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Im Nebel

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Mit drohender Geschwindigkeit stiegen die Nebelschwaden aus der Tiefe den Eisbruch hinauf. Wie Rauch, von einem heftigen Wind getrieben, schnoben sie über Risse und Schrunde, nichts zurücklassend als eine bodenlose, graue Leere, und stürmten von allen Seiten zugleich auf den Gletscher ein, um ihn vollends zu verschlingen.

Nebel 1 — Was er für den Bergfahrer bedeutet, schienen auch die drei Männer zu wissen, die sich auf dem Abstieg vom Arbenhorn befanden und dem Arbenjoch zustrebten, denn sie hörten plötzlich auf zu gehen und betrachteten misstrauisch das heimtückische Gebaren des unliebsamen Gastes. Sie wollten auf das Obergabelhorn. Noch konnten sie über dem Horn die schweren, schwarzen Wolkenballen heranstossen sehen, aber bald würde auch diese letzte Sicht zu Ende sein. Sie wussten, der Nebel wird auch sie verschlingen, genau wie er die zwei andern Partien verschlungen hatte, die vor ihnen waren.

Das Wetter, das anfänglich schön zu werden versprach, hatte umgeschlagen und drohte, sie jetzt zu überraschen. Ein Ausdruck des Trotzes sprach aus den Zügen des vordersten Mannes, und sein Blick verfinsterte sich. Es war der Führer. Jetzt durften sie weder Zeit noch die Orientierung verlieren, sie mussten auf dem schnellsten Wege zur Mountethütte gelangen, sonst waren sie verloren. Wortlos gingen sie weiter. Der Wind brauste heftig über Gletscher und Grat hinweg und pfiff in den Schneebrillen.

Die drei sind jetzt im Nebel verschwunden. Und hätte das Seil sie nicht verbunden, würde jeder geglaubt haben, er sei allein. Nur das Knirschen der Schuhe im hartgefrorenen Schnee konnten sie noch hören. Und die andern zwei Partien, die Führerlosen? Werden sie sich zurechtfinden, die Hütte erreichen? Werden sie nicht, wenn sie auf den Gletscher kommen, im Kreise gehen, bis sie erschöpft sind, und dann erfrieren? Diese Fragen drängten sich in das Gehirn des Führers, während er gesenkten Hauptes Schritt für Schritt den Weg bahnte in das undurchsichtige Grau.

Jählings wurde er aus seinen Gedanken gerissen. Was war das? Hatte nicht jemand gerufen, ganz in der NäheEr hatte recht. Kaum ein paar Schritte vor ihm tauchten aus dem Nebel die Gestalten von sechs Männern auf. Sie wollten sich mit ihnen zusammentun, um mit vereinten Kräften gemeinsam den Weg zu finden. Sie hatten die Orientierung verloren. Ganz unmerklich hatte es zu schneien begonnen, und der Wind jagte immer wieder den Schnee in die Gesichter der Männer.

Grau, überall grau. Es war schon spät, und sie sahen nicht, dass aus dem Tal langsam ein Ungeheuer zu ihnen heraufkroch — die Nacht. Sollten sie auf den Durandgletscher absteigen, um nach Mountet zu gelangen, oder auf den Arbengletscher, um nach Schönbühl zurückzukehren, von wo sie gekommen waren? Sie entschieden sich für Mountet, und zwar auf dem kürzesten Wege — direkt vom Grat hinunter auf den Gletscher. Der Führer schritt voran, um einen geeigneten Abstieg zu suchen.

Langsam nur, unter Aufwendung der äussersten Vorsicht, kamen sie vorwärts. Zeitweise mussten sie wieder umkehren, um einen andern Ausweg zu suchen. Die Zeit verrann. Und plötzlich wurde ihnen klar, es war Nacht. Es schneite immer noch, stärker als vorher. Sie müssen den Morgen abwarten. Unmöglich, in der Nacht über den Absturz zu kommen.

Der Wind heulte und trieb ihnen eisige Kälte durch die Kleider. Werden sie diese Nacht des Grauens überlebenMit klammen Fingern holten sie ein wenig Speise aus dem Rucksack. Qualvoll langsam verrann die Zeit. Die Minuten wurden zu Stunden und die Stunden zu Tagen. Wird morgen der Nebel weg sein? Nur jetzt nicht einschlafen, wach bleiben! Wer jetzt die Augen schliesst, wird sie nie wieder öffnen. Lautlos fiel der Schnee zu Boden, als wollte er das Leichenlinnen über die neun Männer ausbreiten. Sie konnten es nicht sehen, es war zu finster.

Aber auch diese Nacht nahm ihr Ende, und als der Morgen graute, hockten die Männer immer noch am Absturz. Ab und zu regte sich einer, um sich vor dem Erfrieren zu schützen. Über und über mit Schnee bedeckt, die Augenbrauen vom Reif überzogen, stöhnten sie bei jeder Bewegung ihrer steifen Glieder.

Ringsum Nebel und Nebel wie am Tage vorher, auch schneite es immer noch. Sie versuchten abermals, über den Absturz hinunterzukommen. Es schien ihnen nicht zu gelingen. Nutzlos, bei diesem Mangel an jeglicher Sicht einen Abstieg zu suchen durch ein Labyrinth von unüberwindlichen Schwierigkeiten. Aus allen Ecken lauerte der Tod.

