I. Gwächten -Limmi
Von G. Studer und Albert Hoffmann-Burckhardt.,
Diese Passage von der Gelmer Alp aus durch das Hochthal in den Diechtern neben dem Gwächtenhorn vorbei nach der Clubhütte am Thälti-Stock wurde mit geringer Abweichung vom Herrn A. Hoffmann und später vom Herrn Studer ausgeführt, welche gütigst ihre Berichte der Redaktion zur Verfügung stellten.
Von einer den 7. und 8. Juli glücklich ausgeführten Besteigung des Wetterhorns über den Gauli-Gletscher und durch das Urbaeh-Thal auf der Grimsel angelangt, sah sich Hr. A. Hoffmann daselbst während drei Tagen durch Unwetter festgebannt und musste auf sein Finsteraarhorn - Besteigungs-projekt, bereits auf dem Oberaarjoch angekommen, wegen einfallenden Nebels und Schneefalls verzichten, froh, bei dunkler Nacht mit heiler Haut den Rückzug nach dem Spitale bewerkstelligen zu können.
Den 13. Juli endlich schien die liebe Sonne wieder mit freundlichem Antlitz und klarem Himmel; blinkend und schimmernd in Regenperlen und Eisdiamanten erwiederte freundschaftlich die fröstelnde Erde den wohlthuenden Morgengruss und mit frohem Jauchzen trat der Mensch hinaus in die schöne Gottesnatur. Auch unser Freund schüttelte den seit drei Tagen angehäuften Unmuth ab und war bald mit seinen zwei Führern Ulrich Lauener von Lar.terbrunnen und Andreas von Weissenfluh voiiMühlestalden, beide, besonders der Erstere, unter den Gletscherfahrern bestens bekannt, zu jedem Thun bereit.
Von der Grimsel verfolgt man erst den Weg nach der Handeck bis zum Kunzentannli, hier verlässt man den Grimselweg und steigt sachte über Hinter-Stock und Gelmer Gassle auf schmalem Kuhpfade bergan zum Seemätteli. Nach einer Viertelstunde rauhen Steigens, theilweise über glattpolirte, helle, oft tief gefurchte Granitfelsen, bei deren Anblick man kaum begreift, wie Kühe da hinauf getrieben werden können, gewinnt man die Höhe des Seebodens und schaut entzückt den etwa 200 Fuss tief zu seinen Fussen liegenden, die ganze Thalbreite abschliessenden, friedlichen See, der die steil abfällenden Felswände der Gelmer Hörner und des Schaubhorns bespült und dessen Abfluss als Gelmer Bach in zierlichem Sturze in das Hasli-Thal herunterbraust. Ein schmaler felsiger Pfad führt um den See herum, dessen hinterer seichter Theil auf halb im Sumpfe versenkten Steinen, bei grösserem Wasserreichthum watend, passirt werden muss. Nach Ueberschreitung eines älteren Felsbruches, dessen mächtige Trümmer in wildem Chaos durch und übereinander liegen, gelangt man nach 2*/ä Stunden Marsch auf die einsame steinreiche Gelmer Alp, wo sich der Reisende einer freundlichen Aufnahme zu erfreuen hat. Ein zweiter Studer.
Weg führt von der Handeck, wenn man wenigstens diese Uranfänge eines Pfades so nennen darf, in gerader Linie über die Flühe hinauf gegen die Gelmer Alp. Unter der sicheren Führung unseres Hrn. Studer wollen wir auch diesen uns näher ansehen.
Am Abend des 30. Juli — schreibt Hr. Studer — nahm ich in Begleit des Peter Sulzer von Guttannen und des alten Vater Weissenfluh auf Mühlestalden Nachtquartier auf der Handeck. Der Morgen des 1. August war hoffnungslos! Der nächtliche Regen dauerte fort und die triefenden Nebel hingen bis an den Fuss der Berge herunter. Von einem frühzeitigen Aufbruche war daher keine Rede und ich machte mich gefasst, während eines vollen Regentages mich auf der Handeck zu langweilen. Peter und Weissenfluh „ stützten " mit langen Gesichtern um das Wirthshaus herum und warfen trostlose Blicke nach dem finsteren Wolkenhimmel, der gleichfarbig wie ein Aschentuch seine Wasservorräthe entleerte, so dass die Bäche anschwollen und lauter tosten und von allen Seiten neue Zuflüsse über die Bergwände herunterrieselten. Endlich gegen acht Uhr kam Bewegung in die Luft, der Regen hörte auf, der Nordwind drängte den Föhn zurück und schon wurden einige blaue Stellen am Himmel sichtbar. Jetzt ward Muth gefasst und nach kurzem Rathschlag der Aufbruch beschlossen, auf die Gefahr hin, dass wir das Schicksal unseres Freundes Lindt theilen mussten, der vor wenigen Wochen, als er von der Gelmer Alp über die hinteren Gelmer Hörner hinüber zu steigen beabsichtigte, durch den strömenden Regen zur Rückkehr gezwungen worden war.
Wenn man von der Handeck nach der Brücke hin-unterschreitet, die gerade oberhalb dem prächtigen Wassersturz über die Aare geschlagen ist, so findet man jenseits derselben einen kaum merkbaren Fusssteig, der nach der Gelmer Alp hinaufführt.
