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Mein Nachbar, der Eiger - oder - Vorwand für ein Plädoyer

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Vorwand für ein Plädoyer

VON WALTER SCHMID, BERN

Miti Bild ( 72 ) Seit sechzehn Jahren stehe ich mit dem Eiger auf dem Fuss gutnachbarlicher Bekanntschaft. Im Panorama meines Hauses belegt er fast die Hälfte des Horizontes. Jahrelang habe ich ihm den Respekt entgegengebracht, auf den ein so berühmter Berg wohl Anspruch erheben darf. Mit der Zeit ist dieser Respekt etwas verblasst, weil ich das Gefühl bekam, mit meinem Hausberg allmählich auf du und du zu stehen.

Im dreizehnten Sommer unserer Nachbarschaft habe ich ihn bestiegen. Fast bestiegen, um bei der Wahrheit zu bleiben. Natürlich war es nicht der erste Versuch, dem Koloss von Grindelwald die Reverenz zu erweisen. Es ist aber ziemlich sicher der letzte. Dass ich schon am Tage nach unserer Begegnung schnurstracks ins Wallis fuhr und bei Steinböcken, Murmeltieren und in alpinen Wirtschäftchen Trost suchte, dürfte den Kummer verraten, den mir mein Hausberg bereitet hat. Vom Du auf Du konnte jedenfalls lange Zeit keine Rede mehr sein. Selbst das schönste Alpenglühen, das er zu produzieren vermag, machte keinen Eindruck mehr bei mir. Und das will viel heissen; denn ich gehöre zu den Altmodischen, die das Alpenglühen mehr ergreift als die weiche Landung einer Mondrakete.

Unser Abmarsch hatte eine 24stündige Verzögerung erfahren, da das meteorologische Bulletin das Heranrücken eines Regengebietes verkündete. Gutgläubig, wie man gegenüber der Wissenschaft zu sein pflegt, blieben wir brav zu Hause und warteten auf zuversichtlicheren Bescheid. Das Wetter machte dann allerdings den Herren in Zürich einen Strich durch ihre Weisheit: Ein makelloser Sommertag verhöhnte den Regen, der mahnend prophezeit, aber nicht abgehalten wurde. Man schliesse aus dieser kritischen Bemerkung bitte nicht, dass ich mich bemühe, den Meteorologen eines auszuwischen. Nichts liegt mir ferner als das, weder jetzt noch im späteren Verlauf dieses Berichtes. Die Meteorologie ist eine sehr interessante Wissenschaft, leider hat sie aber wie die Sache, um die es geht, mehr Schatten als Sonne. Jeder Fehler, den die Meteorologen machen, bemerken alsbald Hunderttausende, Millionen von Menschen. Treffen sie ins Schwarze, so ist das für uns alle selbstverständlich, d.h. wir registrieren die Übereinstimmung des Wetters mit der Prognose gar nicht. Gerät ihre Prognose aber daneben, sind die Hunderttausende, die Millionen entrüstet. Es geht ein grosses Schimpfen durchs ganze Land.

An dem erwähnten strahlenden Augusttag haben wir uns also auf den Weg gemacht. In meiner Begleitung befanden sich mein Grindelwalder Bergführer Adolf Rubi und sein Sohn Toni. Der Eiger gehört zu den wenigen grossen Bergen, die ihren Besuchern keinen oder nur einen kurzen An- marsch zumuten. Wer's ganz bequem haben will, kann unter Beanspruchung der Wengernalp- und der Jungfraubahn sitzenderweise bis an die Schwelle des Nachtquartiers vorrücken. Auch die Nächtigung und die Kost weichen, wie der Anmarsch, vom Komfort ab, der uns im allgemeinen am Vorabend einer grossen Tour erwartet.

