Internationale Alpine Kunstausstellung in Budapest 1930
Ein Spaziergang von Hans Trilschel.
Der Ungarische Turistenverband hatte, durch die umsichtige Initiative von L. v. Romeiser angeregt und von Aladár Hensch — beide Mitglieder des S.A.C. eifrig unterstützt, gemeinsam mit dem Nemzeti Salon im Frühjahr 1930 eine gross angelegte alpine Bilderschau veranstaltet, für deren Durchführung und Erfolg ihnen der beste Dank gebührt. Zehn Nationen hatten durch 300 Künstler fast 1300 Bilder eingesandt und dadurch einen grossartigen Überblick über den gegenwärtigen Stand der alpinen Malerei ermöglicht. Budapest ist von jeher ein kunstfreudiger Boden gewesen, so dass es uns wohl auch nicht wundernehmen darf, dass gerade in dem an Bergen so überaus armen Ungarn eine alpine Kunstausstellung veranstaltet werden konnte. Zwei Dinge sind dafür in erster Linie massgebend gewesen: einmal die durch die grosse alpine Kunstausstellung 1927 in Wien gegebene Anregung und dann der Schmerz über die an die Tschechoslowakei verlorene Tatra.
So sind die Ungarn nun gezwungen, ausserhalb ihres Landes die Gebirgswelt aufzusuchen, und da richtet sich als natürlicher Gang ihr Weg in die Alpen. Begreiflicherweise ist Ungarn an alpinen Malern arm, doch sind immerhin einige gute Namen von Klang vorhanden. Da ist einmal vor allem Nandor Katona, welcher all sein Schaffen in eigener Hand behält, um es einmal geschlossen der ungarischen Nation zu hinterlassen. Wir finden darunter sehr schöne und überaus stimmungsvolle Bilder aus der Tatra. Sehr feine Stimmungsbilder bringt auch Josef Déry. Von Gustav Magyar war leider nur ein einziges Bild vertreten, an dem gar mancher Besucher achtlos vorübergegangen und das doch weit über den guten Durchschnitt aufragt. Oskar Glatz hat ein sehr gutes Bild aus dem Wallis, und es wäre zu wünschen, dass sich der Künstler mehr den Gebirgsmotiven zuwenden möchte. Sandor Szentgyörgyi bietet einige nette Blätter aus der Tatra, und da er eifriger Bergsteiger ist, lässt er noch manches Gute erwarten. Auch Robert Nadler und Elemer Köszeghy müssen lobend erwähnt werden.
Im Gegensatz zu Ungarn ist die Schweiz nach ihrer gesamten Fläche Alpenland, und so ist es ganz selbstverständlich, dass die erhabene Hochgebirgswelt das Schaffen der Schweizer Künstlerschaft sehr beeinflusst. Der deutsche Norden und welsche Süden zeigen grundverschiedene Auffassungen in der Kunst; während ersterer tiefgründig ernst die Bergwelt in ihrer trotzigen Urgewalt sieht und wiedergibt, ist der Süden heiter und farbenfroh, impressionistisch. An der Spitze der Schweizer Alpenmaler schreitet Hans Beat Wieland, und beim Betrachten seiner beiden Arbeiten bedauert man aufrichtig, dass er nicht mehr sandte. Sein Bild « Gotthardpasshöhe » zeigt herrliche Ausgeglichenheit, wir fühlen förmlich die feierliche Stille des Hochgebirges. Hans Maurus in Breitbrunn reiht sich würdig an, farbig wunderbar abgestimmt leuchtet sein Matterhorn vor einem tiefblauen Himmel über saftigen Almweiden. Wilhelm Schüle in Bern zeigt in seinen Blättern eine bis ins letzte Detail liebevoll eindringende Zeichenkunst. Martha Cunz in St. Gallen, breit und wuchtig in ihren Bildern, gut und harmonisch in ihrer Graphik, lässt noch manche schöne Arbeit erhoffen. Carl Egger in Basel war mit zwei Gemälden, « Wetterhorn » und « Gross Schreckhorn », gut vertreten. Max Brenner in Basel liebt das Unausgesprochene, Trübe in seinen Bildern. Waldemar Fink in Bern zeigt gute Anlagen, doch wäre ein tieferes Eindringen in die Materie zu wünschen. Hans