Anfangs auf schmalen granituen Stufen hart über dem tosenden Fall sich erhebend, durchzieht er, bald sanfter ansteigend, ein zahmes Wiesengelände und schattige Tannwaldung; dann windet er sich zur Seite eines Tobeis steiler empor an einer scharf anlaufenden Gebirgsecke, die theils begrast und mit Gesträuch überwachsen, theils in nacktem Fels aufgebaut ist. An zwei Stellen, wo das Felsenband zu hoch ist, um dasselbe zu erklimmen, sind Leitern angelegt. Dieser Pfad wird der Katzen weg genannt und ist für Berggewohnte lustig zu wandeln, weil man rasch und leicht in die Höhe gelangt, obschon man oft, wenn mau an dem steilen Geklippe emporschaut, irre wird, wie man hinaufgelangen könne. Mit jedem Schritte erweitert sich der Ueberblick. Endlich sieht man über sich die begraste Bergkante, die den vordersten Auslauf der felsigen Gelmer Hörner bildet, und trifft nun auf der Höhe mit dem oben beschriebenen Weg zusammen, wo sich der Blick auf das Becken des Gelmer Sees öffnet. Wir bedurften einer Stunde Steigens, um diese Bergkante zu erreichen. Das regennasse Gras und Gebüsch hatten den Pfad schlüpfrig gemacht und wir begrüssten freudig die Sonne, die nun das Gewölke durchbrach. Aber immer noch weilten die Nebel auf den Gebirgshöhen und verkümmerten uns ihren freien Anblick. Wir sahen nur die schwarzen Felshänge, die ihren Fuss bilden, und die zerspaltenen Gletscher, die zwischen ihnen herunterstiegen.
Nach einer weiteren halben Stunde erreichten wir die Hütte der Gelmer Alp.
Die sehr bescheidene Gelmer Alphütte, 1860 M. ü.M. gelegen, steht, an einen der grossen herumliegenden Felsblöcke gelehnt, als Beispiel da, mit wie wenig der Mensch zufrieden und gesund leben kann. Zwei kleine Käsekessel und einige nothdürftige Vorrichtungen zur Aufbewahrung der Milch und ihrer Producte finden knapp den nöthigen Raum.
Räthselhaft ist es dem Reisenden, welcher in diese abgelegene Gegend verschlagen wird, wo die Nacht zugebracht werden soll; doch wohl nicht auf dem schwarzen feuchten Boden oder auf der Feuerstelle? Und doch schläft es sich köstlich auf duftendem Heu. Das Dach liefert ein anderer kolossaler Felsblock, die Wände bestehen aus niedrigen Stein- und Rasendämmen und liebevoll lullen dich zudringliche, an der Thüre schnobernde Ziegen durch ihr Gemecker in den Schlaf. An ähnlichen geschützten Stellen wird das gesammelte Heu aufbewahrt, bis es im Winter zu Thal geschüttet wird.
In dem ebenen Weidebecken, das sich zwischen der Hütte und dem See in der Distanz einer Viertelstunde ausdehnt vereinigen sich die Gletscherbäche, die aus den Thalverzweigungen hervorfliessen, welche sich hier nach verschiedenen Richtungen öffnen. Die eine derselben zieht sich in südöstlicher Richtung hinein und ihr muldenförmiger Hintergrund wird in kurzer Entfernung durch steinige Thalwände abgeschlossen, welche sich gegen den Gel m er Gletscher emporziehen, der seinerseits von dem zackigen Felsgrat der hinteren Gelmer Hörner gekrönt wird. Diese trennen das Gelmer Gebiet von dem des Rhonegletschers.
Die Thalverzweigung, von der hier die Rede ist, wird gegen Süden von dem felsigen Kamme begrenzt, der, vom nördlichsten Gerstenhorn sich ablösend, als Scheidewand gegen das Gebiet des Gerstengletschers bis zum Schaubhorn hinausläuft, das seinen Fuss im Becken des Gelmer Sees badet. Von dieser Thalverzweigung durch einen Felsgrat getrennt, der sich von den hintern Gelmer Hörnern gegen das sogenannte Bergli hinunterzieht, kommt eine zweite Thalspalte von Osten her gegen die Weidefläche der Gelmer Alp auszumünden.
Es ist eigentlich nur die Runs des Gletscherbaches, der dem Aelpligletscher entfliesst, dessen weisser Hochfirn bis an die Zinne des Thieralplistockes hinanreicht. Eine dritte Thalverzweigung oder vielmehr der Hauptarm zieht sich von der Gelmer Alp nordwärts hinein bis zumDiechter Gletscher, der die hinterste Thalmulde ausfüllt und sich längs dem Kamme der Di echter Hörner bis zu jener Stelle ausdehnt, wo beim Gwächtenhorn der scharfe, felsige Kamm, der als westliche Einfassung dieser Thalverzweigung von den Ufern des Gelmer Sees über die vorderen Gelmer Hörner oder Gelmer Spitzen bis zum Strahlhorn hinansteigt, sich an den Hauptkamm der Diechter Hörner anschliesst. Dieser Kamm scheidet den Aelpli-und Diechter Gletscher vom mächtigen Triftgletscher und kulminirt in den Gipfeln des Thieralplistocks und des höchsten Diechter Hornes. Die Thalstrecke zwischen der Gel-mer-Alp und dem Diechter Gletscher heisst: in den Diechtern und theilt sich in Unter-, Mittel- und Ober-Diech-tern. Sie bildet zwei ausgesprochene Thalstufen, zwischen denen der ebene schmale Grund eines einsamen Hochthälchens sich ausdehnt. Die vordere Stufe zieht sich unmittelbar hinter der Gelmer Hütte in begrasten, theils mit Trümmergestein bedeckten Halden, die dem Grossvieh noch zur Weide dienen, empor gegen ein senkrecht aufgestelltes Felsenband, das den oberen Thalgrund vollständig abzusperren scheint und über welches der Diechter Bach in weit sich aus-breitender Schaiimmasse hinunterstürzt. Auch die hintere Stufe bildet eine Felsenmauer, die sich an die beidseitigen steilen Berghänge anlehnt.
