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Historische Streiflichter über das Clubgebiet

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Historische Streiflichter über das Clubgebiet Von G. Meyer von Knonau.

Indem der Herr Redactor des Jahrbuches mir sein ehrenvolles Zutrauen dadurch bezeugte, dass er mich aufforderte, Einiges vom historischen Standpunkte aus zu der allseitigen Beleuchtung des Clubgebietes beizusteuern, hat er mir eine nicht sehr leichte Aufgabe gestellt.

Die Blätter 400, 401, 404, 405 unseres schweizerischen Atlas, Linththal, Elm, Tödi, Laax, sie bieten, wie schon diese vier Namen, und wieder vorzüglich einer unter denselben, darlegen, dem Naturforscher überaus viel Ausbeute; aber wir an unserem Orte haben es mit den Stätten des menschlichen Thuns und Schaffens zu thun, nicht mit dem reichlich genug hier vertretenen Bereiche über Schnee und Eis, und da bietet besonders das Blatt Tödi thatsächlich nur hinten im Linththal, beim Thierfehd, einige das ganze Jahr hindurch benützte Wohnplätze. Gebietsstücke von fünf Kantonen, von Uri, Schwyz, Glarus, St. Gallen, Grau- bünden, stossen auf den vier Blättern an einander-, allein da der Urnerboden nur vorübergehend menschliches Leben sieht, da den Karrenfeldern auf Schwyzer Gebiet südlich vom Pragelpass ein solches ganz abgeht, da auch den hintersten Stücken Sarganser Landes an den Quellen von Tamina und Seez, an Sardona und an Foo und Rieseten, ein historisches Interesse fehlt, so bleiben uns in Wirklichkeit nur Theile der Kantone Glarus und Graubünden zur Betrachtung übrig* ).

Sogar hier noch sind es recht eingeschränkte Abschnitte, die sich uns darbieten. Von den rund 35,000 Einwohnern des Kantons Glarus im Jahre 1870 hausen etwas zu 6900 im Linththal, über 2700 im Sernfthal, und wenn wir das genau noch am Rande klebende grosse Schwanden mit seinen zwischen 2500 und 2600 Seelen hinzurechnen dürfen, gewinnen wir also doch nur wenig über 12,200 als Gesammtzahl, also ungefähr einen Drittel der ganzen Glarner Landesbevölkerung. Noch schlimmer steht es südlicher in Graubünden. Da begegnen uns, wenn wir Ilanz am Rande noch einrechnen — bei Brigels ist das nicht erlaubt, es steht zu tief auf Blatt 408 — im Ganzen siebzehn Namen grösserer Orte, wovon sechs am Rheine oder wenigstens in dessen Nähe** ), acht auf den das Thal überragenEs ist hier natürlich möglichst jedes Zusammentreffen mit dem schon in Band X dieses Jahrbuches gebrachten sehr anzuerkennenden Aufsatze von J. A. von Sprecher: „ Kurzer Abriss einer Geschichte des bündnerischen Oberlandes " vermieden worden.

Es sind Ruis, Schnaus, Strada, Schleuis links, Ilanz und Kästris rechts vom Flusse.

: ' " ï, den Bergen oder Hochflächen* ), drei endlich — Andest und Panix, sowie Flims — weiter seitab in Neben- thälern liegend: doch allen diesen Orten zusammen weist die neueste Volkszählung bloss etwas zu 5600 Seelen zu, ohne Ilanz gar nur 5000. Das ergibt also rund einen Achtzehntheil der bündnerischen Kantonalsumme, oder, wenn wir aus den willkürlich nach Flüssen und Bergen zurechtgeschnittenen modernen bündnerischen Bezirks-namen die historische Grundlage unseres Terrain-abschnittes, den alten oberen Bund** ), zurückcon-struiren, etwa den siebenten Theil desselben. Aber wie gross sind noch ausserdem auf dem kleinen Räume die Verschiedenheiten der 5600 unter einander! Fünfzehn unter den siebzehn Orten haben das Romanische als Sprache: bloss Valendas ist ganz, Ilanz halb deutsch; neun Ortschaften sind katholischer, sechs reformirter Confession, zwei — darunter wieder Ilanz — gemischt, so dass also Nachbardörfer der gleichen romanischen Zunge confessionell nicht übereinstimmen.

Allein trotzdem, obschon für die nördliche, wie für die südliche Abtheilung unserer Aufgabe — und welchen Trennungsstrich zog die Natur vom Saurenstock bis zum Tödi zwischen den beiden Hälften — die politischen Mittelpunkte, dort Glarus, hier Cur, wohin das historische Leben zielt, ausserhalb unserer Umrahmung liegen, ist es nicht unmöglich, gewisse Erscheinungen der Gemeinsamkeit in der Entwickelung aufzuweisen, neben denen hinwieder die Abweichungen nur um so eigenthümlicher hervorstechen. Wir wollen zu deren Auffindung einige Grundlinien zu ziehen suchen und nach denselben unser Gebiet mustern.

1. Die Anfänge geschichtlicher Kunde.

Die scharfe Trennung durch den Kamm des Hochgebirges, welche für unser zweigestaltetes Gebiet gegeben ist, macht sich in bestimmtester Weise auch für den forschenden Blick des die Geschichte desselben Betrachtenden geltend. Während die nördliche Hälfte an der Linth und am Sernf ihm noch für Jahrhunderte verhüllt bleibt, bietet ihm eine der ältesten und bemerkenswerthesten Urkunden unserer gesammten Landesgeschichte für den südlichen Theil, vom Rheine und seinen nördlichen Angeländen, die einlässlichsten Aufschlüsse.

Innerhalb des Rahmens des grossen Reiches, welches die Franken als der staatlich kräftigste germanische Stamm auf dem Boden der durch die Völkerwanderung umgestalteten alten Welt emporgerichtet hatten, unterschied sich das rätische Gebirgsland, nicht nur durch die Festhaltung der Sprache seiner früheren Beherrscher, sondern auch in seiner Verfassung, von den Nachbargebieten diesseits der Alpen. Die eigenthümliche Ausprägung der früher weltbeherrschenden Sprache in diesem abgeschiedenen Gebirgslande, die in der rätoromanischen Zunge bewahrte Erinnerung an die lateinische Cultur schufen dem Lande bei den deutschen nördlichen Anwohnern den Namen Curwalchen; aber weiter zeigte sich hier eine seltsame Verbindung in der Gestaltung der vom alten Mittelpunkte des Landes aus, von Our her, geübten Gewalt, welche in ungewöhnlicher Weise durch die obersten Gebieter, die fränkischen Könige, geschont blieb. Der geistliche Führer des Landes, der Bischof von Cur, war nämlich zugleich auch als Präses Vertreter der höchsten Gewalt in weltlichen Dingen, oder es lagen wenigstens die beiden öffentlichen Fune tionen innerhalb einer und derselben Familie vereinigt. Von diesem Hause der Victoriden lebte nun in der Mitte des VIII. Jahrhunderts Bischof Tello als letzter Erbe des Mannsstammes, und er traf 766 nach dem Willen seines verstorbenen Vaters eine letzte Verfügung über seinen ganzen Eigenbesitz, und zwar zum Vortheile des damals wohl schon anderthalb Jahrhunderte hindurch nahe den Rheinquellen entstandenen Klosters Dissentis. Aus diesem Testamente Tello's erkennen wir auf das Beste, wie dicht schon vor elfhundert Jahren gerade auch die Landschaft zwischen Brigels und Flims bevölkert war.

Voran steht ein grosser Reichthum an Grundbesitz zu Sagens, ein Herrenhof mit allen Gemächern und Nebenbauten, mit Gelände und Gärten, wo Obst und sogar Wein wachsen, ferner ein Steinhaus, ein Hof im Dorf — « vicus a: Vitg heissen noch heute romanisch die beiden Dorf hälften von Sagens —, dazu viele einzeln genannte Ländereien, deren Localnamen sich theilweise noch bis auf die Gegenwart erhielten, auch Wiesen und Alpen mit genauer Anführung des Heuerträgnisses. Zunächst folgen hoch über Sagens Güter über Fellers, rückwärts zu Flims, gegenüber jenseits des Rheines zu Valendas und Kästris. Ein grösserer Hof wieder liegt in Ilanz, woran sich Besitzungen anschliessen, die man wohl ohne Frage in Luvis und in Obersaxen zu suchen hat. Ruschein hoch am Berge Ilanz gegenüber, etwas rheinaufwärts näher am Flusse das im Romanischen noch hart an « Ruane » anklingende Ruis, Uors — d.h. deutsch Waltensburg — und mehr landeinwärts Andest. vorzüglich aber auch Brigels und noch höher gegen Dissentis Schlans und andere Nachbarorte — wir nennen nur die unser Gebiet betreffenden und die ihnen nächstliegenden Namen —: es ist ein fast lückenloser Kranz von Oertlichkeiten, überall mit Höfen und Ländereien mit zahlreichen Hörigen und ihren Familien, und wenn man ermisst, dass dies nur der Vermögensbestand eines einzelnen, allerdings wohl des reichsten Gutsherrn ist, ergibt sich eine Vorstellung davon, wie wohnlich es in diesen frühen Zeiten des Mittelalters hier schon gewesen sein muss.

Das Bisthum blieb auch noch über Tello's Tod hinaus in seiner gebietenden Stellung: aus dem Anfang des IX. Jahrhunderts lehrt eine aus Cur erlassene Gesetzgebung, des Bischofs Remedius, wie sehr die öffentliche Ordnung vom Bischofshofe abhängig war, wie die persönliche Beziehung zu dem geistlichen Herrn für die Ausbildung der Standesverhältnisse die Richtung gab. Aber allerdings trat dann unter dem grossen Karl eine tief eingreifende Aenderung ein, dadurch, dass der Kaiser die Trennung der weltlichen von der geistlichen Gewalt durchführte und durch die Bestellung eines Grafen auch für das eigentlich curische Rätien oberhalb der Landquart den Bischof in eine viel eingeschränktere Stellung brachte. Freilich dauerte das nicht allzu lange in voller Schärfe, indem bereits Karl's Sohn, Kaiser Ludwig, die ausgebrochenen Wirren in einer dem Bischof günstigen Weise zu lösen sich bestrebte. In der karolingischen und der darauf folgenden ottonischen Zeit erlangte das Bisthum, besonders unter Bischof Hartbert in Otto's I. Zeit, sehr ausgedehnte Freiheiten und Schenkungen von den Königen, so dass durch diese Ausnahmsbedingungen, zu welchen noch weitere nach anderen Richtungen kamen, die gräflichen Rechte sehr zusammenschrumpften. Die hauptsächliche Entscheidung in den Angelegenheiten des Landes Curwalchen lag wieder bei dem Bischöfe, das will zugleich bedeuten, bei dem hauptsächlichsten Grundherrn, und obschon ein Bestandtheil des schwäbischen Herzogthums, hatten diese romanisch sprechenden Thäler im Hochgebirge thatsächlich eine gesonderte Stellung.

Allein zugleich hoben nunmehr auch eigenthümliche Sonderungen, einzelne territoriale Gestaltungen an; neue Elemente dringen in das staatliche und das Volksleben ein; jene dem rätischen Lande vor anderen Gebieten eignende Gliederung und individuelle Ausprägung charakterisirt sehr bald. auch den uns vor- liegenden Abschnitt von Rätien. Gerade der noch heute sich weit ausdehnende Flimser Wald, welcher den Waldhäusern, zunächst südlich von Flims, den Namen gegeben hat, gewinnt nun die Bedeutung einer östlichen Abgrenzung des Vorderrheinthaies — entsprechend dem südlich davon liegenden Versamer Tobel —, einer Scheidung gegenüber dem thalabwärts folgenden, im engeren Sinne bischöflich curischen Hoheitsgebiete. Zwar mangelte es auch hier ob dem Walde keineswegs an Land und Leuten des Gotteshauses Cur. Gerade in unserem engeren Bereiche lagen bedeutende Hofe, ausser demjenigen zu Flims solche zu Fellers und Ruis, woran sich weitere Besitzungen im Lugnetz und im Valserthale anschlössen; ebenso standen zu Kästris herrschaftliche Befugnisse, nebst der Kirche, dem Bischöfe zu; ein bischöflicher Amtmann sass in Sagens, um hier in der Pflegschaft am Vorderrheine ( ministerium Tuverasca ) des Bisthums Rechte zu wahren. Allein Gotteshausgebiet im engeren Sinne war all das nicht, und so haben auch die heftigen Reibungen, welche um der hohen Vogtei willen für das Bisthum gegenüber den mächtigen Herren von Vaz um das Jahr 1300 sich erhoben, diese unsere oberen Gegenden nicht berührt. Gewissermassen die Vorverkündigung des späteren oberen Bundes, im Unterschiede von demjenigen vom Gotteshause, liegt hier vor, und es gewinnt den Anschein, als habe diese Marklinie am Walde von Flims schon in ziemlich früher Zeit zur Entstehung der Eintheilung der Curer Angehörigen in solche « auf den Bergen », oberhalb, im Oberlande, und solche « im Boden », abwärts vom " Walde, den Anlass gegeben. Der spätere Ausdruck « auf Münten » ( in montanis ) für diese oberen Gegenden würde so sich leicht erklären. Indessen gab es da, ganz abgesehen von Dissentis, noch mehr geistliches Gut. Das Kloster Pfävers hatte einen Hof zu Flims; ihm gehörten die Kirchen zu Ruschein, Ladir, Seth. Diese kirchlichen Besitzungen verliehen durch die den Kirchen-gütern kraft der Immunitäten zugestandenen Freiheiten der ganzen Gegend überhaupt frühzeitig eine selbständigere Entwicklung.

