Streifung im Fels rührt von den bei Gewittern auftretenden Sturzbächen her.

225/226 - Aufnahmen von Dr. Ed. Wenk, Basel Blick vom Hauptgipfel Sow's Peak in den Abgrund der „ Central abyss " und auf den Ostgipfel ( Hintergrund ) des Gunong Kinabalu Art. Institut Orell Füssli A.G. Zürich Die Alpen - 1946 - Lea Alpes Ablösung besorgt zu sein. Tatsächlich ist es nach der Landessitte Fremden verboten, ein Dorf zu betreten, in dem Krankheit herrscht. So war ich allein mit meinem Dusunboy und den vier treuen Kulis meiner « Leibgarde ». Gegen Abend kam ein strammes junges Mädchen aus Bongol, wog fachmännisch unsere « Bongon », die Rindenbehälter mit Tragriemen aus Baumbast, in die mein Gepäck verstaut war. Sie fand die Lasten nicht schwer und wurde gleich als Trägerin für den nächsten Tag engagiert. Später kamen noch ein paar Burschen und Mädchen und baten mich, einen Affen zu schiessen. Diese gewöhnlichen Affen gelten hier als Leckerbissen. Ich brauchte nicht weit zu gehen, um ihnen diesen Gefallen zu tun. Die jungen Leute konnten sich aber nicht einig werden über den Besitz; es kam fast zu einer Prügelei. Da tauchte eine alte Frau auf, entriss ihnen den Affen und verschwand damit schimpfend und scheltend. Der weithin widerhallende Schuss hatte aber die ganze noch gesunde Bongoler Bevölkerung angelockt. Es waren biedere Heiden; einige sprachen malaiisch, und ich konnte mich lange mit ihnen unterhalten. Sie erkundigten sich dann noch bei meinem Boy über den Charakter des « Tuan », des weissen Herrn, worauf sich mehrere als Kuli meldeten. So begann denn in der Morgendämmerung des nächsten Tages eine Kolonne von vier Mädchen und neun Burschen mit mir die bisher mühseligste Etappe, den steilen Anstieg auf die Wasserscheide zwischen dem Mantaranau und dem Tampasuk, welch letzterer am Kinabalu entspringt. Von den auf dem Bergkamm angelegten Reisfeldern aus bot sich zum erstenmal auf dieser Reise eine Übersicht über das ganze Bergland und ein grossartiger Ausblick auf den Kinabalu.

In diesen westlichen Gebieten Nordborneos steigt hinter einem schmalen Flachlandstreifen die 1000-2000 m hohe Crocker-Range empor, welche das eigentliche Rückgrat Nordborneos bildet und sich von der Nordspitze der Insel aus gegen SW hinzieht. Es ist dies ein Mittelgebirge mit scharfen Längs- und Querrücken und tief eingeschnittenen Tälern, ohne jegliche Terrassen oder Hochplateaus. Dieses waldige Bergland wird von den Dusun seit Jahrhunderten in regelmässigem Turnus abgeholzt und abgebrannt, um die karge Erde mit fruchtbarer Asche zu mischen. An den steilen, steinigen Hängen werden dann trockene Reisfelder und Tabakpflanzungen von oft enormen Dimensionen angelegt. Die Landschaft bildet ein Mosaik von kultivierten, verwilderten und bewaldeten Feldern. Die einzelnen Steine dieses Mosaiks werden im Laufe der Zeit ständig ausgetauscht. Es werden neue Urwaldgebiete abgeholzt, und auf den alten Feldern wächst rasch der sekundäre Wald nach.

Die ganze Landschaft hat für denjenigen, der nur die unberührten, wilden Urwaldgebiete im zentralen und östlichen Teil Nordborneos kennt, einen ungemein lieblichen Charakter. Reizend sind die Bergdörflein mit den Bambushütten inmitten wahrer Haine von Fruchtbäumen ( Kokos, Durian, Manga, Mangistan, Langsat, Limonen, Bananen, Melonen, Ananas ). Das Reisen in diesen dicht besiedelten Westküstedistrikten birgt kein Provian-tierungsproblem in sich, weshalb der Leiter von entbehrungsreichen Urwald-expeditionen sich im Paradiese wähnt.