Zeller in Wilen lässt ebenfalls in Zukunft noch manches erwarten. Während Berta Züricher in Bern wenig über den Durchschnitt Ragendes bietet, sind die Bilder von Ulrich Wilhelm Züricher in Sigriswil sehr gut in Stimmung und Farbe. Sein « Märjelensee » fesselt durch Licht und Technik. Zu empfehlen aber wäre ihm, von der Tier-malerei abzusehen und lieber beim rein Landschaftlichen zu bleiben. Von Oskar Weiss in Zürich gefallen die kleinen Winterbilder. Lobend zu erwähnen wären noch die Arbeiten von Hans Hartlieb in Zug, Giovanni Müller in Zürich, Hermann Wasmuth in Küssnacht, Viktor Surbek in Bern und Wilhelm Thaler in St. Gallen. Ewig unverstanden bleiben dürften die Arbeiten von Willi Wenk in Riehen. Nicht vergessen werden darf Heinrich Danioth in Altdorf mit seinen hypermodernen Bildern, die geradezu abschreckend wirken. Vielleicht wäre es interessant, von ihm zu erfahren, welcher Gedankengang seinem Bilde « Urschweiz » zugrunde liegt, von den Beschauern ergründete ihn keiner.
Die Südschweizer Künstler schwelgen in Licht und Farbenfeuer, doch vermochten sie damit die Ausstellungsbesucher nicht zu fesseln, weil die Arbeiten im allgemeinen unter dem gewohnten Durchschnitt liegen. Je breiter und moderner die Technik, desto tieferes Können ist erforderlich, und da scheint oft der gute Wille allein doch nicht zu genügen. Ferdinand Zai in Arosa dürfte wohl mit seinen hypermodernen Sachen nur einen sehr engen Kreis finden, dagegen darf man den Aquarellen von Alexandre Mairet in Genf die Anerkennung nicht versagen. François Gos in Genf hat der Ausstellung nicht sein Bestes gegeben, wir kennen aus verschiedenen recht wirkungsvollen Plakaten viel Besseres von seiner Hand. Auch A. Giugni-Polonia in Locarno verdient lobende Erwähnung.
In ähnlichem Fahrwasser wie die Südschweizer segeln die Franzosen. Armand Leleux in Paris ist ihr Führer, und sein « Boot am Alpensee » erregt durch die wunderbar feine Stimmung berechtigtes Aufsehen. Von ihm hätte man gerne mehr gesehen. L. F. Lachat in Châtillon-sous-Bagneux beherrscht die moderne breite Malweise und lässt noch manches erwarten, ebenso auch Bernard de Guinhald in Cagnes-sur-Mer. An diese reihen sich mit lobenswerten Arbeiten an: Edgar Bouillette in Chamonix, Albert Doran in Lyon, der für unsern Geschmack vielleicht etwas zu süss ist, Robert Hofer in Beifort, M. Lorain in Paris mit sehr guten Aquarellen und Augustin Rey in Paris. Was Louis Magnat in Moulins-Aix-en-Provence mit seinen extremen Märchen-bildern bezweckt, bleibt unergründlich.
Die Tschechoslowakei war wohl zahlenmässig nicht übermässig stark vertreten, doch zeigten die ausgestellten Arbeiten hohen Durchschnitt. Stanislaw Galek und Karol Ktosowski, beide in Zakopane, bringen sehr schöne und farbenfrohe Bilder aus der Tatra, auch Max Hanemann in Zakopane lässt in Zukunft gewiss noch Besseres und Reiferes erhoffen. Toni Schönecker in Falkenau an der Eger bringt einen sehr schön empfundenen « Weiblichen Halbakt im Hochgebirge » und einige recht beachtenswerte Pastellbilder.
Den Tschechoslowaken zunächst stehen die Polen, die aber durch Winifred Cooper in Warschau nur mittelmässig vertreten waren.
Italien, das klassische Land der Kunst, vermag in der alpinen Malerei nur einen bescheidenen Platz zu belegen. Carlo Sartorelli in Mailand zeigt recht hochstehende, farbenfrohe Bilder, ebenso Ulderico Giovacchini in Bozen, bei dem wir aber ein gründlicheres Durcharbeiten seiner Bilder erhoffen dürfen. Karl Pferschy in Bozen gibt beachtenswerte farbige Radierungen.