Punkt 3 Uhr brechen wir von Eigergletscher auf. Dass wir die Nordwand links liegen lassen, versteht sich wohl von selbst. Es ist warm, viel zu warm, wie wir übereinstimmend feststellen. Je mehr die Nacht der Dämmerung weicht, um so besser erkennt man die Laune des Tages. Wahrhaftig, der glanzvolle Sonntag ist in einen morosen Montag übergegangen. Trotzdem, man wäre ein grosser Pessimist, ein Hasenfuss, wenn man das Wetter als schlecht bezeichnen würde. Hoch am Himmel hängt eine blau und grau gestrichene Federdecke. Darunter zeichnet sich bleiern, aber in gestochener Klarheit das Relief der Berge und Täler ab, von den nahen Gipfeln in der Richtung auf Mürren und das Simmental bis weit hinunter ins welsche Land. Alles in allem ein Tag, der kein makelloser, wahrscheinlich aber auch nicht ein bösartiger zu werden verspricht. Hinter dem wilden Gemäuer des Rotstockes steigen wir unbeschwert bergan. Gelegentlich ist eine Wegspur erkennbar. Ein Schneehang, hart wie Eis, leitet zu den steileren Partien hinauf. Über loses Gestein, über Platten und Felsabsätze gewinnt man rasch an Höhe. Bei der Beschaffenheit der Flanke ist es verwunderlich, dass keine Steine kommen. Ein kleiner Felsabsatz bringt zum erstenmal auch den oberen Teil der Muskulatur in Bewegung. Dann steuern wir den Grat zur Linken an. « Mir wei eis guggen, was sie in dr Nordwand machen », meint Adolf. Seit gestern sind zwei Japaner und zwei Spanier drin. Oberhalb des « Känzeli » legen wir uns auf die Bäuche, mit dem Kopf über dem Abgrund, an den die Wand stösst. Wir sind auf der Höhe des Oberen Eisfeldes. Von den Spaniern und den Japanern keine Spur. Unser Johlen bleibt ohne Antwort. Offensichtlich sind sie noch nicht so hoch wie wir und zu nahe am Westgrat, als dass wir sie sehen könnten. Wir folgen dem Grat bis zu der Stelle, wo er sich aufbäumt und man wieder in die Westwand hinein muss.

Was uns der Eiger bis jetzt geboten hat, ist wenig. Die Offenbarung seiner Wand, der gleichermassen berühmtesten und berüchtigtsten der Alpen, entschädigt nun aber für vieles, was die Besteigung an Interessantem und Vergnüglichem dem Bergsteiger vorenthält. Die alpine Natur leistet sich hier etwas vom Wildesten und Trostlosesten. Vielleicht ist die dumpfe Stimmung des Tages an diesem düsteren Bild mitschuldig. « Bügeleisen », « Rampe » und « Götterquergang », diese bedeutungsvollen Stationen der Nordwand, sehen wir nun einmal nicht aus der Froschperspektive, sondern in unmittelbarer Nähe, nebenan. Sind die Menschen, so fragt man sich, die sich in diese Wildnis wagen und sie dank ihres Könnens und ihres Mutes überwinden, sind diese Bergsteiger wirklich Hasardeure, verantwortungslose Draufgänger? Die Eigerwand ist, wenn in ihr etwas vorgeht, zu einem dankbaren Thema der Presse geworden, vor allem dann, wenn in der Welt sonst nichts Sensationelles los ist. Auch in den Fauteuils und an den Biertischen wird sie bei solchen Gelegenheiten zu einem beliebten rhetorischen Zeitvertreib, wobei die Sachlichkeit gleichermassen an der Oberfläche haftet, wie die Kompetenz zu wünschen übriglässt. Viele verdammen etwas, weil sie zu oberflächlich oder zu spiessbürgerlich sind oder weil sie nicht genügend Mut besitzen, um im Gegensatz zur Allgemeinheit für das Aussergewöhnliche einzustehen. Gewiss, die Begehung der berühmten Wand hat mit dem Bergsteigen im herkömmlichen und landläufigen Sinn nicht viel zu tun. Sie hat, wie kaum eine zweite Tour, ihre ganz besonderen, für die Allgemeinheit problematischen Aspekte.