Daneben haben wir ein wichtiges Zeugniss für das Vorhandensein einer Gemeinde freier Leute. Zwar nicht von aussen hergezogene Colonisten mit einem, neuen, bessern Rechte, welches ihnen ihre Herrschaft infolge der eingetretenen Niederlassung zugestand — so wie jene deutschen Ansiedler in der äusserst merkwürdigen Colonie Obersaxen, auf der schönen grünen Terrasse über Ilanz und dem Rheine, finden sich hier vor. Aber eigenthümliche Rechtseinrichtungen, welche geradezu an den Namen eines unserer Dörfer anknüpfen, beweisen doch das Vorhandensein freier Leute in etwas grösserer Zahl. Das ist die viel- fach im Dunkel liegende Grafschaft Laax, höchst wahrscheinlich ein Rest jener alten aus der karolingischen Landeseinrichtung stammenden Landgrafschaft im gesammten curischen Rätien, auf dessen ganzen Umfang der Bereich der Grafschaft auch wirklich hinweist, aber thatsächlich durch die ausgedehnten Ausnahmsbedingungen geistlicher und weltlicher Herren zusammengeschwunden und erst eigenthümlich spät mit diesem ihrem Namen hervortretend. Jedenfalls aber war, was eben schon der Name selbst bezeugt, zu Laax das mit der Grafschaft verbundene Recht vorzüglich feststehend geblieben; denn von den beiden für das Landgericht der Grafschaft genannten Gerichtsstätten — die andere war zu Cur in der Stadt unter der Burg — lag diejenige von Sessafret wenig nördlich vom Dorfe Laax am Fusse des Hügels der Burg Langenberg, zwischen der Landstrasse und dem Tobel des Laaxer Baches. Das war der Platz für das hohe Gericht; aber auch Civilgericht hielt da « vorus über die Frien » der Ammann der Freien, deren kleine Gemeinde zu Laax auch noch später ihrer Rechte bewusst blieb; auch ein Jahrmarkt daselbst genoss eines besonderen Schutzes. Diese Burg Langenberg — sie galt als ein Lehen vom Reiche — war aber nur eines von den vielen festen Häusern, welche auch in diesem Theile Rätiens überall die Thäler beherrschten und die Höhen krönten, darunter so manche, deren geschichtliches Dasein fast ganz im Dunkel liegt. Glücklicherweise ist das gerade hier in weit geringerem Masse der Fall. Zu unterst in der Gegend auf Münten erheben sich auf der Nordseite der Strasse von Flims nach Trins hoch über der Thal- fläche die Trümmer von Belmont, des Stammsitzes des mächtigsten Herrengeschlechtes im Oberland, mit dessen territorialer Macht einzig der Abt von Dissentis wetteifern konnte; vermischt mit den uns schon theilweise bekannten meist geistlichen Besitzthümern, vermehrt vielleicht durch die Erbschaft des Herrenhauses — oder war das nur ein ritterbürtiges Geschlechtvon Kästris, reichte die Belmonter Herrschaft, Ilanz wahrscheinlich in sich begreifend, dann mit der von obenher thalabwärts sich erstreckenden Dissentiser Gewalt sich be- rührend, noch bis in das Lugnetz hinein. Frühe schon erloschen die edeln Herren von Wildenberg und von Frowenberg, deren Burgen, jene über dem Schleuiser Tobel unterhalb Fellers, diese bei Ruscheinsich befanden; ebenso ist der Bestand der Edelherrschaft von Sagens nahezu unbekannt. Ueber Schleuis ist noch heute die Burg Löwenberg aufrecht, deren Herren-geschlecht aber auch nur bis in die Mitte des XIII. Jahrhunderts bestand; nicht mehr ist von den Herren von Freiberg bekannt, deren Burg in Trümmern neben dem Dorfe Seth liegt** ). Ein ritterbürtiges Geschlecht, das sich nach der hinter Waltensburg liegenden Burg Grünenfels benannte, dauerte ebenfalls im Mannsstamm nur in die erste Hälfte des XIV. Jahrhunderts hinein; ein ähnliches Dunkel ruht über den gleichgestellten niederen Herrschaften Löwenstein bei Ilanz und Valendas.

Eine ungemeine Fülle verschiedenartig geformter Herrschaften drängte sich also auf engem Räume zusammen, bis mehrere tief greifende Aenderungen durch das Aussterben der älteren Geschlechter, das Eingreifen neuer Gewalten auch gerade hier eintraten. 1371 starb der letzte Belmont — es war jener Ulrich Walther, welcher als Führer des Lugnetzer Volkes 1352 am Eingang des Thales Lugnetz am Porclas-Passe jenen Sieg davontrug, an welchem die Ueberlieferung den Frauen einen grossen Antheil zuschrieb —, und wenige Jahre später erlosch noch ein zweites ansehnliches ober-ländisches Geschlecht, dasjenige der Montait: dieselben hatten sich von ihrem bei Riein am Eingange des Lugnetz gelegenen Stammsitze her auch auf unsern Boden ausgedehnt und besonders Grünenfels ererbt. Diese Belmont-Montalt'sche Hinterlassenschaft nun ging insbesondere an ein wohl aus dem Oberlande selbst stammendes oder wenigstens — zu Sagens — schon länger daselbst begütertes Herrenhaus über, an die Herren von Sax, Gebieter in Misocco, und es entstand eine ausgedehnte Territorialgewalt für dieses Geschlecht, welchem dann im Anfang des XV. Jahrhunderts auch der gräfliche Name zu Theil wurde: — Flims, Kästris, Ilanz und die ganze Gruob, unter welchem Namen nun allmälig diese gesammte Gegend am Vorderrheine um das Städtchen und abwärts bis zur Verengung unterhalb Valendas zusammengefasst wird, ferner Lugnetz und Vals bildeten dieses Saxische Gebiet. Ein weiteres Geschlecht, welches sich schon seit dem ersten Drittel des XIV. Jahrhunderts eine Stellung auch über dem Flimser Walde zu schaffen begonnen hatte und jetzt, gegen dessen Ende, dieselbe noch mehr erhöhte, war dasjenige von Räzüns. An die Räzüns kam Freiberg, dann, allerdings nur auf kürzere Zeit, Löwenberg; überhaupt strebte nun besonders mächtig Ulrich Brun von Räzüns empor, und an ihn gelangte von den Montait her Grünenfels; aus dieser Erwerbung und dem rheinaufwärts liegenden Schlans, sowie aus Freiberg bildete sich unter Anschluss an die aus nicht sicher erkennbaren Grundlagen eigenthümlich erwachsene Herrschaft Waltensburg, mit der festen Burg St. Jörgenberg als Mittelpunkt, mit Beifügung der nächsten Dorfschaften, eine RäzünsischeTerritorialschaft, welche seit dem Anfange des XV. Jahrhunderts geradezu nach St. Jörgenberg genannt wurde. Endlich aber setzte sich auch für das Haus Werdenberg-Sargans, Mont-fort'schen Geblütes, welches mit dem Aussterben der mächtigen Herren von Vaz 1337 überhaupt zuerst im curischen Rätien Platz gewonnen hatte, in dieser Gegend auf Münten ein Kern von Besitzungen fest: — allerdings kam das anfänglich durch diese Grafen aus dem Rheinthale erblich angetretene Wildenbergische und Frowenbergische nachher durch die Belmont an das Haus Sax; dagegen gelangte 1348 vom Hause Oesterreich pfandweise jene Grafschaft Laax als Lehen vom Reiche an die Werdenberg-Sargans, und ebenso finden wir in ihrem Besitze die Herrschaft Löwenberg. Dergestalt waren, nebst dem uns hier ferner liegenden Gotteshause Dissentis, für das Land ob dem Flimser Walde bis gegen das Ende des XIV. Jahr- 23 hunderts Sax, Räzüns und Werdenberg-Sargans Ausschlag gebend geworden* ).

Wir sehen, diese rätischen Verhältnisse, sogar wenn man sie nur auf dem engsten Raume ermessen will, gehören zu den schwierigsten, aber auch lehrreichsten Problemen der mittelalterlichen Geschichte; und sie setzen dem Verständnisse oft die erheblichsten Hindernisse gegenüber. Im vollsten Gegensatze hierzu lassen sich die Verfassungserscheinungen auf glarnerischem Boden sehr leicht auf die allereinfachste Formel bringen.

Das ganze eigentliche Glarner Land von Niederurnen, zumal aber von der Näfelser Letzi an den Rauti-feldern aufwärts, also vollends unser Hinterland ohne Unterschied, war, wo es zuerst hervortrat, geistliche Grundherrschaft, vielleicht aus königlich fränkischer Schenkung jenem Frauenstifte Säckingen am Rheine zugetheilt, dessen Ursprung im Laufe der Zeit in einer äusserst wenig Glaubwürdigkeit besitzenden, höchst willkürlich zurecht gemachten Legende einem Heiligen von grosser Zweifelhaftigkeit zugeschrieben wurde, dem Fridolin, welcher hierdurch von Säckingen aus auch seines Platzes im Siegel und Panner des Ländchens Glarus sich bemächtigte. Aber für die älteste Geschichte des Landes haben wir nun fast gar keine näheren Zeugnisse, und eines der frühesten, das gerade für das hintere Linththal in Frage käme, ist eine freche Fälschung. Bekanntlich erstreckt sich das Land Uri auf Unkosten der Glarner am Fätschbache hinunter weit über die natürlichen Grenzen am Klausenpass hinaus: der Urner selbst hat das Gefühl, dass er in diesem schönen Hochthale des Urnerbodens eigentlich auf anderem Grund und Boden stehe, indem er das Besitzstück « Ennet-märcht » nennt, und die Sage suchte in der anmuthigsten dichterischen Erzählung, vom Grenzlaufe der beiden Hirten auf die Weisung der aus dem Schlafe erwachenden Hähne, das schwer Verständliche zu erklären. Schon 1196 stellte ein Grenz vergleich da die Marken fest, vom Felsen Munprechen — jetzt Scheienberg — über den Fluss Ferscha — den Fätschbach — hin zum Felsen Oufrutt — jetzt Steinberg — und über den noch so geheissenen Berg Thurm zum Visinbach ( die Fisitenalp am Oberlaufe des hier Fisitenbach genannten Schreienbaches ist gleichfalls noch heute urnerisch ) und über denselben hin an Campuregg und Walaegg vorbei zum noch den gleichen Namen tragenden Horgensatel vor dem Gemsfayrenstock. Aber die Urner scheinen hiemit noch nicht zufrieden gewesen zu sein, und so machte man jene falsche Urkunde eines Herzogs Rudolf zurecht, nach welcher in einem Rechtsspruche die Urner-Grenze sogar bis an die Linth und den Limmernbach vorgeschoben worden wäre.

Zeigen uns schon die Angaben der Grenzbeschreibung von 1196, obschon sie keine Namen bewohnter Orte bringen, dass damals ohne alle Frage die Staffeln auf der linken Seite der Linth vom Braunwaldberge aufwärts bereits befahren wurden, so taucht andrerseits 1240 auch das Sernfthal, indem nämlich ein schieds-richterlicher Spruch über den Zehnten aus demselben Auskunft ertheilt, zuerst urkundlich auf. 1261 beginnt mit der Erlaubniss des Baues einer Kapelle im Sernfthale, von Seite der Säckinger Aebtissin und Grund-herrin, die erste Ablösung von dem Sprengel der anfangs das ganze säckingische Thal umfassenden Mutterkirche zu Glarus; es ist einleuchtend, dass die Sernf-thaler bei der besonders im Winter gefährlichen Beschaffenheit ihres langen und mühsamen Weges nach dem Hauptthale zuerst eines derartigen eigenen kirchlichen Mittelpunktes bedurften. So wurde denn 1273 diese Kapelle « im Dorfe, welches Mattun genannt wird », mit Ausdehnung ihres Pfarrbezirkes thalabwärts bis an den Berg Wartstalden — am linken Sernfufer unterhalb Engi —, zur selbständigen Kirche erhoben und als solche ausgesteuert, wofür jener Zehnten aus dem Thale sich als das beste Auskunftsmittel ergab. Bis in den Anfang des XIV. Jahrhunderts hat aber auch das Hauptthal in seinem hintern Theile, zu Linththal, eine eigene Kirche erhalten. Doch überhaupt fällt nun vom Jahre 1302 ein reiches Licht auf die Verhältnisse des Ländchens in seiner Gesammtheit aus der Aufzeichnung über die Einkünfte und Rechte der Grundherrschaft, aus dem Urbar des Stiftes Säckingen.

Nicht nur taucht jetzt eine grosse Zahl von Bezeichnungen von Oertlichkeiten auf — so auch von Alpen im Hintergrunde des Landes, wie Riesetenalp im Krauchthal, die Alpen Ramin und Camperdun bei Elm, Tschin- geln am Segnespass, die Wichlenalp ganz hinten im Sernfthal und die Jätzalp am Panixerpasssondern es tritt schon die Eintheilung in Tagwen, die freilich mit den jetzigen nicht übereinstimmen, entgegen ( im Linththal ein Tagwen Oberlinththal und einer genannt Niederlinththal, ferner Luchsingen, Nesslau, wohl das jetzige Haslen, neben Nitfuren und Obfuren, endlich Schwanden ), und diese Tagwen sind bereits bald auch als Corporationen mit Vermögensbesitz aufzufassen, welchen die Alpen zugehören, so dass z.B. bis 1344 Wichlen zugleich den Tagwen Mollis und Elm, Jätz dagegen Mollis allein zustand.