Aus einigen zwanzig Kühen besteht das kleine Sennthum der Gelmer Alp, das auf den zahmeren, baumlosen Triften sein Futter findet, während die höher gelegenen, schwerer zugänglichen wilden Weideplätze mit Schafen besetzt werden.
Ganz in der Nähe der Hütte entspringt eine herrliche Quelle, welche sich nach wenigen Schritten selbständigen Laufes in den Diechter Bach ergiesst. Den 25. Juli um 4 Uhr 25 M. Nachmittags ergab eine Temperaturbeobachtung für den Bach -j- 5,7, für die Quelle + 4,5, bei einer Lufttemperatur von 12,3 nnd bei nebligem regnerischen Wetter.
Wir begrüssten im Vorbeigehen die Hirten und es war ungefähr 10 Uhr, als wir von der Alphütte abreisten. Wir befanden uns Angesichts jener ersten Felsenstufe und des malerischen Wassersturzes des Diechter Baches. Hinter dem oberen Felsenrande erschienen in der Ferne die Hochfirne des Diechter Gletschers und an der äussersten Rechten war eine schwarze Felsenspitze sichtbar, die uns zur Wegweisung nach der Übergangsstelle diente, die dort herum gesucht werden musste. Der Diechter Bach wurde überschritten und an dessen linkseitigem Ufer führte uns ein betretener Viehweg bergan. Als wir uns jenem Felsenbande näherten, zogen wir uns rechts hinauf nach einer Stelle, wo ein Fel-senbruch uns das Erklimmen dieses Felsenbandes erleichterte; denn näher am Bache, der jenem Hochthälchen entströmt, wäre es rein unmöglich gewesen, die glatte Wand zu erklettern. Auf jener Stelle angelangt, blickten wir nun in das kleine, schmale, von dem ruhig fliessenden Bache durchschlängelte Hochthälchen hinunter; aber ohne in dasselbe hinabzusteigen, hielten wir die gewonnene Höhe inne und schritten in horizontaler Richtung längs den kahlen Geröllhängen der östlichen Thalwände vorwärts, bis wir den Höhenrand auch jener hinteren felsigen Stufe erreichten. Von hier an wurde das Vorrücken etwas schwieriger. Dicht vor unseren Augen breitete sich in der Ausdehnung von vielleicht zwanzig Minuten eine unwirthbare Felsenterrasse aus, deren jenseitiger Rand an den Hochfirn des Diechter Gletschers zu grenzen schien.
Sie war das vorspringende Fussgestell der jähen Gletscherabstürze, welche sich gegen den Thierälplistock und das Diechter Hörn emporzogen, während ihr vorderer Abfall steil nach dem hintersten, öden Thalgrund sich versenkte, in den auch der tiefste Arm des Diechter Gletschers ausmündet.
Vermochten wir diese Felsenterrasse quer zu tiberschreiten, so war es wahrscheinlich, dass wir auf dem kürzesten Wege den Diechter Gletscher in einer schon ansehnlichen Höhe gewinnen konnten, sonst wären wir genöthigt gewesen, zuerst in den Thalgrund niederzusteigen und von diesem aus den Gletscher in seiner ganzen Längenausdelmung zu begehen. Allein jene Terrasse war von einer täuschenden Beschaffenheit. Anscheinend leicht zu überschreiten, bestand ihre Oberfläche aus kahlen, zum Theil wild aufeinander gethürmten Granitplatten, die in mancherlei Gestaltung zwischen den Spalten, Rimsen und Gräben emporstiegen, die sie durchfurchten. In diese musste hinabgestiegen, jene überklettert werden, und wenn man glaubte, am Ziele zu sein, öffnete sich wieder eine neue Kluft, zeigte sich wieder ein neuer Felsenrücken. Es war eine Kletterei, die uns schwere Arbeit kostete; doch der Versuch gelang und das Ziel stand uns näher und näher vor Augen.
Dicht über uns gewahrten wir die steil abgerissenen Gandeggen, die die Nähe höherer, aber im Nebel verborgener Gletscher anzeigten. Gegenüber im Westen, durch die tiefe Thalschlucht von uns getrennt, hatte sich der Kamm der Gelmer Hörner entwickelt und wies, uns seine
Schweizer Alpen-Club.g:
granitnen Zinnen, unterhalb welchen sich an verschiedenen Stellen geschliffene Felsen bemerkbar machten.
Endlich nach mühsamem Wegsuchen hatten wir die Befriedigung, den Hochfirn des Diechter Gletschers zu betreten. Derselbe war aber so stark ausgeabert, dass fast durchgehends das Gletschereis zum Vorschein kam. Mit Leichtigkeit stiegen wir von Stufe zu Stufe in nordwestlicher Richtung über das Eisgehänge empor und befanden uns dicht am Fusse der nackten Granitwände, welche die westliche Abdachung des Kammes der Diechter Hörner bilden. Diesen Wänden entlang marschirend, deren dunkles, glänzendes Gestein von unten betrachtet täuschend wie Kalkfels aussah, ging es nun in mehr nordwestlicher Richtung vorwärts, fortwährend über den Gletscher, der in sanfter Steigung zusehends gegen die höchstgelegene Firnmulde sich ausflachte.