Die Alpen - 1946 - Les Alpes31 Aus diesem Mittelgebirgsland, das eine ausgeprägte Gipfelflur aufweist, steigt der Gebirgsstock des Kinabalu jäh empor und bildet ein in sich geschlossenes, von Zacken und Türmen gekröntes Massiv. Die Morphologie ist in frappanter Weise durch die Geologie bedingt: Das hügelige Bergland der Crocker-Range wird teils von tertiären Sandsteinen, Tonen und Mergeln aufgebaut, teils von prätertiären, sedimentären und ophiolitischen Gesteinen. Das Kinabalumassiv aber stellt einen Granitstock, einen Pluton dar, der die genannten, steil gefalteten Serien durchbrochen und randlich umgewandelt hat. Die Kontakte mit dem Nebengestein bilden die morphologische Basis des Granitkörpers, der das umgebende Mittelgebirge weit überragt. Der Pluton hat im Horizontalschnitt eine Ausdehnung von rund 100 km2. Die steil emporsteigenden, konvex gewölbten, kahlen Felsflanken des Kinabalu kulminieren nicht in einer alles überragenden Kuppe, sondern endigen in einem hufeisenförmigen Kranz von angenähert gleichhohen Gipfeln und Gräten, welche gegen das Innere des Gebirgsstockes jäh abstürzen in einen kraterähnlichen Abgrund, in die sog. « central abyss », welche das heute noch ungelöste Rätsel des Kinabalu bildet.

Bei Prachtswetter durfte ich diese grandiose Aussicht geniessen. Auch die Kulis schätzten die lange Rast nach dem steilen, heissen Aufstieg. Es folgte eine vierstündige Gratwanderung nach dem in 1000 m Höhe gelegenen Dorfe Singaron, wo Wasserbüffel, Ziegen, Schweine und Hühner friedlich grasten. Sogar einen fliessenden Brunnen fanden wir hier, der durch eine lange Wasserleitung aus Bambusrohren gespiesen wurde. Wir übernachteten hier und genossen die wegen der unmittelbaren Nähe des Viertausenders recht kalte Nacht. Es war für mich eine ganz ungewohnte, lang entbehrte Kälte.

Am 26. Juli kehrten die Bongolleute heim, und ich benutzte den Tag, um in Kiau, dem höchsten Bergdorf am Westfuss des Kinabalu, den Dusun- priester und den Dorfältesten zu begrüssen und ihnen meinen Kinabaluplan zu unterbreiten. Nach einigem Zögern und Werweissen billigten sie meine Absichten, stellten aber die Bedingung, dass der Priester mitgenommen werde und dass ich Kiaukulis engagiere. So geschah es auch, und wir machten uns am folgenden Morgen auf den schönen Weg zum Tinompokpass ( 1500 m ), wo wir, einem schmalen Pfade folgend, in den farnreichen Urwald abzweigten und auf der Hauptwasserscheide der Crocker-Range in nördlicher Richtung gegen den Kinabalu anstiegen. Am frühen Nachmittag erreichten wir die kleine Lichtung von Lumu-Lumu ( 1750 m ), wo ein junger, sympathischer amerikanischer Zoologe sein Camp aufgeschlagen hatte, um während einiger Monate Säugetiere und die farbenprächtigen Vögel des Kinabalu für ein Museum zu sammeln. Da sich das Wetter verschlechterte, durfte ich hier für zwei Tage als Gast bleiben. Lumu-Lumu ist ein unsympathischer, düsterer Fleck im nebligen Bergwald. Zum Glück hatten wir genügend Stoff zum Diskutieren, während der Regen und Wind auf das Palmblattdach der Hütte peitschten.

Der 29. Juli brach wolkenlos an. Wir machten uns beizeiten auf den Weg und folgten undeutlichen Pfadspuren durch dichten, moosreichen Urwald, in dem wir gelegentlich prächtige Orchideen und Rhododendren, später auch die berühmten karnivoren Kannenpflanzen ( Napenthes ) fanden.