Als Ganzes dagegen zeigt sich das Land Glarus noch völlig als im Grundeigenthum seiner Herrin von Säckingen stehend, als ein ursprünglich einziger grosser herrschaftlicher Hof, der von der Burg zu Glarus aus verwaltet wurde, worauf einige abhängige Aemter daraus sich entwickelten, andrerseits weitere Stücke einzeln gegen Abgaben an Hörige ausgethan wurden. Unter den Amtleuten der Aebtissin stand als Vertreter der Grundherrschaft, als Inhaber der niederen Gerichtsbarkeit der Meier voran, und es sind vorzüglich Urkunden über dieses anfangs lange Zeit im Besitze der Familie Tschudi befindliche Amt, welche die ersten genaueren Aufschlüsse über die Landesgeschichte geben. Eine vorzüglich angesehene Stellung aber nahmen die bei Aufzeichnung des Urbars allerdings schon ausgestorbenen edeln freien Herren auf der Burg zu Schwanden ein; ihr Sitz auf dem Tänniberg daselbst war dann als erledigtes Lehen dem Gotteshause heimgefallen. Auf vier sämmtlich nicht auf unserem Terrainabschnitte liegen- 368 Meyer von Knonau.

den Burgen sassen ferner als auf Stiftsieheu ritterbürtige Burgsässen. Weiter waren zwölf Geschlechter von freien Wappensmannen, von Lehensleuten des Gotteshauses, abgabefrei und ohne weitere Verpflichtung, als mit Schild und Speer des Gotteshauses Rechte zu schützen und zu schirmen, auf ihren Schilt- und Hoflehen — noch ehe Elm selbst urkundlich erscheint, haben wir da das ansehnliche Geschlecht der Eimer —, und ging eines dieser wappengenössigen Geschlechter ab, so hatte die Aebtissin aus den vierunddreissig übrigen Geschlechtern freier Gotteshausleute eines als Ersatz zu wählen. Weit stand natürlich unter diesen Freien die überwiegend grössere Gesammtheit der die Thal-bevölkerung im Allgemeinen ausmachenden eigenen Leute des Gotteshauses Säckingen.

Indessen war nun bis zum Anfange des XIV. Jahrhunderts überhaupt für Glarus die uralte Beziehung zu der geistlichen Herrscherin unten am Rheine mehr und mehr zurückgetreten. Eine nähere, strengere Gewalt hatte sich über das Land vorgeschoben, welche die Verhältnisse allmälig ganz zu verändern drohte. Ohne Zweifel aus der gräflich kiburgischen Erbschaft 1264 war die hohe Gerichtsbarkeit über das Stiftsgebiet von Säckingen im Glarner Lande, die als Lehen vom Reiche behandelte Vogtei, an das habsburgische Haus übergegangen, welches durch Glück und Gewalt, vorzüglich seit sein Haupt deutscher König geworden war, so mächtig in dem ganzen südschwäbischen Lande sein Ansehen erhöhte. Noch in König Rudolfs Zeit kam auch durch Belehnung von Seite der Aebtissin, 1288, die niedere Gerichtsbarkeit hinzu: nachdem schon 1253 das Meieramt, gewiss zum Missvergnügen der Glarner, dem zudem von der ersten Stelle unter den freien Wappengenossen in die zweite gerückten Geschlechte der Tschudi genommen worden war, kam nun diese Beamtung mit ihren reichen Einkünften nach 35 Jahren an die Königssöhne, die Herzöge von Oesterreich. Die ganze staatliche Gewalt liegt so in einer einzigen wuchtigen Hand vereinigt, und der Ammann von Glarus, mag er auch aus den Thalleuten genommen sein, handelt nur als ein Beamter der österreichischen Herrschaft. Deutlich tritt in der von König Albrecht im Anfang des XIV. Jahrhunderts angeordneten Aufnahme über alle habsburgischen Güter und Rechte das Bestreben hervor, die eigenartige Stellung des säckingi-schen Gotteshauslandes zurücktreten zu lassen und Glarus für die Herzöge, « die Meier sint und Vögte ze Glarus », mit Gaster und Wesen zu einem einzigen Amte ihres grossen Territoriums zu vereinigen, immerhin noch mit der Unterscheidung eines obern Amtes Glarus und eines niedern Amtes Windegg.

Wie verschieden liegen im XIV. Jahrhundert die Dinge im oberen Currätien und in Glarus! Dort im Oberlande eine Vereinfachung der Feudalverhältnisse unter unverkennbarer Anbahnung einer freieren Bewegung, und hier an der Linth eine noch viel weiter gehende Erscheinung ähnlicher zusammenfassender Art, welche jedoch im Sinne der Einfügung des Thales in ein Landesfürstenthum die Anfänge einer individuelleren staatlichen Entwicklung völlig zu untergraben scheint.

360 Meyer von Knonau.

2. Die Entwicklung zur Selbständigkeit.

Ohne irgend eine Berührung unter einander aufzuweisen, hatten sich bis in das XIV. Jahrhundert die staatlichen Verhältnisse am vordem Rheine einerseits, an der Linth und am Sernf anderntheils entwickelt. Jetzt zeigt sich uns eben im XIV. Jahrhundert für das rätische Land ein Streben nach Vereinfachung dieser Verhältnisse durch die Bildung eines einheitlicheren Gefüges, welches doch andrerseits wieder in sich selbst im Einzelnen die eigenthümlichsten Besonderheiten bestehen lässt. Die Glarner ihrerseits beginnen in dieser Zeit darnach zu ringen, sich aus der ihnen auferlegten Zugehörigkeit zu einem grossen herrschaftlichen Verbände zu lösen, sich an eine die mächtigste Anziehungskraft ausübende freiheitliche politische Genossenschaft anzuschliessen. Da reichen sich bald auch zum ersten Male die rätischen Oberländer und die Thalleute von der Linth über ihre Berge hinüber zu politischer Annäherung die Hand, und es bleibt das Verdienst der Glarner, zuerst die rätischen Bündner den schweizerischen Eidgenossen befreundeter gemacht zu haben.

Sehen wir zu, wie hüben und drüben der obere Bund in Rätien, die Volksfreiheit in Glarus zu Stande kommen, wie darauf der eidgenössische Ort Glarus seinen schweizerischen Bundesverwandten die neuen Freunde von den Rheinquellen zuzuführen beginnt.

Jene seit dem XIV. Jahrhundert für das curische Rätien so eigenthümlich Ausschlag und Namen gebende föderative Gestaltung des Staates hat in ihrer bleiben- den Form zunächst nicht vom rätischen Oberlande ihren ersten Ausgang genommen; sondern es war das Feudal-gebilde des Bisthums, wo die eines bestimmten Zieles bewusste Verbündung in Rätien zuerst hervortritt. Und zwar handelte es sich hier im Gotteshaus um die Zurückdämmung des österreichischen Einflusses, der von Osten, von Tirol her, in ungemessener Weise auf den Bischof sich bemerkbar machte, als 1367 mit und neben den älteren bischöflichen Beiräthen, dem Domcapitel und den Ministerialen, zwei neue Elemente, die Curer Bürgerschaft und, nach Thälern je unter dem Gericht haltenden Adeligen, die Gesammtheit der übrigen Gotteshausleute, sich als Vertretung des Gotteshauses selbständig zum ersten Male hinstellten. Im Oberlande fehlte es dagegen an einem Mittelpunkte, wie ihn das Bisthum Cur für den Gotteshausbund abgab; auch war hier kein Gegensatz zu Oesterreich gegeben, indem ja das in der Zeit der Abfassung des habsburgisch-österreichischen Urbars allerdings als Besitz mitaufgeführte Reichslehen der Grafschaft Laax seither als Pfand an Werdenberg-Sargans gekommen war. Allein dennoch fühlte man sich auch oberhalb des Flimser Waldes zu einer bleibenden Einigung ebenfalls gedrängt, und schon vor dem Abschluss des XIV. Jahrhunderts war eine solche auch hier erzielt. Gerade der Umstand, dass es hier auf Münten an einer stärkeren vorwaltenden Macht mangelte, die stärker eingetretene Zersplitterung der Herrschaftsrechte, die eigenthümliche gegenseitige Durchwirkung der verschiedenen Territorien liessen das Bedürfniss von Ver-bündungen hervortreten. So war seit einem ersten erkennbaren Bündnisse in der Mitte des XIII Jahrhunderts durch das XIV. hin neben jenen gedeihlichen föderativen Bestrebungen im Gotteshause auch im Oberlande eine ganze Kette von Verbindungen zu Tage getreten, allein ohne erheblicheren Nutzen, weil nur Parteizwecke erreicht werden sollten. Jene früher uns schon bekannt gewordene Verminderung der politischen Factoren musste vorhergehen, ehe eine gesichertere, wirklich erspriessliche Föderation sich zu bilden vermochte.

Einerseits das Vorbild des Gotteshauses, dann das starke Gegengewicht der Stellung des Grafen von Toggenburg in jenen Thälern, welche später zum Zehngerichtenbund zusammenwuchsen, vorzüglich jedoch die gefährliche Entzweiung zwischen dem Gotteshause Cur und dem Freiherrn von Räzüns: das gab den drei mächtigsten oberländischen Herren den Anlass zu einer Vereinigung auf ewige Zeiten. Zu Ilanz, am 14. Februar 1395, versicherten einander Abt Johannes von Dissentis, Ulrich Brun von Räzüns und Albrecht von Sax zu Monsax, dass sie sich gegenseitig ungekränkt in ihren Rechten lassen, vielmehr einander in Nöthen helfen wollten, und sie stellten für innere Streitigkeiten unter sich das Verfahren eines Schiedsgerichtes fest; ganz bestimmt tritt dabei schon « die Letzi ob dem Flimb-waldt » als untere Grenze des Gebietes entgegen, und ebenso ist bereits Truns als Schwurplatz für die neue Eidgenossenschaft bestimmt. Allein was dem Bunde den eigenthümlichen Stempel verleiht und ihm den Halt und die rechte Grundlage für die Zukunft zuertheilt hat, das ist der mit den Erscheinungen im Gotteshause übereinstimmende Umstand, dass in einer Zeit des heftigsten Gegensatzes zwischen den ständischen Lebensbedingungen auf den Hauptschauplätzen der europäischen Geschichte — aber auch ganz nebenan auf dem Boden der schweizerischen Eidgenossenschaft — hier in dieser Vereinigung im Hochlande Rätiens der Riss zwischen Aristokratie und Demokratie versöhnt zu sein scheint. Denn nicht nur zeigt sich auch hier, wie schon bei früheren ähnlichen Anlässen, die Gemeinde des Gotteshauses Dissentis in einer ganz ungewöhnlichen Selbständigkeit neben Abt und Kloster; sondern auch der Räzünser und der Saxer erklären ausdrücklich, nicht nur für sich, sondern auch für ihre Leute — die Lugnetzer treten für den von Sax neben seinen andern Leuten noch besonders hervor — in die neue Eidgenossenschaft einzutreten. Doch es vergehen nur fünf Tage: da erklärt Graf Johann von Werdenberg zu Sargans gegenüber Abt Johannes und Albrecht von Sax ( Räzüns schliesst sich hier aus ), dass er mit seinen Leuten « auff Muntena », Freien und Eigenen, mit seiner Veste Löwenberg, « zu dem Theil auff Muntena oberenthalb dem Flimbwaldt », und zwar auf dem Boden der Grundlage des 14. Februar, sich verpflichte; schon tritt also auch der Name des Bundes als des Theiles, « oberen Theiles » — Part Sura — hervor. Es blieben indessen Dissentis, Räzüns und Sax die eigentlichen Haupttheilnehmer — der Werdenberger galt nur als seinen Leuten nach, nicht als in seiner Person zum Bunde gehörig —, und auch der Eintritt weiterer Theilnehmer störte das nicht, so 1399 derjenige der Grafen von Werdenberg-Heiligenberg für ihre Veste Hohen- Trins und ihre Leute zu Trins, Tamins und anderwärts, und für ihre Brücke zu Reichenau. Allein diese grossen Vermehrungen, welche in wenigen Jahren das Bundesgebiet in seiner vollen Ausdehnung ausgebildet erscheinen lassen, gehen weit über den hier festzu-haltenden Rahmen hinaus; ebenso sei auf die 1406 mit Cur abgeschlossene Verbindung, den Anfang der Bildung des zusammenhängenden Bundessystems innerhalb Rätiens, nur kurz hingewiesen. Die völligere, wenn auch noch immer nicht abgeschlossene Gestaltung des Bundes zeigt sich dann am 15. März 1424 in dem bekannten Schwüre aller Bundesangehörigen an der heiligen Stätte zu Truns.

