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Klettereien im Gebiet des Basodino

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Mit 4 Bildern ( 115-118 ) und 2 SkizzenVon wi|he|m vischer

( Basel ) Ein Blick in den Tessiner Klubführer zeigt, dass die Angaben in bezug auf gar manche Gräte und Zacken des obern Tessins noch recht mangelhaft sind. Auch seit Erscheinen der zweiten Auflage von 1931 sind trotz der Aufforderung, über jene Gebiete Mitteilungen einzusenden, nur wenige neue Beiträge veröffentlicht worden: Ernst Attinger, Die Alpen 12, 1936, S. 61; Max Baer, ebendort, S. 370; Hans Ritter, ebendort, S. 344. Ausserdem haben Dr. Carl Ed. Burckhardt, Mitglied der Sektion Basel, und Armin Günthert, A.A.C.B.asel, das Basodino- und Cristallinagebiet geologisch gründlich durchforscht und in allen Richtungen durchstreift, aber über ihre touristischen Erfolge nichts publiziert ( C. E. Burckhardt, Geologie und Pétrographie des Basodino-Gebietes, Diss. Basel, 1942; derselbe und A. Günthert, Geologische Karte des obern Val Bavona und des obern Val Peccia, 1937—1939, in op. cit. ). Doch haben die beiden Autoren uns für die vorliegenden Aufzeichnungen ihre Notizen freundlich zur Verfügung gestellt. Für Zahlen- und Ortsangaben vgl. Normalblatt 531 der neuen Landeskarte.

Die unvermeidlichen, für eine Woche berechneten Rucksäcke auf dem Rücken, stiegen wir, d.h. mein von mancher Jurakletterei erprobter Seilgefährte und Lehrmeister Kurt Fischbach und ich, am 11. Oktober 1946 zur Cristallinahütte empor, hoffend, einigen hübschen und nicht von vorneherein bekannten, touristisch und geographisch interessanten Problemen, auch wenn es sich nicht um Nordwände von Viertausendern handelte, zu begegnen. Als alleinige Bewohner des Raumes breiteten wir den Inhalt unserer « Turmhäuser » behaglich auf den Schäften der Cristallinahütte aus. « Wie haben Sie das alles heraufgebracht, warum haben Sie nicht den Drahtseillift benützt ?» fragte uns der am andern Abend eintreffende, freundliche Hüttenwart. Nun, wir haben zwar in Unkenntnis dieser Transportmöglichkeit, aber als ehrliche Berggänger die Hütte trotzdem, wenn auch unter Seufzern, erreicht und freuten uns am nächsten Abend an den Gesichtern eines in erbarmungswürdigem Zustande eingetroffenen « Er und Sie », dem wir dieselbe Frage stellten.

Campanile GalarescioP. Galarescio, 2728 m der Landeskarte ) Der gegenüber der Capanna Cristallina das Val Torta überragende Campanile GalarescioGalarescio Nordgipfel ) hat vor einigen Jahren einen Besuch über seinen Nordgrat ( E. Attinger ) erhalten. Von der leicht erreichbaren Bocchetta di Folcra oder Bassa di Folcra ( ohne Namen auf der Landeskarte ) reckt sich der Ostgrat, über den nähere Angaben fehlen, in elegantem Schwung empor. In etwa einstündiger, anregender Turnerei über zum Teil spitze Zacken und Grätchen gelangten wir ohne besondere Schwierigkeiten zum Gipfel. Ein Ausblick auf die Berner Alpen und nach Norden, wie er einem in solcher Klarheit nur an einem schönen Herbsttage zuteil wird, belohnte uns reichlich. Vom Gipfel aus folgten wir dem Südgrate zur Bocchetta Galarescio und erklommen, die schönen Gendarmen überkletternd, den eigentlichen Galarescio ( respektive Südgipfel des Klubführers ), ca. 2790 m nach Führer, 2768 m nach der Karte, über seinen Nordostgrat. Hier hört die Kletterei auf, und der Abstieg erfolgt über felsige Halden. Das Ganze bildet eine empfehlenswerte und nicht zu strenge Trainings tour.

