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Mit Teekocher und Lexikon unterwegs in Südafrika

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

Fridolin Vögeli, z.Zt. Kapstadt

Bergsteigen ist bei den südafrikanischen Studenten ein beliebter Sport, vielleicht in erster Linie deshalb, weil die grossen Universitäten alle in der Nähe schöner Berge oder anspruchsvoller Klettergärten liegen.

Ich habe nun ein Jahr an der Hochschule von Kapstadt studiert, am Abhang des Table Mountain, eines attraktiven Berges, wo auch der Alpinismus in Südafrika geboren wurde.Vom Campus aus kann man in 50 Kilometer Entfernung, nahe der grossen Universität von Stellenbosch, den zackigen Horizont der Berge des Westlichen Kaps sehen.

Dahin zieht es uns Studenten an jedem Wochenende, denn es gibt deren heuer ( 1973 ) einige « verlängerte », und die Studiosi lieben es, hinaufzugehen in die Natur, sind sie doch meist in engem Kontakt mit ihr aufgewachsen und erzogen worden, so dass auch eine enge Beziehung zu ihr entstanden ist. An jedem Wochenende suchen sie einen anderen schönen Platz auf, unabhängig von Hütten und Routen. Unterkünfte haben ohnehin Seltenheitswert, und einem echten Bergsteiger würde es hierzulande kaum einfallen, in einer solchen zu nächtigen, denn ein jeder hat zuoberst auf seinem Rucksack seinen Icelan-dic-Schlafsack aufgeschnallt, und auch bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt freut man sich auf ein Nachtlager unter freiem Himmel.

A propos Rucksäcke: Ich habe noch nie so grosse Kaliber gesehen, mit Rohrrahmen und schulterbreiten Tragriemen; sie übertreffen an Volumen sogar die Rucksäcke autostoppender Amerikaner, die wir während der Ferienzeit oft bestaunen. Und diese Säcke sind immer voll und schwer, egal ob sie für nur zwei Tage in die Sederberge oder für eine zweiwöchige Traversierung der Drakensberge bestimmt sind. Die Südafrikaner sind nämlich « Erfinder » von allen möglichen « notwendigen » Ausrüstungsgegenständen. Weil eben Hütten fehlen oder absichtlich gemieden werden, ist natürlich auch einiges an Material vonnöten; aber wenn der « kettle », der eigens fürs Teekochen mitgetragen wird und lustig aussen am Sack baumelt, manchen gemütlichen Gipfel-oder four-o'clock tea verspricht, so ist es doch für unsereinen ein Luxus, ihn mitzuschleppen.

Doch gerade diese kleinen « luxuriösen » Eigenheiten sind typisch für die Bergsteiger hier, die zwar alle sehr sportlich, meist fanatische Langstreckenläufer und beneidenswert « fit » sind, aber wenn sie in die Berge gehen, es zur Erholung tun und sich weder drängen noch einengen noch sich etwas vorschreiben lassen.

Der Abmarsch vollzieht sich denn auch erst nach einem echt englischen « breakfast » um 8 Uhr morgens, zu einer Zeit also, wo wir Schweizer schon auf oder nahe dem Gipfel zu sein pflegen. Und während des Aufstiegs wird zudem des öftern haltgemacht, das Lexikon hervorgekramt, ein seltener Vogel oder eine fremdartige Pflanze bestimmt; es werden ihre Eigenarten und Lebensweisen nachgelesen und einige persönliche Bemerkungen festgehalten...

Ich bin im Februar in Kapstadt angekommen, aber erst Mitte April zum erstenmal auf den alles dominierenden Table Mountain gestiegen. An jedem Wochenende habe ich dann den Wecker gestellt, um frühmorgens loszuziehen, bevor die Hitze des Tages den Schweiss aus den Poren treibt.

Am Table Mountain gibt es zwei Arten von Wetter: Es ist entweder brütend heiss - oder das Gipfelplateau von einer Wolke zugedeckt, was soviel heisst wie « Gefahr », auch wenn der Berg nur i ooo Meter hoch ist.