Unser Mineralienbeuter Weissenfluh, dessen forschendes Auge in diesem, von ihm nie besuchten Revier jene glänzenden Felswände durchmusterte, glaubte endlich in einer Verklüftung am untersten Rande der Felsen ein Nest von Krystallen oder Flussspath entdeckt zu haben. Da die Stelle nicht weit von unserem Wege war, so kletterte er den Eishang hinauf und fand wirklich an dem gesuchten Orte eine Druse mit Rauchtopasen, die auszubeuten ihm aber die Zeit nicht gestattete.
Bald hatten wir die Freude, jene schwarze Spitze, die sich eine Zeitlang unseren Blicken entzogen hatte, in unserer unmittelbaren Nähe emportauchen zu sehen. Ich muss sie ihrer Lage nach für das Gwächtenhorn halten. An ihrem Fuss angelangt, stand uns nur noch bevor, die schneeige Einsattlung zu erklimmen, die zwischen dieser Felsspitze und der südlichen Kammfortsetzung sich befand. Dies ge- lang, indem wir theilweise über das Gerolle hinauf krochen, das sich längs dem Fusse des rechtzeitigen Felsgrates eine Strecke weit hinaufzog und die harte Schneekruste bedeckte, weiter oben aber das Schneegehänge selbst bis zur Einsattlung erstiegen.
Wir mochten uns hier in einer Höhe von circa 3200 M. oder 9850 P. F. befinden. Es war schon Abends 4 Uhr, als wir die Uebergangsstelie betraten, und wir hatten somit von der Gelmer Alp hinweg nicht weniger als sechs Stunden gebraucht. Meine beiden Begleiter fassten sogleich Posto an einer vom Winde geschützten aberen Stelle des östlichen Gehänges jener Felsspitze, die sich nicht mehr hoch über uns erhob. Ich schritt über das Schneeplateau der Einsattlung hinaus bis an dessen östlichen Rand. Ich gedachte mich über unsere Situation zu orientiren, denn genau wusste ich nicht, wo wir waren. Allein ich sah nur, dass sich das Gehänge in steilem Absturz hinuntersenkte und Anzeichen von tiefer liegenden gewaltigen Firnschründen vorhanden waren. Sonst waren Höhen und Tiefen von dichtem Nebel umhüllt. Keine Spitze ragte aus demselben heraus, die mir zum Merkzeichen hätte dienen können, und nicht ganz ohne Bangen kehrte ich zu meinen Gefährten zurück, um mit ihnen unser frugales Mahl zu theilen.
Den verehrten Leser lade ich ein, während dieser kurzen Pause mit mir einen Rückblick zu werfen auf den zurückgelegten Weg, um ihn mit der schönen Karte des Clubgebietes, die Herr Leuzinger im Massstab des Originals der Dufour-Blätter gestochen und dem zweiten Jahrbuch des Schweizer Alpen-Club beigegeben hat, zu vergleichen. Und da muss ich gestehen, dass ich mich auf der Karte nicht ganz zurechtfinde. Erstens scheinen mir die beiden Thalstufen in den Diechtern zu schwach ausgeprägt zu sein, da
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sie doch wesentlich den Charakter dieser Thalgegend- be- dingen. Ferner vermisse ich die Andeutung jener zerklüfteten Felsenterrasse, über welche wir hinübergeschritten sind. Ueberhaupt kommt mir diese Thalpartie auf der Karte etwas fremd vor. Ich kann mich nicht erinnern, wahrgenommen zu haben, dass die Gletscher der linken Thalseite so tief herunterhängen, und es scheint mir, als ob jene Felsenterrasse gerade die Stelle einnehmen sollte, welche auf der Karte von der untersten, bis in den Thalgrund vorgeschobenen Partie des südlichsten Seitenarmes des Diechter Gletschers eingenommen ist. Ich bin zwar ferne davon, der Karte selbst Unrichtigkeiten vorwerfen zu wollen, denn da sich über einen grossen Theil des Gebirges Nebel gelagert hatten, die die freie Aussicht hemmten, so konnten wir uns über die Terrain-Verhältnisse und in der Beurtheilung der Distanzen leicht täuschen und irrige Vorstellungen empfangen.
Nicht lange dauerte unsere Rast an den Felsen des Gwächtenhorns, denn die Zeit drängte zum Abmarsch. Aber wohin uns wenden? Sollen wir uns nicht getrost der Leitung Weissenfluh's überlassen, der den Triftgletscher fast seine Wiege nennen kann und in diesem Gebiet, das er so oft in allen Richtungen durchstöbert hat, am Besten Bescheid weiss? Da ein direktes Hinuntersteigen in die neblichte Tiefe zu misslich schien, so flankirten wir unter seiner Führung — denn bis dahin war Peter voran gewesen — die östlichen Hänge der äusseren Diechter Hörner in ziemlich südlicher Richtung. Weissenfluh trachtete, nach dem hintersten Becken des Triftgletschers, dem sogenannten Triftkessel zu gelangen, von wo aus der Gang bis zur Clubhütte uns Allen bekannt war. Einigen Firnbrüchen ausweichend schritten wir, an 's Seil gebunden, eine Strecke weit fast in wagrechter Höhe über die schönen Hochfirne dahin.