Poncione Cavagnolo, 2821 m Vom Galarescio aus fällt im Westen der mit gewaltigen Zacken gen Himmel ragende Grat des Poncione Cavagnolo besonders auf. Bestiegen wird der Gipfel von Süden her. Die Begehung des Grates ist offenbar noch nicht gelungen. Den einzig bekannten Versuch schildert E. Attinger. Die sich scharf vom Horizont abhebenden Zähne versprechen eine schöne und ernsthafte Kletterei. Noch vor Tagesanbruch überschritten wir am 12. Oktober die Forcla di Cristallina, querten den Vallegiagletscher und standen bei Morgengrauen am Fusse der ziemlich steilen Südwand des sich von Westen nach Osten hinziehenden Grates des Poncione Cavagnolo. Eine Scharte, auf Abbildung 81 des Klubführers als « gangbarer Sattel » eingezeichnet, schien tatsächlich aus der Ferne leicht erreichbar. Wir zogen am Fusse der Felsen unsere Kletterschuhe an und machten uns an den kaum 100-120 m hohen Aufstieg. Obwohl zu Beginn nicht allzu steil, sind die Felsen doch nicht leicht; sie bestehen aus triadischem Marmor, dessen Körner aber abgerundet sind, bei Berührung sich in Sand auflösen und unter den Kletterschuhen einen ähnlichen Effekt wie ein feines Kugellager bewirken. Alle Höcker sind rundlich, fast grifflos, und glaubt man eine Unebenheit entdeckt zu haben, so verliert sie bei leisester Berührung ihren Zusammenhalt mit der Unterlage. Zudem wird der Hang nach oben steiler und steiler; senkrechte Stufen, sogar kleine Überhänge sperren den Weg, und Sicherungsmöglichkeit bietet sich fast keine. Mit Gleichgewichts- und Adhäsionskünsten gelingt es uns, in mehr als einer Stunde den Grat zu erreichen. Überreste einer Seilschlinge zeigen frühern menschlichen Besuch an. In diese Scharte waren offenbar Attinger und Kohler von Norden her gelangt. Es ging uns nun gleich wie ihnen: die gegen Norden überhängenden und gegen Osten senkrecht abfallenden Grattürme vermochten wir ebenso wenig zu erklimmen wie sie; auch Kletter-stifte hafteten in dem weichen Gestein nicht; dieses zerfiel vielmehr wie ein zwischen den Fingern zerbröckelnder Maggisuppenwürfel. Ein Versuch, den ersten Zacken auf der Nordseite zu umgehen und die Lücke zwischen ihm und dem folgenden durch ein Kamin zu erreichen, misslang aus denselben Gründen. So entschlossen wir uns zur Aufgabe unseres Vorhabens, dafür aber zur Begehung des Gratstückes bis zu einem markanten Ostgipfel. Zuerst über dasselbe schlechte, ockergelbe Gestein, zwischenhinein über senkrecht gestellten, blätterteigartig aufsplitternden Marmor, einige Zacken überkletternd und schliesslich über schwarzbraunen Bündner Schiefer, dessen etwas solidere Konsistenz sich im Vorhandensein von Felspflänzchen und Flechten kundgibt, gelangten wir zum Ostgipfel. Stolz, wenigstens einen bescheidenen Nebengipfel erobert zu haben, errichteten wir einen eines Viertausenders würdigen Steinmann. Wir seilten uns über den obern Teil der Wand ab und gelangten nach etwa 2% Stunden wieder zu unsern Schuhen und Säcken am Rande des Gletschers. Wie wir nachträglich erfuhren, haben unsere Klubgenossen C. Ed. Burckhardt und E. Socin 1937 wahrscheinlich dieselbe von uns von Süden her erstiegene Scharte, wie Attinger und Kohler, von Norden her erklommen und sich, ebenfalls vor den Gratzacken Halt machend, nach Süden abgeseilt; damals war die Rinne, die wir zum Aufstieg benützt haben, bis nahe der Scharte mit Firnschnee gefüllt, so dass nur etwa 15 Meter abgeseilt werden musste.Vielleicht hat sich seither auch das Niveau des Gletschers gesenkt. Jedenfalls kann von einem « gangbaren Übergang » von Süden nach Norden unter den heutigen Umständen nicht gesprochen werden; entweder muss sich ein solcher weiter östlich befinden, oder es handelt sich, was wahrscheinlich ist, um einen Irrtum des Clubführers 1.

