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Klettern in Korsika

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

Von Charlotte von Salis

( Bern ) Wie leicht wird man heute in die ungewöhnlichsten Abenteuer verwickelt! Es braucht nur eine Anmeldung, und schon reitet man auf einem Kamel durch die Wüste, man besucht Albert Schweitzer in Lambarene, steht staunend auf dem Empire-State-Building oder taucht ins Nachtleben von Paris. Ich entschloss mich zum Klettern in Korsika. Und schon wurde für mich organisiert. Ich hatte keine Karten und Fahrpläne zu studieren, ich brauchte keine Tages-programme und Menupläne aufzustellen, keine Proviantmengen und Reisekosten auszurechnen. Hunderte von Entschlüssen wurden für mich gefasst. Ich hatte nur mit den vorgeschriebenen Zutaten wie Zelt, Schlafsack, Kletterausrüstung und Begeisterung pünktlich auf dem Bahnhof zu sein. Und dann reiste man mich. Beinahe hätte man mich auch geklettert - aber ganz so weit liess ich mir das Vergnügen nicht nehmen.

Der Anmarsch Goethe sagt: « Man reist ja nicht, um anzukommen! » Aber in einem überfüllten Simplon-express reist man, um anzukommen. Man freut sich selbstverständlich an der Südrampe, am ersten italienischen Wein in Domodossola, an der Domspitze in Mailand, an den Reisfeldern und ihren hübschen Bebauerinnen in der Ebene. Man freut sich, dass es gegen Genua wieder hügelig wird, und geniesst die Ausblicke aufs Meer. Aber man freut sich vor allem in Livorno, endlich die fahrende Sauna verlassen zu können!

Livorno - ein kurzer Aufenthalt, Zeit für Spaghetti, einen Bummel zum Hafen und zu einem süssparfümierten Eis vor einem Hafen-Café. Und dann brachten die Selbstlosen den bummelnden Geniessern das ganze Gepäck per Taxi nach. Das Expeditionsmaterial wurde auf das Schiff geladen, und mein Pickel durfte auf dem Mittelmeer schwimmen. Wir installierten uns in unseren Schlafsäcken in Deckstühlen, um der dumpfen Kabinenluft zu entfliehen. Und reisten mit Goethe, von jetzt an. Diese Mondnacht auf dem Meer hätte länger dauern dürfen! Ab und zu zwang man sich, halb aufzuwachen, um blinzelnd zu konstatieren, dass die Lichter von Livorno langsam verschwanden, dass der Mond höher stieg. In der Morgendämmerung glitten violett die Felsen von Elba und Capraio vorbei. Dann ging die Sonne auf, wie sie nur am Meer oder im Hochgebirge aufgehen kann. Und die Berge von Korsika kamen näher. Als wir in Bastia landeten, schien die Sonne schon recht heiss.

Leider blieb uns nicht viel Zeit, Bastia zu betrachten und eine erste Fühlung mit den Korsen zu nehmen. Wir wurden in einen Autobus gepackt und rasten über die Strasse. Zuerst durch die fruchtbare Ebene von Biguglia, angeschwemmtes, den Bergen vorgelagertes Land. Dann bogen wir westlich hinein in die Berge, immer dem kristallklaren Fluss Golo folgend, hinauf nach Calacuccia, wo wir um die Mittagszeit ankamen.

Hier begannen die Schwierigkeiten. Hier begannen wir wieder Persönlichkeiten, ha, Pioniere zu sein. Dank den nicht vorhandenen, bestellten Eseln. Niemand zeigte viel Lust, an einem brütend heissen Nachmittag, an einem Sonntag und dazu einem Wahlsonntag ( mir war es vergönnt, hier zum erstenmal Frauen an der Urne zu sehen ) unser Material ins Val Viro hinaufzusäumen. Wir zeigten ebensowenig Lust, zum Rucksack noch das Zelt und Proviant zu schleppen, und so gab sich jeder Mühe, Esel aufzutreiben. Schliesslich fanden sich zwei Maultiere und ein Treiber. Wir liessen die städtische Eleganz in einem Hotelzimmer, und um 2 Uhr setzte sich die leichtbekleidete, doch schwerbepackte Kolonne in Bewegung. Im letzten Dorf lein, Calasimo, war eine Erfrischung dringend nötig und fand sich auch in einer kleinen Bar. Bei welcher Gelegenheit der Sindaco pro forma um die Erlaubnis gebeten wurde, auf dem Boden seiner Gemeinde kampieren zu dürfen. Dann verliessen wir mit den letzten Häusern auch die Edelkastanien, Korkeichen, Oliven- und Feigenbäume, die uns vom Meer bis hierher begleitet hatten. Und wir begaben uns ins Maquis.