Vorzüglich war der Bund auch noch durch das XV. Jahrhundert hin einer zunehmenden Befestigung des volksthümlichen gegenüber dem feudalen Elemente in seiner eigenen Mitte fähig geblieben. Schon 1424 wurde das gemeinschaftliche Gericht verfünffacht, auf fünfzehn Mann gebracht, zugleich das Ernennungsrecht auf alle Gemeinden ausgedehnt. Dann war es von Bedeutung, dass die noch bestehenden Herrschaften sich schwächten und in kurzer Zeit auf ganz wenige verminderten. In besonders bedrängten Verhältnissen befand sich das Haus Werdenberg-Sargans, so dass schon 1428 die freien Leute von Laax sich von demselben loskauften, worauf sie allerdings im Gefühle ihrer noch zu ungesicherten Lage an das Bisthum Cur sich gaben; weitere Veräusserungen der Grafen, zumeist unmittelbar an das Bisthum, folgten sich. Auch alle oberländischen Herrschaften des Hauses Sax wurden darauf 1483 durch das Bisthum angetreten. Allein andrerseits schob mit ähnlicher Unternehmungslust von oben her Dissentis seinen Besitz rheinabwärts bis nahe an Ilanz vor, indem es von den Nachfolgern der Räzüns die Herrschaft Waltensburg erwarb. So war für das Gebiet des obern Bundes das Territorialverhältniss bis zu dem Grade vereinfacht, dass als zudem einheimische Herrschaften bloss noch das Bisthum und Dissentis, und zwar letzteres in viel höherem Grade, in Betracht kamen, daneben allerdings noch für gewisse Reste der Herrschaft Räzüns das Haus Oesterreich, welches 1490 hierüber zu seinem Vortheile einen Tausch getroffen hatte. Bis zum Ende des XV. Jahrhunderts gewann demnach der Bund durch die Verstärkung der Macht seiner obersten Behörde, der Landrichter und Fünfzehn, eine eigentlich republikanisch-demokratische Verfassungsform, und dieselbe befestigte sich noch fortwährend, vollends auch durch die Ausnützung der reformatorischen Bewegung, indem besonders 1538 die früheren Besitzungen der Sax sich vom Bisthum loskauften.

Hier jedoch mag nun zugleich die Stelle sein, wo wir sehen können, wie sich die uns im Besondern beschäftigenden Abschnitte dieses historisch so tief durchfurchten Bodens in die innere Ordnung einfügten, in jene Eintheilung, welche sich vom XV. und XVI. Jahrhundert an nunmehr bis zum Ende der alten Bündner Zustände, ja darüber hinaus bis vor jetzt bald dreissig Jahren in der Hauptsache unverändert erhielten.

Ein jeder der drei Bünde zerfiel bekanntlich in Hochgerichte, diese hinwiederum in vielfach auch ihrerseits wieder sehr selbständige Gerichte, oder wie diese Unterabtheilungen anderweitig Messen. Von den acht Hochgerichten des obern Bundes kommen nun hier für uns drei in Betracht: Waltensburg, Gruob und Flims, aber auch von diesen das letzte nur sehr theilweise. An das im Range erste Hochgericht Dissentis, zu dem auch Brigels, und zwar wunderlicher Weise mit Medels zu einem und demselben, dem dritten Hofe des Hochgerichtes vereinigt, gehörte, stiess östlich das Hochgericht Waltensburg. Dasselbe umschloss drei Gerichte, erstlich Waltensburg selbst, die alte Herrschaft St. Jörgenberg, welche sich erst im XVIII. Jahrhundert vom Kloster Dissentis völlig loskaufte, nebst Andest, Panix, Ruis und Seth, zweitens das gegenüberliegende Obersaxen, worüber noch bis in die gleiche letzte Zeit Oesterreich als über ein altes räzünsisches Territorium Befugnisse ausübte, drittens ganz abgetrennt rheinabwärts das Gericht Laax, welches neben diesem Dorfe einzig noch das hinwieder erheblich davon entfernte Sifis über Kästris in sich begriff. Dieses Gericht Laax war nichts Anderes als der Rest jener alten Grafschaft Laax, deren freie Insassen noch längere Zeit bis in das XVI. Jahrhundert hinein sich eben nicht als eine einfache Gemeinde oder als ein blosses Gericht betrachten wollten, sondern ihre alten Ansprüche auf die umfassende Gerichtsbarkeit wenigstens im oberen Bunde festzuhalten suchten. Ein weiteres Hochgericht bildeten die früher den Sax zugehörenden « Nachbarschaften » in der Gruob, Ilanz, Kästris, und dazu Sagens, Valendas, Versam und wieder Fellers, Ruschein, Ladir, Schnaus und Riein, Pitasch und Luvis; ganz ohne ursprüngliche Beziehung zur Sax'schen Gruob waren die diesem Hochgerichte später zugetheilten kleinen Gerichte, Schleuis oder eigentlich Löwenberg, und ebenso das räzünsische Tenna. Allein im Weitern war auch Flims, ebenfalls von den Sax her kommend, in sehr eigenthümlicher Weise für ein bunt rings um den Zusammenfluss der Rheine zusammengefügtes Hochgericht Namen gebend geworden. Aber wenigstens in einem Stücke erhielt sich die Tradition, dass einst ein Sax im XIV. Jahrhundert einer der Begründer des Bundes gewesen sei, bis in das XVIII., indem nämlich die Hochgerichte Gruob, Lugnetz und Flims noch immer, jetzt natürlich aus der Mitte ihres Volkes, einen Gau de Sax, oft einen einfachen Bauern, wählten und als dritten Hauptherrn für einige Wahlfunctionen neben den Abt von Dissentis und den österreichischen Gesandten — als Repräsentanten von Räzüns — stellten. In solchen verschrumpften Resten erhielt sich, abermals wieder unter theilweise jüngeren Staatscuriositäten, eine Erinnerung an die buntfarbigen Verhältnisse aus der Zeit der Entstehung der Part Sura. Aber diese rechtsgeschichtlichen Antiquitäten haben uns theilweise schon um Jahrhunderte von der Stelle herunter geführt, an welcher wir die Thatsache festzustellen den Anlass hatten, dass „ Beziehungen des im oberen curischen Rätien beschworenen Bündnisses zu dem Lande Glarus begannen. Denn nur fünf Jahre nach der 1395 vollzogenen Begründung des oberen Bundes finden wir die Theilnehmer an demselben schon, am 24. Mai 1400, in einem Bündnisse mit dem « Ammann und den Lantlüten gemeinlich ze Glarus ». Auch die Glarner hatten nämlich im XIV. Jahrhundert in ihrer staatlichen Entwicklung die ungemeinsten und' ge-deihlichsten Fortschritte gemacht.

Es hatte seit dem Anfange des XIV. Jahrhunderts, seit die Eidgenossen von den Waldstätten ihre Unabhängigkeit von territorialen Ansprüchen, ihre unmittelbare Zugehörigkeit zum Reiche mit so grossem Glück thatkräftig festgehalten und dauernd gesichert hatten, nicht ausbleiben können, dass das hier gegebene Vorbild in dem ganz unter ähnlichen Lebensbedingungen stehenden Glarner Lande zur Nacheiferung den Antrieb gab. Schon in den Reibungen der Eidgenossen mit der Herrschaft Oesterreich in der ersten Hälfte des Jahrhunderts hielt sich das obere Amt Glarus trotz seiner Zugehörigkeit zu Oesterreich möglichst von der Theilnahme ferne, in Fällen, wo das niedere Amt Wesen die Fehden aufnahm. Aber als nun in der Mitte des Jahrhunderts sich wegen des Eintrittes der Reichsstadt Zürich in den Bund 1351 ein mehrjähriger Krieg entspann, fielen die Glarner — voll Aerger sagt ein österreichisch gesinnter Chronist: « obschon sie des Herzogs Hörige sind » — geradezu den Eidgenossen zu. Ohne irgend welchen Widerstand liessen sie ihr Land im Spätherbst 1351 durch die Eidgenossen mit Waffengewalt einnehmen; im Frühjahr 1352 wiesen sie einen von Wesen her gemachten Versuch der Oesterreicher, das Thal wieder zu gewinnen, glücklich ab, und am 4. Juni schlössen sie mit Zürich und mit den drei Ländern einen ewigen Bund ab, welcher in seinen für Glarus ungünstiger lautenden Bedingungen allerdings deutlich verrieth, dass man im Schoss der Eidgenossenschaft das nicht aus eigener Kraft neu herbeigekommene Bundesglied nicht als ebenbürtig ansah. So darf es uns auch nicht überraschen, dass Glarus — und das Gleiche gilt von Zug — die Last des Friedensschlusses zu tragen hatte; aber das Mass dieser Belastung war allerdings sehr gross. Denn schon am 1. September des gleichen Jahres 1352 gaben die Eidgenossen in einem Friedensschlüsse Glarus und Zug förmlich an Oesterreich wieder zurück, und der endgültige Austrag von 1355, der Friede von Regensburg, bestätigte dieses Verhältniss vollkommen. Uebrigens hatte schon 1353 wieder ein auswärtiger Adliger als österreichischer Untervogt zu Glarus geamtet — es handelte sich um acht Stösse « Rinder-Alp » in unserem Hinterlande, im Durnachthal, zu Gunsten der Wesener Klosterfrauen —, und 1359 ging der erste Staatsmann des vornehmsten eidgenössischen Ortes, der in österreichischen Sold förmlich eingetretene Zürcher Bürgermeister Rudolf Brun, sogar so weit in Missachtung des 1352 voran auch durch ihn selbst beschworenen Glarner Bundes, dass er sich von den österreichischen Herzögen für seine Belohnung als deren geheimer Rath eine Anweisung auf die Steuer des obern Amtes zu Glarus geben liess, also auf Abgaben des preisgegebenen Bundeslandes an die Herrschaft, welcher dasselbe wieder überantwortet worden war.

Aber wir wissen, wie die Glarner, jetzt voraus durch eigene Kraft, wieder thatsächlich Eidgenossen wurden und von da an, bald auch besserer Bundes-bediugungen sich erfreuend, solche geblieben sind. Die 24 Glarner stellen sich im Sempacher Krieg 1386 an die Seite der Eidgenossen und helfen den in Oesterreichs Gewalt gegen sie so gefährlich gewordenen Schlüssel ihres Thales, Wesen, erobern; die elende Ermordung der Wesener Besatzung, 22. Februar 1388, wird am 9. April durch die glänzende Zurückweisung des Angriffes der Oesterreicher bei Näfels blutig gerächt. Glarus ist seiner selbst mächtig geworden, und vollends 1394 wird im zwanzigjährigen Frieden die volle Zugehörigkeit des Thales zur Eidgenossenschaft durch die Herrschaft Oesterreich förmlich anerkannt. Auch die Leute aus dem Hinterlande haben 1388 wacker mitgeholfen. Von 29 Namen der in Wesen Ermordeten fällt geradezu die Hälfte dahin: vier aus der Kirchhöre Betschwanden, je fünf aus dem Linththal und aus dem Sernfthal. Werden wir uns da verwundern, wenn in Erinnerung an diese Mordnacht von Wesen noch bis in die neuere Zeit dem Hinterländer « Wesner » und « wesneren » gleichbedeutend ist mit « Verräther » und mit « meineidig handeln p? Bei Näfels fielen wegen der Oertlichkeit mehr Vorderländer, nur sechs Namen aus beiden hintern Thälern neben z.B. siebzehn Mollisern. Glarus musste nun als frei gewordenes Land an Bedeutung bei den Nachbaren steigen. Es erscheint unter Anderm bemerkenswerth genug, dass der 1388 bei Näfels besiegte österreichische Söldnerhauptmann — es ist der auch vom Boden des curischen Rätien her uns bekannte Graf Hans von Werdenberg-Sargans — sich 1392 um ein Bündniss mit den Glarnern bewarb. Allein weit wichtiger ist, dass eben jetzt über den « Bündner-fcerg » hinüber die Fäden nach dem obern Theil in Eätien sich zu schlingen beginnen. Dass durch die Landmark zu Glarus « mit Ross » recht nennenswerthe Verkehr nach dem Vorderrheinthale ging, dass Reisende oder Waaren den Panixer Pass, von der « Walenbrugg » aufwärts zu den Curwälschen, benützten, zeigt schon eine 1343 vom Bischof von Cur getroffene Verständigung zwischen dem Lande Glarus und dem Gotteshause Dissentis. Aber dieser Verkehr hob sich erst jetzt zu politischen Beziehungen. Da half bereits 1396 der Glarner Ammann Jakob Hophan als Schiedsrichter bei einem Spruche zu Cur, zwischen dem Gotteshause Cur und Räzüns, in jenen langwierigen Streitigkeiten dieser beiden rätischen Territorialherrschaften, mit. Am 24. Mai 1400 aber wurde nunmehr das Bündniss zwischen dem Lande Glarus und dem oberen Bunde in Rätien besiegelt.