Auf dem normalen Weg erreichten wir vom Passo Vallegia ( « westliche Variante » ) aus den Gipfel des Poncione Cavagnolo. Auch hier ist nachzutragen, dass der im Führer erwähnte, bisher unerstiegene Gipfelzacken von ca. 2 Meter Höhe nicht mehr existiert. Der ganze Grat, auch das von uns zum Ostgipfel begangene Teilstück, ist derart zerrissen, dass man von oben durch tiefe Spalten vielerorts auf die Nordseite hinuntersehen kann; ganze Teile scheinen wie Schneegwächten in der Luft zu hangen und drohen, jeden Augenblick abzustürzen. Auch C. E. Burckhardt und E. Socin notierten, den Gipfelblock schon 1937 vergeblich gesucht zu haben; er ist verschwunden.

Poncione di Vallegia ( 2872 m ) Vom Sattel aus führt uns der hübsche Nordgrat auf den Poncione Vallegia, und der von Attinger und Ambühl erstmals begangene Ostgrat wieder heim. Dieser Ostgrat verdient wirklich alles Lob, das ihm seine Erstbegeher gespendet haben. Schon vom Vallegia-Gletscher aus kann man feststellen, dass tief unter seinen Zacken die Sonne durch einzelne Löcher scheint, ein Zeichen, dass es sich um eine verhältnismässig dünne Mauer mit gewaltigen Zinnen handelt. Da man über burgruinenartige Türme und über tiefe Spalten zu klettern hat und die Gesamtneigung eine schwache ist, so ist die Traversierung wohl in beiden Richtungen gleich interessant und lohnenswert. Vor Erreichen der tiefsten Stelle seilten wir uns nach Süden ab und gelangten gerade noch vor völliger Finsternis zur Cristallinahütte. Am folgenden Tage wechselten wir nach Robiei.

Pizzo di San Giacomo ( 2924 m ) Den Nordwestpfeiler der ganzen Basodinogruppe bildet die markante Gestalt des Pizzo di San Giacomo. Vom zum Aufstieg einladenden Ostgrat sagt der Führer, er sei « scheinbar begehbar, doch jedenfalls viel exponierter » als die Flanke. Der anbrechende Tag des 15. Oktober fand uns auf dem Cavagnoligletscher. Die als Inseln ( « Nunatakker » ) herausragenden Felsen bestehen aus Konglomeratgneis und überraschten uns durch einen etwa 1 « Dr. C. E. Burckhardt, ein Berner Topograph und ich haben übereinstimmend auch an manchem andern Berg unrichtige, falsche und irreführende ( zum Teil geradezu gefährliche ) Angaben des Klubführers festgestellt. » A. Günthert in lit.

Die Alpen - 1947 - Les Alpes27 20 Meter langen Riss, der beidseitig mit mehreren Zentimeter langen, fast wasserklaren Bergkristallen übersät ist, ein seltener Anblick. Klubgenosse C. E. Burckhardt hat ein prächtiges « Handstück » von 80 kg Gewicht von solchem Konglomeratgneis ins Tal transportiert und den Basler mineralogischen Sammlungen geschenkt.

