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Halligfriese und Bergbauer

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

Von Emil Egli.

Auch der Mensch, wie die Pflanze, wurzelt in der Erde. Auf ähnlichen Böden wachsen Pflanzen mit ähnlichem Bau. In ähnlichen Landschaften wachsen Menschen mit ähnlicher Psyche. Für solche erdbedingte Verwandtschaft geben Halligfriese und Bergbauer ein deutliches Beispiel. Ich möchte Ihnen einen Vergleich dieser beiden äusserlich weit getrennten Volkstypen und ihrer Erdbedingtheit vorlegen und beginne damit, Ihnen den Halligfriesen gemeinsam mit seinem landschaftlichen Lebensraum vorzustellen:

Sie wissen alle, wie die Bewohner der schleswig-holsteinischen Nordseeküste in jahrhundertelanger Arbeit Dämme bauten, Deiche, um das Meer zu fesseln — um die von Natur aus unbestimmte Küstenlinie scharf zu ziehen —, um sich hinter starkem Küstenwall ein unbedrohteres Dasein zu sichern. Ausserhalb aber von diesem « Ringe » ist noch eine kleine Schar von Inseln: die Halligen. Diese blieben unbedeicht, sind dem Meere und seinen unberechenbaren Gewalttaten überlassen. Sie zerbröckeln unter dem ungehinderten, unermüdlichen Ansturm der Brandung. Als Vorposten des Festlandes ist ihnen der Untergang sicher. Fünfzig Inseln sind im Laufe weniger Jahrhunderte von der Nordsee verschlungen worden. Dennoch sind die wenigen bis heute standhaften Halligen von einem kleinen Bauernvolk bewohnt. So sind diese Inseln nicht nur ein Bildwerk der Arbeit des Meeres, sie sind auch Träger einer einsamen Volkspsyche.

Der Mensch, wie jedes körperliche Sein, ist dem unaufhaltsamen Vergehen in der Natur eingeordnet. Er trägt aber gleichzeitig ein Geistig-Ewiges in sich, das ihm dieses Vergehen schmerzlich zum Bewusstsein bringt. Dieses Urleid des Wissens um die eigene Vergänglichkeit treibt ihn dazu, in all der Flucht von Zeit und Bild, in all dem Wechsel ein Bleibendes, ein Göttliches zu suchen. Dieses Suchen nach dem grossen Anker ist dem Halligfriesen so erschwert, wie vielleicht keinem andern Menschen. Jede Welle, jede Flut, jeder Sturm greift in die Körper seiner Inseln, um daraus Stücke fortzureissen. Täglich, stündlich zehrt das Fliessende von seinem Heimatboden. Deutlich sagen die immerfrischen Abrissstellen an den Ufern, dass das Meer die Abtragung aller Halligen im Sinne hat. Bedrohlich wandert die Halligkante inseleinwärts gegen die Warft, den künstlichen Hügel, auf dem er sein Haus errichtete. Das Volksgedächtnis ist belastet mit schweren Bildern, Erfahrungs-bildern, da Sturm und Flut gemeinsam sich über die Inseln stürzten, hinweg-rasten über ihren Boden, sich auf die Siedlungshügel warfen, das Vieh weg-trugen, Warften zerfrassen, Wände der Häuser in Trümmer schlugen. Wo die Menschen, zu Bettlern schon geworden, nur noch das Leben retten konnten, im Dachwerk ihrer Häuser, die, als Ständerbau errichtet, auf Pfählen stehen bleiben, wenn die Wände stürzen. Chroniken berichten ihm, wie mit den untergegangenen Inseln ganze Dörfer, selbst zwei kleine Städte verschwunden sind. Heute noch trägt der Boden des Wattenmeeres leicht erkennbar ihre Überreste. Die Sturmflut von 1825 forderte 74 Menschen, zerstörte 230 Häuser. Im Jahre 1634 ertranken 6123 Menschen, 1300 Häuser und 50,000 Stück Vieh wurden von den Wellen einer Sturmflut weggetrieben. Eine grosse Insel wurde bei jener Katastrophe entzweigetrennt. Dutzende von gleich verhängnisvollen Jahreszahlen sind in den Halligchroniken notiert. So ist es sehr begreiflich, dass der Halligbauer nur mühsam einen ruhenden Pol erkennen kann in all dem Fliehenden, und dass er immer wieder suchen muss nach einem Ewigbleibenden. Er wird zum religiösen Grübler. Tiefer fühlt er seine Abhängigkeit von unberechenbaren Mächten, und unmittelbarer, gedrängter ist daher sein Suchen nach dem Willen, der diese Mächte führt. Verehrend pflegt er seine kleinen Halligkirchen, die er in gemeinsamer Arbeit erbaut hat und deren Inneres er oft mit eigenen Schnitzereien, obwohl vielleicht unbeholfen, doch liebevoll ausschmückte. Drei Bettage pflegt er anfangs November zu halten, bevor die schweren winterlichen Sturmfluten kommen.