Bewaffneten Zuzug auf geschehene Mahnung, auf Begehren Zusendung von Söldnern, Aufrechterhaltung des Landfriedens zwischen einander, Beachtung des Wohnortes des Beklagten zur Festsetzung des Gerichts-standes, Auslieferung von Friedensbrechern an den Ort der That sagen sich die Bundesgenossen zu; die Ausbedingung des freien Kaufes scheint als Zeugniss für die Benutzung des rätischen Oberlandes durch die Glarner zum Viehtransport auf die italienischen Märkte zu weisen. Das Alles aber soll ewig dauern, « die wil Grund und Grat weret », und es sind eben einzig die Glarner von den Schweizer Eidgenossen als mitbetheiligt genannt. Wo die Waldstätte Uri, Schwyz und Unterwaiden erwähnt werden, geschieht das einzig, um zu betonen, dass sich, wie das schon im Bundesbriefe von 1395 geschah, Abt, Kloster und Gemeinde Dissentis dieselben infolge einer frühern Verständigung vorbehalten; durchaus das Gleiche thun natürlich die Glarner ihren Eidgenossen gegenüber. Ganz besonders aber zeigt sich in der Weise der Besiegelung hier ebenfalls wieder die Erstarkung des volksthümlichen Elementes in der Verfassung auch von Rätien. Die Gotteshausleute von Dissentis, die Leute vom Rheinwald haben ihre Siegel neben denjenigen des Herrn Abtes von Dissentis und der Herren von Sax und Räzüns an den Brief gehängt. Andererseits jedoch haben den Bundesbrief Ammann und Landleute von Glarus empfangen, ohne nur mit einem Worte noch der österreichischen Rechte oder der säckingischen Beziehungen zu gedenken* ).

3. Gesonderte Pfade: Reformation und Gegenreformation.

Seit dem Jahre 1400, wo sich Glarner und Oberbündner zuerst verbanden, war in der Dauer von vier Menschenaltern Grosses geschehen: die beiden Gemein- wesen hatten als solche und ferner in ihrer Zugehörigkeit zu grösseren Ganzen sich auf das kräftigste entwickelt. Bis in den Anfang des XVI. Jahrhunderts waren die drei Bünde, wenn sie auch durchaus selbstständig neben einander blieben, zu einer gemeinschaftlichen Politik nach aussen zusammengetreten, und seit den letzten Jahren des abgelaufenen XV. Jahrhunderts hatten zwei der Bünde, erst der obere, dann die Stadt Cur und das Gotteshaus, sich mit den sieben östlichen unter den acht alten Orten auf ewig verbündet, und gleich darauf diese ihre Verbindung mit der Eidgenossenschaft im Schwabenkriege gegen Maximilian und die Tiroler treu besiegelt. Andrerseits ist es bekannt genug, wie durch die Einmischungen in Italien beide Staaten, vorzüglich aber die Eidgenossen, in das Getriebe der grossen Politik einzugreifen begonnen hatten: neben einander eroberten da 1512 die zwölf Orte ihre schönen gemeinen Herrschaften an den Seen von Locarno und Lugano und setzten sich die Bündner in dem Lande an der Adda und der Maira als Herrscher fest. Auch die Glarner wussten schon, dass ein freies Volk über andere Völker kraft des Rechtes des Stärkeren herrschen könne, und dazu, dass sie schon geraume Zeit an gemeineidgenössischen Vogteien Antheil hatten, kauften sie sich 1517 noch eigene Unterthanen in Werdenberg und in Wartau. Aber die schlimme Kehrseite dieser grossen Politik war spürbar genug geworden, und es ist insbesondere nicht zu vergessen, dass es der persönliche Eindruck des mit seinen Glarner Pfarrkindern als Feldprediger in das Wälschland geführten Seelsorgers war, der in dem Programm Zwingli's für die auswärtige Politik hervortrat, die Eidgenossen müssten sich der fremden Herren entschlagen.

Als der « Milchbruder der Urkantone » war Glarus seit dem XIV. Jahrhundert zu seiner politischen Geltung emporgestiegen: jetzt im XVI. Jahrhundert, in der Reformation, trennte sich das Land in der Behandlung der eidgenössischen Hauptfrage von seinen Nachbaren über den Bergen, in Uri und in Schwyz. Darauf wiesen die Beziehungen hin, welche gemäss des lebhaften Verkehrs der Linth nach abwärts zur Limmat leiteten — schon im XIV. Jahrhundert waren Glarner zu Zürich Bürger geworden und dort zu Ansehen gekommen, so der von Zusingen oberhalb Schwanden stammende Vater des späteren Bürgermeisters Stüssiaber noch mehr war massgebend, dass der Reformator selbst zehn Jahre, bis 1516, in Glarus gewirkt hatte, und seine Widmung der Auslegung der Schluss-reden der ersten Zürcher Disputation 1523 an die Glarner Obrigkeit fand da eine gute Stelle im Lande. Immerhin glaubten die katholischen Orte noch längere Zeit, Glarus als eines der Ihrigen ansehen und, als das Schwanken daselbst stärker wurde, dennoch das Land bei sich festhalten zu können: lange blieb noch der Einfluss der « Oligarchen » bestehen, wie die reformatorisch Gesinnten die Anhänger des alten Glaubens bezeichneten. Erst die Berner Disputation und Bern's eigener Beitritt 1528 gaben, wie für andere bisher unentschiedene Gemeinwesen, auch für Glarus den Ausschlag, und trotz der Weigerungen einer streng katholischen Minorität gelang es endlich 1529, sich im Sinne einer der neuen Lehre günstigen Entscheidung aus den bedenklich gewordenen inneren Wirren zu retten; insbesondere auch in der Gemeinde Schwanden hatten dieselben die bürgerliche Ordnung gänzlich gestört. Gerade das Hinterland nun war besonders reformatorisch gesinnt. Ein mit Zwingli in Verkehr stehender neu gesinnter Priester, Fridolin Brunner, war 1527 von Mollis nach Matt gewählt worden und bearbeitete hier im Sernfthale den ohnehin schon günstigen Boden sehr eifrig; zur gleichen Zeit zogen sich die Pfarrer von Schwanden, Betschwanden, Linththal den heftigen Unwillen der noch katholischen Obrigkeit zu. 1528 schon wagten Elm und Betschwanden, ihre Heiligenbilder zu verbrennen, und sie blieben gleich nachher, am 9. April, nebst Matt bei der Näfelser Fahrt mit Kreuzen und Fahnen aus; noch in diesem Jahre hörte in Matt und Elm die Messe völlig auf. Dagegen zählte auch nach der Umgestaltung von 1529 die Kirche von Linththal noch zu den dreien im Lande, welche die Altgläubigen inne hatten: das Vorhandensein eines kleinen mit Franciscanerinnen besetzten Klösterleins neben der Kirche war vielleicht eine Ursache dieser stärkeren Widerstandsfähigkeit. Vollends war dann 1531 infolge der argen Niederlagen der Reformirten im Kappelerkriege der katholische Cultus hier in Linththal wieder gesichert.

Allein es schien überhaupt, als wollten die katholischen Orte nunmehr 1532 Glarus wieder ganz zu sich hinüber ziehen: Sendboten an die Glarner Landsgemeinde dieses Jahres begehrten, die Glarner möchten sich ihnen im Glauben gleich machen. So weit kam es freilich nicht, wenn auch die von den siegreichen fünf Orten geförderte altgläubige Minderheit den Re-ligionsstreit wieder zur hellen Flamme zu bringen vermochte. Ein Vertrag stellte vielmehr 1532 das Verhältniss zwischen den beiden Parteien in einer den Frieden sichernden Weise fest, immerhin so, dass die ja ganz entschieden in der grossen Mehrheit sich befindenden Reformirten auf den Weg des Vertrages gewiesen waren und nicht die Möglichkeit erhielten, als Mehrheit auf den Landsgemeinden gegenüber der katholischen Minderheit aufzutreten.

Aber gerade über Linththal kam es dann nochmals im XVI. Jahrhundert zur Entzweiung. Es war seit 1535 Fridolin Brunner von Betschwanden her, wo die reformirten Linththaler nach Entziehung ihrer dortigen Kirche den Gottesdienst besuchen mussten, gelungen, den Katholischen allmälig im Linththal den Boden zu entziehen; zugleich war auch in Schwanden die hergestellte Messe wieder abgegangen. Da riefen nun in der Mitte des Jahrhunderts theils ungeschickte Massregeln des Betschwanden und Linththal gemeinsam besorgenden reformirten Pfarrers, theils die Wieder-erstarkung der durch das tridentinische Concil neu geeinigten katholischen Kirche abermaligen altgläubigen Wünschen für Herstellung der Messe in Linththal und Schwanden. Die fünf Orte griffen 1556 die Sache auf; nochmals wagte sich der kecke Plan hervor, Glarus überhaupt auf die katholische Seite zu bringen. Immerhin war ein solches Beginnen jetzt noch weniger aussichtsreich, als im ersten Mal; aber es entwickelten sich doch Jahre lange Wirren. Ein sonst um Glarus so viel verdienter Mann, wie Aegidius Tschudi war, liess sich gleich seinen Vettern wegen seiner katholischen Gesinnung so weit mit den Schwyzern ein, dass er vor dem Unwillen des Volkes über diesen etwas übertrieben zum « Tschudikriege » erhobenen Handel sich auf drei Jahre, von 1562 an, durch Uebersiedlung nach Rapperswil verbarg und erst 1570 völliges Zutrauen auch der Reformirten wieder für sich gewann. Schon seit 1564 war damals ein neuer Vertrag zwischen den Religionsparteien aufgestellt worden.

So ist jene einsam seitab vom Dorfe am Fusse des Kilchenstockes hart am Bergabhange im Grünen stehende katholische Kirche im Linththale, welche seit 1564 wieder bis heute den Katholischen dient — es waren 1870 neben 1984 Reformirten 134 Seelen — die einzige Erinnerung an den späten Versuch der Schwyzer Demokratie, das Tridentinum der reformirten Mehrheit der Glarner Demokratie aufzuzwingen* ).

— Eine überwiegend anders gestaltete Entwicklung tritt uns dagegen südlich von den Grenzgebirgen im Bündner Oberlande entgegen, und wir thun am besten, an das Bild der Reformation in Glarus dasjenige der Gegenreformation im Vorderrheinthale hier gleich anzuknüpfen.

Allerdings fällt gerade in unsere Gegend das Hauptereigniss der bündnerischen Reformationsgeschichte: 1526 war die in Ilanz abgehaltene Disputation von durchschlagendem Erfolge, und auch weit reichendeAuch hier verweise ich auf Abhandlungen Blumer's in den Heften VII, IX, XI ( 1871, 1873, 1875 ) des Jahrbuches des historischen Vereins des Kantons Glarus.

politische Ergebnisse schienen sich daran anzuknüpfen, insoferne durch den Artikelbrief, welcher daraus hervorging, den geistlichen Herren die Herrschaftsrechte ganz genommen sein sollten, ein ungemein tief greifender revolutionärer Act für ein Land, wo ein Bischof der allein noch übrig gebliebene grosse Territorial-herr ist; aber auch Dissentis war natürlich davon berührt, und die Leute von St. Jörgenberg wollten gleich 1527 ihren Ammann selbst wählen, wurden aber durch den oberen Bund zu Recht gewiesen. Doch auch sonst zeigte sich die Gemeinschaft des oberen Bundes den Neuerungen gegenüber sehr zurückhaltend, und mochte auch die Reformation selbst hier noch weiter sich ausbreiten, von einer bleibenden Gewinnung des oberen curischen Rätien war keine Rede. Der Geschichtschreiber Rätiens, Campell, hat als Unterengadiner für die ihm ferner liegenden ober-bündnerischen Verhältnisse eine geringere Theilnahme an den Tag gelegt; allein er kennt doch aus diesen Zwanziger Jahren eine Reihe von Namen von Ober-bündnern, welche der Reformation sich zuneigten, voran den Pfarrer von Ilanz, Peter Brun, und Christian Hartmann, welcher um der neuen Lehre willen seine einträgliche Pfarrei und das hohe Ansehen in Sagens aufgab und Armuth und Mangel willig über sich nahm. Von Dorf schaften, welche sich gleich anfangs der Reformation zuwandten, führt Campell u.a. Waltensburg, Kästris, Valendas, Flims auf, Gemeinden, welche denn auch der neuen Lehre treu geblieben sind und sich im Zusammenhange damit bestrebten, den Schulunterricht auf einer höhern Stufe zu erhalten, dergestalt, dass sich die Schulen von Valendas und Flims gleich derjenigen von Ilanz seit dem XVI. Jahrhundert vortheilhaft vor denjenigen der Umgebung abhoben.