Am Fusse des Ostgrates zogen wir unsere Kletterschuhe an. Statt der erwarteten Schwierigkeiten trafen wir aber einen nicht besonders steilen, ziemlich unschwierigen Grat aus mässig solidem Gestein und erreichten in etwa einer halben Stunde den Gipfel. Auch Dr. C. E. Burckhardt hat diesen Grat in den Jahren 1937-1941 mehrfach ungefähr mit demselben Zeitaufwand begangen, und während der Grenzbesetzung wird dieser Aussichtspunkt par excellence und Wächter über dem kasernenbesetzten Passo di San Giacomo gewiss über die verschiedensten Pfade erreicht worden sein. Auch der Pizzo di San Giacomo fällt gegen Norden, wie der Poncione Cavagnolo, sehr steil ab, und die Wand ist mehrfach gespalten; neue Abbruchstellen lassen sich erkennen. Es ist also sehr wohl möglich, dass der Grat sich in den letzten Jahren stark verändert hat. Darauf deutet auch der Befund von F. Baer hin, dass der Aufstieg über die Südwand, im Gegensatz zu den Angaben des Klubführers, sehr einfach ist. Wir stiegen über den von Baer ebenfalls als leicht geschilderten Westgrat ohne Schwierigkeiten und ohne jegliches Seilmanöver in kurzer Zeit ab.

Ein schöner Rundgang über die aussichtsreichen westlichen Gipfel des Cavagnoligletschers, das Marchhorn und die Fiorina mit ihrem feinziselierten Grat bietet reichen Genuss. Auf letzterer entdeckten wir einen neuen Fundort der sonst seltenen Alpengrasnelke, Armeria alpina. Über den Lago dei Matorgni erreichten wir die Alp Randinascia. Hier fühlen wir uns um Jahrtausende zurückversetzt. Ein richtiger « Abri sous roche », ein ohne Mörtel aufgeschichtetes Gemäuer, umfasst Schlaf- und Kochstelle und einfachstes Mobiliar aus roh behauenem Holz; das Dach wird von einem riesigen Felsblock gebildet; die Stätte dient während der Sommermonate den Hirten als Wohnung. Prof. Ludwig Rütimeyer erwähnt in seiner « Urethnographie der Schweiz », 1924, Seite 315, ähnliche « Abris sous roche » aus dem Val Bavona, hat jedoch selbst nur als Speicher, aber keine als wirkliche Wohnungen dienende gesehen.

Der Vater des genannten Autors, Mitbegründer und Obmann unserer Sektion Basel, der bekannte Zoologe Prof. Ludwig Rütimeyer, hatte schon im ersten Bande des Jahrbuches 1864 ( Kleine Schriften, Bd. I, Seite 233 ) geschrieben: « So betritt unser Fuss in Wirklichkeit bei unsern Alpenwanderungen den Schauplatz des Lebens früherer Generationen, die in den Ebenen längst unter dem Gerolle der Gegenwart, das auch uns aufnehmen wird, begraben liegen; ja, man darf sagen, dass wir in um so tiefere Schichten der Vergangenheit dringen, je höher wir uns nach den Zinnen dieser Zufluchtsstätte schwindender Schöpfung erheben. » So wie auf der Alp Randinascia haben bereits in der altern Steinzeit die Menschen gehaust, und ehrfurchtsvoll standen wir an dieser Stätte, wo Tradition und Brauchtum während Jahrzehntausenden sich lebendig erhalten haben.

KLETTEREIEN IM GEBIET DES BASODINO Nachdem wir bis jetzt die Einsamkeit und Urtümlichkeit der Gebirgswelt zu geniessen die Freude hatten, wurden wir nach unserer Rückkehr in der Robieihütte von einer Damengesellschaft überrascht, deren Unterhaltung uns an einen vom Walliser Luchs überfallenen Gänsestall erinnerte. « Glauben Sie, dass man jetzt leicht auf den Basodino gelangt, auch wenn man keine Ossasco 1 Campanile Galarescio 2 Galarescio 3 Cima di Lago 4 Forcia di Cristallina 5 Poncione di Vallegia 6 Poncione Cavagnolo Ostgipfel 7 Poncione Cavagnolo Hauptgipfel 8 Pizzo dei Cavagnoli Legende zum Kärtchen:

