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Herbstliche Bergtage im Gotthardgebiet

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

Mit 1 Bild ( 145Von Elly Hodel

( Basel ) Drei Tage und drei Nächte hat uns das liebe Hüttlein auf der Wildmatte beherbergt. Drei Tage lang blaute über uns ein wolkenloser Himmel, schien für uns eine warme strahlende Oktobersonne. Drei Nächte lang wölbte sich ein sternbesäter Himmelsbaldachin über uns. Dreimal ging für uns immer um dieselbe Zeit am Abend über dem schneeweissen Kamm der Rossa ein wundervoller, grosser, leuchtender Stern auf. Keinem fremden Menschen begegnend, haben wir uns wie freie Götter auf der Hochterrasse der Wildmattalp getummelt, bis der letzte Sonnenstrahl hinter dem Pizzo Centrale hinabsank und die blaue Nacht langsam aus den faltigen Tälern aufstieg, immer höher und höher, Alp, Hüttchen, Bäche und Felsen überschattend und einhüllend. Noch einmal, bevor der Winter kommt, durften wir uns stärken in der reinen Bergluft und uns berauschen an der einsamen, herben Schönheit der herbstlichen Berglandschaft.

Vier Gleichgesinnte, trugen wir unsere schweren Säcke das Unteralptal hinauf. Wohl haben wir nicht mehr das Tempo der ganz Jungen, die Hälfte des Lebens liegt hinter uns; aber immer noch treibt uns die gleiche Sehnsucht und tragen uns unsere zuverlässigen Füsse. Immer wieder ist es wie ein Wunder, dem wir dankbar begegnen, dass wir es noch schaffen können, mit der gleichen Begeisterung und mit der gleichen Bereitschaft, Mühsal auf sich zu nehmen. Und dies alles, um über sich selbst hinaus sich selbst zu finden und auf seinen eigensten Grund zu stossen oben auf den Gipfeln, ganz nah dem Himmel.

Den Schlüssel zum Hüttchen trugen wir bei uns wie den Schlüssel zur Himmelspforte. Die Sonne war schon untergegangen, kühl empfing uns die stille Alp, als wir oben ankamen. Eine bescheidene, ehemalige Militärbaracke war es, die uns gastlich aufnahm.

In dieser anderen Welt wird alles zur heiligwichtigen Handlung. Das Holzspalten, das Anfeuern, das bescheidene Nachtmahlkochen, das sorgfältige Zubereiten der Schlafstätte im Stroh. Wir sind einfach glücklich. Einfach - und - glücklich! Drinnen in der Hütte ist es bald gemütlich. Ein kleines Rohröfeli sorgt dafür. Draussen hat sich tiefe Nacht ausgebreitet.

Wer hat den hellen Stern über dem Rossa zuerst entdeckt? Satt auf dem Grat steht er, ein leuchtendes Licht, ein wunderbarer Himmelsgruss. In stummem Entzücken sehen wir, wie er sich langsam über den Berg erhebt und sich einfügt in die Milliarden Sterne, welche in der immer dunkler werdenden, sammetschwarzen Nacht über uns zu flimmern beginnen. Da stehen wir fest auf der steinigen Erde, auf ihr verwurzelt mit unseren Fussen und wie jede Kreatur ihr zugehörig, solange sie auf ihr lebt. Aber in Stunden wie jetzt schauen unsere Augen hinauf in den Sternenglanz, und hilflos sind wir einem Staunen ausgeliefert. Wir können es nicht fassen. Nur eines ist uns sicher und wissen wir bestimmt: hier sind wir - Menschen - und dort oben sind die Sterne, das Unbegreifliche, das Unermessliche, dem unsere Sehnsucht gilt. Verse von Matthias Claudius fallen mir ein:

« Da saget unterm Sternenzelt Mein Herz mir in der Brust, Es gibt was Bess'res in der Welt Als all ihr Schmerz und Lust. » Die Fenster der Hütte sind nach Westen gerichtet. Am Abend fangen sie die letzten Sonnenstrahlen ein, am Morgen aber sehen wir von unserem Lager aus auf der anderen Talseite über der Sommermatte den Piz Prevot und den Piz Centrale aus ihrer weissen Starre erwachen. Die aufgehende Sonne wirft ihre Strahlen voraus und taucht die Berge in rötliches Licht.

Keinerlei touristische Pläne und Ambitionen haben uns hier hinaufgelockt. Wir lassen uns treiben von der Lust und der Gunst des Augenblicks. So ist es herrlich, einmal beim Tageslicht in einer Hütte gemütlich zu frühstücken, um dann gemächlich aufzubrechen in einen strahlenden, wettersicheren Tag hinein. In der ungetrübten Stille der Stunden scheinen wir endlos Zeit zu haben. Unterhalb des Unteralppasses betreten wir Neuschnee. Über 2600 m haben sich die Berge auf ihrer Nordseite bereits eingewintert. Der weisse, makellose Schnee füllt die Steinmulden aus und glättet die Unebenheiten der steilen Hänge, so dass der Aufstieg zum Piz Prevot über den Sellapass bis zum Gipfelanstieg zu einer schönen, mühelosen Traverse wird.

Immer wieder ist es ein packendes Schauspiel, im Herbst im Gotthardgebiet auf einem der Grenzpässe zwischen Norden und Süden zu stehen. Im Nordtal Schnee, kahle, erstorbene Landschaft, im Südtal unten liebliches Grün und bunte Farbigkeit bis hoch hinauf.

