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Lago Castel dell' Alpi : ein neuer Bergsee im Nordapennin

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ein neuer Bergsee im Nordapennin

Mit 3 Bildern ( 135—137Von Karl Suter

( Zürich ) Ein Erdschlipf grossartigen Ausmasses hat sich in den ersten Monaten des Jahres 1951 bei Castel dell' Alpi ( Kirche in 737 m ü. M. ) ereignet, einem kleinen Dorfe, das ungefähr 35 km südlich von Bologna und 5,5 km südwestlich der Ortschaft Monghidoro ( 841 m ) liegt, links im Tale der Savena. An dem nach Osten schauenden Berghang des Monte dei Cucchi ( 1140 m; Blatt Monghidoro 1: 25 000 des Istituto geografico militare ), ungefähr 450 m über dem Talboden und 50-100 m unterhalb des Kammes, geriet nach tagelangen heftigen Regen eine mehrere Meter mächtige Sandsteinschicht mitsamt dem bis 40 cm tiefen humosen Boden und allem, was sich darauf befand, wie Buchen- und Kastanienbeständen, Wies- und Ackerland und einigen zerstreut liegenden Bauernhäusern, in langsame Bewegung. Grosse Mengen Regenwasser waren in Klüften und Rissen in den Boden eingedrungen und hatten diesen und seine Felsunterlage derart durchnässt und schwer gemacht, dass sie beide auf dem durchschnittlich um 14 Grad geneigten Hang ins Gleiten kamen. Wo sich eine kleine Terrasse, Gehängeleiste oder niedrige Anhöhe dem Fliessen entgegenstellte, wurde dieses Hindernis unter dem wachsenden Druck der nachdrängenden Gesteinsmassen spielend überwunden. Diese sind aber nicht als Ganzes zu Tal gefahren, sondern haben sich bloss um einen gewissen Betrag, vielleicht um 100-200 m — am einen Ort mehr, am andern weniger — rutschend und fliessend versetzt. Sie bedecken, zum Teil noch von Bäumen und Sträuchern und von Wiesen und Äckern bestanden, immer noch den Hang, und neben nackten Flächen sieht man grüne Flecken, die von weitem den Eindruck erwecken, als seien sie stets an der heutigen Stelle gewesen. Die Gesteinsmassen sind von unzähligen tiefen und breiten Rissen durchsetzt, die teils in der Fliessrichtung verlaufen und teils quer dazu und das Gelände in eine Unmenge chaotisch angehäufter Schollen und Blöcke zerlegen. Im oberen Abschnitt der Gleitbahn, unterhalb des 4-10 m hohen Abrisskragens, war es den Bauern auf dem zerhackten Ackerboden noch möglich, anfangs August 1951 das Getreide mit Handsicheln zu schneiden, wenn auch unter grossen Schwierigkeiten und bei grossen Verlusten im Ertrage. Sie luden die Garben auf Holzschlitten und liessen diese durch ein Ochsengespann nach einem ausserhalb des Rutschgebietes gelegenen Weiler führen. Das war nun wohl auf Jahre hinaus auf diesem Gelände der letzte Schnitt. Es ist nicht anzunehmen, dass sich diese Spalten bald schliessen werden; es besteht vielmehr die Gefahr, dass sich in dieser 1000-1500 m breiten und von der Abrißstelle bis zum Talgrund 1750 m langen zerrissenen Zone nach neuen heftigen Regengüssen wieder Erdschlipfe ereignen könnten.

An gewissen Stellen wurden, wie bereits erwähnt, grössere Bodenflächen als geschlossenes Ganzes ein Stück weit versetzt. Das war namentlich dort der Fall, wo die Bewegung an einem Hangabschnitt mit ausgeglichenem Gefälle erfolgte. An andern Stellen indessen wurde die Gesteinsschicht zu 2-12 m hohen Schuttwülsten zusammengepresst, die quer zur Fliessrichtung des Erdschlipfs dahinziehen und dort, wo mehrere nebeneinander liegen, den Hang in seiner ganzen Breite bedecken. Die Wulstbildung kam hauptsächlich da zustande, wo das Gelände eine Terrasse oder gar einen kleinen Gegenhang aufwies. Besonders viele Schuttwälle, oft drei oder vier dicht hintereinander, treten im Abrissgebiet auf. Was auf der gleitenden Gesteinsmasse stand oder lag, sei es eine Baumgruppe, ein Haus, eine Strasse oder eine Strassenmauer, wurde in die allgemeine Bewegung miteinbezogen, dabei häufig von unten her in die Höhe gedrückt und ging so gewöhnlich zugrunde. Der Erdschlipf floss in der Mitte der Bahn am schnellsten. Der ganze Hang sieht mit seinen Stufen und Gesimsen getreppt aus.