9 Pizzo di San Giacomo 10 Marchhorn 11 La Fiorina 12 Pizzo dei Matorgni 13 Medone dell'Arzo Hauptgipfel 14 Medone dell' Arzo Ostgipfel 15 Saslini 16 Lago Bianco 17 Lago dei Matorgni 18 Kastelhorn 19 Pizzo di Cavergno 20 Pizzo del Pulpito 21 Bocchetta di Sarodano 22 Pizzo di Castello 23 Alp Randinascia KLETTEREIEN IM GEBIET DES BASODINO Abb. 2. « Abri sous roche », Alp Randinascia bei Robiei richtig genagelten Schuhe hat? Wissen Sie, wo man hier Seil und Pickel entleihen kann? Sind Sie nicht der Professor, welcher letztes Jahr einen Vortrag in R. gehalten hat? Ich war nämlich auch dort. Dürfen wir Ihre Lampe wegnehmen? » etc. Solche und ähnliche Bemerkungen am laufenden Band veranlassten uns, zwar in aller Höflichkeit den Damen den Rat zu geben, sich selbst eine Lampe anzuzünden und unsere Pickel und unsern Seilvorrat, soweit wir ihn am folgenden Tag nicht benötigten, diskret zu verstauen.

Poncione di Braga, 2864 m Auch schwere Rucksäcke haben einen Boden, und so mussten wir am folgenden Tag, 16. Oktober, nach San Carlo absteigen. Wir wählten den Umweg über den Poncione di Braga. Noch vor Morgengrauen stiegen wir über die Alp Lielpe gegen den Westgrat empor, der diesen Eckpfeiler des Cristallinamassivs gegen das obere Val Bavona verankert und als weit vorspringende Kante stützt. Über Schutt- und Schneehalden nach rechts Höhe gewinnend, erreichten wir den von allen gegenüberliegenden Gipfeln aus markanten Grat unterhalb eines Steilaufschwunges oberhalb Punkt 2309. Ein herrlicher Tiefblick ins zu unsern Füssen eingeschnittene Tal und den Boden von Campo di Val Bavona öffnet sich, und wir geniessen diesen Blick während des ganzen folgenden Anstieges. In der Literatur fanden wir nichts über den Westgrat; auch die scheinbar noch von keinem Fuss berührten Felsflechten aus der Gattung Gyrophora zeugten für jedenfalls sehr seltenen Besuch, nahmen aber mit ihren scharfen, eingetrockneten Rändern unsere Finger stark mit. Der aus verschiedenen Gneisarten bestehende Fels ist herrlich solide und schön geschichtet. Die gegen Südwesten emporragenden Schichtköpfe bilden, wenn auch gerade an der Kante über dem Abgrund, vortreffliche Griffe, während gegen Nordosten steile Platten, wenn auch weniger exponiert, nur wenig einladend sind. Sogar kleinere Überhänge lassen sich dank der vortrefflichen Solidität leicht erklimmen Waren die Felsen am Morgen grimmig kalt, so erwärmten sie sich in der Sonne und machten die Kletterei zum ungetrübten Genuss. Über viele kleinere Steilstufen, zahlreiche Gendarmen, die mit flacheren Schultern abwechseln, kletterten wir während zweieinhalb Stunden empor. Geradezu grossartig ist die letzte Partie über der mit Runsen und zackigen Gräten durchrissenen, ins Tal stürzenden Westflanke. Der Hauptgipfel, der leicht von Osten erreichbar ist, aber doch zuletzt noch eine kleine Turnerei erfordert, hat offenbar während des Krieges als Beobachterposten gedient, denn er zeigt Spuren zahlreichen Besuches. Die herrliche Aussicht lohnt einen solchen auch über die einfachem Anstiegsrouten; aber der Westgrat darf unumwunden als eine landschaftlich ebenso schöne wie für den Kletterer interessante und wegen der vorzüglichen Felsbeschaffenheit sichere Tour empfohlen werden.