Zahlenmässig schwach waren England und Norwegen vertreten. Leonard Richmond in London findet in einem Pastellbild aus den Rocky Mountains eigenartige blaue Tönungen, die gut ansprechen. Gudmund Stenersen in Oslo vertritt als einziger Künstler die skandinavische Halbinsel und erringt mit seinen beiden Ölbildern achtenswerten Erfolg.
Das Hauptkontingent der Ausstellung bestritten Deutschösterreich und Deutschland. Sowohl an Zahl als auch nach Qualität standen sie an erster Stelle, was wohl auch nicht wunder nehmen darf, erstreckt doch die herrliche Alpenwelt ihre Ausläufer bis vor die Tore der Kunststädte München und Wien.
Nehmen wir Deutschland vorweg: Der Altmeister alpiner Malerei, Ernst Platz-München, war leider nur mit einem einzigen Bilde « Karwendel » erschienen, was überaus bedauerlich ist, denn gerade er hätte der Bergsteigerund der Künstlerschaft gar manches zu zeigen, was Anregung bietet. Otto Bauriedl, Robert Curry, Max Märtens, Lothar Meilinger und Rudolf Reschreiter, alle in München, gehören schon längst zur Avantgarde der alpinen Malerei, die eines separaten Hinweises nicht mehr bedarf. Harrison Compton in Feldafing ist der Sohn eines sehr grossen Vaters, dem das Nachstreben wohl arg schwer gemacht ist, der aber mit seinen Arbeiten vollen Erfolg erringt. Hans Herzing in Dresden bringt mehrere monumental aufgefasste Hochgebirgs-bilder, wie sein « Crest Agüzza » ( Bernina ). J. Muntalt-Paulcke in Karlsruhe verrät in seinen vorzüglichen Bildern sowohl den Geologen als auch den Forscher, und besonders seine Himalayabilder erzielten lebhaftes Interesse. Das Bild Hans Sengthalers in München « Salzburger Land » ist so duftig und klar, dass ihm ein Platz in einer hervorragenden Galerie gebührt. Elk Eber in München empfing uns gleich beim Haupteingang mit einem Kletterer, der sich zum Einstiege rüstet. Da ist jede Muskel der Wirklichkeit abgelauscht, das ist natürliches Leben, herausgeholt aus der toten Gebirgswelt. Otto Peter Gehrlein in München ist ein ganz Moderner, wie sein « Bergkreuz » zeigt, doch darf man ihm die Anerkennung nicht vorenthalten. August Herzog in München spachtelt erfolgreich, Otto Johne in Schwabmünchen zeigt einige sehr gute Winterbilder. Franz Murr in Reichenhall bringt einige sehr zarte Tierbilder, und Franz Wölfele in München malt besonders in der Beleuchtung schöne Bauernköpfe. In Aquarellen und Radierungen war die Auswahl auch bedeutend. Hervorragendes brachten: Lilli Gödl in München, Albrecht Kraus-kopf-Karlsruhe, Heinz Landgrebe-München, Corinne Sitte-Maquartstein und E. Tornquist-Eschenlohe. Die deutsche Kollektion bot, wie auch die österreichische, im grossen Durchschnitt alte Tradition. Leider konnte infolge des Platzmangels die Ausstellung nicht länderweise gruppiert werden, wodurch dies weniger auffallend geworden ist.