Die Bodenwülste verlaufen oft bogenförmig, wobei sie die konvexe Seite talwärts kehren und so bergwärts eine kleine Mulde umschliessen. Sie gleichen dann in Form, Grösse und Anordnung kleinen, nicht mehr ganz frischen Endmoränenwällen. Hat sich in ihrer Mulde gar Wasser angesammelt, so macht die entstandene Wasserfläche den Eindruck eines Endmoränenseeleins. Zur Zeit meines kurzen Besuches im August 1951 bestanden noch neun derartige kleine Seen, die sich unregelmässig über den ganzen Abhang verteilten; ihrer drei aber lagen nahe beieinander im Abrissgebiet und waren mit ihren bemerkenswerten Schuttwülsten zusammen in Aussehen und Grösse einer kleinen Endmoränenlandschaft, wie sie etwa in den einst vergletscherten Tälern des Nordapennins auftritt, zum Verwechseln ähnlich. Zwei Seelein, die sich unweit der Kirche in einer Hohlform des nackten, steilen Gehänges gebildet hatten, erinnerten sogar an Karseelein. Die grössten Wasserflächen waren 100 m lang, 50 m breit und bis 5 m tief. Die Wülste glichen, wie einige Aufschlüsse deutlich zeigten, auch in ihrem inneren Aufbau wirklichen Moränen, lagen doch grössere und kleinere Steine wirr durcheinander inmitten feineren Schuttes. Sogar ausgezeichnet gekritztes und poliertes Geschiebe, das seine besonderen Merkmale durch die während des Gleitens aufgetretene innere Reibung erhielt, konnte ich auffinden. Pseudoglazialen Charakter weist das Erdschlipfgebiet wohlverstanden nur in gewissen Einzelheiten und kleineren Abschnitten auf, nicht aber in seinem gesamten Aspekte.

Im unteren Teil des Berghanges gingen die Fliessmassen ganz hart neben der Kirche vorbei, die auf einer kleinen Anhöhe, 50 m über dem Talboden, thront. Sie glitten ins Tal hinein und dämmten es ab; auch wurde nach Aussagen der Bewohner der Talboden von unten her zu einem mächtigen Wulst emporgepresst, der mithalf, die Savena zu stauen. Es entstand so ein 1200 m langer und bis 300 m breiter und 26 m tiefer See. Noch ragen aus ihm in Ufernähe die Kronen einiger Bäume und im oberen Teil auch die Dächer von wenigen Häusern. Das Wasser dieses Talsees fliesst in einem kleinen Bach ab. Im Gegensatz zu einem Bergsturz brandete bei diesem Ereignis kein Gesteinsschutt auf die Gegenseite des Tales.

Castel dell' Alpi stellt ein bedeutendes Erdschlipfgebiet dar mit ausgezeichnet sichtbarer Abrißstelle und Gleitbahn. Seine Bildung erstreckte sich über viele Wochen, wobei jeder Tag wichtige Veränderungen mit sich brachte. Oft gab es für die Bewohner Augenblicke höchster Spannung, so etwa dann, wenn ein ganzer Baumbestand oder gar ein Haus von der Bewegung erfasst wurde. 23 Familien mussten ihr Heim nach und nach verlassen, weil es im Bereiche des Erdschlipfs, der sogenannten Frana, lag und mit vorauszusehender Gewissheit ein Opfer dieser Katastrophe wurde. Doch hatten sie genügend Zeit, den Hausrat in sicheren Gewahrsam zu bringen. Der italienische Ausdruck Frana ist schon seit langem ganz allgemein in die wissenschaftliche Literatur eingegangen, haben doch diese Naturereignisse in den aus Sandstein und Ton bestehenden Gebieten Italiens eine sehr weite Verbreitung und grosse Bedeutung. Die Strasse, die nach dem nahen Bergdorf San Benedetto im Val di Sambro geht, wurde auf eine Strecke von ungefähr einem Kilometer vollständig weggerissen. Auch das Schulhaus fiel dem Erdschlipf zum Opfer. Eines Nachmittags brach es, nachdem es am Morgen des gleichen Tages noch völlig intakt war, zusammen. Fast ununterbrochen war während Wochen, wie mir die Leute erzählten, ein seltsames Krachen und Tosen, Rauschen und Knistern, bald stärker, bald schwächer werdend, zu vernehmen. Als die Schuttmassen den Boden des engen Bergtales erreicht hatten — es war dies Ende März —, kam der ganze Vorgang zum Stillstand.

Schon früher haben sich an ungefähr der gleichen Stelle Erdschlipfe ereignet, erstmals, wie R. Almagia in seinem 1907 und 1910 erschienenen zweibändigen Werke « Studi geografici sulle frane in Italia » auf Seite 155 des ersten Bandes berichtet, in der Nacht vom 9. auf den 10. Januar 1870. Auch diese Frana riss eine grosse Anzahl Bäume und mehrere Häuser mit sich fort und richtete im Tal der Savena einen ungefähr 30 m hohen Schuttwall auf, der den Fluss zu einem 1 km langen und 30 m tiefen See aufstaute. In den folgenden Jahren schrumpfte der Stausee infolge der Erosionsarbeit der Savena, die den stauenden Riegel durchsägte, aber auch infolge ihrer Geschiebeablagerung und jener der kleinen Bäche, die zum See niederstiegen, stark zusammen und verschwand allmählich. Ein zweiter, kleinerer Bergschlipf ging an der nämlichen Stelle am 18. März 1890 nieder und führte, wie mir die älteren Dorfbewohner erzählten, von neuem zur Bildung eines Sees, der längere Zeit bestehen blieb. Auf Grund des bedeutenden Ausmasses, das die Schuttbedeckung im Tale bei der Katastrophe des Jahres 1951 annahm, lässt sich für den neuen See eine lange Lebensdauer prophezeien.

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