Da nun eine so schwere Vergangenheit und bittere Erfahrung im Volksgedächtnis der Halligfriesen liegt und allgemein beim Menschen die wichtigsten Vorgänge des Innern in bleibenden äussern Zügen festgehalten werden, so ist auf dem Gesichte jedes dieser Bauern eine ernste Lebensgeschichte zu lesen. Es mag zwar allerdings der herbe, zehrende und fast dauernd strömende Nordseewind recht eigenwillig ebenfalls Formen an dieser Menschengestalt erodiert haben und so mit schuld sein an der zähen Hagerkeit des Friesen-körpers, am stark gegliederten Relief seiner Hände und seines Gesichtes. Aber man kann doch sofort in seinen Augen erkennen, dass vor allem die Vergangenheit und eine unbestimmbare Ferne das Bild dieses Ausdrucks zeichneten. Mensch und Meer liegen gleichzeitig im Blick dieser Augen. Ein Blick, der Ferne in sich trägt durch die tägliche Betastung des Meeres-horizontes, der aber auch oft einer nahen Gefahr in Bangigkeit und doch mutig entgegenschaut. In sein Gesicht gezeichnet ist ferner die dauernde Bereitschaft, den Kampf ums Letzte aufzunehmen. Nie weiss er, welche Flut die Halligufer übersteigt, nie weiss er, wann der Sturm todbringend sich mit einer Flut verbündet.

Es ist des Menschen allgemeines Streben, die Natur in ihren Abtragungsvorgängen aufzuhalten. Auch der Halligbauer sucht das Leben seiner Inseln um ein Kleines zu verlängern. So rammt er Pfähle ein vor den bedrohten Halligkanten, versucht durch Weidenflechtwerk die Kraft der Brandung zu zerbrechen. Und immer wieder bessert er die Schutzanlagen aus, denn jede kleinste Lücke erleichtert schon des Unheils Zugang. Unaufhörlich ist sein Kampf gegen den naturbeschlossenen Untergang. Doch leistet er die Arbeit im vollen Wissen, dass eine wilde Sturmflut nicht haltmacht vor dem spielerischen Werk der Schutzversuche. Tief ist er sich der Unzulänglichkeit des Menschenwerks bewusst, wenn sich gesammelte Kraft der Natur dagegen wendet. So liegt in diesem Halligvolk eine Bescheidenheit und trotz der zähen Wehr ein stilles Hingegebensein an die Naturgewalt.

Der Halligbauer ist allein mit seinem Ich, mit seiner Insel, mit der Kraft des Meeres. Jede Warft trägt einer oder weniger Familien Dasein und jede Insel ist von Meer umschlossen, ist isoliert von aller andern Welt. Daher ist ihm jeder andere, der auf seine Insel kommt, zunächst ein Fremder, der seine seelische Ausstrahlung beengt. Sein Blick wird kurz, sein Ausdruck abgeschlossen, Scheu und Vorsicht drängen sich in den Vordergrund. Die Kinder, hilflos und erschrocken, ergreifen gar die Flucht vor einem allzu fremden Fremden. Die Scheu des Halligvolkes erhält noch eine leise Bitterkeit durch die Verlassenheit auch in der höchsten Not. Gerade dann ist Hilfe ausgeschlossen, wenn sie am nötigsten, und die Rettung seines Lebens hängt nur davon ab, ob die Güte der Natur die steigenden Wasser zu beruhigen vermag, ob die Güte der Natur über ihre Mordlust siege.

Es scheint, dass die Natur einen ihr restlos verbundenen Menschen im Halligbauern sich erhalten will, und ihn um so enger zu umschliessen gedenkt, je mehr sich die übrige Menschheit von ihr zu lösen versucht.