Die Gegenwirkung im Sinne der Festhaltung des katholischen Glaubens ging indessen nicht vom Mittelpunkte der kirchlichen Einrichtungen von Rätien, vom Bisthum Cur, aus; sondern sie hatte ihre treibende Kraft im Gebiete des oberen Bundes selbst. Auch nachdem es von 1541 an nach dem Absterben des nach Tirol geflohenen Bischofes in Cur selbst wieder ein geistliches Haupt gab, war dasselbe thatsächlich völlig durch seine Wahlcapitulation gebunden und von dem Willen des Gotteshausbundes, d.h. also einer ganz überwiegend dem alten Glauben entgegengesetzten staatlichen Gemeinschaft abhängig, und auch oberbündnerische Herrschaften benützten das, wie wir theilweise oben sahen, um sich von der bischöflichen Territorialgewalt loszukaufen. Die Abtei Dissentis vielmehr war die Ausgangsstelle der altgläubigen Bemühungen. Auch Dissentis hatte zwar die Einwirkungen der Reformation erfahren, indem der Abt Martin, ein Winkler aus Schanfigg, das Kloster verliess und heirathete, worauf er in Ilanz sich aufhielt; als es 1536 durch den fast aufgelösten Convent zu einer neuen Abtswahl kam, war der Bestand des Gotteshauses äusserst fraglich geworden. Der damals gewählte Abt regierte nur kurze Zeit; der nach seinem Tode erhobene Nachfolger legte das Amt bald nieder; auch die zwei nächsten Vorsteher waren ohne grössere Bedeutung. Dagegen zeigte sich nun der 1566 erwählte Abt Christian von Castelberg im höchsten Grade befähigt, die Pläne der Her- Stellung des alten Glaubens zu unterstützen. Der Boden war theilweise schon bereitet: 1559 z.B. war in Panix, vielleicht im Zusammenhange mit den Reactionsver-suchen in Glarus, infolge einer Vision, welche der dortige Sigrist Vanzutt gehabt haben wollte, eine Wallfahrt zu Stande gekommen, und die Dissentiser hatten dem mit den Erscheinungen Begnadigten Empfehlungen amtlicher Art in die fünf Orte gegeben. Abt Christian nun, obschon noch nach dem Artikelbriefe durch die Dissentiser Obrigkeit berufen und bei seiner Erwählung in weltpriesterlicher Stellung, nahm mit Hülfe seines Schwagers, der damals das klösterliche Hofmeisteramt bekleidete, die gesammte weltliche Verwaltung wieder an sich. Er eröffnete selbstmächtig den Noviciat, gewann das Volk durch die Herstellung eines glänzenden Gottesdienstes und begann, seiner Ernennung zum bischöflichen Vicar zufolge, die Bekämpfung der reformirten Lehre in eigenster Mühewaltung. Ganz wie sein Vorbild, der nach einem grossartig durchdachten Plane unerbittlich die- neue Lehre bekämpfende und vernichtende Cardinal-Erzbischof von Mailand, der gewaltige Carlo Borromeo, reiste Christian selbst umher, predigte und lehrte, mahnte und eiferte. Drei Jahre vor Christian's Tod, 1581, kam Carlo selbst auf den der katholischen Kirche zurückeroberten Boden nach Dissentis, feierlich von der ganzen Bevölkerung begrüsst, und es war das Streben, durch die Begründung eines Priesterseminars dem Mangel an Geistlichen abzuhelfen, der Hauptgegenstand der Berathung der beiden Prälaten. Christian's Verdienst ist es hauptsächlich, dass in den oberbündnerischen vier Hochgerichten über dem Flimser Walde, in Surselva, nach der jetzigen Bevölkerungszahl auf 100 Seelen sich 79 zur katholischen Lehre bekennen.

So war denn auch in den furchtbaren Wirren, in welche durch innere Uneinigkeit und äussere Einmischungen, durch eigene und fremde Schuld im XVII. Jahrhundert die bündnerische Republik in das Entsetzen des dreissigjährigen Krieges hineingerissen wurde * ), dem zu zwei Dritttheilen von Katholischen bewohnten oberen Bunde in der Hauptsache die Haltung vorgezeichnet: der obere Bund war auf die Seite Spaniens gewiesen. Weiter aber konnten auch die unerhörten Heimsuchungen, die Plünderungen und Verwüstungen diese westlichen Thäler weniger treffen, weil dieselben durch das ganz überwiegend katholische eidgenössische Gebiet, theils der Kantone, theils der italienischen Unterthanenländer, ringsum gedeckt waren. So kommt es, dass in jenen Kriegswirren der Zwanziger und Dreissiger Jahre vorzüglich unser Gebietsabschnitt des oberen Bundes im Ganzen von grösseren Ereignissen nicht stark berührt wurde. Nur einmal, 1621, als nach dem Veltliner Morde und den Zügen der Bündner und Eidgenossen nach Veltlin 1620 sich die katholische Gesinnung im oberen Bunde durch die Anwesenheit fünförtischer Truppen im Lande bis zu dem Masse verschärft hatte, dass die Oberbündner geradezu ein Bündniss mit Mailand, d.h. mit Spanien, eingingen, kam es am 2. April bei Valendas zu einemIch verweise da auf meinen Aufsatz in Band VII dieses Jahrbuches.

die ganze Nacht auf den folgenden Tag erfüllenden Gefechte. Besonders die Engadiner, von den reformirten Valendasern selbst gegen deren altgläubige Bedränger herbeigerufen, zeichneten sich dabei unter Jenatsch gegen die rheinaufwärts zurückweichenden Fünförtischen und katholischen Oberbündner aus. Fortunat Sprecher von Berneck hat vorzüglich in seiner « Historia motuum et bellorum » dieses wilde nächtliche Treffen geschildert — es hatte dann zunächst den verlustreichen Rückzug der Fünförtischen über die Oberalp, die Lossagung des oberen Bundes von jenem Mailänder Tractate zur Folge —, und er beziffert die Opfer allein auf bündnerischer Seite auf 51 Todte. Indessen nur dieser einzelne Kampf des furchtbaren Bürgerkrieges betrifft uns überhaupt. Hauptschauplatz waren die von Oesterreich angesprochenen Gebiete, der Zehngerichtenbund und Theile vom Gotteshaus, und auf diesen Boden fallen auch die Leiden durch die Durchzüge, durch die wechselnden Besetzungen von Seite der sich be-kämpfenden fremden Heere in erster Linie. Freilich auch durch den obern Bund führte eine Strasse, über den Splügen, deren Anwohner genug auszustehen hatten. Aber das waren die Reformirten von Thusis, von Schams und Rheinwald, welchen sich die katholische Mehrheit der Oberbündner selbst feindlich entgegenstellte: die massgebenden Kräfte des Bundes standen fast durchaus bei der Partei der Bedränger des bündnerischen Staatswesens.

Der schweizerische Kanton nördlich hinter der schützenden Alpenkette ist im Mitgenusse der zu allem Glück festgehaltenen eidgenössischen Neutralität eines viel beneideten Friedens theilhaftig, während das confessionell und politisch in sich zerklüftete Bundesland in Rätien, wenn auch zunächst die uns beschäftigenden Theile noch am wenigsten, in die zerstörenden grossen Gegensätze hineingerissen ist. Mag die Politik an diesen Dingen einen reichlichen Antheil gehabt haben, so hatte es doch eine Frevelthat des Glaubenshasses bewirkt, der Veltliner Mord, dass der wilde Krieg zuerst zum vollen Ausbruch gebracht wurde.

— Es war voraus die Einwirkung von Süden, die politische Beeinflussung aus Mailand, die kirchliche aus Rom gewesen, welche Bünden in das furchtbare Elend des Krieges gebracht hatte. Allein nicht bloss diese durch die örtliche Berührung stets nothwendig sich ergebende Verbindung in staatlichen Dingen wirkte auf das curische Rätien ein: in dem sprachlich so eigenthümlich gemischten Lande mussten auch die Cultur-übertragungen nothwendig vom Süden zum Norden hin rascher sich vollziehen. Wer von Lumino her gegen San Vittore hinauf seinen Weg nimmt, der hat, wenn es ihm nicht seine Karte verräth oder seine geschichtlichen Kenntnisse es sagen, keinen Gedanken daran, dass er vom Boden des italienischen Schweizerkantons auf seit Jahrhunderten bündnerische Erde getreten sei, und das wälsche Wesen begleitet ihn bis auf die Höhe des Bernardino, und schreitet der Wanderer dann durch die deutsche Colonie am Rheinwald in ihrem hintersten Dorfe Hinterrhein durch und hinauf auf den Valserberg und hinunter in das wiederum deutsche Thal von Vals, aber um dem Thalbache rasch zu folgen und bei St. Martin und Tersnaus und Furth c ;,wieder curwälsche Laute zu hören, so wird es ihmeinleuchten, dass da vom einen romanischen Boden zum andern die Uebermittlung gar leicht geschehen konnte. Uns zieht an der Bündner Landschaft gewissnicht bloss der grossartige Aufbau an, den die Naturgeschaffen hat; unzertrennlich gehört dazu der Schmuck an Bauten und an Bauresten, wie ihn oft kein Künstler prächtiger und wirksamer sich ersinnen könnte. In grossen Umrissen ist da die Geschichte des merk- würdigsten schweizerischen Landes noch heute eingegraben. Allein manches davon gehört geradezu der Geschichte der Kunst an* ).

Auch unserem Ausschnitte vom Vorderrhein mangelt nicht eine und die andere Zierde.Von den Graubünden eigenartigen alterthümlichen Kirchthürmen ragt zu Berg und Thal auch in der Gruob mancher empor; nur darf das romanische Gepräge nicht etwa den Beschauer täuschen, da Currätien auch in der Bauweise ungemein festhaltend war und zum Theil noch romanische Formen verwandte, als die Kunst im Grossen schon über die gothische Art zur Tagesordnung hinweggeschritten war. Neben den romanischen Thürmen von Ruschein, Ruis, St. Lucius in Seth, Kästris, Waltensburg zeigt derjenige von Sagens schon die Verbindung mit gothischen Elementen. Bei aller Zurück- gebliebenheit der Grundform der Kirchen in den romanischen Traditionen beweisen dagegen die Chöre aus der spätgothischen Zeit, welche eine grosse Baulust mit den gesicherten politischen Verhältnissen im XV. Jahrhundert brachte, dass sich die Baumeister auf die Gewölbetechnik wohl verstanden, wenn es auch dabei nicht an manchen launenhaften Abschweifungen gefehlt hat. Dahin gehören die Kirchen von Flims, von Fellers und Ruschein, sowie von Schnaus, besonders aber in Ilanz, mehr noch als die Pfarrkirche, die im Aeusseren mit ihrem fremdartig sich darstellenden Thurme malerisch sich aufbauende St. Martinskirche ausserhalb des Städtchens, ein umgestalteter älterer Bau. Auch von den zahlreichen Burgenresten hat einer, St. Jörgenberg bei Waltensburg, mit seiner besonders durch ihren schlanken Thurm zierlichen Schlosscapelle, kunsthistorische Bedeutung. Ebenso ziehen einzelne Reste von Malerei die Aufmerksamkeit auf sich, so gerade auf der Burg St. Jörgenberg, an einer Seite des Bergfrits, oder der landesübliche, allerdings sehr verblichene Christophorus am Sagenser Thurme, hier in ganz riesen-mässigen Verhältnissen. Rechnen wir aber noch Brigels hier mit hinein, so finden wir da eine allerdings bescheidene, aber doch recht bemerkenswerthe Gruppe von Kunsterzeugnissen weit seitab von der Thalstrasse: unten im Dorfe zuerst die spätgothische Pfarrkirche St. Maria und weiter hinein die St. Martinskapelle mit einem zierlichen gothischen Hochaltar von 1518, hoch über dem Dorfe aber das Kirchlein St. Eusebius — St. Sievi — mit seinem malerischen Thurm und dem weithin schauenden Christophorusbilde an der 25 Aussenseite, im Innern wieder einen mit spätgothischen Figuren geschmückten Altar und an der Südwand eine grosse figurenreiche Composition, ein Gemälde der Anbetung der Könige, allerdings von einem recht handwerklichen Meister, enthaltend. Steigt dann etwa der Besucher gleich am Fusse von St. Sievi vorbei dem ihm entgegenströmenden Bache entlang über die wilden Höhen des Kistenpasses nach dem Linththal hinüber, wie unendlich schmuckloser, ja wie armselig erscheint ihm da auf glarnerischem Boden der gesammte geringe Nachlass der mittelalterlichen Kunst.

4. Die letzten Zeiten der alten Dinge.

Jene Merkmale des staatlichen Lebens unserer schweizerischen Gebiete im XVIII. Jahrhundert, Ruhe im Ganzen, aber daneben Erschlaffung und Verfall, sie machen sich auch auf unseren Landesabschnitten geltend. Von Glarus und vollends von dessen Hinterlande ist Wichtigeres gar nicht zu berichten, und sogar Bünden ruht nach seinen fieberhaften Aufregungen. Allerdings ist der Friede vielfach nur scheinbar; denn jenes Wort über die rätische Staatsordnung, welches ein Fremder, aber ein genauer Kenner, der Herzog von Rohan, im XVII. Jahrhundert gesprochen, galt noch in unverminderter Wahrheit fort, dass nämlich, wie die Alten uns erdichtete Beschreibungen einer vollkommenen Republik zu geben suchten, es zu seiner Zeit zur Darstellung einer vollendeten Anarchie als einziger Autorität nur einer genauen Beschreibung der bündnerischen « IM Historische Streiflichter über das Clubgebiet. 387.= Eepublik bedürfte. Die beiden grossen Parteien, diespanische und die französische, bestanden auch über die endliche Beruhigung des Landes in der Mitte des XVII. Jahrhunderts hinaus; bald der eine, bald der andere Theil griff zuweilen wieder zu dem vollendet:ungesetzlichen Mittel einer tumultuarischen Volksjustiz in den berüchtigten Strafgerichten; es knattert da zuweilen noch wie ein einzelner Donnerschlag hinter dem furchtbaren Gewitter her, das sich über das Land

entladen hatte. Und dabei stellte sich dann jedes Mal durch die eigenthümliche Verbindung allgemeinerer undörtlicher, principieller und persönlicher Gegensätze eine.* solche Leidenschaftlichkeit in der Erörterung der oft« anfänglich geringfügigsten Dinge ein, dass Jahrzehntehindurch über dieselben ein Hinundherzerren eintreten konnte. Auch in den schweizerisch-eidgenössischen Verhandlungen lagen die Krankheitszustände des Staatswesens häufig erschreckend offen vor; aber wenn schweizerischen Staatsmännern die dornenvolle Aufgabe zu Theil wurde, in Graubünden ihre Dienste als Vermittler in innern Streitigkeiten eintreten zu lassen, sokonnte wohl geschehen, was ein Zürcher von einer sechs Monate erfüllenden Mission in den Jahren 1729 und 1730 erzählte. Es ging um die Vorrechte des Gotteshausbundes vor den zwei anderen Bünden, und da zankte man sich auf der in Ilanz abgehaltenen Hauptconferenz über ein jedes Wort der natürlich zum geduldigen Ausharren verurtheilten Vermittler die ganze Nacht hindurch der Art, dass der Zürcher am folgenden Morgen seine ganzen Lippen mit Blasen bedeckt sah und der Berner Gesandte ein Fieber hatte.