Endlich, an einem Sonntagmorgen, verspricht das Wetter gut zu werden, und ich nehme zusammen mit Siegfried, einem deutschen Studenten, den Aufstieg unter die Füsse. Gleich hinter dem Haus geht 's bergan, zuerst durch Nadelwald mit grossen Wildbeständen, dann durch den Regenwald der « Hinterseite », direkt über dem berühmten « Botanischen Garten von Kirstenbosch », in einer tiefen Schlucht. Wir verlieren den Weg einige Male im Blätterdickicht, bevor wir den Sattel des Devils Peak erreichen. Die letzten Meter über diesen Sattel sind wie eine Reise durch den halben Kontinent: Wir kommen aus dem feuchten Regenwald und stehen nun plötzlich auf der Nordseite, über der Stadt, an einem ausgedorrten Hang, der erst kürzlich wieder einige Tage gebrannt hat. Der Table Mountain steht so isoliert im Windsystem der beiden Ozeane, dass seine verschiedenen Seiten auch ganz verschiedene Klimata haben. So regnet es denn auf der Nordseite nicht halb soviel und lange nicht so ausgiebig wie auf der dunkelgrünen Rückwand, aus der wir nun herausgetreten sind.

Weiter klettern wir, nun nicht mehr im wohltuenden Schatten, auf den Devils Peak, in den Hauptsattel und dann über Knife Edge auf den Hauptberg. ( Von einem « Gipfel » kann man nicht gut sprechen, denn es ist, wie übrigens auch der Name besagt, eher eine grosse Ebene, ein Plateau. ) Die Routenbeschreibung im Führer ist sehr detailliert und langatmig, mein Englisch noch so unbeholfen, und Wegmarken gibt es so viele, dass ich sie gar nicht erst zu Ende gelesen habe.

Unvermittelt schliesst eine Seillänge C ( hier Klassierung A bis G ), exponiert über den Wäldern Kirstenboschs, den Weg zum Gipfel ab.

Zum Glück ist Siegfried auf seiner ersten Bergtour tapfer wie sein Ahnherr und schaut nicht hinter und nicht unter sich, so dass wir den höchsten Punkt ohne Seil und Schwierigkeiten erreichen. Während Stunden sind wir hoch über der grossen Siedlung Cape Towns allein gewesen, aber nun hat uns die Zivilisation wieder: Mit langen Röcken und hohen Absätzen, mit Transistorradios und Kameras fallen die Seilbahntouristen über uns Bergsteiger her und lassen uns fluchtartig den Abstieg antreten — leider ohne das langersehnte Bier im Restaurant.

Gegen 6 Uhr erreichen wir wieder unser Heim, halb verdurstet und hundemüde, aber glücklich über die erfolgreiche « Erstbesteigung » und dankbar für die schönen Ausblicke auf Stadt und Meer, denn schon hat der Berg, verärgert ob dem sonntäglichen Massenandrang, die Nebelmütze aufgestülpt.

Bergsteigen in Südafrika ist auch immer verbunden mit einem anderen eindrücklichen Erlebnis, sei es nun die Begegnung mit einer üppigen Pflanzenwelt, mit einer besonders artenreichen Fauna oder mit alten Felsmalereien in Höhlen.

Unsere zweite Tour - in die Drakensberge ( 1800 km Autofahrtist dem Cathedral Peak und solchen Felsmalereien gewidmet. Wir haben in der Bibliothek ein einmaliges Buch gefunden: « Ndedema », verfasst von einem Österreicher. Zwei Jahre lang hat er in diesem Tal alle Höhlen vermessen, die Gemälde photographiert und die Bilder koloriert mit den Farben, wie sie die Eingeborenen Hunderte von Jahren zuvor gesehen haben. Wir sind so begeistert von diesem Werk, dass wir die Bibliothekarin beschwören, es uns herauszugeben, und damit losfahren.