Sieh ', da schimmert uns in lichtem Weiss aber nur in undeutlichen Umrissen ein schneeiger Kamm aus dem Nebel entgegen^ der jenem Kamme ähnlich scheint welcher sich vom Thieralplistock nach der Triftlimmi herabsenkt. „ Ei, da sehen wir ja schon die Limmimeinte Weissenfluh, „ nun sind wir bald auf gutem Wege. " Es wurde links abgeschwenkt und rasch glitten wir an steilen Schneehalden abwärts. Ich traute der Sache nicht und war tiberzeugt, dass sich Weissenfluh getäuscht habe. Meine Meinung war, statt nach dem Triftkessel zu gelangen, seien wir in dem Firnthal, das durch die Abzweigung des Kammes der Di echter Hörner nach dem Thältistock gebildet wird und sich gegen die tieferen Partieû des Triftgletschers öffnet. Bald war meine Vermuthung über jeden Zweifel erhüben. Glücklicher Weise lüftete sich der Nebel auf einen Augenblick und dicht über uns trat die kennbare Felsspitze des Triftstöckli hervor. Da musste auch Weissenfluh die Waffen strecken, aber es liefert dieser Vorgang den Beweis, welcher gefährliche Feind der Nebel für die Gletscherfahrer ist und wie selbst die kundigsten Männer in jenen Hochregionen getäuscht werden können, wenn sie keine Anhaltspunkte zur Orientirung mehr haben.
Uebrigens hatten wir insofern den Weg getroffen, als wir uns in der kürzesten Richtung zur Clubhütte befanden. Doch nur nicht zu früh gejubelt, stand uns doch ein Ausgang mit Schrecken bevor!
Als wir an die Mündung des kleinen Gletscherthales gelangten, da wo von Westen her das schneeige Saekthäli herabsteigt, lag vor uns der fast ebene Gletscher, der sich dicht oberhalb dem mächtigen Abfall des Triftgletschers zwischen diesem und dem äussersten Ausläufer des Triftstöckli .bis hinüber zur Clubhütte am Thältistock erstreckt.
< Diese war in gerader Richtung keine halbe Stunde von uns entfernt, und hätten wir klares Wetter und einen Normalzustand des Gletschers gehabt, wir hätten dieselbe lange vor Nachtanbruch erreichen können.
Allein, ein dichter Nebel hüllte die ganze Thalgegend ein und die Trockenheit und Wärme dieses Sommers hatte die Gletscher auf eine aussergewöhnliche Weise zerarbeitet und zerklüftet. Als wir daher den ebenen Gletscher betreten und denselben dem Fusse jenes felsigen Ausläufers entlang traversiren wollten, bot er uns eine so wild zerrissene Gestalt dar, dass wir es nicht unternehmen durften, uns auf so gefährlichem Boden in das Nebeldickicht hinauszuwagen. Es wurde noch eine Umgehung des Gletschers seinem Westrande entlang versucht, aber auch da bot sich uns das gleiche abschreckende Bild dar. Wir kehrten nach der früheren Stelle zurück und sahen uns forschend um in dem öden neblichten Rund, aus dem uns nichts als die näheren zerklüfteten Gletscher, blendendweisse Schneehänge und einzelne schwarze Felsen anstarrten.
Wohl gewahrte ich jetzt dort oben jene, uns früher durch den Nebel entzogene schneeige Einsattlung des Kammes südlich vom Triftstöckli und mit Recht vermuthete ich, dass. dieselbe uns den sichersten Weg nach der Clubhütte bieten würde. Allein, es war zu spät, diesen Weg einzuschlagen, denn nur um die Höhe der Einsattlung zu gewinnen, hätten wir zwei Stunden Zeit bedurft und von da bis zur Hütte wäre noch ein langer Weg gewesen, und es war schon sechs Uhr Abends!
Gleichwohl unternahmen wir noch einen dritten Versuch, uns aus diesem Labyrinth zu winden. Die Seile wurden losgebunden und wir erkletterten den vor uns stehenden Felsgrat, der von dem nördlichen Ausläufer des Triftstöckli
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gebildet wird. Wir wiegten uns in der schwachen Hoffnung, am jenseitigen Gehänge nach dem flachen Becken des Trift* gletschers hinuntersteigen und auf kürzerem Wege die Clubhütte erreichen zu können. Frischen Muthes erklommen wir die Felswand. Eine von oben nach unten verlaufende Verklüftung zeigte"uns den einzig möglichen Weg. Wir arbeiteten uns mit einiger Mühe meistens auf beweglichem Geröllboden nach der nächsten Gratkante empor, überschritten quer das Schneegehänge, das zwischen dieser und der östlichen Kante ausgespannt war, überzeugten uns aber, daselbst angelangt, nur zu bald, dass die Glätte und Steilheit und die eisige Beschaffenheit des Gehänges, in welchem hier die Bergwand gegen den Triftgletscher abfiel, ein rasches Hinuntersteigen schlechterdings nicht gestattete, sondern einen beträchtlichen Zeitaufwand zum Einhauen von Stufen erfordert hätte. Und wie der Gletscher weiter unten beschaffen war, das verhinderte uns der Nebel zu schauen. Eben so vergeblich drangen wir über den Grat weiter vor und abwärts bis zum äussersten Rande, von welchem das Kammende des Triftstöckli in furchtbar steilen Felsabfällen, die sich, durch eine eisige Kehle getrennt, in zwei mächtige Felsenriffe spalten, nach jenem Gletscher abstürzt, den wir erfolglos zu überschreiten versucht hatten. Fast lothrecht hing dieser Felsabsturz vor unseren Augen und zwischen dem unteren Rande der Felsen und dem ebenen Gletscher dehnten sich noch jähe Halden von blankem Eise aus, deren Steilheit und Ausdehnung wir nicht ermessen konnten, trotzdem sich meine beiden Führer auf die äussersten Felsgesimse hinauswagten, um sich von der Möglichkeit oder Unmöglichkeit des Hinuntersteigens Gewissheit zu verschaffen. Also auch hier war uns der Ausweg versperrt, und wehe! der Abend dunkelte, wir sahen dem raschen Anbruch der Nacht entgegen.