Seltsam berührt uns nun im ersten Augenblick die weitere Feststellung, dass dieser Halligfriese trotz seiner schweren Volkserinnerung und einer dem Tode so sehr tributpflichtigen Umgebung mit ganz ausserordentlicher Liebe seiner Heimat angehört. Folgender Bericht möge uns diese fast unbegreifliche Treue zu seinen sterbenden Inseln belegen: Nach der grossen Sturmflut-katastrophe im Februar 1825 beriet die Landesregierung, ob man nicht, um solches Unheil künftig zu verhindern, die Halligen entsiedeln sollte. Die Halligbauern aber verfassten hierauf eine Bittschrift, man möchte sie auf ihren Inseln lassen, « da die Halligleute mit so grosser Liebe an ihrem Lande hängen, dass das Lebensglück der jetzigen Generation für immer dahin sein dürfte, wenn sie ihre Heimat verlassen sollte; man würde befürchten müssen, dass sie in diesem Falle künftig eine trübe, freudenleere Existenz haben und sich nirgends wohl und heimatlich fühlen würden ». In diesem Satze tritt uns fast wunderbar des Halligfriesen Verbundenheit mit seinem Boden und Geschick entgegen. Lebenstragik hat hier, wie oft, zwei Wesen untrennbar verkettet. Darum auch konnte die Natur so eigenmächtig diesen Menschen formen. Sie hat ihn durch ihre Härte ernst gemacht, hat durch immerwährende Angriffe Zähigkeit und Wehrbereitschaft in ihn eingepflanzt, hat durch ihre dauernd an seine Ufer brandende Gewalt Bescheidenheit in ihn gelegt und machte jeden einsam durch die Einschliessung und scheu vor anderen.

Es berührte mich anfänglich seltsam, dass jede Beobachtung am Halligfriesen meine alten Beobachtungen und Erlebnisse an der Bergbevölkerung unserer Alpen neu belebte. Schliesslich fühlte ich, dass die Psyche des Halligbauern mir bereits etwas Bekanntes war und mir begegnete wie ein vom Schicksal vorbestimmter Freund. Ich erstaunte darauf sehr, denn, war es nicht erstaunlich, in zwei äusserlich sehr verschiedenen Lebensräumen so übereinstimmende Menschen zu finden? Bald jedoch wandelte sich diese Verwunderung in Klarheit, da nämlich, als die Halliglandschaft, das Wattenmeer, mit mir das ersehnte Zwiegespräch begann. Die Landschaft des Wattenmeeres trat mir sehr freundschaftlich entgegen, so freundschaftlich, dass sie nicht, wie ich erwartete, Widerspruch erhob gegen den grossen Schatz meiner Bergerinnerungen, sondern alle Alpenerlebnisse, die ich in mir trage, restlos annahm. Ja, ich spürte sogar, dass das Bild des Wattenmeeres alle meine Gipfelerinnerungen in beglückender Weise neu belebte und verstärkte.

Ich muss Ihnen nun kurz zu sagen versuchen, worin das letztlich Gleiche besteht von den beiden Landschaften, die sich in meiner Seele begegneten, um Ihnen dadurch auch die Gleichheit der entsprechenden Bewohner begreiflich zu machen. Es liegt diese Gleichheit allerdings nicht in der äusseren Erscheinung, sondern im innersten Sinn, in der Sprache, in der Seele der beiden Landschaften.