Laut brieflicher Mitteilung haben Dr. H. Gysin, S.A.C. Basel, und A. Günthert, von Robiei her am 5. September 1937 dieselbe Tour über den Westgrat ausgeführt; von frühern Begehungen ist uns nichts bekannt, und eine Anfrage an die Sektion Leventina blieb erfolglos.

Nach wohlverdienter Siesta in der wärmenden Sonne verliessen wir den Gipfel über den Südgrat. Im untern Teile seilten wir uns über eine Steilstufe ab; der Blick von unten zeigte uns aber, dass einem Aufstiege, dank der griffigen Schichtköpfe, keine besondern Schwierigkeiten entgegenstehen. Den Pizzo del Pulpito * wegen vorgerückter Stunde rechts liegen lassend, erreichten wir den tiefsten Punkt der Bocchetta di Sarodano, 2435 m, seilten uns, um Zeit zu gewinnen, gegen die seit Jahren verlassene Alp Severina ab und stolperten auf einem äusserst steilen, echten « Tessiner Pfade » nach San Carlo di Val Bavona hinunter. Der klare Herbsthimmel, die golden leuchtenden Lärchen, der im Dunst blau schimmernde Talgrund und der blendendweisse Basodinogletscher hoch darüber bildeten ein unvergleichlich schönes Bild. Bedenkt man, dass der « Pfad » auf eine Horizontaldistanz von etwa 2,5 km 1500 Meter überwindet, so kann man sich, besonders wenn man die steinige Beschaffenheit in Betracht zieht, leicht eine Idee von der Wirkung auf die Knie machen. Bei sommerlicher Nachmittagssonne dürfte der Anstieg manchen Schweißstropfen kosten. So waren wir nicht allzu sehr enttäuscht und des Entschlusses, noch am selben Abend zur Robieihütte emporzusteigen, zu unserer Erleichterung enthoben, als wir erfuhren, dass eines unserer Proviantpakete erst am folgenden Morgen eintreffen sollte. Zwar war das Ristorante bereits geschlossen; doch fanden wir bei einer wackern Tessiner Familie gastfreie Unterkunft. Die nahrhafte Bewirtung mit Kaffee, Milch und Käse und die Freundlichkeit der Bewohner halfen uns, die Härte des Lagers, das aus 1 « 1937 traversierte ich allein den Pizzo del Pulpito von Norden ( Punkt 2439 ) nach Süden bis Punkt 2435; den Gipfel erreichte ich über zwei Gendarmen; es war eine fröhliche, stellenweise kitzlige Turnerei; der Blick vom Gipfel ins Val Bavona ist schauderhaft und bodenlos; der Fels besteht zum grössten Teil aus kletterfesten Gneise n. » Mitteilung von A. Günthert.

KLETTEREIEN IM GEBIET DES BASODINO einem mit dürrem Laub ( aber nicht ganz ) gefüllten Sacke bestand, zu überleben. Doch gehört die Primitivität der Einrichtung ebensogut zum Charakter des Tessins wie seine Berge, Täler, Seen, Weine und freundlichen Bewohner.

Medone dell'Arzo, 2769,8 m Aus der Gegend der Alp Lielpe sowie wiederum beim Aufstieg von San Carlo zur Robieihütte zieht den Blick des Wanderers unwillkürlich der zackige, gegen den Himmel ragende Grat des Medone dell' Arzo auf sich. Auch über diesen so auffallenden Grat finden sich keine Angaben in der Literatur. Vom Cavagnoligletscher her ist freilich der Gipfel ohne Schwierigkeiten direkt zu erreichen.

Am Morgen des 17. Oktobers standen wir auf den Saslini, am Ostfusse des Grates. Aber ach, die schönen Felszähne erwiesen sich als aus demselben groben, schlechten Marmor bestehend wie diejenigen des Poncione Cavagnolo. Griffe bieten sich keine, und sobald der Fels gefasst wird, zerbröckelt er zu Pulver. So mussten wir die Traversierung vernünftigerweise ebenfalls aufgeben und gelangten auf dem bekannten Wege über den Gletscher auf den aus etwas besserem Gestein bestehenden Gipfel.