Nach einer ganztägigen Autofahrt und einem vierstündigen Marsch über den Mikes-Pass sind wir so müde, dass wir den harten Boden in der Höhle nicht mehr spüren und bis zum andern Mittag schlafen. Doch dann geht 's los: Zwei Tage ziehen wir durch das Ndedema-Tal, von Höhle zu Höhle, und suchen Felsmalereien. Schon die Lage der Grotten, mit dem Ausblick ins Unter- In einer der mächtigen Sandsteinwände der Sederberge 2Dem Escarpement entlang schweift der Blick nach Norden zu den letzten Zacken des Amphitheaters 3Die Anfahrt zu den Bergen Lesothos ist meist schon ein Abenteuer für sich: Auf der « Hauptstrasse » zum Sanipass, Mahlasela-Pass, 3220 Meter Photos Fridolin Vögeli. Kapsladt land oder zum Escarpement, ist phantastisch, aber noch mehr ist man von den Bildern gefesselt. Hier ist alles abgebildet, der ganze Lebenslauf jener Menschen spiegelt sich in einfachen, stilisierten, aber eleganten Bildern wider: Das sind die « bushmen-paintings ».

Nur ungern trennen wir uns nach drei Tagen von diesem Tal, denn wir wollen ja noch hinauf auf den Highberg, das Escarpement. Dieser Berg ist wohl einmalig in der Welt: Über eine Länge von etwa 600 Kilometer stürzt das Escarpement i 500 Meter hinunter zum Kleinberg, dem armseligen Rest einer einst ganz Südafrika überdeckenden Basaltschicht von mehreren Kilometern Dicke. Hat man diesen Abbruch erstiegen, so steht man vor den hügeligen Gipfeln Lesothos, wo die « herd-boys » ihre Lieder singen auf über 3000 Meter Höhe und sich von Berg zu Berg zurufen, über das Tal hinweg, in unendlich ruhiger Luft.

Es ist schon Anfang September, aber letzte Woche hat es nochmals geschneit, und die Gipfel sehen recht abweisend aus mit ihren senkrechten Felswänden und den verschneiten Grasbändern dazwischen. Das Vorwärtskommen ist viel schwieriger als bei sommerlichen Verhältnissen. So begnügen wir uns denn mit einem Gipfel anstelle einer Überschreitung der ganzen Cathedral-Ridge und geniessen das schöne Wetter in den Felsennestern entlang dem Absturz und in den Pools auf dem Heimweg entlang dem Fluss. Wir werden wiederkommen zum Cathedral und Ndedema, wenn es sein muss, sogar von Europa aus!

Wir haben geplant, Ende September schon wieder nach Osten zu fahren, diesmal nach Lesotho hinein, wo wir über die Berge zum höchsten Wasserfall, dem Malutsjane, wandern wollen. Eine holländische Studentin, Eline, möchte sich uns anschliessen. Da wir aber nicht genau wissen, wie gut sie « in Form » ist für die sechstägige Tour, entschliessen wir uns, sie vorerst zu testen. Am Sonntagmorgen früh fahren wir hinauf zum Tutoits-Kloof-Pass und steigen mit riesigen Rucksäcken zum gleichnamigen Peak auf. Wir wollen zwar am Montagmorgen wieder zurück sein, haben aber doch trainingshalber alles nur verfügbare Material, vor allem warme Sachen, in unsere Säcke gestopft und tragen hohe Bergschuhe trotz heissem Sommerwetter und schönem Weglein.

Wie gut wir all dieses Wintermaterial brauchen können wird uns erst am anderen Morgen beim Aufwachen bewusst. Es hat schon die ganze Nacht gestürmt und um die kleine Höhle gepfiffen, in der wir, zu viert eng zusammengekuschelt, gefroren und geschlafen haben. Erst beim Morgengrauen erkennen wir die Katastrophe: Es hat geschneit! Etwa o Zentimeter Schnee sind gefallen und bedecken alles, vor allem die spärlichen Wegspuren, die uns zurücklotsen sollten. Zudem stürmt es immer noch, und der Nebel beschränkt die Sicht auf t o Meter. Wir sind gefangen und müssen doch versuchen, dieser Hexenküche zu entfliehen. Nach viel'warmer Suppe und Kakao marschieren wir los, eingemummt in alle Hüllen, die wir gefunden haben. Drei Stunden geht es abwärts durch Nebel und Schnee, der langsam in strömenden Regen übergeht. Wir verlieren den Weg, finden ihn wieder, um ihn gleich wieder zu verpassen und gelangen schliesslich, vollkommen durchnässt, zur Hauptstrasse. Eline hat sich tapfer gehalten und die gute Laune nie verloren. Wir stecken sie in den letzten trockenen Schlafsack und brausen heim, zu heisser Dusche und ins Bett.