Zeltplatz Grotte des Anges Man kann sich keinen idealeren Platz für ein Basislager ( diese Bezeichnung gehört sich doch bei so einer Expedition ) vorstellen als die Engelsgrotte im Val Viro. 1300 m über Meer, in einem wildromantischen Bergkessel gelegen, ist sie von Calacuccia in dreieinhalbstündigem Aufstieg zu erreichen. Die Grotte wird von drei riesigen Felsblöcken gebildet und ergibt einen herrlichen, vor Regen und Sonne geschützten Küchenplatz. Das Terrain davor bietet genügend ebene Flecken zum Aufstellen von Zelten. Dazwischen blühen gelbe Büsche und wiegt sich roter Fingerhut. Holz liefert der nahe Hochgebirgswald, ein Wald, der uns alle faszinierte. Seine phantastisch grossen Fichten werden uralt, weil niemand sie schlägt ( da keine Strasse für den Holztransport vorhanden ist ). Wenn die Bäume sterben, dann bleiben sie noch lange stehen und strecken ihre dürren Arme gespenstisch gegen den Himmel, bis ein Sturm sie fällt. Dann liegen die Riesenleiber silbern schimmernd auf dem roten Waldboden und verfaulen schliesslich.

Wasser ist im wilden Bergbach leicht zu holen. Badewannen sind hier zwischen den Felsblöcken, die der Bach umspült, genügend vorhanden. Etwas kalt ist zwar das Wasser, doch scheint die Sonne ja eher heiss in Korsika.

Fliegen und Mücken plagten uns nicht, die Schlangen machten sich davon, wenn sie uns begegneten, und die Eidechsen hielten gute Nachbarschaft. Tau fiel keiner, Regen auch nicht, und jede Nacht stand der Mond am Himmel. Wie bestellt.

Schneerutschen in Korsika Nicht ungestraft reist man mit dem SAC - man war gekommen, um zu klettern. Das Kampieren war nur Begleiterscheinung. Wir beschlossen, zuerst den Paglia Orba ( 2562 m ) zu besteigen, den markantesten Gipfel des Kessels. Der Aufbruch wurde auf 6 Uhr festgesetzt. Drei Kameraden blieben, um die Zelte gegen die korsischen « Banditen » und die Geissen zu verteidigen, und so waren wir 13, die auszogen. Etwas oberhalb des Lagers überquerten wir auf einem Baumstamm den Bach und stiegen durch den Märchenwald auf. Diesen verlassend, hielten wir uns weiter durch felsiges Gebiet an die südliche Berglehne und kamen, in die Westflanke drehend, durch ein Schneefeld auf den Schneesattel südlich des Gipfels. Erst hier bekamen wir richtig Korsikagranit in die Finger. Es war eine steile Stufe zu überwinden und, o Freude, es war niemand da, der uns das Rezept angeben konnte. Eine Traverse nach rechts, zwei kleinere Kamine, ein luftiges Grätlein - schon standen wir auf dem Bergrücken, auf welchem wir nordwärts auf den Gipfel bummeln konnten. Der erste Korsika-Gipfel! Nah sahen wir in die Flanken des Ucello und hinüber zum Cinto. In der Ferne, fast im tiefblauen Dunst verloren, das Meer. Darüber wölbte sich heiss der südliche Himmel. Ja, heiss war es, und unterdessen Mittag geworden. Wieder zurück bei den Säcken im Schneesattel, wurde eifrigst Schnee-Ovomaltine fabriziert. Und dem saftigen Speck gönnten wir weder Blick noch Gedanken - nur Durst. Aber da war ja der Schnee, nicht nur zur Kühlung, sondern auch zum erleichterten Abstieg ins Tal. Wer hätte solch herrliches Schneerutschen in Korsika erahnen können! Unter zwei Malen konnten wir auf vergnügliche Art abfahren. Dafür kamen wir unten in einen Kessel, in welchem die Mittagshitze fast unerträglich wurde. Die Lehre des Tages: früher aufstehen.

Klettern in der Macchia Napoleon Schloss auf St. Helena einmal die Augen und sog die Luft ein. « Korsika », sagte der grösste Mann, den die Insel geboren hat, « würde ich immer an seinem Duft erkennen. Auch ohne Augen. » Und wir, die wir in Korsika kletterten, würden es an seinen Dornen erkennen, ohne Augen und ohne Nase. Denn die Macchia, das Gestrüpp, das einen grossen Teil der Insel überzieht, hat nicht nur einen betörenden Duft, es hat auch Dornen. Griff man halt-Die Alpen - 1954 - Les Alpes6 suchend in die Stauden - hatte man die Hand voller Stacheln. Hinsetzen durfte man sich nur nach sorgfältiger Rekognoszierung. Entdeckte man beim Klettern einen guten Griff - hatte man auch schon Dornen in den Fingerspitzen. Eine Hauptbeschäftigung beim Rasten war jeweilen das Ausziehen der winzigen Dornen.