Da macht« Peter zuerst den Vorschlag, wir sollten uns auf die Steine hinlegen und den Morgen erwarten. Das war nun freilich das Gescheidteste, was wir thun konnten, wenn wir unser Leben bewahren wollten; aber doch war der Gedanke für uns alle etwas unheimlich, hier in einer Höhe von wenigstens 9000 Fuss unter Gottes freiem Himmel, ohne Holz, ohne Decken, ohne warmes Getränke, auf hartem, vom Nebel befeuchteten Felsenlager eine liebe, lange Nacht durchzumachen. Vergebens sahen wir uns nach einer schützenden Balrn oder nach einem überhängenden Felsen um. Endlich fanden wir fast am obersten Rande des kahlen Absturzes ein kleines, zur Lagerstätte dienendes Plätzchen, das sich an ein aufrecht stehendes Felsenband lehnte und uns von dieser Seite Schutz vor dem Winde gewährte. Auf der äusseren, dem Abgrunde zugekehrten Seite wurde eine kleine Mauer aus Steinplatten hergestellt, um uns sowohl gegen das Herunterfallen als gegen den Windzug auch von dieser Seite so gut wie möglich zu sichern. Der Zwischenraum bot nothdürftig für zwei Mann Raum dar, der dritte musste sieh ein anderes Quartier aufsuchen.
Die Säcke wurden abgeprotzt. Speise hatten wir noch in minimem Quantum vorräthig, aber die Weinflaschen waren leer und ein Schluck Kirschgeist musste dem Durst abhelfen.
Die Nacht brach ein. Es war fast wohlthuend, als sie die trostlose Scenerie, die uns umgab, allmälig mit Finsterniss umhüllte. Starrte uns doch von allen Seiten in fast gespenstigen Formen nichts als kahles verwittertes Gestein an. Aus der grausen Tiefe schimmerte das Weiss der blanken Eisfelder noch einige Zeit lang zu uns empor. Der ganze übrige Horizont, Tiefen und Höhen, stack im dichten Nebel, der nicht schwinden wollte und der seinen feinen stechenden Thau auf uns träufeln liess.
Kein Ton unterbrach die nächtliche Stille.
Als das Lager bereitet, d.h. die Steine grösseren Kalibers entfernt und über Bord geschmissen waren, wickelte ich mich vom Kopf bis zu den Zehen in den wollenen Shawl meiner Frau, den ich statt eines englischen Plaids mit auf die Reise genommen hatte, zog meine wollene Kappe tief über das Gesicht herab und legte mich resignirt auf das feuchte harte Lager nieder, das wenigstens den Vorzug hatte, dass man die Beine, so lang sie waren, strecken konnte. Als Kopfkissen diente mir die Reisetasche, und so war ich bereit, den Gott des Schlafes in meinen Armen zu empfangen. Dicht an meiner Seite streckte sich der wackere Peter riieder. Er hatte sich das Nastuch um den Kopf geschnallt und benutzte gern noch einen Zipfel meines Shawls, um seiner kümmerlichen Bedeckung nachzuhelfen. In welches Loch sich Vater Weissenfluh hingelegt, ist mir verborgen geblieben. Er muss jedenfalls nicht viel von der inneren Erdwärme verspürt haben. Für den Schutz seines grauen Hauptes hatte er zwar gesorgt und dasselbe bis zu den Schultern hinab in den seines Inhalts entledigten Habersack gesteckt; allein Körper und Füsse scheinen dieser Wärme-Concentra-tion nicht theilhaftig gewesen zu sein, denn wir hörten ihn während der Nacht etliche Male in dem Gestein herumstolpern, um sich eine gesunde Bewegung zu geben. Doch so lange wir keinen Regen oder Schneefall hatten — und damit blieben wir, Gott sei Dank, verschont — war es mir nicht bang um diese berggewohnten, abgehärteten Männer. Es war auch nicht besonders kalt; dennoch hatte auch Peter an den Fussen von Kälte zu leiden.
Es mochte um Mitternacht sein, als die schweren unregelmässigen Tritte Weissenfluh's, der gerade seine nacht- Studer.
liehe Runde machte, mich aus einem leichten Schlummer aufweckten. Als ich aufblickte, war eine unvergleichlich schöne Scenerie vor mir und über mir entfaltet. Da strahlten die Sterne und leuchtete der silberhelle Mond über meinem Haupt am klaren, schwarzen Himmel. Der Nebel in den Höhen hatte sich weggezogen und füllte, vom Mondlicht wundersam beleuchtet, nur noch die schwindlichte Tiefe aus. Dort im Osten tauchte, den Fuss im Nebel verborgen, ein riesiges Gebilde von weissschimmernden Gletscherwänden, welche von schwarzen Felsgräten durchzogen waren, himmelhoch empor. Der scharfe Kamm gipfelte sich in schneeige Spitzen aus, die gleichsam die Brillanten bildeten, mit denen dieses Zaiibergemälde an das Firmament geheftet zu sein schien. Es war die mächtige Kette der Thierberge, die sich in dieser Pracht und Majestät vor uns entfaltet hatte. Allein wie ein Traumbild ging auch diese Scenerie vorüber. Wir sollten nur im Lichte der Mitternachtsonne einen Begriff von der Herrlichkeit dieser Gegend bekommen. Bald war die ganze wunderschöne Erscheinung verschwunden der Nebel stieg wieder empor und hüllte Alles in die frühere Dunkelheit ein. Die Phantasie von dem Gesehenen lebhaft erfüllt, drehte ich mich fast mechanisch auf die andere Seite und überliess es dieser Schöpferin alles Wunderbaren, die empfangenen Eindrücke in kunstreichen Traumbildern weiter zu spinnen.