Wir alle haben dieses Winterabenteuer gut überstanden, und eine Woche später ziehen wir los, nach Lesotho, zu unvergesslichen Ferien im schönsten Lande Afrikas.

Ein wenig enttäuscht vom höchsten Berg Lesothos, dem Thabantshonjana, der, kaum erkennbar, als kleiner « Gupf » die hügelige Hochebene beim berühmten Sani-Pass überragt, sitzen wir beim Gipfeltee, spinnen Pläne für zukünftige Bergfahrten und bleiben an vergangenen hängen. Kevin hat soeben ein Stück Brot abgeschnitten, hält dann sein Messer eine Zeitlang in der Hand und streckt es schliesslich mir zur Begutachtung ent- 4Die Cathedral-Ridge bietet ein imponierendes Bild 5Das Amphitheater, der imposante nördliche Abschluss des Escarpements 6Escarpement: Blick zum nördlichen Teil des Amphitheaters Photos Fridolin Vögeli, Kapstadt gegen. Es ist ein Schweizer Offiziersmesser, der Stolz eines jeden Südafrikaner Bergsteigers, das Geschenk irgendeiner Firma. Ich bin natürlich nicht seinen Erwartungen entsprechend beeindruckt, bis ich die Aufschrift lese:

1864 SACCAS 1964 Ich erkläre Kevin die Bedeutung dieser Buchstaben und Zahlen, und er bedankt sich für die so erfreuliche Aufklärung der Geschichte seines Messers.

Er ist vor drei Jahren nach Südamerika gefahren, um mit zwei Freunden den Aconcagua zu besteigen - für Südafrikaner, die meist unter 2000 Meter klettern, ein recht kühnes Unterfangen. Zwei Tage lang hat dort der Sturm um das letzte Zeltlager getobt, und die Kopfschmerzen der Bergsteiger sind immer unerträglicher geworden. So hat denn Kevin seine Kameraden überredet weiterzusteigen. Nach einigen Stunden verzweifelten Kampfes mit der Atemnot haben sie den Gipfel erreicht- überglücklich. Doch schon bald auf dem Abstieg hat einer sich so schwach gefühlt, dass sie sich entschlossen, nochmals eine Nacht in dieser Höhe zu biwakieren. Kevin hat den Platz für das Zelt etwas ausgeebnet, mit einigen Pickelhieben einen härteren Brocken zerschlagen - und plötzlich « gestutzt ». Trotz hämmernden Schläfen bückt er sich und hebt den letzten Klumpen auf: ein Messer, festgebacken im harten Schnee. Er freut sich über diesen seltenen Fund auf einsamer Höhe, reinigt ihn sorgfältig, und seither trägt er dieses Messer immer bei sich.

Dieser Abstecher nach Südamerika lässt unsere Gedanken nach Norden schweifen, zu unserem nächsten grossen Ziel, Alaska. Wir hatten geplant, auf meiner Heimreise zusammen den Kilimandscharo zu besteigen, aber meine Freunde haben kein Visum erhalten. Darum müssen wir einander nach dieser letzten schönen Tour in Lesotho adieu sagen. Bergsteiger haben alle etwas Gemeinsames: dieselben Ideale - aber einige das Pech, mit falschem Pass geboren zu sein. So wird vorläufig nichts aus unserem Plan, dem höchsten Berg Afrikas einen Besuch zu machen; doch wir trösten uns, denn in vier Jahren werden wir uns wiedersehen - und dann geht 's auf zum Mt. McKinley...

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