Es war und es ist auch heute noch für jeden zünftigen Bergsteiger verständlich, dass es Männer geben musste, die dem Oberländer Gipfel den Ruf der Unbegehbarkeit seiner gewaltigen Nordwand entreissen wollten. Wieweit dabei der Ehrgeiz im Spiele war, ist von untergeordneter Bedeutung. Bei vielen, wahrscheinlich bei den meisten grossen Erstbesteigungen, ist eine Dosis gesunden Ehr- geizes die Triebfeder gewesen. Ohne Ehrgeiz wäre das Matterhorn, wäre vor allem der Everest unbestiegen geblieben. Die Sehnsucht nach dem Abenteuer, nach einem Stück Erde, das anders ist als das, was wir kennen, die wahre, nicht die gaffende Neugier, das Unbekannte zu enthüllen, sind positive Kräfte der menschlichen Natur. Sie sind in ihrem Ursprung nicht zu trennen von der Leidenschaft und der Neugier der Forscher und Erfinder, ohne die es keinen Fortschritt gibt. Auch die Würze der Gefahr und das mutige Verlangen, sie zu überwinden, hat den Menschen schon immer zu Taten gedrängt, die jenseits des Verständnisses der Masse liegen. Ohne sie hätte es keinen Kolumbus, keinen Livingstone, keinen Grafen Zeppelin und keinen Fleming gegeben.

Der bekannte Bergsteiger und hervorragende alpine Schriftsteller Guido Rey hat gesagt, das Bergsteigen habe seinen Stil wie die Baukunst, die Dichtkunst und die Musik. Man wird die Aussage des Italieners so auslegen müssen, dass das Bergsteigen wie die Kunst Wandlungen unterworfen sei. Sowenig wir eine neue Kunstströmung ablehnen dürfen, nur weil sie mit dem Herkömmlichen bricht, so töricht ist es, neue Wege im Alpinismus deshalb rundweg abzulehnen, weil sie unserer Auffassung und unseren Vorstellungen nicht mehr entsprechen. Seit der goldenen Zeit des Alpinismus hat jede Generation ihren Teil zur Mutation des Bergsteigens beigetragen, die eine mehr, die andere weniger.

Diese Wandlung hat aber nicht so sehr die grundsätzlichen Elemente des Bergsteigens als vielmehr seine Formen verändert. Dass die sportliche Komponente von Generation zu Generation Aufwertungen erfahren hat, kann weder bestritten noch als Dekadenzerscheinung bezeichnet werden. Wir müssen in die Zeit von Gottlieb Studer zurückgehen, um auf eine alpine Ära zu stossen, der jeder sportliche Aspekt gefehlt hat. Schon bei Whymper und Mummery, erst recht bei Purtscheller und später bei W. Young sind sportliche Neigungen deutlich erkennbar. Erst die nachfolgende Generation machte es aber klar, dass das Wachstum dieser Komponente primär nicht von den Menschen gezüchtet, sondern vielmehr im Zuge einer Entwicklung an sie herangekommen ist. Es gehört zu den guten menschlichen Eigenschaften, nicht auf dem Gestrigen zu beharren, sondern vorwärtszuschreiten, Neues zu entdecken und scheinbar Unmögliches möglich zu machen. Wenn dem nicht so wäre, müsste der Alpinismus schon vor fünfzig Jahren zum Stillstand gekommen sein, es wären viele kleine und mittlere Gipfel - zum Beispiel in den Dolomiten und in den Aiguilles -überhaupt nie bestiegen worden, von der Erschliessung des Himalaya gar nicht zu reden. Es ist das Privileg der Jugend, neue, eigene Wege zu suchen und zu gehen. Sie im Gebirge einfach auf die Pfade ihrer Väter und Grossväter zu verweisen, wäre ebenso töricht wie nutzlos. Wenn wir dieses Streben vom Kleinen zum Grossen, vom Bekannten zum Unbekannten, das schon in der Wiege der Alpinistik geschlummert hat, gelten lassen, so dürfen wir uns gerechterweise auch nicht verwundern, wenn dieser Drang allmählich einen Punkt erreicht hat, wo das Verständnis viele von uns im Stiche lässt. Nicht das Aussergewöhnliche an sich qualifiziert die alpine Tat, sondern ihre Motive und das Ethos der Menschen, die sie vollbringen. Nur so ist es zu erklären, dass gerade die grossen und grössten Leistungen mit ganz wenigen Ausnahmen von Männern vollbracht werden, die im besten Sinne des Wortes zur alpinen Elite gehören, und nicht von draufgängerischen Hasardeuren, die ihre Künste am liebsten im Rampenlicht einer Zirkuskuppel zum besten gäben.