Pizzo dei Matorgni ( 2904 m ) Vom Gipfel des Medone dell' Arzo aus bietet sich ein neues, wirklich verlockendes Problem, der unmittelbar im Westen über einer Scharte in herrlichem Schwünge aufschiessende Ostgrat des Pizzo dei Matorgni ( auf der Landeskarte ohne Namen ). Auch über diesen Grat schweigt sich der Klubführer aus; der Gipfel kann leicht von der andern Seite über den Gletscher erreicht werden. Tatsächlich hält dieser Grat, was er verspricht; steil, luftig, aber gut geschichtet führt er auf reelle und solide Weise zum Gipfel, links, gegen Süden, in gewaltigen Plattenschüssen in die Tiefe stürzend, rechts in respektabler Höhe über den Cavagnoligletscher emporragend. Mit Erreichen des Gipfels waren die Probleme, die wir uns gestellt hatten, mit mehr oder weniger Erfolg gelöst, und die Lücken, die uns im Klubführer aufgefallen waren, wenigstens so weit es uns in der zur Verfügung stehenden Zeit möglich war, ausgefüllt. Dr. C. E. Burckhardt hat, wie er uns später mitteilte, als Alleingänger auch diesen Grat 1937 wohl als Erster bezwungen.

Die klare Herbstfernsicht und die Nebeldecke, die am Morgen das Val Bavona zugedeckt hatte und sich unter den Strahlen der Sonne langsam erhob und auflöste, liessen uns den Tag als besonders schön erscheinen. Noch harrte unser aber ein kleines Problem mehr geographischer Natur, der Abstieg durch das Cavagnolitälchen nach dem Lago Bianco. Zwar findet sich auf dem topographischen Atlas ein Fussweg durch einen ziemlich breiten Talboden eingezeichnet; jedoch hatte der Blick von unten Zweifel an dessen Vorhandensein erweckt, und ein Grenzwächter hatte uns am Abend zuvor geäussert, die Route sei vielleicht überhaupt nicht passierbar. Sie war zwar möglich, führte aber durch eine enge, mit Lawinenschnee gefüllte Schlucht, teils unter, teils über Schneebrücken und steile Felsen, jedenfalls nicht durch ein bequemes Tälchen mit Pfad, wie nach Karte und Führer zu schliessen wäre. Die neue, seither erschienene Landeskarte stellt die Verhältnisse richtig dar.

Basodino ( 3272,6 m ) Noch immer war uns der Wettergott hold, und so konnten wir den Hauptgipfel des ganzen Gebietes, den Basodino, der uns auf allen unsern Streifzügen seit Tagen entgegengeleuchtet hatte, gewissermassen noch in elfter Stunde ersteigen. Zwar hätte uns die Traversierung über das Kastelhorn gelockt; doch war die Jahreszeit doch zu weit vorgeschritten; auch so kostete der Anstieg auf dem klaren, herbstlichen Eise manche Stufe.

Noch war die Aussicht vom Gipfel ungetrübt; aber schon während des Abstieges hüllte sich das Haupt in dichte Wolken, und am Abend setzten um die gastliche Robieihütte als willkommener Ferienabschluss Schneetreiben und Regen ein. Über die mit einer weissen Hülle bedeckte und in Nebel verhüllte Forcla di Cristallina erreichten wir am Sonntagabend Airolo, reich beglückt über so viele Schönheiten, die uns dieses leicht erreichbare und doch so unbekannte Gebiet offenbart hat. Die Lücken des Klubführers hatten uns gewissermassen zu den Sensationen einer Forschungsreise in unbekannte Gebiete verholfen. Möge darum eine Neuauflage, worin, wie z.B. im Engelhornführer, mit eines akademischen Alpenklubs würdiger, wirklich wissenschaftlicher Genauigkeit für manche Routen sozusagen jeder Griff beschrieben und der Bergsteiger vor jeglicher Überraschung bewahrt wird, noch recht lange auf sich warten lassen!

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