Noch stärker als Deutschland war wohl Deutschösterreich vertreten, das ja auch den grössten Anteil am Alpenland besitzt. Auch mag die 1927 in Wien veranstaltete alpine Kunstausstellung nicht ganz ohne anregenden Einfluss geblieben sein. Von den Wienern ist Hugo Hodiener heute der Stärkste. Dem « Frühling im Hochgebirge » gilt seine grosse Liebe, und der eben zu neuem Leben erwachte Almboden mit seinem vielfarbigen Grün, den firnglänzenden Fels- und Gletscherbergen gegenübergestellt, sind seine Motive. Die Stadt Budapest hat sein Hauptwerk erstanden und damit die höchste Anerkennung zum Ausdruck gebracht. Hodiener steht mit noch einigen anderen Bildern voll feinem Empfinden und hohem Können in bester Gesellschaft. Da ist Fritz Lach-Wien mit überaus feinen Zeichnungen und Bildern, Hans Figura-Wien nebst seinen bekannten und anerkannten farbigen Schnitten mit einigen farbfreudigen Ölbildern; Emil Beischläger-Wien mit breiter, etwas flauer Manier lässt für die Zukunft noch Gutes erhoffen, und Bruno Lauterbach-Wien wirkt durch seine exakte Eigenart. Von den mit guten Arbeiten vertretenen Wienern sind noch zu nennen: Franz Brazda, Paul Cibulka, Hermine Faulhammer, Ferdinand Kitt mit eigenen, vielleicht später einmal besser verstandenen Wegen, und andere. Die steirisch-kärntnerischen Künstler lehnen sich mehr an die Wiener an, während die Tiroler Maler ihre eigenen Wege gehen. Zu ersteren zählen wir Eduard Manhart in Ferlach, der die Schönheiten des Alpenlandes in Aquarellen einfängt, und Max Robathin in Graz, aus dessen Bildern ruhige Wirkung entströmt.
Unter den Tirolern führt diesmal Oskar Mulley in Kufstein mit einigen grossen, in breiter Spachteltechnik gemalten düsteren Gebirgsdörfern, die aber für den Bergsteiger immer etwas Unnatürliches, Erfundenes darstellen. In dieser Form begegnen sie uns wohl nie oder nur ganz ausnahmsweise auf unseren Wanderungen. Nichtsdestoweniger aber halten alle Mulleybilder Klasse. Infolge seiner Vielgestaltigkeit und monumentalen Kraft noch vor Mulley zu stellen ist Alfons Walde in Kitzbühel, der leider nur mit zwei, wenn auch sehr starken Bildern vertreten war. Wann werden einmal Streitigkeiten der Künstler untereinander aufhören, grosse Ausstellungen unangenehm zu beeinflussen? Es ist einfach undenkbar, bei einer grossen alpinen Kunstausstellung auf Alfons Walde zu verzichten. Andreas Einberger in Telfs brachte Figurales von Format und zwei grosse, wirkungsvolle Landschaften. Max Erler-Kitzbühel, Rolf Bakalla-Innsbruck und Max Poosch-Anii bei Salzburg zeigen aufrechtes Streben, dem die Anerkennung nicht versagt bleiben darf. In kurzem Abstande folgen Franz Gradl-Feldkirch, Edo Handel-Manzetti und Hugo Grimm in Innsbruck. Sidonius Schromm in Innsbruck wartete mit guten Aquarellen auf, und farbige Radierungen von grosser Zartheit brachte E. Lap-Innsbruck. Nicht unerwähnt bleiben darf Artur Nikodem in Innsbruck, der unter den Modernen wohl führt, dessen Wege aber z.B. im « Hahnenkamm » recht weit von der gebräuchlichen Strasse abweichen und deshalb wohl unverständlich bleiben.
Es ist unmöglich, diese grosse Ausstellung auf so beschränktem Raume einer erschöpfenden Würdigung zu unterziehen, und deshalb können vorstehende Betrachtungen nur Richtlinien im grossen geben. Ungeheuer war die Arbeit, um das Kunstschaffen fast eines ganzen Kontinentes zu einer geschlossenen Kunstschau zusammenzubringen, die schon nach wenigen Wochen wieder in alle Welt zerflatterte. 1927 hat Wien den Anfang gemacht, nun ist Budapest gefolgt, und beide Veranstaltungen haben den hohen ethischen Wert der Idee bewiesen, so dass zu hoffen ist, dass sich von Zeit zu Zeit immer wieder alpine Kunstausstellungen ermöglichen lassen und dass auch dieses Spezialgebiet der Malerei höchsten Zielen und höchster Vollendung zustrebt. Vielleicht aber liessen sich die grössten alpinen Vereine des Kontinentes dazu bestimmen, in ihrer Tätigkeit auch der alpinen Kunst jene Beachtung zuzuwenden, die ihr gebührt. In diesem Sinne möge also die bisher aufgewendete Mühe und Arbeit nicht vergeblich gewesen sein, möge es ein Saatgut vorstellen, das dereinst berufen ist, reiche Früchte zu tragen.