In etwa 2300 in Höhe ändert die Vegetation. Es beginnt ein krüppelartiger Gebirgswald mit Leptospermumbäumen. Der Blick wird nach und nach freier; man übersieht die Westküste und hat stets den Gipfel vor sich. Nach fünfstündigem Aufstieg erreichten wir Paka ( 3000 m ), das klassische Biwak der Erforscher des Kinabalu. Es ist dies ein « abri sous rocher » unter einem grossen granitischen Bergsturzblock. Hier verbrachten wir eine sehr kalte, ungemütliche Nacht. Von 3 Uhr morgens an war an Schlaf nicht mehr zu denken. Es war sternklar. Wir wärmten uns am Feuer mit heissem Tee; dann brach ich mit sechs Mann auf. Stolpernden Schrittes ging 's bergauf in der Dunkelheit. Im Gebiet der Baumgrenze ( ca. 3600 m ) ging nach kurzer tropischer Dämmerung die Sonne auf. Hier sprach der Priester seine Gebete und opferte Reis, Eier und sieben Hühner, um die Geister zu besänftigen.

Die vor uns liegenden, recht steilen Granitwände wurden im Schräganstieg traversiert ( auf Bild 225 von rechts unten nach der Mitte links ). Sie werden gegen oben flacher und führen über in das Gipfelplateau, das wir in seinem tiefsten Sattel erreichten. Von diesem Punkt aus bietet sich ein grossartiger Tiefblick in den schaurigen Abgrund der « central abyss ». Dieser kraterähnliche Abgrund liegt in morphologischer und geologischer Hinsicht im Zentrum des Granitmassivs und hat gegen Norden zu einen engen, schluchtartigen Ausgang, der in das Penatarantal mündet. Die « central abyss » ist — abgesehen von ihrem obersten, leicht erreichbaren Teil — nie begangen worden. Es ist überhaupt darauf hinzuweisen, dass das eigentliche Gebirgsmassiv des Kinabalu noch wenig erforscht und auch topographisch erst notdürftig bekannt ist. Kurz vor 7 Uhr nahten wir dem Low's Peak genannten Hauptgipfel des Kinabalu.

Ein bissiger Sturmwind fegte über den Gipfel, als wir schlotternd beim Steinmann standen. Ein grosser Teil Borneos lag ausgestreckt zu unsern Füssen: Die dicht besiedelte Westkürste mit der Chinasee und die Nordküste mit den vorgelagerten Inseln. Gegen Osten zu ist die Sicht etwas behindert durch den Ostgrat des Kinabalu mit seinen wuchtigen Gipfeln. Gegen Südosten aber schweift der Blick über das lückenlose Urwaldmeer bis zu den Bergen an der Ostküste Borneos und weiter zum wilden Bergland im südlichen Teil Nordborneos, das ich so manchen Monat durchstreift hatte.

Die Aussicht vom Kinabalu ist ungemein eindrücklich und überwältigend durch den enormen Weitblick und die jähen Tief blicke. Das Einzigartige daran ist wohl der Umstand, dass auf drei Seiten jeglicher Vorder- und Mittelgrund fehlt. So steigt in einem unwillkürlich das Gefühl der Einsamkeit auf. Man steht auf dem Dache Borneos, wo sich die toten Seelen der Murut und Dusun treffen.

Die durchdringende Kälte und die sich geltend machende Ermüdung nach dem raschen Aufstieg machten indessen jedes wirkliche Geniessen der einzigartigen Rundsicht illusorisch. Obwohl die Temperatur einige Grade über Null lag, kostete es mich Mühe, mit steifen Fingern die Leica zu handhaben. Mit Wehmut gedachte ich so mancher sonnig-warmer Gipfelstunden in den Alpen. Eilig suchten wir Windschutz.

Mit steigender Sonne wurde das Klima für kurze Zeit erträglich, und wir bestiegen noch die beiden Nachbargipfel. Leider waren unterdessen die Schatten aus dem Gelände verschwunden und die Sicht verschlechtert. Eine Landkarte ohne Relief lag jetzt unter uns. In der faden, konturlosen Fernsicht waren endlose, dunkelgrüne Waldrücken hintereinander gereiht und verloren sich in einem fein nuancierten Dunst. Das Meer war eine farblose Wasserlache. Es bereitete mir aber eine grosse Befriedigung, in aller Hu he das Urwaldmeer, in dem ich jahrelang ein gewissermassen unterirdisches Wanderleben zu führen hatte — das ewig grüne Blätterdach, unter dem man sich zugleich geborgen wie verborgen und verloren fühlt —, einmal von oben überblicken zu können.