Ein solcher « Handel » nun, dessen Verlauf für die ganzen Verhältnisse höchst bezeichnend ist, spielte sich gerade in dem uns vorliegenden Landstriche ab, und so mag diese dramatische Scene hier noch eine etwas einlässlichere Behandlung finden. In Sagens hatten sich bis 1693 die katholische Mehrheit und die reformirte Minderheit im Ganzen leidlich vertragen; allein ein neuer katholischer Pfarrer, Capucinerordens, Namens Jagmett, begann nun fanatische Aufhetzungen, welche 1701 zu förmlichen Feindseligkeiten führten. Erst gegen die kirchlichen Rechtsansprüche, dann gegen die anderweitigen Gemeindenutzungen der Reformirten wurde vorgegangen, worauf sich diese um Schutz an die Obrigkeit der Gruob, dann an die evangelische Session des gemeinsamen Bundestages der drei Bünde und an den Mai-Congress der Bundeshäupter wandten. Aber die Katholischen verharrten gegenüber den Ver-mittlungsversuchen in ihrem Trotze: nur der obere Bund allein könne Schiedsrichter sein, nicht aber eine zumal auch evangelischer Seits besetzte Deputation der Bünde. Der Streit bewegte sich nicht zum wenigsten auch über die Benutzung der Gemeindealpen, welche nach dem Vermittlungsprojecte unter Bestellung eigener Alphütten, eigener Knechte und Hirten für jede der beiden Religionsgenossenschaften besonders geschehen sollte; aber jetzt erhielten die katholischen Sagenser von den Laaxern, auf deren Gebiet eine der fraglichen Alpen — Sura und Plaun — lag, ein Verbot gegen die Befahrung der Alpen durch die Reformirten, und diesen wurde, als sie dennoch ihr Vieh hinauftreiben wollten, das mit Gewalt verwehrt, ihr Sennengeschirr weggenommen man zwang den Reformirten einen Vogt für ihre Viehhabe, so weit sie zuletzt zugelassen wurde, auf und wählte die Alpknechte aus den schroffsten Feinden derselben, so dass thatsächlich die Katholischen allein über die beiden Theilen gehörende Alp verfügten. So schleppte sich die Sache, mit neuen Vermittlungs-bemühungen, bis in den September fort, wo die evangelischen Bundesdeputirten ihrer Instruction gemäss wieder in Sagens eintrafen. Sie besahen sich da, begleitet von den angesehensten reformirten Sagensern, die Plätze für die zu erbauende reformirte Kirche — am Morgen des 23. des Monats ( alten Stiles ) —, als etwa dreissig katholische Sagenser Gemeindegenossen her-beieilten und heftigen Protest gegen den Bau erhoben; nun kam es zu Thätlichkeiten, zu Verwundungen und lebensgefährlichen Verletzungen, indem auch die Reformirten zum Schütze der Ihrigen herzuliefen. Die vom Capuciner gezogene Sturmglocke rief die katholischen Schleuiser herbei, welche der Herr von Mont, Inhaber der Herrschaft Löwenberg, anführte: er war so im Eifer, dass ihm sein Bedienter den Rock, aber auch ein grosses Schlachtschwert nachtrug; vor dieser Gefahr hatten sich die Reformirten in ein Haus zurückgezogen, wo sie sich nach Möglichkeit verbarri-kadirten. Die ganze Sache wäre nun wohl zu ruhigem Ende gekommen — denn beide Confessionsparteien beschlossen in ihren Berathungen, nach Hause zur Mittagssuppe zu gehen —, wäre nicht der Tumult auch rückwärts zu den reformirten Flimsern getragen worden. Der Diener des einen evangelischen Bundesdeputirten war nämlich im Schrecken zu dem Landshauptmann Capol nach Flims gelaufen, und es gelang ihm nur zu gut, diejenigen, welchen er seine Geschichte erzählte, zu allarmiren. Capol liess Sturm läuten, schickte Eilboten nach Trins, Tamins, Cur, und eilte mit 150 zum Teil wohl bewaffneten Leuten Sagens zu; natürlich rief nun die Sagenser Glocke auch die Schleuiser von neuem herbei. Doch es gelang, einen Zusammenstoss zu vermeiden, und die Flimser kehrten zurück. Die Nacht zum 24. verlief, zwar unter beiderseitigen Vorsichtsmassregeln, ruhig in Sagens. Aber jetzt zogen auf allen Strassen aus ganz Graubünden die Reformirten unter ihren Fähnlein gegen Sagens heran, um der befürchteten Niedermetzelung ihrer Glaubensgenossen vorzubeugen. Bis zum 26. Abends waren etwa 1800 Mann in Sagens beisammen, und gegen die wohlgefüllten Speisekammern, Keller, Ställe und Hühnerhöfe der flüchtig in die Nachbardörfer ihrer Glaubensgenossen davongegangenen katholischen Sagenser begann nun ein wohl durchdachter zerstörender Feldzug; aber leider wurde auch hie und da Weiteres aus den unbewachten Häusern entwendet. Allein es verstand sich von selbst, dass auch die Katholischen des oberen Bundes sich aufmachten, um ihrerseits ihren Leuten Hülfe zu bringen. 800 Lugnetzer zogen am 25. bis auf Ilanzer Gebiet heran, kehrten aber wieder um; am 26. versammelten sich 1400 bis 1600 Mann aus dem Vorderrheinthal, von Dissentis an, wo Tag und Nacht die Sturmglocken läuteten, abwärts bis nach der Gruob selbst — auch die reformirten Waltens-burger mussten mitziehen —, zu Ruis unter Landrichter Latour von Brigels; man war hier sehr kampflustig, konnte sich auch jederzeit durch die noch marsch-fertigen Lugnetzer verstärken, und wäre der Marsch von Ruis abwärts nach dem bloss anderthalb Stunden entfernten Sagens fortgesetzt worden, so hätte das furchtbarste Unheil eintreten können. Inzwischen jedoch war auf die Beilegung des Zwistes mit Eifer gearbeitet worden. Zu Cur trat am 26. ein evangelischer Congress, bald durch Katholische verstärkt, zusammen, mit welchem der Fürstbischof in das Einvernehmen sich setzte, und am 28. September ( 9. October neuen Stiles ) wurde der Vergleich durch die Vertragschliessenden beider Confessionen unterschrieben und vom Fürstbischof ra-tificirt. Der Capuciner in Sagens sollte sofort durch einen friedliebenden Geistlichen ersetzt werden; die 1693 geschehene Trennung nach Confessionen in der Gruob wurde als Ursache der Uneinigkeit aufgehoben und wieder ein einziges Hochgericht hergestellt; die Evangelischen in Sagens und Fellers erhielten den Gebrauch ihrer Religion zugesichert, und Reformirte und Katholische sollten in gutem Einvernehmen bleiben; für die Gemeindeökonomie hatte jede Partei in Sagens zwei Confidenten zu ernennen. Die Kosten des Ganzen, 22,000 Gulden, wurden von dem Kriegsrathe vertheilt, und zwar wurde dieses ansehnliche Strafgeld ganz den Katholischen aufgeladen, ein Drittel der katholischen Gemeinde Sagens insgesammt, ein Elftel der Nachbarschaft Schleuis, weil sie die Reformirten « strapazziren » half; Junker Peter Anton von Castell, päpstlicher Cavalier, der Hauptförderer der ganzen Sache, hatte nicht bloss 4000 Gulden für sich zu zahlen, sondern auch mit Regress auf die Anderen die ganze Summe in zwei Monaten abzuliefern.

Wollte man nun aber annehmen, mit diesem Sagenser Vergleiche von 1701 sei die Sache zu Ende gekommen, so wäre das ein schwerer Irrthum. Nicht nur dauerte das Misstrauen zwischen den Confessionen, so besonders ein nur zu berechtigter Argwohn der Stadt Cur gegen den bischöflichen Hof, fort; sondern speciell über die Sagenser Sache spannen sich die Erörterungen in nicht geringer Gereiztheit weiter. Ein katholischer Congress zu Reichenau sagte sich nach einem Monate von den Festsetzungen über die Strafgelder und anderen Punkten völlig los und drohte mit Lösung der Bünde von Seiten der Katholiken. Der reformirte Congress antwortete in einer Gegenschrift, worauf beide Versammlungen unverrichteter Sache sich auflösten. Auch eine Zusammenkunft im März 1702 verlief fruchtlos, und die infolge der Ereignisse des spanischen Erbfolgekrieges eingetretene allgemeine Spaltung lähmte die Executiv-gewalten der Bünde überhaupt. So setzte sich die Sache in endlosen Berathungen fort; ein feststehender Vergleich war Jahrzente hindurch nicht zu erzielen; fast jede Landsgemeinde in der Gruob, alle anderen grösseren Versammlungen in dieser Gegend arteten in Kämpfe über die Sagenser Sache aus, wobei in Ilanz einmal Todte auf dem Platze blieben. Immerhin trat seit 1704 ein modus vivendi ein, fiel die Angelegenheit seit 1710 allmälig aus den Tractanden. Freilich erst 1742 wurde dieselbe völlig geordnet; denn jetzt wurden die beiden Religionsgenossenschaften zu Sagens völlig getrennt, und die Reformirten bauten nun aus eigenen Mitteln in dem schon an jenem Septembertag 1701 besichtigten Garten des Seckelmeisters Casutt eine Kirche nebst Thurm, Glocken, Friedhof, Pfrund und Messmerei ohne alle Widerrede und hielten da frei öffentlich ihren Gottesdienst.

So ist die reformirte Kirche zu Sagens allerdings kein Kunstdenkmal, aber doch ein sehr bemerkenswerth historisches Monument.

— Wenn nun Berichte über solche unglaublich erscheinende Erhitzungen der Leidenschaften in die Eidgenossenschaft hinausdrangen, musste sich ein ungünstiges Vorurtheil über die Zustände in diesen Hochgebirgs-thälern bilden, und die Eindrücke, welche etwa, selten genug, fremde Besucher aus diesen Gegenden davontrugen, schienen solche Ansichten zu bestätigen. Zürcherische Jünglinge machten unter der Leitung gelehrter Mentoren im XVIII. Jahrhundert Streifzüge auch durch den oberen Bund, und der Aufenthalt unter den fremdsprachigen Bundesgenossen, bei denen so viel Unverständliches und so wenig Bequemlichkeit zu finden war, brachte einmal einen jener begleitenden Lehrer zu dem harten Urtheile, dass Augen und Gesicht der Mannspersonen wenig Menschlichkeit, wohl aber Wildheit und Brutalität zeigten, dass sie von Freiheit und Religion nichts wüssten: « Man darf sie nur ansehen, so wird man sich nicht mehr wundern, dass die bündnerische Geschichte von so vielen einheimischen Aufläufen und Gewaltthätigkeiten gegen grosse Männer, Rebellionen und, tyrannischen Strafgerichten angefüllt ist. Eine schwache Summe Geld kann diesen ganzen Bund in Empörung bringen ». Eine Stadt fanden diese Herren ja allerdings, in Ilanz, vor, welcher einige ansehnliche Herrenhäuser zur Zierde gereichten; allein wie ärmlich und verlassen war der Platz, etwa so, wie ein Eeisender bemerkte, als ob er vor Kurzem ein Bombardement bestanden hätte, und wenn dann einmal am Jahrmarkt die ruinenhaften Strassen sich füllten, lebten die Ilanzer in der peinlichsten Furcht vor entsetzlichen Raufereien, vorzüglich durch die wilden Leute aus dem Lugnetz, welche fast regelmässig ihre reformirten Rivalen aus Flims herauszufordern liebten.