Mit dem ersten Durchstieg durch die Eigernordwand war bewiesen, dass sie begehbar ist, die Fülle der Schwierigkeiten und das Ausmass der objektiven Gefahren die Tour unter Umständen aber zu einem Unternehmen machen, das die erträglichen Risiken übersteigt. Wer die alpine Geschichte kennt, nahm jetzt an, das Kapitel der Eigernordwand sei damit als abgeschlossen zu betrachten. Sie war, wie viele andere aussergewöhnliche Routen, einmal gemacht worden, damit sie gemacht sei. Und hier täuschte man sich. Im Laufe der Jahre bekam sie immer mehr den Nimbus eines grossen Ziels, einer alpinen Endstation. Nicht nur unter den Verwegensten, die sich nach Ruhm sehnten, auch unter den Tüchtigsten und Ehrlichsten machte sich allmählich die Erkenntnis geltend, dass diese Wand die letzte grosse Prüfung, der Höhepunkt einer alpinen Laufbahn sein könnte. Es kann uns deshalb nicht verwundern, wenn unter den späteren Bezwingern der Eigerwand auch Namen zu finden sind, die den alpinen Heroismus, das törichte Spiel mit dem Leben im Gebirge zu tiefst verabscheuen. In dem berechtigten Glauben an ihre Kräfte, ihre Erfahrung und ihr Können waren sie überzeugt, dem Berg selbst auf dieser seiner wildesten Flanke gewachsen zu sein. Zum Unterschied von vielen anderen, die in der Folge scheiterten, stand ihr Unternehmen in allen seinen Phasen im Zeichen der Vernunft. Sie überliessen nichts dem Zufall, sie waren entschlossen, jederzeit umzukehren, sobald die Verhältnisse zu ungünstig, die Risiken zu gross werden sollten. Die Problematik der Wand ist also nicht die Tatsache, dass sie bei guten Voraussetzungen von einer kleinen Elite hervorragender Bergsteiger zu bezwingen ist und immer wieder bezwungen wird. Es ist vielmehr die ungeheuerliche Publizität, das ins Theatralische gesteigerte Scheinwerferlicht, das die Wand überflutet, wenn einer auch nur sein Zelt am Fuss des Eigers aufschlägt. Sobald man von einer geglückten Begehung ebensowenig Notiz nimmt wie von einer Besteigung des Matterhorns oder des Mont Blanc, und sobald von einem Unglück am Eiger nur noch soviel Aufhebens gemacht wird wie von einem Absturz an der Windgälle oder am Schreckhorn, verliert auch dieser Berg seine Problematik, dann haben wir, hat er Ruhe.

Man kann nicht anders, als diesen Dingen nachzugrübeln, wenn man in die furchterregende Wildnis schaut, die der Welt so viel Sensation geliefert hat und in der man vier Menschen weiss, die nebenan ihren Weg gehen. Wo die Japaner, wo die Spanier wohl sein mögen? Unserem Rufen folgt nur das eigene Echo. Wir müssen weiter, wieder in die Westflanke hinein. Der Berg meint es gut mit uns; denn gerade in diesen obersten Felspartien legt er sich nicht selten einen dünnen Eispanzer um, der das unschwierige Gelände heikel, manchmal fast unbegehbar macht.

« In zwanzig Minuten sind wir auf dem Gipfel! » Die verheissungsvollen Worte sind kaum gesprochen, als sich, von Süden kommend, eine Nebelschwade auf uns wirft. Im gleichen Moment kracht es. Neben uns fallen Steine in die Tiefe. Wir befinden uns am Fuss der Felsen, die man nach rechts umgeht, um nachher links den Gipfelgrat zu erreichen. Das erste, was wir tun, ist das Entfernen der Pickel. Dann kriechen wir in die schmale Spalte zwischen Schnee und Fels. Es kracht in Abständen von halben Minuten. In unserem Loch mit den Nebelgardinen sehen wir die Blitze nicht, die den Gipfel des Berges zur Zielscheibe nehmen. Immer mehr und grössere Steine springen über unseren Unterschlupf hinweg. Es stinkt nach Schwefel und gesprengtem Fels. Nach jedem Krachen jagt uns das Gestein eine Portion Elektrizität in die Glieder. Also weg vom Fels und mehr in den Schnee! Manchmal hat man das Gefühl, es werde Nacht, und es ist doch erst 9 Uhr. « Ein Glück, dass uns das Fuder nicht am Firngrat oder gar auf dem Gipfel erreicht hat! » War unsere halbstündige Auseinandersetzung mit der Nordwand eine Fügung des Schicksals?