Es vermittelt das Berg- wie das Meererlebnis vor allem ein Urbildliches, Göttliches: Die reine planetarische Unberührtheit — die sichtbar gewordene Tat von Erdkräften — das Übergewaltige — das Menschenohnmächtige der Urmacht gegenüber. Berg wie Meer, beide führen unseren Blick immer wieder dem Himmel zu, das Meer durch das Mittel der Ferne, durch die Horizontale, der Berg durch das Mittel der Höhe, durch die Vertikale. Beide sind uranfänglich im Gedächtnis der Menschheit, beide sind Urbegriff. Wie auch die Abtragung arbeite, wie auch das Vergehen eile — das Ganze bleibt Urbild, bleibt Berg, bleibt Meer und wirkt als Ewigkeitsbild auf den einfachen Menschen. So hat der Bergbauer, hat der Halligfriese eine Urbildlandschaft täglich vor Augen. Der Umriss der Erdheimat bleibt unveränderlich. Die Horizontlinie des Meeres ist gegenständliche Ewigkeit, die Horizontlinie des Gebirges ist unveränderlich während ganzen Menschengenerationen. Dass dieses ewige Bild, das täglich aufgenommen wird, in der Psyche dieser Menschen sich aufbewahrt, ist klar. Begreiflich ist ferner, dass dieser Mensch von der Ewigkeit einen kleinen Teil in sich aufnimmt, dass er ein wenig Ewigkeit assimiliert. Seine Gewohnheiten sind beständiger als die anderer Menschen, seine Auffassungen sind althergebracht und variieren sich nur schwerfällig. Mit einem Worte gesagt: er ist konservativ. In dieser Treue zum Immer-so-Gewesenen sind sich Halligfriese und Bergbauer brüderlich gleich.

Lassen Sie mich die Parallelen weiter ziehen: Halligen wie Alpentäler liegen ( vom modernsten Verkehre abgesehen ) in Weltabgeschlossenheit. Meer und Sturmgefahr umklammern dort die Inseln, Berg und Bergdrohung umschliessen hier die Täler. Jedes Bergtal, von einem Gipfelkranz umgrenzt, ist von Nachbartälern ringsum scharf getrennt. Und oft ist nur durch eine wilde Schlucht dem Bergbach und der schmalen Strasse ein Ausgang in das Haupttal oder Vorderland gewährt. Jedes Bergtal, von aussen einmodelliert, eingesenkt in den ungeheuren Alpenkörper, birgt eine Lebenseinheit, birgt eine eigene Talschaft mit eigenem Volksblut, mit eigenen Menschenbildern, eigenen Dialekten und Gesängen. Jede Talschaft hütet eigene Dorfbilder und Häusertypen, hütet eigene Trachten und Lebenssitten.

Auch der Bergbauer ist von Gefahr belauert durch das ihn unmittelbar umschliessende Naturelement, wohnt er doch « unter den Lawinen ». Auch vor seiner Siedlung machen die Kräfte der Abtragung nicht halt und arbeiten über sie hinweg als über menschlich Bedeutungsloses. Im rollenden Stein liegt für ihn die Gefahr. Runsen, Wildbäche, Bergstürze fallen feindlich über Wiesen und Dörfer her; kahle Wände überstreuen die Weiden mit Geröll; Steinschlag erschlägt Menschen; Lawinen begraben Häuser und Bäume unter ihrem schweren Leib. Auch hier ist es das Ewigfliessende, mit dem der Mensch in Widerstreit gerät bei seinem immerwährenden Versuch, ein Bleibendes sich zu erhalten. Auch hier wehrt sich der Mensch gegen den letztlich nicht ver-hinderbaren Naturvorgang, wehrt sich durch Korrigierung der Wildbäche, durch Verbauung der Lawinenhänge, durch Fixierung des fliessenden Bodens, durch Schutz der Hütten gegen Steinschlag und Lawinen. Deutlicher erkennbar ist am Berge und am Meeresufer die Arbeit des unsichtbaren, ewigen Naturgesetzes an der sichtbaren, vergänglichen Erdmaterie. Daher ist das Menschendasein und das Menschenbild in diesem Lebensraume deutlicher vom Ewigen und Vergänglichen zugleich bestimmt. Es wird Ihnen nun nicht schwer fallen, die landschaftliche Bedingtheit der Bergvolkpsyche auf Grund dieser Umweltfaktoren zu erkennen und zugleich die Übereinstimmung der Bedingungen und Auswirkungen im Halligvolke zu fühlen. Der Ernst, das Einsamkeitsgefühl, das oft Grüblerische des Denkens, die Zähigkeit im Naturkampf, die Heimatgebundenheit, die Beharrung im Gewohnten, das Misstrauen gegen das Neue, die Bescheidenheit gemischt mit Menschenscheu, die althergebrachte Frömmigkeit, die den Aberglauben und die Angst vielfach berührt ( der Übermacht der Naturkräfte wegendas sind die Elemente der Volksseele hier wie dort. Im Bergtal wie auf der Hallig ist es die Abgeschlossenheit, die die typischsten Züge in das seelische und körperliche Bild des Menschen zeichnet, beiderorts ist es das unerbittliche Alleinsein in Kargheit, Gefahr und Not, das die Härte ins Dasein bringt.