Als der Morgen graute, rüsteten wir uns zum Abmarsch. Immer noch hielten dicht geballte Nebelmassen die höheren Gebirgspartien umlagert. Von dem herrlichen Bilde der Thierberge sah man auch nicht mehr die Spur. Jedoch waren die nächsten Umgebungen nebelfrei und über die Richtung des einzuschlagenden Weges blieb uns daher kein Zweifel.
Der letzte Schluck Kirschgeist, den noch mein Fläseh-chen enthielt, wurde mit Behagen ausgeschlürft, der letzte Bissen trockenes Brod verschlungen, ein letzter gedanken-voller Blick auf unsere kühle Herberge geworfen, dann wurden die Bergstöcke gefasst und die steifen Glieder in Bewegung gesetzt. Es war 4 Uhr, als wir abreisten. In der Tiefe lag noch Dunkelheit und um uns her graue Dämmerung. Kaum waren wir einige Schritte weit an den Felsen emporgeklettert, so bemerkten wir ein Schneehuhn, das sich auf unsere verlassene Lagerstätte setzte und verwundert den fremden ungewohnten Gästen nachblickte, die sich vielleicht in seiner Nähe gebettet hatten.
Unser Weg führte uns über den Grat empor gegen den nahen Felsgipfel des Triftstöckli, den wir aber auf der Westseite umgingen, um den Hochfirn zu betreten, der sich längs der felsigen Gipfelwand bis zu jener Einsattlung emporschwang, die sich in der südlichen Kammfortsetzung des Gipfels befindet. Der Firn war hart, aber Anfangs leicht zu begehen, bis die Abdachung gegen die Einsattlung zu steiler wurde und eine mächtige Kluft, die das zwischen Felsen eingeengte Firngehänge in der ganzen Breite durchzog, uns einige Schwierigkeiten darbot. Doch Peter, der jetzt wieder voranging und mit seinem Beilstock Tritte in das Eis hackte — denn hier kam nun glänzendes Eis zu Tage — schritt getrost vorwärts. Da wo die Ränder der Kluft an ihrem südlichen Ende sich der Felswand näherten, setzte sich zwar die Verklüftung dieser entlang fort und zwischen dem Kluftrande und dem Felsen blickte das Auge in eine gähnende Tiefe hinunter; allein Peter hatte eine Stelle erspäht, wo die Klaffung enger ward und wo er sich hin-überschwingen, die steile Wand an einigen vorstehenden Kanten erklimmen und auf einem Felsgesimse sicheren Stand fassen konnte.Von da aus warf er uns das Seil zu und mit dessen Hülfe konnten wir uns theils am Felsen, theils auf schmaler Firnkante durch die Firnkluft hindurcharbeiten, bis wir uns auf dem oberen Kluftrand befanden.
Vorsichtig wurden nun auf dem immer steiler werdenden Eisgehänge aufs neue Stufen gehauen und Angesichts der zu unserer Seite geöffneten Firnkluft in schiefer Richtung an dem blanken Gehänge bis zur Einsattlung emporgestiegen. Jetzt war das Schlimmste überstanden; denn wenn auch die Hoch-Urne, die jenseits gegen die ebeneren Thalmulden des Triftgletschers sich hinunterzogen, von mächtigen Schrunden durchklüftet waren, so bot sich doch dazwischen hinreichender sicherer Raum dar, um den gefährlichen Stellen auszuweichen.
Hier befanden wir uns auf dem Punkte, nach dem wir schon gestern unsere Richtung hätten nehmen sollen. Zu dem Ende hätten wir, statt in das Firn thal zwischen dem Uebergangs-Kamme und der Abzweigung des Triftstöckli herunterzusteigen, dasselbe seinem obersten Gehänge entlang in horizontaler Richtung umgehen müssen. Unfehlbar hätten wir auch diese schon von Herrn Hoffmann gewählte Richtung eingeschlagen, wenn der Nebel uns nicht jeden Ausblick geraubt und uns während einiger Zeit über unsere Situation vollständig getäuscht hätte.
Der Tag machte Miene, sich zum Schönen zu wenden. Der Himmel öffnete über uns sein dunkles Blau; die Sonne schien warm und lieblich. Allein, es war diesen scheinbar günstigen Zeichen nicht zu trauen. Der Föhn behauptete stets noeh die Oberhand und gab sich in dem schweren, dichten Gewölke kund, das die Kämme der Diechter Hörner und des Schneestocks umfangen hielt.
Wenige Schritte nördlich von uns culminirte die Fels- spitze des Triftstöckli, allein wir hatten jetzt ein anderes Ziel vor Augen, als dieselbe zu besuchen.