Sie kehrten um. Sie wollten zurück nach Schönbühl. Ermattet von der durchwachten Nacht und Müdigkeit in allen Knochen, schleppten sie sich schweigsam durch den Neuschnee. Stunden vergingen. Auch der Führer schien jetzt ratlos zu sein. Werden sie den Rückweg findenIhre Spuren waren zugeschneit. Was nützte der Kompass? Er hatte schon längst jeden Anhaltspunkt verloren. Man hätte vorher auf diese Schwierigkeiten bedacht sein sollen. So gut es ging, bahnten sie sich, bis an die Knie einsinkend, einen Weg durch den Schnee. Ihre Füsse spürten sie schon längst nicht mehr. Sie waren gefühllos, wie abgestorben. Unaufhörlich tanzten die weissen Flocken.

Plötzlich trat in die Augen des Führers ein kleiner Hoffnungsschimmer, er hatte etwas bemerkt. Aus dem Nebel tauchte eine riesige Wächte auf, die jeden Augenblick hinunterzustürzen drohte. Mein Gott, er wusste jetzt, wo sie waren. Sie befanden sich endlich wieder auf dem Grat, der von Osten nach Westen auf das Arbenhorn führt, von wo sie den Col Durand erreichen konnten, um von dort in die Schönbühlhütte zu gelangen. Er riss sich zusammen, und mit letzter Kraft hieb er die Wächte durch, um den Weg zu sichern. Schritt um Schritt erkämpfte er mühsam, immer wieder neue Wächten abschlagend, die lautlos in die Tiefe sanken. Und als die Nacht abermals ihre Fittiche über den Bergen ausbreitete, kämpften die Männer immer noch um ihr Leben. Nur langsam konnten sie sich fortbewegen, sie waren erschöpft. Eine zweite Nacht stund ihnen bevor. Qualen der Hölle werden sie zu ertragen haben.

Als der neue Tag anbrach, fiel kein Schnee mehr. Der Wind hatte sich gelegt, der Nebel brodelte durch Lücken und Scharten, strich über die senkrechten Wände hinauf in die Höhe. Schon konnte man Stücke des blauen Himmels sehen.

Es war am Nachmittag, die Sonne machte uns ordentlich schwitzen auf dem Weg zur Schönbühlhütte.Vom Tale herauf grüsste Zermatt im hellsten Sonnenschein. Was man unten erzählt hatte, war nicht gerade ermutigend für uns. Morgen wird eine Rettungskolonne auf die Hütte kommen, um von dort aus die Bergung von neun Mann zu versuchen, die seit drei Tagen vermisst werden und im Schneesturm erfroren sein sollen. Wahrlich, ein netter Auftakt zu unseren Ferien. Die Führerschaft zweifelte daran, sie noch lebend aufzufinden. Undenkbar, zwei Nächte im Schneesturm durchzuhalten. In trübe Gedanken versunken gingen wir weiter. Unfassbar, neun Mann hat der Moloch Berg wieder als Opfer gefordert. Vor meinem inneren Auge spielte sich eine schreckliche Tragödie ab, vielleicht anders, als sie in Wirklichkeit war. In vielen Serpentinen wand sich der Pfad aufwärts. Die Sonne strebte dem westlichen Horizonte zu, sank tiefer und tiefer. Bald darauf tauchte die Hütte auf, und eiligen Schrittes gingen wir auf sie zu, um uns der Ruhe zu ergeben. An der Hauswand neben der Türe lehnten einige Pickel. Wir waren also nicht allein.

Unter der Türe erschien der Hüttenwart. Er schien aufgeregt zu sein, denn eiligst lief er uns entgegen. « Gott sei Dank, dass jemand kommt, ich brauche dringend Hilfe.Vor einer halben Stunde sind sie angekommen, die Verlorenen. Ein trauriger Zug. Auf den Händen und Knien kamen sie gekrochen, zerfetzt, zerschunden, noch angeseilt. Sie schleppten einander nach, damit keiner verlorenginge. Jedenfalls sind ihre Füsse erfroren. » Die Worte sprudelten nur so aus dem Munde des Hüttenwarts, dann drehte er sich plötzlich um und rannte in die Hütte. Wir hinter ihm nach.

Da sassen sie nun, auf Bänken und Stühlen, teils vornübergeneigt, den Kopf auf der Tischplatte, teils an die Wand gelehnt, die Augen weit aufgerissen, den Mund offen, aus welchem Speichel über den Kiefer floss. Der ganze Raum war erfüllt von Wehklagen und Stöhnen. Der Führer schien arg mitgenommen zu sein, mehr als alle andern.

Während nun der Hüttenwart und seine Frau für die Turisten sorgten, machten wir uns sogleich an den Füssen des Führers zu schaffen. Sie waren dermassen angeschwollen, dass wir die Schuhe aufschneiden mussten, Militärschuhe, aber viel zu knapp, er trug nur ein Paar Socken. Zuweilen schrie er laut auf, als wir mit Schnee zu massieren begannen. Armer Kerl! Die Füsse wurden von Stunde zu Stunde schwärzer. Man wird sie amputieren müssen. Was dann? Die andern werden ein paar Zehen verlieren, sie hatten bessere Schuhe und trugen zwei Paar Socken. Der Hüttenwart schickte sogleich seine Frau ins Tal, um zu veranlassen, dass nur ein Teil der Rettungskolonne heraufkomme, dafür aber einige Maultiere mitbringe, um die Verunglückten auf dem schnellsten Weg hinunterschaffen zu können.

Die ganze Nacht hatten wir alle Hände voll zu tun. Erst als am andern Tage die Säumerkolonne zu Tal schritt, krochen wir unter die Wolldecken, todmüde, um zu vergessen.

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