Gegen 9 Uhr wurde es stechend heiss und die Luft unerträglich trocken. Ich wurde wieder daran erinnert, dass ich nicht nur im Hochgebirge, sondern auch immer noch unterm Äquator war. Meinen barfuss gehenden Leuten brannten die Füsse auf dem heissen Gestein, und sie klagten über Kopfweh. Der rasche und grosse Temperaturanstieg setzte einem in der Tat zu. Bald bildeten sich die ersten Wolken. Mein Steineklopfen wurde von den Kiau-leuten als unliebsame Störung der Geister empfunden, und als auch der Kinabalu sich in Wolken hüllte, drängten sie zum Abstieg. Ich beschloss, bei der Baumgrenze, bei Sayat-Sayat, mit Labuan, dem Führer aus Kiau, zu biwakieren, um am folgenden Tag den bisher nicht bestiegenen östlichen Teil des Massivs zu explorieren. Wir verabschiedeten uns von den nach Paka absteigenden Kulis im dichten Nebel. Bald setzte im Unterland ein Gewitter ein. Am späten Abend zerriss der Wind das Gewölk, und wir durften eine gestochen scharfe Aussicht auf das Innere Borneos und einen grossartigen Sonnenuntergang geniessen. Dann wurde es kalt. Wir krochen in unsere mit Zeitungen ausgepolsterten öltuchschlafsäcke und stellten die Palmblattmatten als Dach über uns. Gegen 8 Uhr nachts brach ein Gewitter los. Stundenlang zuckten Blitze über uns; es war unheimlich. Dazu wurde es jetzt infam kalt. Ich weiss nicht, was in dieser endlos lang scheinenden Gewitternacht in der Seele Labuans vorging. Es ist verständlich, dass in einem bei 2° Celsius mit Zähnegeklapper zugebrachten Biwak die alten Mythen und Legenden selbst bei den Wägsten wieder Gestalt annehmen. Labuan zitterte wie Espenlaub und verlangte gegen 4 Uhr, als es sternklar wurde, sofort den Abstieg anzutreten. Ich gab mir alle Mühe, ihn zum Bleiben zu überreden; es nützte nichts. Damit musste auch ich die schönen Pläne für die Besteigung des Ostgipfels begraben.

Diese Erfahrung zeigt, dass die noch ausstehende, eigentliche Erforschung des Massivs nur von einer Partie von mindestens zwei europäischen Alpinisten durchgeführt werden könnte, die für einen längern Aufenthalt im äquatorialen Hochgebirge mit seinen enormen täglichen Temperaturdifferenzen ( über 30° in wenigen Stunden ) und gefährlichen Wetterstürzen wohl ausgerüstet sein müssten. Die einheimischen Dusun können nur als Träger längs der üblichen Route verwendet werden, denn sie versagen beim Biwakieren im Hochgebirge.

Kurz nach dem Aufbruch kamen uns mein Boy und zwei Dayak von Paka aus entgegen. Diese anhänglichen Leute hatten befürchtet, es sei ihrem Tuan in der Gewitternacht etwas passiert. Auch sie wollten schleunigst fort vom Kinabalu.

GUNONG KINABALU, DER VIERTAUSENDER VON BORNEO Der Abstieg ist rasch erzählt. Er erfolgte auf dem gleichen Weg bis Sin-garon. Ich hatte noch acht Tage Ferien und benutzte sie zu einer Rundreise durch die prächtigen Bergdörfer am Westfuss des Kinabalu, wo ich teils geologisches, teils ethnographisches Material sammelte. Diese von der Zivilisation kaum berührte, idyllische Gegend hat ihren Charme bewahrt und unterscheidet sich darin wohltuend von den bekannten Touristengebieten Sumatras und Javas. Die reizvolle Landschaft und die gesunde Bergluft luden zum Faulenzen ein und liessen so die Kinabalufahrt zu einem unvergesslichen Ferienerlebnis werden.

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