Ich will, immer parallelisierend, noch etwas mehr ins Detail gehen. Auf den Halligen wie in den Alpen ist der Boden so karg im Spenden von Nah-rungsstoffen, sind die klimatischen Verhältnisse so wenig entgegenkommend, dass als einzige rationelle Wirtschaft die Viehhaltung möglich ist. Sie vermag aber nur kleine Familien zu beschäftigen und zu erhalten. Der Haushalt ist vielfach knapp, die einheimischen Erwerbsmöglichkeiten sind gering. Die heranwachsenden Kinder sind genötigt, sich in der Fremde einen Verdienst zu suchen. Die Bergjugend wandert ins Mittelland und in die Verkehrs-städte aus, die jungen Halligleute nach Amerika und in die europäischen Hafenorte. Der grösste Teil der Auswanderer kehrt aber nach Jahren, vielleicht nach Jahrzehnten, einem psychischen Zwange folgend, wieder in die Heimat zurück. Wohl begreiflich ist, dass die beschriebenen seelischen und wirtschaftlichen Verhältnisse beiderorts meist karge Menschenkörper formen.

Aber selbst bis ins Handwerkliche hinein geht die parallele Auswirkung: Älpler und Halligleute pflegen das Heu in Tüchern zu transportieren und es ausserhalb des Hauses in Haufen aufzubewahren. Türbogen und Türverzie-rungen der Halligbauern erinnern einen an die Bauformen in Bündner Gegenden. Die Halligstuben und Peesel ( Gastzimmer ) haben etwas Museen-haftes, ähnlich den Stuben im Appenzell, Engadin oder Berner Oberland. Sie sind die gewissenhaften Hüter von Familientraditionen. Die Pflasterung der Warftenwege ist ähnlich der Strassenpflästerung z.B. in Andermatt und Andeer. Solche Einzelbeobachtungen sind es, die dem Bergschweizer auf den Halligen sehr bald ein warmes Heimatgefühl geben. Wenn ihm dann die Friesenfrauen in der Sonntagstracht, die den Wallisertrachten sehr ähnlich ist, begegnen und er Volksmelodien hört, die er selbst schon gesungen zu haben meint, so wird ein Gefühl der Brüderlichkeit ihn erfüllen. Gleiche Empfindung hat der Halligfriese, der unsere Berge und ihr Volk besucht. Seltsam mag es auch Sie berühren, dass die Halligsage « Pidder Lüng » sich fast wörtlich deckt mit der rätischen Sage von Johann Chaldar. Dies dürfte zuletzt noch darauf hindeuten, wie auch der Geist hier und dort und bestimmte Züge in der Freiheitsgeschichte sich den beschriebenen Parallelen einfügen.

Ich habe versucht, Ihnen von menschlicher Verwandtschaft zu berichten, die nicht blutgebunden, sondern erdbedingt ist. Pflanzenhaft verwurzelt ist unser Sein in der Erde. Auf ähnlichein Grunde wachsen Pflanzen mit ähnlichem innerem und äusserem Bau. Die wichtigsten Züge unseres Seins werden durch die uns umgebende Landschaft bestimmt, durch die Einwirkung ihres Bildes und ihrer Seele auf unser Bild und unsere Seele. Landschaften, die den Menschen ähnlich beeindrucken, schaffen ähnliche Volkstypen. In gleichen Landschaftsseelen bildet sich ein gleiches kollektives Unbewusstes ( Begriff von C. G. Jung ), erfüllt das Volksgedächtnis sich mit gleichem Inhalt, erwächst gleiche gemeinschaftliche Menschenseele. Diese unsere Bedingtheit im mütterlichen Erdurgrund hat der Europäer sehr vergessen. Und wäre es nicht gerade heute tiefberuhigend, zu denken, dass unser Sein in einer so umfassenden Strömung liegt, die aus der Erde kommt? Die Seelen der Menschen sind einander nicht so fremd, wie es ihre Gesichter zu sein sich bemühen. Vielleicht müssten wir nur daran denken, dass unsere Füsse alle gegen das gleiche Erdballzentrum gerichtet sind, um uns des gleichen Ausgangspunktes unseres Daseins zu erinnern.

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