Dornig waren besonders die Cinque Frati, eine Kette von fünf Zähnen, deren Überschreitung wir uns als zweite Tour ausgesucht hatten. Wir waren diesmal mit der Sonne am Einstieg. Und die Sonne verliess uns nicht mehr. Sie begleitete uns auf all den hübschen Traversen, den Gräten, über Platten und durch Rinnen. Sie war mit dabei auf den Gipfeln und verliess uns nicht beim Abseilen. Über den heissen Fels huschten Eidechsen davon. Wir huschten nicht mehr. Obschon eigentlich nicht schwierig, hat 's uns der Grat doch gegeben. Nicht alle Seilschaften bestiegen alle fünf Brüder. Einige liessen drei fünfe sein. Der Abstieg, weglos durch Gestein und Macchia, immer in der brütenden Sonne, wurde zur Qual. Mit ausgebrannten Kehlen stolperten wir abwärts, es gab da kein Abrutschen, keinen Schnee. Beinahe unerträglich: ein Bachbett ohne Wasser, die kleine Bar von Calasimo tief unten und nicht an unserm Weg! Dank einem Bad in einem nicht ganz ungetrübt sauberen Tümpel brachten wir es schliesslich doch noch zum Lager. Also: noch früher aufstehen!

Fischen mit der Axt Die Folge war für die meisten ein Ruhetag. Einige Unentwegte bestiegen zwar, um 1 Uhr auf brechend, den Monte Cinto. Wir andern trieben uns faulenzend im Lager herum. Und wir fischten. Wie damals Dällenbach: mit einer Axt! Wir hatten es zwar an einem Abend auf eine andere, moderne und nicht ganz einwandfreie Art versucht. Doch irgendwie funktionierte die Sache nicht. Und dann kamen unsere Nachbarn, die Hirten, mit einem kleinen Rütlein und zogen eine Forelle nach der anderen heraus. So ergab sich die Sache. Wir tauschten die Fische ein gegen eine Axt. Später dann noch ein Beil gegen den Abtransport unserer Zelte. Wir hielten gute Freundschaft mit den Hirten, die anspruchslos in ihren Steinhöhlen hausen und ein Leben führen wie die Hirten der Antike. Sie kamen und brachten Schafmilch und Schafzieger. Und wir gaben ihnen, was sie brauchen und wir entbehren konnten. Und wir führten lange Gespräche. Dann verschwanden sie wieder im Hochwald zwischen den roten Felsen, selber wie Bäume und Steine.

Zu unserer Iet7ten Tour, der Besteigung des höchsten Berges von Korsika, des Monte Cinto, 2710 m, krochen wir um Mitternacht aus den Zelten. Eine Gruppe versuchte es an diesem Tag mit dem Capo Tafonato. Nach langer, interessanter Kletterei standen sie auf einem Gipfel - und entdeckten das berühmte Fenster des Tafonato an einem andern Berg. Auch wir irrten uns in der Dunkelheit um ein Tal und standen plötzlich auf dem Monte Falò. Um zum Monte Cinto zu gelangen, mussten wir durch ein sehr steiles Schneecouloir zum gefrorenen Cintosee absteigen. Dadurch wurde der Monte Cinto interessanter, und die Variante hat uns, trotz der den sieben Aufstiegsstunden angehängten halben Stunde, nicht gereut.

Eine herrliche Stunde, die wir auf dem Gipfel des Cinto verbrachten! Wie verschwenderisch hat die Natur Korsika gegeben! Die Berge sind wild zerklüftet, ihre Schneefelder zeichnen sich hart vom roten Felsen ab. In der Ferne werden die Ketten der Vorberge milder in Form und Farbe. Und greifen als Kape ins Meer. Wie Tierrücken. Die Farbe des Meeres ist traumhaft und süss und steht in seltsamem Gegensatz zur Herbheit der Berge.Voll Geheimnis ist diese Insel, kaum mehr in Europa, beinahe in Afrika.

Man hat keine Zeit mehr, heute. Man muss weiter, auch wenn man so gerne bleiben möchte. Der Monte Cinto war unser letzter Gipfel in Korsika.

Die Heimreise Wieder wurden wir in einen Autobus gepackt. Der Chauffeur glich Harry Baur und hatte die gleiche heisere Stimme. Er fuhr wie ein Wahnsinniger. Durch üppigen Wald ging 's hinauf auf den Col de Vergio und dann steil und in vielen, in rasendem Tempo genommenen Kurven hinunter an die Westküste. Zur Erholung von der wilden Fahrt stürzten wir uns ins Meer. Dann hatten wir die Calanches zu besichtigen, jene roten Felsen mit bizarren Formen und unzähligen Höhlen, die einmal tief im Meere lagen und durch irgendwelches Geschehen an die Sonne gehoben wurden. Eine vorsintflutliche Landschaft. Die Fahrt ging weiter, immer der Westküste entlang, südwärts. Oft war man hoch über dem Meer, dann berührte man es wieder beinahe. Bald entfernte sich die Strasse vom Meer und führte durch einsame, meist unbebaute Landschaft, bald folgte sie jeder Biegung der Küste. Gegen Abend erreichten wir Ajaccio, die Hauptstadt der Insel und Geburtsstadt Napoleons. Quer durch die Insel zurück nach Bastia ging 's am andern Tag, und schon flogen wir über der Ebene von Biguglia, über Bastia, über dem Cap Corse und dann über dem Meer - vorbei. Nein, vorbei ist es nicht. Das Erlebnis Korsika wird bei uns bleiben. Ich glaube, es ist keiner von uns, der sich nicht damals im Flugzeug, als das Cap Corse unter uns zurückglitt, versprochen hat, wieder zu kommen.

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