Wir sitzen in den warmen Gipfelblöcken des Piz Prevot. Gewiss, wir sind auf einem bescheidenen Gipfel, und doch welch ein schöner Berg, und wie imposant ist er von der Wildmatte aus in seinem winterlichen Kleide anzusehen. Und diese Aussicht! Wohin die Blicke reichen, reihen sich Berge an Berge, türmen sich Ketten über Ketten so weit in die Fernen, bis sie, unseren Blicken nicht mehr erkennbar, nur mehr noch von unserem Kennen und Wissen um Orte und Namen erahnt werden können. Viele Bekannte grüssen aus dem Gotthardgebiet. Weit in die Jugendzeit zurück taucht die Erinnerung. Da war die Ostertour auf das Blindenhorn. Damals hiess es die Ski noch buckeln durch die lieblichen Krokusmatten des Bedrettotales hinauf. Gewiss, heute hat man es mit der Post bequemer, aber wir wussten, dass wir bei der Ankunft auf der Cornohütte schon am ersten Tag etwas geleistet hatten. Dann weiter südlich der Basodino! Meine erste Gletschertour! Ich weiss noch gut, wie mir das Herz geklopft hat und die Knie geschlottert haben, als es galt, beim Abstieg von den grossen, sicheren Felsblöcken über den Bergschrund in den weichen Gletscherschnee hinauszuspringen. Gegrüsst seid alle, ihr kleinen, lustigen Klettergrate der Leventina, steigt herauf, ihr mannigfaltigen, lieblichen Bergerlebnisse, erfreut und erquickt unser Herz immer wieder aufs neue! So wird jede Gipfelrast zur Feier und Gedenkstunde.

Am frühen Nachmittag sind wir wieder vor unserer Hütte auf der Wild- matte. Warm scheint uns die Sonne. Tisch und Bänke werden vor die Hütte gestellt, wir essen, plaudern und träumen. Im kleinen See hinter der Hütte spiegelt sich der Rossa. Eine zwiefache Lockung! « Dort, wo der helle Stern heute abend wieder aufsteigen wird, werdet ihr morgen vorbeikommen. » Also doch PläneNein - nur eine Lockung - eine Verheissung, du liebes Spiegelbild im Wasser, nicht wahr?

Gegen 5 Uhr ist die Sonne im Sinken. Bevor sie verschwindet, hüllt sie Berge und Hänge liebevoll in einen zarten Strahlenschleier ein. Der Helle folgen die dunklen, violetten Schatten auf dem Fusse. Die Nacht kommt jetzt rasch, aber die Abende in der Hütte sind lang und gemütlich. Wir wälzen keine Probleme, wir zerbrechen uns über nichts den Kopf. Im kleinen Herd prasseln dürre Enzianstauden, das Rohröfeli wird gespeist mit einem im Freien aufgelesenen, grossen Holzscheit. Das kleine Nachtmahl wird zum Fest.Draussen in der Nacht ist ausser dem leisen Murmeln des Baches kein Laut zu vernehmen. Der helle Stern ist wieder über dem Berg aufgegangen.

Die Verheissung des Spiegelbildes im See hat sich erfüllt. Wir verdanken es dem Neuschnee in den steilen Eiscouloirs, dass wir schon nach anderthalb Stunden Aufstieg auf dem Russapass stehen. Ein winziges Militärhüttchen mit zuckrig verschneitem Dach und mit lustig gebogenem Ofenrohr hinaus-winkend, hat uns vom Pass aus gegrüsst. Und wiederum Nord und Süd! Im Schatten aufgestiegen, im Schnee bis zum Grat, liegen nun die aperen, warmen Hänge der Südseite unter uns, finden wir letztes, blühendes Leben, spiegelt sich in den vielen Bergseelein der farbige Abglanz des Sommers.

Herrlich ist es, über den luftigen Grat zu klettern. Nun stehen wir zu mittäglicher Stunde auf dem Rossa, und wiederum tauschen wir Grüsse in die Runde. Canariatal, Pian Bornengo, Cadlimohütte, Piz Blas, der Ravetschgrat, alles begangene, bekannte Pfade. Über uns kreisen schwarze Bergdohlen. Sie entfliegen mit unseren Grüssen südwärts. Jetzt scheint die Sonne heiss in die Nordhänge des Rossa. Der steile Abstieg im Schnee ist ein richtiges Vergnügen. Wieder haben wir einen ausgiebigen Hüttennachmittag vor uns, und jede Minute wird geniesserisch ausgenützt. Wir hamstern so richtig Ruhe und Sonne in uns hinein.

0 du kleine Insel des Glücks und des Friedens! Alles wird wieder lebendig vor mir. Ich sehe durch die offene Türe den hellen, von der Sonne durchwärmten Hüttenboden, den sauber aufgeräumten Essraum, an einem Nagel das kleine Chiantifläschli aufgehängt ( wie wird uns der Chianti munden heute zum Risotto !), das gelbe Strohlager mit seinen sorgfältig aufgeschichteten Decken. Ich sehe uns draussen auf der Alp in einer warmen Mulde liegen und ins Tal hinausträumen, bis uns zu frösteln beginnt. Ich sehe uns fröhlich - einfach - und - glücklich!

Aber immer wieder heisst es Abschied nehmen. Immer wieder dreht sich der Schlüssel im Schloss, die Türe ist zu, und weiter geht die Wanderschaft. Hab Dank denn, gastliche Hütte! Leb wohl, liebliche Wildmatte mit deinen moosigen, weichen Halden, mit deinem Spiegelseelein. Im Frühsommer, wenn du erstanden in deiner schönsten Flora, wenn deine Bäche wieder reich und rauschend fliessen, möchten wir wiederkommen!

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