Wir banden uns an das Seil und steuerten vorsichtig dem Triftgletscher zu. Das östliche Gehänge, an dem wir niederstiegen, warbe-deutend weniger steil abgedacht und fast in seiner ganzen Ausdehnung mit einer blendenden Firndecke bekleidet. Einige Mühe machte es uns, die vielen Schrunde zu umgehen, die uns in den Weg traten, oder die tragfähigen Schneebrücken aufzufinden. Ungefähr da, wo von der entgegengesetzten Seite die versteckte Firnmulde, „ im Sack " geheissen, gegen die tiefer liegende Ebene des Triftgletschers ausmündet, betraten wir den letztern. Weiss schimmernd dehnte er sich in seiner ganzen wilden Pracht vor unseren Fussen aus. Aber wie ganz anders war er gestaltet, als zu derselbigen Zeit im verflossenen Jahr, als ich ihn in befreundeter Gesellschaft durchwandert hatte! Damals konnte man von der Clubhütte ans über die schönen Firnterrassen bis zur Triftlimmi leichten Fusses dahinschreiten, fast ohne eine Spalte anzutreffen, jetzt war der Firn ausgeabert, das Gletschereis trat meistens zu Tage und war von zahlreichen Spalten durchsetzt, die zwar in den ebenen Partien so schmal und unbedeutend waren, dass sie das rasche Vorrücken nicht hinderten.
Indem wir die Thalrichtung des Gletschers verfolgten, schimmerte uns bald aus geringer Entfernung die Clubhütte am Felsenborde des Thältistock » entgegen. Noch galt es über die rauhen Felstrümmer der Seitenmoräne dieses Bord zu erklimmen, und um 8 Uhr Morgens rückten wir nach einem vierstündigen Marsche in die lang ersehnte Clubhütte ein.
A. Hoffmann.
Vernehmen wir nun, welche Route Hr. A. Hoffmann von der Gelmer Alp aus weiter verfolgte. Er erzählt:
Steil aufwärts stiegen wir nach kurzer Rast in nordwestlicher Richtung gegen den Diechter Gletscher, zu un- serer Linken einen schönen Wasserfall, der in mächtigem Sturze über die glattgewaschenen Felsplatten hinunterstäubt. Um Vg!!2 Uhr hielten wir auf der Moräne oberhalb Mittel-Diechtern ( 2619 ) unser Mittagsmahl und langten um l/%3 Uhr nach anhaltendem, aber nicht mühsamem Steigen bei den Gwächten, zwischen Strahlhorn und Gwächtenhorn, auf dem Grate an, der in furchtbar jähem Abstürze den Diechter Gletscher von den felsigen Rippen des Kilchlistockes trennt.
Zur linken Hand tief unter uns lag das freundliche Dörflein Guttannen, gerade vor uns, trotzig und kühn in seinem schwärzlichen, ganz nackten Felsgewande, der finstere Kilchlistock; mit mächtigen Schneeschichten belastet erhob sich unmittelbar über uns das nur 3331 M. hohe Gwächtenhorn. Meine Hoffnung auf die Möglichkeit einer sofortigen Erklimmung des Kilchlistockes schwand allerdings beim Anblicke des Abgrundes, der uns von demselben trennte, doch konnten wir nun wenigstens dessen verwundbarste Seiten auskundschaften, was immerhin kein kleiner Vortheil war. „ Wo Felsen sind, da kommt man hinauf, " meinte Lauener, und hiermit hielt ich mich des Sieges gewiss.
Noch einen Blick warfen wir hinunter in das grausige Tobel von Guttannen, auf das Steinhaushorn uns gegenüber und nach den Walliser und Berner Bergen, verfolgten den Lauf der jungen Aare, grüssten den Brünig, den Brienzer See und die blauen Höhen des fernen Jura und stiegen dann langsam, frischen Gemsfährten folgend, über ein steiles Schneegehänge hinauf nach dem Gwächtenhorn, welches wir unweit des Gipfels auf dessen Nordseite überschritten,
G w ach ttn-L im m i.
während Hr. Studer den südlichen Uebergang wählte. Ich taufte desshalb unseren Pass: „ Gwächten-Limmi ".
Der häufigen Schrunde wegen, welche in allen Richtungen und von allen Dimensionen, zum Theil offen, zum Theil aber auch trügerisch unter dem frischen Schnee verborgen, den Gletscher durchschnitten, zogen wir uns erst in weitem Bogen rechts unter dem Gwächtenhorn durch und steuerten dann dem Triftstöckli zu. Erst jetzt, da mich mein Weg darüber führte, erkannte ich, wie mächtig dieser Seitenarm des Triftgletschers ist, welcher, durch das Triftstöckli verborgen, von unserer Clubhütte am Thältistocke kaum geahnt wird. Einige 30 oder 40'unter dem Gipfel wurde das Triftstöckli ( 3057 M. ) überschritten und in stark südöstlicher Abbiegung ebenfalls der Firnmulde „ im Sack ", nicht ohne durch Einbrechen in verborgene Spalten häufig aufgehalten zu werden, zugesteuert. Endlich erreichten wir ziemlich ermüdet vom langen Schneewaten Abends 6V4 Uhr unsere Clubhütte, herzlich begrüsst vom alten Papa Weissenfluh, der, an der Maasplanke mit „ Strahlen " beschäftigt, uns schon von Weitem auf dem Gletscher entdeckt hatte. Die Hütte fand ich in recht leidlichem Zustande, wenn auch die dünnen Bretterwände durch den Schnee etwas zerbogen und eingedrückt waren.
Der Abend am Gletscher war herrlich, die Luft äusserst mild, und ein wundervolles Alpenglühen übergoss die firnigen Häupter mit rosigem Lichte; zum zweiten Male verlebte ich da oben einige jener schönen Stunden, die mit unvergänglichen Zügen tief in das Gemüth des Naturfreundes eingegraben bleiben.
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