Der Überfall ist die Angelegenheit einer Viertelstunde. Fünfzehn lange Minuten zwischen Donner und Steinen. Wir gewöhnen uns allmählich an das Krachen und an das gespenstische Schauspiel der sausenden Steine im Nebel. Es schneit in grossen Flocken. Dann lässt der Kern des Gewitters den Eiger plötzlich in Ruhe, verschiebt sich nach Osten. Aber er besinnt sich bald eines anderen, kommt zurück und schlägt noch zweimal zu. Dann ist endgültig Ruhe. Es schneit wie im tiefsten Winter.

Unsere Sorge ist nicht mehr hinauf-, sondern hinunterzukommen Wir entschliessen uns, mit dem Rückzug zuzuwarten, in der Hoffnung, der Nebel werde sich verziehen, der Schneefall auf- hören. Das Durchstöbern des Rucksackes ist der geeignete Zeitvertreib. Da unsere kleine Höhle mit dem legendären Begriff eines komfortablen Frühstücksplatzes wenig Ähnlichkeit hat, holen wir die Pickel und hängen die Säcke daran. Wir haben guten Appetit, sind also weder physisch noch psychisch angeschlagen. Die fünflibergrossen Schneeflocken erwischen nur unsere Unterschenkel und die Schuhe. Doch bald sind sie unter einem blendendweissen Teppich verschwunden. Es wird uns allmählich klar: wenn wir nicht bald den Abstieg antreten, könnte er fragwürdig werden. Wir warten noch eine Weile, denn manchmal scheint es vor unserem Unterstand etwas heller zu werden. Die Wirklichkeit zerstört aber immer wieder die Illusionen.

Je mehr sich der Schnee auf unseren Füssen anhäuft, desto problematischer wird unser Warten. Nochmals zehn Zentimeter, und die Gefahr von Schneebrettern könnte, bei der Steilheit des Geländes, ihr akutes Stadium erreichen. Wir packen unsere Siebensachen zusammen und tasten uns behutsam bergab. Man sieht die Kameraden nur schemenhaft. Man weiss nie, ob man über Platten oder über loses Gestein geht. Vom letzten am Seil tönt es dauernd « links, rechts, geradeaus ». Nur er weiss, wo man hinunter muss, um nicht auf unwegsames Terrain zu geraten. Da er uns im dicken Nebel manchmal überhaupt nicht sieht, muss unser Kurs immer wieder korrigiert werden. Dem ungewöhnlichen Spürsinn unseres Steuermannes haben wir es zu verdanken, dass wir nach vier Stunden ohne zeitraubende Irrwege, durchnässt, frierend und leicht zermürbt, im Regen plötzlich die Häuser von Eigergletscher unter uns sehen, die Häuser und, in greUroten « Überkleidern », zwei Menschen, die Japaner, die wie wir dem schützenden Dach zueilen. Sie haben eine Stunde dem Unwetter getrotzt und sind dann durch das Stollenfenster in den trockenen Tunnel der Jungfraubahn gekrochen. Die Spanier, die sich gewohnt sind, vom Wetter mehr Gutes als Böses zu erwarten, hat nichts von ihrem Vorhaben abbringen können. Zwei Tage später sind sie oberhalb der « Spinne », nebeneinander sitzend, an Erschöpfung gestorben. Mut und Wille sind beneidenswerte Tugenden. In der Eigerwand haben sie aber nur in Verbindung mit der Vernunft ihre Gültigkeit.

« Wir sind noch einmal davongekommen », habe ich in mein Notizbuch geschrieben. Heute, da ich meine damaligen, unmittelbaren Aufzeichnungen zu diesem Aufsatz forme, finde ich die Gemütsverfassung, der die Worte entsprungen sind, etwas sonderbar. Einmal mehr neige ich nämlich dazu, Leslie Stephen recht zu geben: Nichts in dieser Welt ist genussreicher als gutes Wetter in den Bergen; das Nächstbeste ist schlechtes Wetter in den Bergen.

Und mit dem Eiger, meinem Hausberg und Nachbar, habe ich mich ausgesöhnt. Wir sind jetzt wieder auf du und du.

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