Allerdings konnten bei so flüchtigen Besuchen, wie sie von den Berichterstattern durchgeführt wurden, die wahren Zustände von Land und Volk nicht begriffen werden. Die Bewohner des Oberlandes waren ein einfaches, sittenstrenges, verfeinerten Gewohnheiten fremd gebliebenes Hirtenvolk, dessen rauhes Leben mit geringen Unterschieden Vornehmere und Geringere gleichmässig theilten. Abgeschlossen für sich, nahmen die Oberbündner, freilich abgesehen von dem mit besonderer Vorliebe gewählten fremden Kriegsdienste, an dem Leben ausserhalb ihrer Thäler geringen Antheil; einheimische Gewerbe gab es nicht, und die Auswanderung zum Zwecke der Betreibung von Handelsgeschäften oder anderer Erwerbsarten in europäische Hauptstädte, wie sie von andern Graubündnern schon längere Zeit begonnen worden war, trat hier vor dem XIX. Jahrhundert noch nicht ein* ). In sehr bedeutendem Gegensatze zum obern Rätien war das Glarnerland im XVIII. Jahrhundert in einem Uebergangszustande volkswirthschaftlicher Art begriffen. Zwar war schon seit dem XVII. Jahrhundert der Handel des thätigen Volkes im Aufblühen gewesen, und schon beluden seit dem Ende desselben Glarner Kaufleute an der Ziegelbrücke eigens gebaute Schiffe, welche mit ihren Ladungen dem Rheine bis zu dessen Mündungen folgten. Allein das waren Hervorbringungen des eigenen Landes, der Schabzieger, Käse, Kräuterthee, Holz, dann aber besonders auch die Schiefertafeln vom Plattenberge, und anfangs kehrten diese Hollandfahrer wieder von jeder Reise zurück; erst im XVIII. Jahrhundert begannen die ständigen Handelscolonien in fremden Plätzen. Ausserdem schränkte sich dieser Handel nur auf einen kleinen Bruchtheil der gesammten Bevölkerung ein. Anders verhielt sich das, indem seit der Mitte des XVII. Jahrhunderts die gewerbliche Thätigkeit sich im Lande selbst stärker einbürgerte, und vollends als seit dem Anfang des XVIII. Jahrhunderts das bisher betriebene Wollengewerbe durch das Baumwollespinnen ersetzt wurde. Sehr rasch verbreitete sich dieser Erwerbszweig durch das ganze Land und brachte den unteren Volksclassen bis in die entlegensten Berghütten einen sehr reichlichen Verdienst.

hundert ( Bd. I und II, 1873 und 1875 ), wo Bd. I auch den Sagenser Handel in ausführlichster Weise aus den Acten erzählt. Dieses Buch kann als eine der hervorragendsten Leistungen der neuem schweizerischen Geschichtslitteratur, nicht weniger aufschlussreich als lesbar, bezeichnet werden. Das gilt vorzüglich von der Culturgeschichte in Bd. II.

In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts trat dann vielfach beim etwelchen Sinken des Handgespinstes ein grösserer Aufschwung der Handweberei ein und zwar gleichfalls bis nach dem Linththale hinauf. So war hier in eigenthümlicher Weise neben der Alpenwirthschaft der Gewerbfieiss, wenn auch selbstverständlich noch überwiegend als Hausindustrie und so, dass von einer Verdrängung der Handarbeit durch die Maschine noch nicht die Rede war, zu einer Hauptlebensbedingung geworden.

Ganz am Ende des XVIII. Jahrhunderts hat ein deutscher Gelehrter, welcher mit wohlwollendem Auge das Leben der Gebirgsvölker der Schweiz betrachtete, seiner Schilderung derselben auch mehrere Abschnitte über das Glarnervolk einverleibt, und aus dieser Darstellung von Johann Gottfried Ebel — denn dieser Freund der Schweiz ist der Reisende — erhellt der Uebergangszustand im Kanton Glarus in sehr bestimmter Art. Nachdem Ebel anfangs constatirt hat, dass die oberflächliche Beschaffenheit des Kantons dessen Bewohnern als denjenigen eines Wiesen- und Alpenlandes den einzigen angemessenen Nahrungszweig vorschreibe, und der glarnerischen Alpenwirthschaft ein ganzes Capitel widmete, betrachtet er in einem folgenden den fremden und vorzüglich den französischen Kriegsdienst als eine weitere wichtige Erwerbsquelle und sucht zu berechnen, eine wie grosse Bevölkerungs-kraft dadurch dem Lande verloren gegangen sei. Ganz besonders aber verfolgt er endlich die « merkwürdige Erscheinung », dass « diese armen zwischen fürchterlichen Felsen verborgenen Hirten, von jeder Unter- Stützung und Anfeuerung entblösst, sich bloss durch die Geistesregsamkeit und Ausdauer mehrerer Gewerbs-zweige zu bemeistern gewusst haben und das auffallende Beispiel eines der industriösesten Völker darbieten: wer die Thäler von Glarus bereist, wandert durch eine grosse Fabrik in lebendigster Betriebsamkeit ». Ebel findet, dass Viehzucht und Alpenwirthschaft auf einen Dritttheil der gesammten Volkszahl eingeschränkt worden seien; in engen Zusammenhang stellt er damit die Bevölkerungsvermehrung um 7000 Köpfe innerhalb eines Menschenalters, von 1760 bis 1794. Er bemerkt, dass die ehemalige Vermögensgleichheit dieser Aelpler verschwunden sei, und bedauert, dass die Veränderung in der Lebensart des Volkes dessen ursprüngliche physische Kraft und Stärke offenbar verringerte: « Der körperliche Unterschied zwischen der Fabrikbevölkerung und dem Hirtenvolke des Kantons Glarus wird keinem Beobachter entgehen»nur noch von den Grossvätern höre das jetzige Glarnergeschlecht Erzählungen der Ring-, Lauf- und Wurf kämpfe, und die Hirtengesänge seien verstummt. Schon lagen Erfahrungen vorzüglich aus dem traurigen Theuerungsjahre 1777 vor, welche zeigten, welchen argen Schwankungen das dem äussern Scheine nach so grosse Verbesserungen der allgemeinen Lebenshaltung herbeiführende Gewerbe unterworfen sei. Ebel sagt an einer Stelle: « Das Elend steht in einer grässlichen Nacktheit da, sobald der Absatz des Baumwollenfabrikates und damit die einzige Nahrungsquelle von so vielen Tausenden in 's Stocken geräth. Schon einige Mal haben die Glarner die sen Wechsel, obgleich nur in schwachem Grade und während kurzer Perioden, erfahren, und doch denken die Wohlhabenden mit Zittern daran ». Das beweist nur, mit welcher Einsicht der norddeutsche Arzt die Dinge prüfte; denn ein Mitglied der Landesobrigkeit sprach sich damals ganz ähnlich aus: « Der Geld-reichthum dieses im Entstehen begriffenen unkräftigeren Geschlechtes ist nur scheinbar und augenblicklich in einem Lande, dessen Boden die Gegenstände der Bearbeitung nicht hervorbringt; man verschwendet den Verdienst und ist dann ohne Hülfsquellen in der Noth ». Auch für das XVIII. Jahrhundert also treten uns in den Hochgebirgsgebieten südlich und nördlich von unserer natürlichen Grenzscheide tiefwirkende Gegensätze vor die Augen. Wie eigenthümlich musste sich etwa ein Reisender berührt fühlen, wenn er von den nach den Schilderungen jener Zürcher so wilden Ober-bündnern herkam und dann, wie das für Ebel der Fall war, ganz hinten im Glarnerlande, im obersten Theile des Grossthaies, eine Cyclopengestalt von über sieben Fuss Höhe fand, welche am Spinnrade sass: mochte er da nicht das Bild des Herakles aus der Dienstzeit bei der Omphale vor sich glauben?

Im Jahre 1797 war zu Ilanz zwischen den Anhängern des neuen und alten Calenders der alte Kampf abermals stärker entbrannt, und es war den Neugläubigen gelungen, nach langem Ringen sich des Thurmes und der Glocken der Hauptkirche, sowie dieser selbst zu bemächtigen, worauf die trotzigen Historische Streiflichter über das Clubgebiet. 399.

Altgläubigen sich in die St. Martinskirche zurückzogen und da nach ihrem Calender Feste und Communionen feierten. Auch an einer kleinen Kampfscene gebrach es nicht: am Ostermontag alten Stiles ahndeten es die ihren Ilanzer Gesinnungsgenossen zu Hülfe eilenden altgläubigen Leute von Luvis durch einen wohlgelungenen Ueberfall an den auf dem Felde arbeitenden Neugläubigen, dass dieselben den Feiertag nicht hielten. Aber weit wichtigeren allerneusten Veränderungen wurden noch in diesem gleichen Jahre 1797 die Bündner des alten und des neuen Calenders gleichmässig gegenübergestellt. Denn bekanntlich hat 1797 Rätien, früher noch als die Schweiz, in seinem Bestände die ersten Einwirkungen der französischen Revolution unmittelbar zu erfahren gehabt, indem es an die cisalpinische Republik seine italienischen Unterthanengebiete verlor. Nur wenige Monate vergehen hierauf, und der Einbruch der Franken in die Schweiz 1798, die Aufnöthigung der helvetischen Einheitsrepublik reissen das ganze eidgenössische Staatswesen nebst den uralten rätischen Bundesfreunden in die allgemeine Verwirrung hinein * ). Umsonst wehren sich die Glarner gegen die Zumuthung, die neue Ver- 400 Meyer von Knonau.

fassung anzunehmen; zur Strafe für ihre muthige Vertheidigung in ihrer Stellung an den Höhen des Etzel, am 30. April 1798, haben auch sie, gleich ihren Schicksalsgenossen in den andern Landsgemeindekan-tonen, die üemüthigung zu erfahren, willkürlich zu-rechtgesclinittenen neuen Landesabtlieilungen zugewiesen zu werden, als zwei von sieben Districten — Schwanden und Glarus — eines Kantons Linth. Die bündnerische Föderation zwar widersetzt sich noch etwas länger mit Erfolg, allerdings unter völliger Abtrennung von Helvetien und Anschluss an Oesterreich, solchem Zwange erst mit dem Beginne des zweiten Coalitionskrieges im März 1799 rücken die Truppen der französischen Republik dann auch an den Rheinquellen ein und gestalten Graubünden zu einem helvetischen Kantone Rätien um.

Bekanntlich haben darnach im Laufe des Coalitionskrieges, in enger Vermischung der grossen kriegerischen Ereignisse mit den localen politischen Parteifragen, unter den bedenklichsten Wechseln, durch das Jahr 1799 hin auch die uns beschäftigenden Hochgebirgs-abschnitte an der glarnerisch-bündnerischen Grenze ihre Stelle in der Kriegsgeschichte gewonnen. Schon vor den besonders denkwürdigen Begebenheiten, welche sich an Suwarow's Namen anknüpfen, wurde der Panixerpass militärisch benützt. Am 25. September, am verhängnissvollen Tage von Zürich und von Schännis, kam bei dem österreichischerseits gemachten Versuche, durch einen combinirten Angriff den französischen General Molitor aus Glarus zu werfen, der Graf Linken mit 3000 Mann von Bünden her auf glarnerischen Boden, und zwar er selbst über den Panixerpass, andere Abtheilungen über den Segnespass und von Brigels her über den Kistenpass; nach einem Zusammenstoss oberhalb der Jätzalp, in der Gurglen, und der Gefangennehmung der hier Geschlagenen in der Schwändi bei Elm und ausserdem eines zweiten französischen Bataillons hatte Linken am 26. seinen Vormarsch über Schwanden bis gegen Glarus fortgesetzt; am 29. aber trat er nach der Kunde von den Misserfolgen auf den andern Kampfplätzen, ohne um die herannahenden Russen sich weiter zu bekümmern, den Rückweg nach Bünden wieder an. So fand denn Suwarow, als er am gleichen 30. September, wo Linken wieder im Rheinthale stand, vom Muottathale her glarnerisches Gebiet erreichte, die kaiserlichen Bundesgenossen daselbst schon nicht mehr vor und traf die Franzosen wieder im vollen Besitze ihrer Stellung an der Linth. So musste er, weil auch der Ausweg thalabwärts nach dem Walensee versperrt war, in der Nacht vom 4. auf den 5. October, verfolgt von den Franzosen, unter unaufhörlichen Kämpfen jenen gleichen Weg durch das Sernfthal nach Bünden wählen, wodurch der denkwürdige Alpenfeldzug der Russen seinen Abschluss fand. Am Mittag des 7. hatten die gesammten Ueberreste der Armee das Dorf Panix erreicht: wie gross die Verluste auf diesen schneebedeckten Höhen gewesen seien, lehrten noch nach zwei Jahrzehnten die sichtbaren Haufen gebleichter Knochen am Seeli über der Gurglen und bis zum Uebergang hinauf.

Noch dauerte es dann allerdings bis tief in das Jahr 1800 hinein, ehe im weitern Verlaufe des Krieges 26 Bünden ganz geräumt und dem helvetischen Directorial-staate unterworfen war; aber am wenigsten die eifrigen Katholiken des Oberlandes vermochten ihrer nunmehrigen unmittelbaren Zugehörigkeit zu dem Lande froh zu werden, zu dem sie drei Jahrhunderte hindurch nur lose föderative Beziehungen sich hatten gefallen lassen. Erst die Mediationsacte von 1803 erkannte hernach Bünden in einer seinen Bewohnern erwünschtem Weise als 15. Stand der hergestellten und befestigten Eidgenossenschaft wirklich an, und seither sind in 75 Jahren die Bündner nicht weniger zum Bewusstsein ihrer schweizerischen Zugehörigkeit gelangt, als das schon für ein halbes Jahrtausend bei den Glarnern der Fall ist.

Die grosse Eigenthümlichkeit unseres schweizerischen Gemeinwesens, der dasselbe bildenden Völkerschaften, die tiefgreifende Verschiedenheit innerhalb der einzelnen Theile: sie ist auch in ganz besonderm Maasse durch die geschichtliche Betrachtung bei unserm Clubgebiet ersichtlich geworden. Aber es möge jenes Wort vom 24. Mai 1400, als Glarner und Oberbündner sich zuschwuren, in Kraft bleiben: « Dz wir und unser aller Erben und Nachkomen jedwedernthalb der andern guoten und getrüwen Fründ und lieben Eidgnossen eweklich sin suln und beliben sond, die wil Grund und Grat weret ».

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